Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.Aus der Zeit nach dein Tilsiter Frieden. ganzen Landes zu machen; in Preußen beherrschten sie alles, die festen Plätze, Daß die Vertragsartikel, so wie sie in der Instruction für den Prinzen Aus der Zeit nach dein Tilsiter Frieden. ganzen Landes zu machen; in Preußen beherrschten sie alles, die festen Plätze, Daß die Vertragsartikel, so wie sie in der Instruction für den Prinzen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0066" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/150788"/> <fw type="header" place="top"> Aus der Zeit nach dein Tilsiter Frieden.</fw><lb/> <p xml:id="ID_174" prev="#ID_173"> ganzen Landes zu machen; in Preußen beherrschten sie alles, die festen Plätze,<lb/> die Heerstraßen, die Flußübergänge, die Seeküsten. Und wer bürgte dafür,<lb/> daß Oesterreich nicht dem ersten Angriffe Napoleons erlag und wie 1805 rasch<lb/> Frieden schloß? In solchem Falle wäre Preußen rettungslos dem Strafgerichte<lb/> des Siegers verfallen, wenn es seine wahre Gesinnung durch einen voreiligen<lb/> Act der Feindseligkeit offenbart hätte. Nicht minder blieb eine andre Möglichkeit<lb/> zu erwägen: der Beginn des Kampfes zwischen Frankreich und Oesterreich konnte<lb/> sich bis zum nächsten Frühjahre, vielleicht noch länger, verzögern. Dem preußischen<lb/> Staate mußte dann alles daran liegen, in der Zwischenzeit wieder zu Kräften<lb/> zu kommen, seiue Armee zu verstärken, die Allianz mit andern Mächten ins¬<lb/> geheim vorzubereiten. Es war unverkennbar, daß von diesem Gesichtspunkte<lb/> betrachtet, das momentane Bündniß mit Frankreich große Vortheile bot. Man<lb/> befreite das Land von der französischen Occupation, man sparte die Kriegs¬<lb/> steuer, deren Abzahlung die Finanzen völlig erschöpfen mußte, man bewahrte<lb/> sich die Mittel für die Aufstellung eines wohlgerüsteten Heeres. Hatte Napoleon<lb/> seine Armee über die Elbe zurückgezogen, wie viel leichter war es dann, das<lb/> Volk zu den Waffen zu rufen, wie viel leichter, bei der ersten glücklichen<lb/> Wendung des Krieges den Oesterreichern an die Seite zu treten? In der Denk¬<lb/> schrift Steins war der Anschluß an Oesterreich unumwunden in den Vordergrund<lb/> gestellt, und auch Scharnhorsts Meinung ging dahin, daß die Allianz mit<lb/> Frankreich nur angenommen werden dürfe, um sich ihrer sobald wie möglich<lb/> zu entledigen, d. h. mit den Oesterreichern gemeinsame Sache zu machen.</p><lb/> <p xml:id="ID_175" next="#ID_176"> Daß die Vertragsartikel, so wie sie in der Instruction für den Prinzen<lb/> Wilhelm formulirt waren, von Napoleon unverändert angenommen werden würden,<lb/> erwartete freilich in Königsberg niemand. Es kam einstweilen nur darauf an,<lb/> die Verhandlungen in Gang zu bringen und so zu erfahren, was Preußen vom<lb/> Kaiser zu gewärtigen habe; im übrigen wurde die Entscheidung vom Wechsel<lb/> der Ereignisse abhängig gemacht. Als der Prinz diese vom 12. August datirten<lb/> Weisungen erhielt, sah er nach seinen Erfahrungen auf den ersten Blick die weite<lb/> Kluft, die zwischen den Aufträgen seines Bruders und den Forderungen des<lb/> Kaisers (derselbe verlangte mindestens 140 Millionen Kriegssteuer) bestand, und<lb/> über die keine Kunst der Diplomatie eine Brücke zur Verständigung zu bauen<lb/> imstande war. Der Kampf, der in ihm auf- und niederwvgte, benahm ihm<lb/> allen Muth, sein Anliegen dem Kaiser vorzutragen. Selbst der russische Ge¬<lb/> sandte Tolstoi meinte, der Prinz dürfe von den Jnstructionen keinen Gebrauch<lb/> machen, wenn man nicht Gefahr laufen wollte, es mit Napoleon für immer zu<lb/> verderben. Es gab keinen andern Ausweg, als die Sache dem Könige vorzu¬<lb/> tragen und seine Befehle einzuholen, was denn auch am 2. September geschah. An<lb/> demselben Tage aber gelangte ein an den Fürsten Wittgenstein gerichteter Brief<lb/> Steins, der dem Ueberbringer von französischen Gendarmen abgenommen worden<lb/> und der in der That compromittirend genug war, in Napoleons Hände. Der letztere</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0066]
Aus der Zeit nach dein Tilsiter Frieden.
ganzen Landes zu machen; in Preußen beherrschten sie alles, die festen Plätze,
die Heerstraßen, die Flußübergänge, die Seeküsten. Und wer bürgte dafür,
daß Oesterreich nicht dem ersten Angriffe Napoleons erlag und wie 1805 rasch
Frieden schloß? In solchem Falle wäre Preußen rettungslos dem Strafgerichte
des Siegers verfallen, wenn es seine wahre Gesinnung durch einen voreiligen
Act der Feindseligkeit offenbart hätte. Nicht minder blieb eine andre Möglichkeit
zu erwägen: der Beginn des Kampfes zwischen Frankreich und Oesterreich konnte
sich bis zum nächsten Frühjahre, vielleicht noch länger, verzögern. Dem preußischen
Staate mußte dann alles daran liegen, in der Zwischenzeit wieder zu Kräften
zu kommen, seiue Armee zu verstärken, die Allianz mit andern Mächten ins¬
geheim vorzubereiten. Es war unverkennbar, daß von diesem Gesichtspunkte
betrachtet, das momentane Bündniß mit Frankreich große Vortheile bot. Man
befreite das Land von der französischen Occupation, man sparte die Kriegs¬
steuer, deren Abzahlung die Finanzen völlig erschöpfen mußte, man bewahrte
sich die Mittel für die Aufstellung eines wohlgerüsteten Heeres. Hatte Napoleon
seine Armee über die Elbe zurückgezogen, wie viel leichter war es dann, das
Volk zu den Waffen zu rufen, wie viel leichter, bei der ersten glücklichen
Wendung des Krieges den Oesterreichern an die Seite zu treten? In der Denk¬
schrift Steins war der Anschluß an Oesterreich unumwunden in den Vordergrund
gestellt, und auch Scharnhorsts Meinung ging dahin, daß die Allianz mit
Frankreich nur angenommen werden dürfe, um sich ihrer sobald wie möglich
zu entledigen, d. h. mit den Oesterreichern gemeinsame Sache zu machen.
Daß die Vertragsartikel, so wie sie in der Instruction für den Prinzen
Wilhelm formulirt waren, von Napoleon unverändert angenommen werden würden,
erwartete freilich in Königsberg niemand. Es kam einstweilen nur darauf an,
die Verhandlungen in Gang zu bringen und so zu erfahren, was Preußen vom
Kaiser zu gewärtigen habe; im übrigen wurde die Entscheidung vom Wechsel
der Ereignisse abhängig gemacht. Als der Prinz diese vom 12. August datirten
Weisungen erhielt, sah er nach seinen Erfahrungen auf den ersten Blick die weite
Kluft, die zwischen den Aufträgen seines Bruders und den Forderungen des
Kaisers (derselbe verlangte mindestens 140 Millionen Kriegssteuer) bestand, und
über die keine Kunst der Diplomatie eine Brücke zur Verständigung zu bauen
imstande war. Der Kampf, der in ihm auf- und niederwvgte, benahm ihm
allen Muth, sein Anliegen dem Kaiser vorzutragen. Selbst der russische Ge¬
sandte Tolstoi meinte, der Prinz dürfe von den Jnstructionen keinen Gebrauch
machen, wenn man nicht Gefahr laufen wollte, es mit Napoleon für immer zu
verderben. Es gab keinen andern Ausweg, als die Sache dem Könige vorzu¬
tragen und seine Befehle einzuholen, was denn auch am 2. September geschah. An
demselben Tage aber gelangte ein an den Fürsten Wittgenstein gerichteter Brief
Steins, der dem Ueberbringer von französischen Gendarmen abgenommen worden
und der in der That compromittirend genug war, in Napoleons Hände. Der letztere
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