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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal.

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Die deutschen Frauen und die soziale Frage.

naße Folge der Hebung der unteren Klassen. Es giebt nur ein Mittel, das
Dienstbotenverhültnis als ein hnlbpatrinrchalisches aufrecht zu erhalten: man
muß sich entschließen, die Dienstboten als zur Familie gehörig zu betrachten,
ihre Erziehung sich angelegen sein zu lassen. Es geht das da um so leichter,
wo die Dienenden junge Leute sind. Und die Mehrzahl der Dienstboten sind
unter 25 Jahren. Aber der ungeheure Irrtum unsrer besitzenden Klassen bei
ihren heutigen Klagen über die Dienstboten besteht darin, daß sie selbst ihr Ver¬
hältnis zu den Dienstboten rein als Vertragsverhältnis auffassen, das mit der
Geldlohuzahlung und hochmütig barscher Behandlung sich erschöpft, während sie
von den Dienstboten doch noch die alte patriarchalische Liebe und Aufopferung
verlangen, empört sind, wenn die Köchin erklärt, sie rühre außerhalb der Küche
keinen Stuhl und keinen Tisch an, wenn die sämmtlichen Dienstbotel? feste Frei¬
stunden des Abends oder des Sonntags sich ausbedingen. Die Dienstboten sind
mit solchen Forderungen ganz in ihren: Recht, wenn man sie selbst nur als ge¬
mietete, sonst nicht zur Familie gehörige Dienstleute behandelt. Nur wer seine
Dienstboten als Mitglieder der Familie behandelt, wer sich mit Teilnahme um sie
kümmert, auf ihr geistiges, sittliches und religiöses Leben Einfluß zu gewinnen
strebt, nur der hat ein Recht auf patriarchalische, auf familiäre Gesinnung seitens
seiner Dienstboten."

Ich bin überzeugt, daß von diesen Gedanken Schmvllers der Mehrzahl
der heutigen Leserwelt und namentlich der Leserinnen keiner besser gefallen wird
als der: "In der Hauptsache ist nicht zu helfen." Es ist eine Eigentümlichkeit
unserer sich mit Vorliebe "realistisch" nennenden Zeit, die Schäden des gegen¬
wärtigen Gesellschaftslebens lediglich als eine gegebene Thatsache zu betrachten,
vielleicht auch zu studiren, zu deren Beseitigung der Einzelne gar nichts, ja selbst
der Staat nur durch den völligen Bruch mit der seitherigen Wirtschafts- und
Gesellschaftsordnung etwas thun könne. Und da dieser Bruch mit der be¬
stehenden Ordnung einen: guten Teile der sogenannten bessern Elemente immer¬
hin etwas riskant erscheint, so giebt man sich allgemach einem sozialen Pessimis¬
mus hiu, welcher in der Gegenwart nichts thut und von der Zukunft nichts
hofft. Das "patriarchalische" Verhältnis zwischen Herrschaft und Dienstboten
gehört gewiß der Vergangenheit an; ich will es ihr recht gern ganz überlassen
und nicht einmal das, was ich für die Gegenwart wünschen möchte, als "halb-
pntriarchalisch" bezeichnen. Nicht als ein künstlich konscrvirter Rest aus einer
vergangenen Zeit soll die erziehende Wirksamkeit der Hausfrau auf das Dienst¬
mädchen in der Gegenwart ein Nusnahmsdasein führen, sondern gerade weil ich
die fortschreitende Vervollkommnung für die Aufgabe unseres gauzeu nationalen
Gesellschaftslebens halte, deshalb erscheint es mir als die heilige Pflicht der
oberen Schichten des Volks, die erfreuliche "Hebung der unteren Klassen" nicht
zu einem Niedergang der sozialen Verhältnisse und so auch uicht zu einer Ver¬
schlechterung des Verhältnisses zwischen Herrin und Magd ausschlagen zu lassen,


Die deutschen Frauen und die soziale Frage.

naße Folge der Hebung der unteren Klassen. Es giebt nur ein Mittel, das
Dienstbotenverhültnis als ein hnlbpatrinrchalisches aufrecht zu erhalten: man
muß sich entschließen, die Dienstboten als zur Familie gehörig zu betrachten,
ihre Erziehung sich angelegen sein zu lassen. Es geht das da um so leichter,
wo die Dienenden junge Leute sind. Und die Mehrzahl der Dienstboten sind
unter 25 Jahren. Aber der ungeheure Irrtum unsrer besitzenden Klassen bei
ihren heutigen Klagen über die Dienstboten besteht darin, daß sie selbst ihr Ver¬
hältnis zu den Dienstboten rein als Vertragsverhältnis auffassen, das mit der
Geldlohuzahlung und hochmütig barscher Behandlung sich erschöpft, während sie
von den Dienstboten doch noch die alte patriarchalische Liebe und Aufopferung
verlangen, empört sind, wenn die Köchin erklärt, sie rühre außerhalb der Küche
keinen Stuhl und keinen Tisch an, wenn die sämmtlichen Dienstbotel? feste Frei¬
stunden des Abends oder des Sonntags sich ausbedingen. Die Dienstboten sind
mit solchen Forderungen ganz in ihren: Recht, wenn man sie selbst nur als ge¬
mietete, sonst nicht zur Familie gehörige Dienstleute behandelt. Nur wer seine
Dienstboten als Mitglieder der Familie behandelt, wer sich mit Teilnahme um sie
kümmert, auf ihr geistiges, sittliches und religiöses Leben Einfluß zu gewinnen
strebt, nur der hat ein Recht auf patriarchalische, auf familiäre Gesinnung seitens
seiner Dienstboten."

Ich bin überzeugt, daß von diesen Gedanken Schmvllers der Mehrzahl
der heutigen Leserwelt und namentlich der Leserinnen keiner besser gefallen wird
als der: „In der Hauptsache ist nicht zu helfen." Es ist eine Eigentümlichkeit
unserer sich mit Vorliebe „realistisch" nennenden Zeit, die Schäden des gegen¬
wärtigen Gesellschaftslebens lediglich als eine gegebene Thatsache zu betrachten,
vielleicht auch zu studiren, zu deren Beseitigung der Einzelne gar nichts, ja selbst
der Staat nur durch den völligen Bruch mit der seitherigen Wirtschafts- und
Gesellschaftsordnung etwas thun könne. Und da dieser Bruch mit der be¬
stehenden Ordnung einen: guten Teile der sogenannten bessern Elemente immer¬
hin etwas riskant erscheint, so giebt man sich allgemach einem sozialen Pessimis¬
mus hiu, welcher in der Gegenwart nichts thut und von der Zukunft nichts
hofft. Das „patriarchalische" Verhältnis zwischen Herrschaft und Dienstboten
gehört gewiß der Vergangenheit an; ich will es ihr recht gern ganz überlassen
und nicht einmal das, was ich für die Gegenwart wünschen möchte, als „halb-
pntriarchalisch" bezeichnen. Nicht als ein künstlich konscrvirter Rest aus einer
vergangenen Zeit soll die erziehende Wirksamkeit der Hausfrau auf das Dienst¬
mädchen in der Gegenwart ein Nusnahmsdasein führen, sondern gerade weil ich
die fortschreitende Vervollkommnung für die Aufgabe unseres gauzeu nationalen
Gesellschaftslebens halte, deshalb erscheint es mir als die heilige Pflicht der
oberen Schichten des Volks, die erfreuliche „Hebung der unteren Klassen" nicht
zu einem Niedergang der sozialen Verhältnisse und so auch uicht zu einer Ver¬
schlechterung des Verhältnisses zwischen Herrin und Magd ausschlagen zu lassen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_193340/125>, abgerufen am 22.07.2024.