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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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einem einzigen "Mädchen für Alles." In solchen Familien muß die Fran die
praktische Leitung des Hauswesens bis in die Details verstehen, sie muß es ver¬
stehen, selbst mit Hand anzulegen in den verschiedenen Zweigen der häuslichen
Arbeit, sie muß verstehen, was zur Küche, zur Wasche und dergleichen gehört,
sie muß das alles verstehen fast noch besser, als ihre Großmutter es verstand.
Daß das mangelhafte technische Verständnis recht geeignet ist, die Oppvsitions-
ftellung des Dienstmädchens der jungen Frau gegenüber zu festigen, liegt auf
der Hand. Aber fast noch mehr kommt es doch darauf an, daß den Kindern
unsrer gebildeten Familien recht nachdrücklich und bei Zeiten jene nur zu oft
sich äußernde Überhebung über die Dienstboten, jenes allzu schroffe Verständnis
für die sozialen Unterschiede -- es schließt dies bekanntlich eine unpassende Kor-
dialität keineswegs immer aus -- ausgetrieben werde. Viel tragen gerade die
heranwachsenden Kinder häufig zur Verbitterung der Dienstboten bei, und kaum
giebt es ein sprechenderes Symptom für die Zucht im Hauswesen als das Ver¬
halten der Kinder gegen das Gesinde.

Aber wie ist da zu helfen? -- Der Buchstabe der Gesetze, der Verord¬
nungen, der Verträge kann gar nichts helfen, wenn nicht ein neuer Geist das
Verhältnis zwischen Herrin und Magd durchdringt. Ist es wahr, daß eine Neu¬
gestaltung der sittlichen Anschauungen im Sinne uneigennütziger Nächstenliebe,
daß der Sieg des ethischen Sozialismus über den Individualismus und Egois¬
mus in das Reich der Illusionen gehört, dann freilich ist nicht mehr zu helfen,
dann wird aber auch kein gesetzlicher Sozialismus Hilfe bringen. Ich meine,
es ist hohe Zeit, dem bösen I^isskr-iMsr des modernen Pessimismus mit
seiner Devise: "Wir sind nun einmal Egoisten!" auf der gauzeu Linie des
sozialen Kampfplatzes energisch zu Leibe zu gehen, und deshalb wünschte ich es
auch klar und bestimmt in recht weiten Kreisen zum Bewußtsein gebracht, daß
die gebildete deutsche Hansfrau ganz besonders dazu berufen ist, das Band un¬
eigennütziger Menschenliebe zwischen den verschiedenen Schichten des Volks zu
knüpfen, den Zwiespalt zwischen Arm und Reich durch den liebenswürdigsten
Sozinlismus zu mildern. Daß dazu gerade die Erziehung der weiblichen Dienst¬
boten eins der wirksamsten Mittel ist, ein ^ wirksameres sogar als die vielgelvbte
Vereinsarbeit mit ihren Krippen, Suppen und Bescheerungen oder gar mit weib¬
lichen Vortrügen und Anträgen gegen die Prostitution, das wünschte ich dnrch
diese Zeilen ein klein wenig in Erinnerung zu bringen.


Georg Bobertag.


einem einzigen „Mädchen für Alles." In solchen Familien muß die Fran die
praktische Leitung des Hauswesens bis in die Details verstehen, sie muß es ver¬
stehen, selbst mit Hand anzulegen in den verschiedenen Zweigen der häuslichen
Arbeit, sie muß verstehen, was zur Küche, zur Wasche und dergleichen gehört,
sie muß das alles verstehen fast noch besser, als ihre Großmutter es verstand.
Daß das mangelhafte technische Verständnis recht geeignet ist, die Oppvsitions-
ftellung des Dienstmädchens der jungen Frau gegenüber zu festigen, liegt auf
der Hand. Aber fast noch mehr kommt es doch darauf an, daß den Kindern
unsrer gebildeten Familien recht nachdrücklich und bei Zeiten jene nur zu oft
sich äußernde Überhebung über die Dienstboten, jenes allzu schroffe Verständnis
für die sozialen Unterschiede — es schließt dies bekanntlich eine unpassende Kor-
dialität keineswegs immer aus — ausgetrieben werde. Viel tragen gerade die
heranwachsenden Kinder häufig zur Verbitterung der Dienstboten bei, und kaum
giebt es ein sprechenderes Symptom für die Zucht im Hauswesen als das Ver¬
halten der Kinder gegen das Gesinde.

Aber wie ist da zu helfen? — Der Buchstabe der Gesetze, der Verord¬
nungen, der Verträge kann gar nichts helfen, wenn nicht ein neuer Geist das
Verhältnis zwischen Herrin und Magd durchdringt. Ist es wahr, daß eine Neu¬
gestaltung der sittlichen Anschauungen im Sinne uneigennütziger Nächstenliebe,
daß der Sieg des ethischen Sozialismus über den Individualismus und Egois¬
mus in das Reich der Illusionen gehört, dann freilich ist nicht mehr zu helfen,
dann wird aber auch kein gesetzlicher Sozialismus Hilfe bringen. Ich meine,
es ist hohe Zeit, dem bösen I^isskr-iMsr des modernen Pessimismus mit
seiner Devise: „Wir sind nun einmal Egoisten!" auf der gauzeu Linie des
sozialen Kampfplatzes energisch zu Leibe zu gehen, und deshalb wünschte ich es
auch klar und bestimmt in recht weiten Kreisen zum Bewußtsein gebracht, daß
die gebildete deutsche Hansfrau ganz besonders dazu berufen ist, das Band un¬
eigennütziger Menschenliebe zwischen den verschiedenen Schichten des Volks zu
knüpfen, den Zwiespalt zwischen Arm und Reich durch den liebenswürdigsten
Sozinlismus zu mildern. Daß dazu gerade die Erziehung der weiblichen Dienst¬
boten eins der wirksamsten Mittel ist, ein ^ wirksameres sogar als die vielgelvbte
Vereinsarbeit mit ihren Krippen, Suppen und Bescheerungen oder gar mit weib¬
lichen Vortrügen und Anträgen gegen die Prostitution, das wünschte ich dnrch
diese Zeilen ein klein wenig in Erinnerung zu bringen.


Georg Bobertag.


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[0130] einem einzigen „Mädchen für Alles." In solchen Familien muß die Fran die praktische Leitung des Hauswesens bis in die Details verstehen, sie muß es ver¬ stehen, selbst mit Hand anzulegen in den verschiedenen Zweigen der häuslichen Arbeit, sie muß verstehen, was zur Küche, zur Wasche und dergleichen gehört, sie muß das alles verstehen fast noch besser, als ihre Großmutter es verstand. Daß das mangelhafte technische Verständnis recht geeignet ist, die Oppvsitions- ftellung des Dienstmädchens der jungen Frau gegenüber zu festigen, liegt auf der Hand. Aber fast noch mehr kommt es doch darauf an, daß den Kindern unsrer gebildeten Familien recht nachdrücklich und bei Zeiten jene nur zu oft sich äußernde Überhebung über die Dienstboten, jenes allzu schroffe Verständnis für die sozialen Unterschiede — es schließt dies bekanntlich eine unpassende Kor- dialität keineswegs immer aus — ausgetrieben werde. Viel tragen gerade die heranwachsenden Kinder häufig zur Verbitterung der Dienstboten bei, und kaum giebt es ein sprechenderes Symptom für die Zucht im Hauswesen als das Ver¬ halten der Kinder gegen das Gesinde. Aber wie ist da zu helfen? — Der Buchstabe der Gesetze, der Verord¬ nungen, der Verträge kann gar nichts helfen, wenn nicht ein neuer Geist das Verhältnis zwischen Herrin und Magd durchdringt. Ist es wahr, daß eine Neu¬ gestaltung der sittlichen Anschauungen im Sinne uneigennütziger Nächstenliebe, daß der Sieg des ethischen Sozialismus über den Individualismus und Egois¬ mus in das Reich der Illusionen gehört, dann freilich ist nicht mehr zu helfen, dann wird aber auch kein gesetzlicher Sozialismus Hilfe bringen. Ich meine, es ist hohe Zeit, dem bösen I^isskr-iMsr des modernen Pessimismus mit seiner Devise: „Wir sind nun einmal Egoisten!" auf der gauzeu Linie des sozialen Kampfplatzes energisch zu Leibe zu gehen, und deshalb wünschte ich es auch klar und bestimmt in recht weiten Kreisen zum Bewußtsein gebracht, daß die gebildete deutsche Hansfrau ganz besonders dazu berufen ist, das Band un¬ eigennütziger Menschenliebe zwischen den verschiedenen Schichten des Volks zu knüpfen, den Zwiespalt zwischen Arm und Reich durch den liebenswürdigsten Sozinlismus zu mildern. Daß dazu gerade die Erziehung der weiblichen Dienst¬ boten eins der wirksamsten Mittel ist, ein ^ wirksameres sogar als die vielgelvbte Vereinsarbeit mit ihren Krippen, Suppen und Bescheerungen oder gar mit weib¬ lichen Vortrügen und Anträgen gegen die Prostitution, das wünschte ich dnrch diese Zeilen ein klein wenig in Erinnerung zu bringen. Georg Bobertag.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/130>, abgerufen am 03.07.2024.