Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Friedrich Spielhagcn und sein Ich-Roman.

schon sagten: Die Welt ist in der letzten Zeit dem lieben Gott über den Kopf
hinaus gewachsen.

Es ist geradezu spaßhaft. Spielhagen, der große Spielhagen, mischtsich, berauscht
vom Liede Homers, unter die Gerstenbrod und Zwiebeln kauende Menge auf dem
Markte, und er glaubt gleich ihr, daß der Sänger nur geschehene Thaten verkünde. Er
merkt nicht, daß es das Auge des Dichters ist, welches die Welt als eine herrliche und
harmonische sieht, sondern er glaubt gleich dem Volke, daß der Krieg um Troja selbst
und daß die Welt der homerischen Helden selbst herrlich und harmonisch gewesen sei.

Sehen wir die Sache doch einmal näher an. Glaubt Spielhagen wirklich,
die Griechen wären ein dichterisches Volk und ein so dichterisches gewesen, daß
sie gewissermaßen alle Homere waren, daß "die homerischen Dichter" iutsr xarss
sangen? Er sagt es mit dürren Worten. Er schreibt: "Bei dem Dichter der
Homerischen Zeit kann von einer Welt- und Lebensanschauung, die nur ihm
eignete, nicht die Rede sein; er ist, wie ich es an einer andern Stelle ausgedrückt
habe, nicht sowohl der dichterische Mund seines Volkes als der Mund seines
dichterischen Volkes."

Nun, dies Volk muß sich sehr in seiner Qualität verringert haben von
Homer bis zur Zeit des Perikles. Denn damals, in dieser angenommenen Blüte¬
zeit, klagten die Redner über den Qualm aus groben Mäulern, welcher die
Tribüne umwölke, und die Dichter Aristophanes, Sophokles, Euripides, die
Denker Sokrates, Platon und Aristoteles hatten keine hohe Meinung von der
Bildung des wackern athenäischen Bürgers.

Aber die Bemerkung ist doch listiger als man denkt. Denn wenn jetzt
Spielhagen und seine Ebenbürtigen sich nicht mehr "aufkeimen" in ihrem Volke,
so haben nicht sie die Schuld, sondern das Volk hat sie, welches nicht so dich¬
terisch ist, wie die Griechen es waren. Deshalb nehmen diese Herren zwei
Brillen und richten das Schöne, welches sie durch die ihnen passende sehen, so
zu, daß es einigermaßen dem Jammerbilde gleicht, welches die Volksbrille verlangt.

Aber nein, so ist es doch nicht! Auch das Volk ist nicht so ganz schlecht,
und schließlich hat in allem Ernste Gott-Vater die Schuld -- wenn Schuld
überhaupt vorliegt --, daß die Welt gar so verzwickt ist. Denn -- und hier
bekommt Bismarck sein Theil -- "ist es nicht schon vorgekommen, daß Men¬
schen, in deren Adern kein Tropfen vom Blute des melancholischen Dänenprinzen
rollt, die man ihrem Wesen nach als die wahren Antipoden von Apollos Söhnen
ansprechen muß (?), die ganz und gar auf die nüchtern-praktische Erfassung des
Lebens und auf das thatkräftige Wirken in diesem Leben gestellt sind, die auch,
in klarem Verständniß ihres Wesens, ihr Denken, Sinnen, Trachten, ihre hohe
Begabung, ihre stolze Kraft von früh an dem Gemeinwohl weihen und sich zu¬
letzt, indem sie dies Gemeinwohl (Himmel, gieb uns Kraft, dieser Phrase nach¬
zugehen!) unablässig zu fördern bemüht waren und vielleicht (!) auch förderten
und langgehegte Träume und Wünsche der Nation realisirten, als die Verlor-


Friedrich Spielhagcn und sein Ich-Roman.

schon sagten: Die Welt ist in der letzten Zeit dem lieben Gott über den Kopf
hinaus gewachsen.

Es ist geradezu spaßhaft. Spielhagen, der große Spielhagen, mischtsich, berauscht
vom Liede Homers, unter die Gerstenbrod und Zwiebeln kauende Menge auf dem
Markte, und er glaubt gleich ihr, daß der Sänger nur geschehene Thaten verkünde. Er
merkt nicht, daß es das Auge des Dichters ist, welches die Welt als eine herrliche und
harmonische sieht, sondern er glaubt gleich dem Volke, daß der Krieg um Troja selbst
und daß die Welt der homerischen Helden selbst herrlich und harmonisch gewesen sei.

Sehen wir die Sache doch einmal näher an. Glaubt Spielhagen wirklich,
die Griechen wären ein dichterisches Volk und ein so dichterisches gewesen, daß
sie gewissermaßen alle Homere waren, daß „die homerischen Dichter" iutsr xarss
sangen? Er sagt es mit dürren Worten. Er schreibt: „Bei dem Dichter der
Homerischen Zeit kann von einer Welt- und Lebensanschauung, die nur ihm
eignete, nicht die Rede sein; er ist, wie ich es an einer andern Stelle ausgedrückt
habe, nicht sowohl der dichterische Mund seines Volkes als der Mund seines
dichterischen Volkes."

Nun, dies Volk muß sich sehr in seiner Qualität verringert haben von
Homer bis zur Zeit des Perikles. Denn damals, in dieser angenommenen Blüte¬
zeit, klagten die Redner über den Qualm aus groben Mäulern, welcher die
Tribüne umwölke, und die Dichter Aristophanes, Sophokles, Euripides, die
Denker Sokrates, Platon und Aristoteles hatten keine hohe Meinung von der
Bildung des wackern athenäischen Bürgers.

Aber die Bemerkung ist doch listiger als man denkt. Denn wenn jetzt
Spielhagen und seine Ebenbürtigen sich nicht mehr „aufkeimen" in ihrem Volke,
so haben nicht sie die Schuld, sondern das Volk hat sie, welches nicht so dich¬
terisch ist, wie die Griechen es waren. Deshalb nehmen diese Herren zwei
Brillen und richten das Schöne, welches sie durch die ihnen passende sehen, so
zu, daß es einigermaßen dem Jammerbilde gleicht, welches die Volksbrille verlangt.

Aber nein, so ist es doch nicht! Auch das Volk ist nicht so ganz schlecht,
und schließlich hat in allem Ernste Gott-Vater die Schuld — wenn Schuld
überhaupt vorliegt —, daß die Welt gar so verzwickt ist. Denn — und hier
bekommt Bismarck sein Theil — „ist es nicht schon vorgekommen, daß Men¬
schen, in deren Adern kein Tropfen vom Blute des melancholischen Dänenprinzen
rollt, die man ihrem Wesen nach als die wahren Antipoden von Apollos Söhnen
ansprechen muß (?), die ganz und gar auf die nüchtern-praktische Erfassung des
Lebens und auf das thatkräftige Wirken in diesem Leben gestellt sind, die auch,
in klarem Verständniß ihres Wesens, ihr Denken, Sinnen, Trachten, ihre hohe
Begabung, ihre stolze Kraft von früh an dem Gemeinwohl weihen und sich zu¬
letzt, indem sie dies Gemeinwohl (Himmel, gieb uns Kraft, dieser Phrase nach¬
zugehen!) unablässig zu fördern bemüht waren und vielleicht (!) auch förderten
und langgehegte Träume und Wünsche der Nation realisirten, als die Verlor-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0565" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/151287"/>
          <fw type="header" place="top"> Friedrich Spielhagcn und sein Ich-Roman.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1832" prev="#ID_1831"> schon sagten: Die Welt ist in der letzten Zeit dem lieben Gott über den Kopf<lb/>
hinaus gewachsen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1833"> Es ist geradezu spaßhaft. Spielhagen, der große Spielhagen, mischtsich, berauscht<lb/>
vom Liede Homers, unter die Gerstenbrod und Zwiebeln kauende Menge auf dem<lb/>
Markte, und er glaubt gleich ihr, daß der Sänger nur geschehene Thaten verkünde. Er<lb/>
merkt nicht, daß es das Auge des Dichters ist, welches die Welt als eine herrliche und<lb/>
harmonische sieht, sondern er glaubt gleich dem Volke, daß der Krieg um Troja selbst<lb/>
und daß die Welt der homerischen Helden selbst herrlich und harmonisch gewesen sei.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1834"> Sehen wir die Sache doch einmal näher an. Glaubt Spielhagen wirklich,<lb/>
die Griechen wären ein dichterisches Volk und ein so dichterisches gewesen, daß<lb/>
sie gewissermaßen alle Homere waren, daß &#x201E;die homerischen Dichter" iutsr xarss<lb/>
sangen? Er sagt es mit dürren Worten. Er schreibt: &#x201E;Bei dem Dichter der<lb/>
Homerischen Zeit kann von einer Welt- und Lebensanschauung, die nur ihm<lb/>
eignete, nicht die Rede sein; er ist, wie ich es an einer andern Stelle ausgedrückt<lb/>
habe, nicht sowohl der dichterische Mund seines Volkes als der Mund seines<lb/>
dichterischen Volkes."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1835"> Nun, dies Volk muß sich sehr in seiner Qualität verringert haben von<lb/>
Homer bis zur Zeit des Perikles. Denn damals, in dieser angenommenen Blüte¬<lb/>
zeit, klagten die Redner über den Qualm aus groben Mäulern, welcher die<lb/>
Tribüne umwölke, und die Dichter Aristophanes, Sophokles, Euripides, die<lb/>
Denker Sokrates, Platon und Aristoteles hatten keine hohe Meinung von der<lb/>
Bildung des wackern athenäischen Bürgers.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1836"> Aber die Bemerkung ist doch listiger als man denkt. Denn wenn jetzt<lb/>
Spielhagen und seine Ebenbürtigen sich nicht mehr &#x201E;aufkeimen" in ihrem Volke,<lb/>
so haben nicht sie die Schuld, sondern das Volk hat sie, welches nicht so dich¬<lb/>
terisch ist, wie die Griechen es waren. Deshalb nehmen diese Herren zwei<lb/>
Brillen und richten das Schöne, welches sie durch die ihnen passende sehen, so<lb/>
zu, daß es einigermaßen dem Jammerbilde gleicht, welches die Volksbrille verlangt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1837" next="#ID_1838"> Aber nein, so ist es doch nicht! Auch das Volk ist nicht so ganz schlecht,<lb/>
und schließlich hat in allem Ernste Gott-Vater die Schuld &#x2014; wenn Schuld<lb/>
überhaupt vorliegt &#x2014;, daß die Welt gar so verzwickt ist. Denn &#x2014; und hier<lb/>
bekommt Bismarck sein Theil &#x2014; &#x201E;ist es nicht schon vorgekommen, daß Men¬<lb/>
schen, in deren Adern kein Tropfen vom Blute des melancholischen Dänenprinzen<lb/>
rollt, die man ihrem Wesen nach als die wahren Antipoden von Apollos Söhnen<lb/>
ansprechen muß (?), die ganz und gar auf die nüchtern-praktische Erfassung des<lb/>
Lebens und auf das thatkräftige Wirken in diesem Leben gestellt sind, die auch,<lb/>
in klarem Verständniß ihres Wesens, ihr Denken, Sinnen, Trachten, ihre hohe<lb/>
Begabung, ihre stolze Kraft von früh an dem Gemeinwohl weihen und sich zu¬<lb/>
letzt, indem sie dies Gemeinwohl (Himmel, gieb uns Kraft, dieser Phrase nach¬<lb/>
zugehen!) unablässig zu fördern bemüht waren und vielleicht (!) auch förderten<lb/>
und langgehegte Träume und Wünsche der Nation realisirten, als die Verlor-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0565] Friedrich Spielhagcn und sein Ich-Roman. schon sagten: Die Welt ist in der letzten Zeit dem lieben Gott über den Kopf hinaus gewachsen. Es ist geradezu spaßhaft. Spielhagen, der große Spielhagen, mischtsich, berauscht vom Liede Homers, unter die Gerstenbrod und Zwiebeln kauende Menge auf dem Markte, und er glaubt gleich ihr, daß der Sänger nur geschehene Thaten verkünde. Er merkt nicht, daß es das Auge des Dichters ist, welches die Welt als eine herrliche und harmonische sieht, sondern er glaubt gleich dem Volke, daß der Krieg um Troja selbst und daß die Welt der homerischen Helden selbst herrlich und harmonisch gewesen sei. Sehen wir die Sache doch einmal näher an. Glaubt Spielhagen wirklich, die Griechen wären ein dichterisches Volk und ein so dichterisches gewesen, daß sie gewissermaßen alle Homere waren, daß „die homerischen Dichter" iutsr xarss sangen? Er sagt es mit dürren Worten. Er schreibt: „Bei dem Dichter der Homerischen Zeit kann von einer Welt- und Lebensanschauung, die nur ihm eignete, nicht die Rede sein; er ist, wie ich es an einer andern Stelle ausgedrückt habe, nicht sowohl der dichterische Mund seines Volkes als der Mund seines dichterischen Volkes." Nun, dies Volk muß sich sehr in seiner Qualität verringert haben von Homer bis zur Zeit des Perikles. Denn damals, in dieser angenommenen Blüte¬ zeit, klagten die Redner über den Qualm aus groben Mäulern, welcher die Tribüne umwölke, und die Dichter Aristophanes, Sophokles, Euripides, die Denker Sokrates, Platon und Aristoteles hatten keine hohe Meinung von der Bildung des wackern athenäischen Bürgers. Aber die Bemerkung ist doch listiger als man denkt. Denn wenn jetzt Spielhagen und seine Ebenbürtigen sich nicht mehr „aufkeimen" in ihrem Volke, so haben nicht sie die Schuld, sondern das Volk hat sie, welches nicht so dich¬ terisch ist, wie die Griechen es waren. Deshalb nehmen diese Herren zwei Brillen und richten das Schöne, welches sie durch die ihnen passende sehen, so zu, daß es einigermaßen dem Jammerbilde gleicht, welches die Volksbrille verlangt. Aber nein, so ist es doch nicht! Auch das Volk ist nicht so ganz schlecht, und schließlich hat in allem Ernste Gott-Vater die Schuld — wenn Schuld überhaupt vorliegt —, daß die Welt gar so verzwickt ist. Denn — und hier bekommt Bismarck sein Theil — „ist es nicht schon vorgekommen, daß Men¬ schen, in deren Adern kein Tropfen vom Blute des melancholischen Dänenprinzen rollt, die man ihrem Wesen nach als die wahren Antipoden von Apollos Söhnen ansprechen muß (?), die ganz und gar auf die nüchtern-praktische Erfassung des Lebens und auf das thatkräftige Wirken in diesem Leben gestellt sind, die auch, in klarem Verständniß ihres Wesens, ihr Denken, Sinnen, Trachten, ihre hohe Begabung, ihre stolze Kraft von früh an dem Gemeinwohl weihen und sich zu¬ letzt, indem sie dies Gemeinwohl (Himmel, gieb uns Kraft, dieser Phrase nach¬ zugehen!) unablässig zu fördern bemüht waren und vielleicht (!) auch förderten und langgehegte Träume und Wünsche der Nation realisirten, als die Verlor-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/565
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/565>, abgerufen am 15.01.2025.