Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.Lthnologie und Lthik. der Teleologie statuirt. Es wäre freilich ein zu ungeheuerlicher Widerspruch Lthnologie und Lthik. der Teleologie statuirt. Es wäre freilich ein zu ungeheuerlicher Widerspruch <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0082" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/150804"/> <fw type="header" place="top"> Lthnologie und Lthik.</fw><lb/> <p xml:id="ID_219" prev="#ID_218" next="#ID_220"> der Teleologie statuirt. Es wäre freilich ein zu ungeheuerlicher Widerspruch<lb/> von einem ernsthaften Denker, der die allgemeine Giltigkeit des Causalgesetzcs<lb/> anerkennt, zu verlangen, er solle zu Gunsten irgend welcher imaginären ethischen<lb/> Ziele im Bereich des menschlichen Thuns auf jenen Gedanken Verzicht leisten;<lb/> vielmehr versteht sichs ganz von selbst, daß zuerst die Grundsätze unseres Er-<lb/> kennens überhaupt (und zu ihnen gehört das Causalgesetz) formulirt werden und<lb/> sich nach ihnen die unberechtigten Ansprüche der Gefühlswelt richten müssen,<lb/> nicht aber umgekehrt diese zur Norm irgend welcher theoretischen Untersuchung<lb/> erhoben werde» können. Durch eine genaue Analyse der in Betracht kommenden<lb/> Vorstellungen ergiebt sich genetisch die Entstehung aller jener apriorischen Axiome<lb/> und der sittlichen Kriterien insbesondere. Daher ist wie überall in den Wissen¬<lb/> schaften die comparative Methode in entwicklungsgeschichtlicher Perspective die<lb/> einzige Rettung aus diesem Conflict. Diese hat nun unser Autor im einzelnen,<lb/> allgemeine Andeutungen abgerechnet, nicht befolgt, und daher fehlt der eigent¬<lb/> liche inductive Aufbau der Untersuchung. Er würde durch eine umfassende Zu¬<lb/> sammenstellung der einschlägigen Punkte gefunden haben, daß Gut und Böse<lb/> nur relative Bezeichnungen für einen ungemein wechselnden Inhalt darstellen,<lb/> daß ferner der Grund für die Erzeugung dieser Vorstellungen nicht in einer<lb/> instinctiv sich vollziehenden Annäherung des menschlichen Handelns an irgend<lb/> ein transcententes Ideal besteht, sondern lediglich in dem specifischen Charakter<lb/> des ethnischen Organisationskreises, in dem diese Erscheinung auftritt. Wie die<lb/> Ethnologie lehrt, ist auf den verschiednen Stufen menschlicher Gesittung jenes<lb/> angeblich wandellose Ideal ein völlig verschiednes und in sich widersprechendes,<lb/> so daß der absolute Tadel, den irgend eine Handlung auf einer bestimmten Ent¬<lb/> wicklungsstufe erfährt, sich auf einer andern in unbedingtes Lob umändert. Der<lb/> wirksame Factor für die Verschiedenheit dieser variablen Beurtheilung liegt in<lb/> der Perspective auf den Charakter der bezüglichen socialen Association, dem jene<lb/> Erscheinung entstammte; was diesem nützlich ist, wird gut, was schädlich, schlecht<lb/> genannt. Damit ist der Standpunkt von der Willkür des beurtheilenden Sub¬<lb/> jects auf die Eigenart des ganzen ethnischen Complexes verlegt, dem jenes In¬<lb/> dividuum angehört. Mit andern Worten: die Sittlichkeit ist ein Product der<lb/> gestimmten tellurisch-organischen Entwicklung, nicht aber ein Sondereigenthum<lb/> des einzelnen. Es ist daher zu bedauern, daß Carreri die werthvollen Auf¬<lb/> schlüsse der ethnologischen Forschungen nicht mit in den Kreis seiner Unter¬<lb/> suchung hereingezogen hat. Er würde sich sonst nicht zu so vollständig unbe¬<lb/> gründeten, mit der Erfahrung völlig unverträglichen Behauptungen haben hinreißen<lb/> lassen wie die, daß erst mit dem Staate die Möglichkeit des ethischen Menschen<lb/> gegeben sei. (S. 350.) Als ob die vorstaatlichen Stufen menschlicher Existenz<lb/> nicht gerade so gut für ihre Anschauung ein bestimmtes Ideal des Verhaltens<lb/> gekannt hätten, das, man mag es noch so dürftig und primitiv finden, als ein<lb/> Kennzeichen gemeinsamer Association zu einem bestimmten Zwecke, also als ethisch</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0082]
Lthnologie und Lthik.
der Teleologie statuirt. Es wäre freilich ein zu ungeheuerlicher Widerspruch
von einem ernsthaften Denker, der die allgemeine Giltigkeit des Causalgesetzcs
anerkennt, zu verlangen, er solle zu Gunsten irgend welcher imaginären ethischen
Ziele im Bereich des menschlichen Thuns auf jenen Gedanken Verzicht leisten;
vielmehr versteht sichs ganz von selbst, daß zuerst die Grundsätze unseres Er-
kennens überhaupt (und zu ihnen gehört das Causalgesetz) formulirt werden und
sich nach ihnen die unberechtigten Ansprüche der Gefühlswelt richten müssen,
nicht aber umgekehrt diese zur Norm irgend welcher theoretischen Untersuchung
erhoben werde» können. Durch eine genaue Analyse der in Betracht kommenden
Vorstellungen ergiebt sich genetisch die Entstehung aller jener apriorischen Axiome
und der sittlichen Kriterien insbesondere. Daher ist wie überall in den Wissen¬
schaften die comparative Methode in entwicklungsgeschichtlicher Perspective die
einzige Rettung aus diesem Conflict. Diese hat nun unser Autor im einzelnen,
allgemeine Andeutungen abgerechnet, nicht befolgt, und daher fehlt der eigent¬
liche inductive Aufbau der Untersuchung. Er würde durch eine umfassende Zu¬
sammenstellung der einschlägigen Punkte gefunden haben, daß Gut und Böse
nur relative Bezeichnungen für einen ungemein wechselnden Inhalt darstellen,
daß ferner der Grund für die Erzeugung dieser Vorstellungen nicht in einer
instinctiv sich vollziehenden Annäherung des menschlichen Handelns an irgend
ein transcententes Ideal besteht, sondern lediglich in dem specifischen Charakter
des ethnischen Organisationskreises, in dem diese Erscheinung auftritt. Wie die
Ethnologie lehrt, ist auf den verschiednen Stufen menschlicher Gesittung jenes
angeblich wandellose Ideal ein völlig verschiednes und in sich widersprechendes,
so daß der absolute Tadel, den irgend eine Handlung auf einer bestimmten Ent¬
wicklungsstufe erfährt, sich auf einer andern in unbedingtes Lob umändert. Der
wirksame Factor für die Verschiedenheit dieser variablen Beurtheilung liegt in
der Perspective auf den Charakter der bezüglichen socialen Association, dem jene
Erscheinung entstammte; was diesem nützlich ist, wird gut, was schädlich, schlecht
genannt. Damit ist der Standpunkt von der Willkür des beurtheilenden Sub¬
jects auf die Eigenart des ganzen ethnischen Complexes verlegt, dem jenes In¬
dividuum angehört. Mit andern Worten: die Sittlichkeit ist ein Product der
gestimmten tellurisch-organischen Entwicklung, nicht aber ein Sondereigenthum
des einzelnen. Es ist daher zu bedauern, daß Carreri die werthvollen Auf¬
schlüsse der ethnologischen Forschungen nicht mit in den Kreis seiner Unter¬
suchung hereingezogen hat. Er würde sich sonst nicht zu so vollständig unbe¬
gründeten, mit der Erfahrung völlig unverträglichen Behauptungen haben hinreißen
lassen wie die, daß erst mit dem Staate die Möglichkeit des ethischen Menschen
gegeben sei. (S. 350.) Als ob die vorstaatlichen Stufen menschlicher Existenz
nicht gerade so gut für ihre Anschauung ein bestimmtes Ideal des Verhaltens
gekannt hätten, das, man mag es noch so dürftig und primitiv finden, als ein
Kennzeichen gemeinsamer Association zu einem bestimmten Zwecke, also als ethisch
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