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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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Die Juden in Rumänien.

Bisweilen weigern sich die Juden unter dem Vorwande religiöser Vorschriften,
den durch Polizeiverordnungen anbefohlenen gesundheitlichen Maßregeln sich zu
fügen, und alle Tage kommt es vor, daß sie vermittelst ihrer Hilfskassc den heim¬
lichen Eintritt von Taugenichtsen ihrer Nation ins Land erleichtern und ihnen zeit¬
weilig Unterkunft gewähren, um sie den Nachforschungen der Behörden zu entziehen."
Sie erwiederten, die jüdischen Gemeinden wären in Rumänien nicht anders orga-
nisirt als im westlichen Europa, und wenn die Israeliten in so großer Zahl über
die Grenzen kämen, so wäre es, weil sie, in Rußland verfolgt, in der Moldau bei
den dort schon ansässig gewordenen Verwandten und Freunden eine Zuflucht zu
finden hofften.

Ich fuhr fort, meine Anklage zu Präeisiren, indem ich bemerkte: "Es scheint,
daß jeder Census der Bevölkerung eine Unmöglichkeit ist. Sobald sich die Con¬
troleure nähern, leeren sich die Häuser, und jene müssen den Leuten von Straße
zu Straße und von Stadtviertel zu Stadtviertel nachjagen, um sie zu erlangen.
Handelt es sich darum, die Liste der Militärpflichtiger aufzustellen, so muß man
einem andern Manöver auf die Schliche kommen. Der, welcher 1878 Jsciak, der
Sohn Schmucks, hieß, nennt sich jetzt, 1879, Schmuck, der Sohn Jsaaks, und er¬
klärt, noch nicht in militärpflichtigein Alter zu sein, oder auch der controlirende
Beamte findet den Laden oder die Werkstatt verlassen, und der Principal oder
Meister erklärt, daß alle erwachsenen Gesellen sich schon seit mehreren Tagen aus
der Stadt entfernt haben."

Mein Besuch protestirte dagegen. Nach diesen Herren ist der Census ohne
Schwierigkeit aufzustellen, da die in einem Stadtviertel wohnenden Jsraeliten der
Polizei sämmtlich bekannt sind. In den Städten aber bedarf man Agenten, um
sie zur Handhabung der Ordnung anzuhalten, und die an der Grenze staffelweisc
aufgestellte!: Soldaten lassen jedes Individuum ohne Paß durchschlüpfen, das sich
ihnen mit einem Glase Branntwein in der Hand nähert, die Regierung kann sich
dabei nur auf ihre Beamten verlassen."

Ich ging zu der Hauptbeschwerde, über. "Mau behauptet, sagte ich, "daß
die Gelder, welche die Gemeinden für die Synagogen, die Schulen, die Spitäler
auswerfen, ihrer eigentlichen Bestimmung entfremdet und theilweise dazu verwendet
werden, die Concurrenz zu unterstützen, welche die jüdischen Kaufleute den einheimischen
machen. Ein Beispiel: Zwei Colonialwaarenhändler, ein Jude und ein Rumäne,
wohnten Thür an Thür neben einander. Der Rumäne hatte das ganze Stadt¬
viertel zur Kundschaft. Sein Nachbar war aus Mangel an Abnehmern im Begriff,
seinen Laden zu schließen. Da that sich ganz in der Nähe ein neuer Concurrent auf,
wieder ein Jude. Er verkaufte zu solchen Preisen, daß sich ihm bald alle Kunden
zuwendeten, und in einigen Wochen war der rumänische Kaufmann zu Grnnde ge¬
richtet. Sie werden es den Rumänen nicht ausreden," bemerkte ich meinen Ban¬
kiers, "daß dieser Streich mit dem Gelde der Gemeinde ausgeführt worden ist."

Sie hatten mir, die Bierschoppen in der Hand, die ich ihnen hatte vorsetzen
lassen, aufmerksam zugehört, jetzt setzten sie die Gläser plötzlich auf den Tisch, an
dem ich ihre Antworten aufzeichnete, und riefen aus: "Das ist schändlich! Man
hat Sie belogen!"

In demselben Augenblicke öffnete sich die Thür. Es war der ehemalige
Präfect. Er hatte die letzten Worte gehört. Er sah bleich ans und sagte in
trockenem Tone zu den beiden Juden: "Und es ist dennoch die Wahrheit. Wir
haben keine juristischen Beweise, aber alle Anzeichen sprechen gegen Sie. Wenn
man nichts zu verbergen hat, läßt man Einblick nehmen in sein Budget, und noch


Die Juden in Rumänien.

Bisweilen weigern sich die Juden unter dem Vorwande religiöser Vorschriften,
den durch Polizeiverordnungen anbefohlenen gesundheitlichen Maßregeln sich zu
fügen, und alle Tage kommt es vor, daß sie vermittelst ihrer Hilfskassc den heim¬
lichen Eintritt von Taugenichtsen ihrer Nation ins Land erleichtern und ihnen zeit¬
weilig Unterkunft gewähren, um sie den Nachforschungen der Behörden zu entziehen."
Sie erwiederten, die jüdischen Gemeinden wären in Rumänien nicht anders orga-
nisirt als im westlichen Europa, und wenn die Israeliten in so großer Zahl über
die Grenzen kämen, so wäre es, weil sie, in Rußland verfolgt, in der Moldau bei
den dort schon ansässig gewordenen Verwandten und Freunden eine Zuflucht zu
finden hofften.

Ich fuhr fort, meine Anklage zu Präeisiren, indem ich bemerkte: „Es scheint,
daß jeder Census der Bevölkerung eine Unmöglichkeit ist. Sobald sich die Con¬
troleure nähern, leeren sich die Häuser, und jene müssen den Leuten von Straße
zu Straße und von Stadtviertel zu Stadtviertel nachjagen, um sie zu erlangen.
Handelt es sich darum, die Liste der Militärpflichtiger aufzustellen, so muß man
einem andern Manöver auf die Schliche kommen. Der, welcher 1878 Jsciak, der
Sohn Schmucks, hieß, nennt sich jetzt, 1879, Schmuck, der Sohn Jsaaks, und er¬
klärt, noch nicht in militärpflichtigein Alter zu sein, oder auch der controlirende
Beamte findet den Laden oder die Werkstatt verlassen, und der Principal oder
Meister erklärt, daß alle erwachsenen Gesellen sich schon seit mehreren Tagen aus
der Stadt entfernt haben."

Mein Besuch protestirte dagegen. Nach diesen Herren ist der Census ohne
Schwierigkeit aufzustellen, da die in einem Stadtviertel wohnenden Jsraeliten der
Polizei sämmtlich bekannt sind. In den Städten aber bedarf man Agenten, um
sie zur Handhabung der Ordnung anzuhalten, und die an der Grenze staffelweisc
aufgestellte!: Soldaten lassen jedes Individuum ohne Paß durchschlüpfen, das sich
ihnen mit einem Glase Branntwein in der Hand nähert, die Regierung kann sich
dabei nur auf ihre Beamten verlassen."

Ich ging zu der Hauptbeschwerde, über. „Mau behauptet, sagte ich, „daß
die Gelder, welche die Gemeinden für die Synagogen, die Schulen, die Spitäler
auswerfen, ihrer eigentlichen Bestimmung entfremdet und theilweise dazu verwendet
werden, die Concurrenz zu unterstützen, welche die jüdischen Kaufleute den einheimischen
machen. Ein Beispiel: Zwei Colonialwaarenhändler, ein Jude und ein Rumäne,
wohnten Thür an Thür neben einander. Der Rumäne hatte das ganze Stadt¬
viertel zur Kundschaft. Sein Nachbar war aus Mangel an Abnehmern im Begriff,
seinen Laden zu schließen. Da that sich ganz in der Nähe ein neuer Concurrent auf,
wieder ein Jude. Er verkaufte zu solchen Preisen, daß sich ihm bald alle Kunden
zuwendeten, und in einigen Wochen war der rumänische Kaufmann zu Grnnde ge¬
richtet. Sie werden es den Rumänen nicht ausreden," bemerkte ich meinen Ban¬
kiers, „daß dieser Streich mit dem Gelde der Gemeinde ausgeführt worden ist."

Sie hatten mir, die Bierschoppen in der Hand, die ich ihnen hatte vorsetzen
lassen, aufmerksam zugehört, jetzt setzten sie die Gläser plötzlich auf den Tisch, an
dem ich ihre Antworten aufzeichnete, und riefen aus: „Das ist schändlich! Man
hat Sie belogen!"

In demselben Augenblicke öffnete sich die Thür. Es war der ehemalige
Präfect. Er hatte die letzten Worte gehört. Er sah bleich ans und sagte in
trockenem Tone zu den beiden Juden: „Und es ist dennoch die Wahrheit. Wir
haben keine juristischen Beweise, aber alle Anzeichen sprechen gegen Sie. Wenn
man nichts zu verbergen hat, läßt man Einblick nehmen in sein Budget, und noch


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[0573] Die Juden in Rumänien. Bisweilen weigern sich die Juden unter dem Vorwande religiöser Vorschriften, den durch Polizeiverordnungen anbefohlenen gesundheitlichen Maßregeln sich zu fügen, und alle Tage kommt es vor, daß sie vermittelst ihrer Hilfskassc den heim¬ lichen Eintritt von Taugenichtsen ihrer Nation ins Land erleichtern und ihnen zeit¬ weilig Unterkunft gewähren, um sie den Nachforschungen der Behörden zu entziehen." Sie erwiederten, die jüdischen Gemeinden wären in Rumänien nicht anders orga- nisirt als im westlichen Europa, und wenn die Israeliten in so großer Zahl über die Grenzen kämen, so wäre es, weil sie, in Rußland verfolgt, in der Moldau bei den dort schon ansässig gewordenen Verwandten und Freunden eine Zuflucht zu finden hofften. Ich fuhr fort, meine Anklage zu Präeisiren, indem ich bemerkte: „Es scheint, daß jeder Census der Bevölkerung eine Unmöglichkeit ist. Sobald sich die Con¬ troleure nähern, leeren sich die Häuser, und jene müssen den Leuten von Straße zu Straße und von Stadtviertel zu Stadtviertel nachjagen, um sie zu erlangen. Handelt es sich darum, die Liste der Militärpflichtiger aufzustellen, so muß man einem andern Manöver auf die Schliche kommen. Der, welcher 1878 Jsciak, der Sohn Schmucks, hieß, nennt sich jetzt, 1879, Schmuck, der Sohn Jsaaks, und er¬ klärt, noch nicht in militärpflichtigein Alter zu sein, oder auch der controlirende Beamte findet den Laden oder die Werkstatt verlassen, und der Principal oder Meister erklärt, daß alle erwachsenen Gesellen sich schon seit mehreren Tagen aus der Stadt entfernt haben." Mein Besuch protestirte dagegen. Nach diesen Herren ist der Census ohne Schwierigkeit aufzustellen, da die in einem Stadtviertel wohnenden Jsraeliten der Polizei sämmtlich bekannt sind. In den Städten aber bedarf man Agenten, um sie zur Handhabung der Ordnung anzuhalten, und die an der Grenze staffelweisc aufgestellte!: Soldaten lassen jedes Individuum ohne Paß durchschlüpfen, das sich ihnen mit einem Glase Branntwein in der Hand nähert, die Regierung kann sich dabei nur auf ihre Beamten verlassen." Ich ging zu der Hauptbeschwerde, über. „Mau behauptet, sagte ich, „daß die Gelder, welche die Gemeinden für die Synagogen, die Schulen, die Spitäler auswerfen, ihrer eigentlichen Bestimmung entfremdet und theilweise dazu verwendet werden, die Concurrenz zu unterstützen, welche die jüdischen Kaufleute den einheimischen machen. Ein Beispiel: Zwei Colonialwaarenhändler, ein Jude und ein Rumäne, wohnten Thür an Thür neben einander. Der Rumäne hatte das ganze Stadt¬ viertel zur Kundschaft. Sein Nachbar war aus Mangel an Abnehmern im Begriff, seinen Laden zu schließen. Da that sich ganz in der Nähe ein neuer Concurrent auf, wieder ein Jude. Er verkaufte zu solchen Preisen, daß sich ihm bald alle Kunden zuwendeten, und in einigen Wochen war der rumänische Kaufmann zu Grnnde ge¬ richtet. Sie werden es den Rumänen nicht ausreden," bemerkte ich meinen Ban¬ kiers, „daß dieser Streich mit dem Gelde der Gemeinde ausgeführt worden ist." Sie hatten mir, die Bierschoppen in der Hand, die ich ihnen hatte vorsetzen lassen, aufmerksam zugehört, jetzt setzten sie die Gläser plötzlich auf den Tisch, an dem ich ihre Antworten aufzeichnete, und riefen aus: „Das ist schändlich! Man hat Sie belogen!" In demselben Augenblicke öffnete sich die Thür. Es war der ehemalige Präfect. Er hatte die letzten Worte gehört. Er sah bleich ans und sagte in trockenem Tone zu den beiden Juden: „Und es ist dennoch die Wahrheit. Wir haben keine juristischen Beweise, aber alle Anzeichen sprechen gegen Sie. Wenn man nichts zu verbergen hat, läßt man Einblick nehmen in sein Budget, und noch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/573>, abgerufen am 15.01.2025.