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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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Friedrich Sxiolhagen und sein Ich-Roman.

Wir dabei an eine Scherzaufgabe aus der Schulzeit denken: Was ist der Unter¬
schied zwischen Karl dem Großen und der Apfelhöke Meyer? Es war für gute
Köpfe ganz unmöglich, es zu rathen, weil das völlig Abgeschmackte ihnen zu
fern lag. Die Antwort war nämlich die: Karl der Große war ein Mann, die
Apfelhöke Meyer aber eine Frau.

Nur eine Bemerkung heben wir aus dieser Einleitung hervor: "Müssen doch
durch dies Ineinanderfließen oder durch diese approximative Congruenz des
Dichters und des Helden tiefste, instructivste Blicke in die Dichterseele ermöglicht
werden" :c. Es ist ja bekannt, daß die große Menge der "Gebildeten" lieber
die Commentare zu Goethes Werken liest als die Goethischen Werke selbst,
lieber die Briefe Goethes, in welchen er sich etwa ein neues Staatsklcid be¬
stellt oder eine Theaterprvbe absagt, als die Commentare zu seinen Werken,
lieber sein Autograph sieht als seine Briefe liest, am liebsten aber sein Haus
besucht und sich sonst nur mit Klatschgeschichten aus seinem Leben beschäftigt.
Dagegen hielt ein geistreicher Dichter den Atheismus deshalb für das feinste
Kompliment gegenüber dem Schöpfer, weil er am klarsten beweise, wie wundervoll
seine Werke seien müßten, die den Schöpfer selbst entbehrlich erscheinen ließen;
und mehr als ein leidlicher Kritiker ist schon auf den Gedanken verfallen, daß
der Dichter ans seinen Kunstwerken allein zu erkennen sei, daß diese allein
überhaupt das Publicum etwas angingen. Von einer andern Seite her, aus
einer Erörterung einer bestimmten Kunstart heraus, "tiefste und instructivste
Blicke in die Dichterseele" thun zu wollen, ist zwar kein verbotenes und auch
kein gefährliches Unternehmen, aber es ist auch nicht viel werthvoller als die
Untersuchung, inwiefern Karl der Große sich von der Apfelhöke Meyer unterschied.
Warum? Es führt zu gar keinem, oder zu einem höchst trivialen Resultat.
Die Dichterseele, welche vom essaylesenden Publieum zu durchschauen ist, ver¬
lohnt es nicht der Mühe im Schaffen unter das Mikroskop zu nehmen, die
wahre Dichterseele aber ist beim Schaffen gar nicht zu beobachten; sie arbeitet im
Wahnsinn Apollons, unter dem Antrieb des Dämon, ohne welchen es keinen
Künstler giebt, sondern nur handwerksmäßige Männer.

Wir haben aber diese eine Bemerkung aus dem Haufen halbwahrer, über¬
flüssiger und völlig verkehrter Sätze herausgegriffen, weil sie uns geradeswegs
auf den Kernpunkt dessen führt, was wir sagen wollen.

Mit einer erstaunlichen Naivetät hat Spielhagen in dieser Bemerkung wie
in seinem ganzen Aufsatze den Mantel von den eignen Schultern gezogen und
das, was seine Leser aus seinen Werken schließen könnten, sei ooulos demon-
strirt, nämlich die eigne dürftige Struktur. Es ist nicht ganz ohne mit der
"approximativen Congruenz" des Dichters und seiner Helden.

In dem Aufsatze über den Ich-Roman also ist jenes Schopenhauersche Ge-
dankenminiinum folgendes. Homer hatte gut dichten. Er war das Organ und
der Herold eines dichterischen Volkes, und er hatte das stolze Gefühl, nichts zu


Grenzboten IV. 188l. 71
Friedrich Sxiolhagen und sein Ich-Roman.

Wir dabei an eine Scherzaufgabe aus der Schulzeit denken: Was ist der Unter¬
schied zwischen Karl dem Großen und der Apfelhöke Meyer? Es war für gute
Köpfe ganz unmöglich, es zu rathen, weil das völlig Abgeschmackte ihnen zu
fern lag. Die Antwort war nämlich die: Karl der Große war ein Mann, die
Apfelhöke Meyer aber eine Frau.

Nur eine Bemerkung heben wir aus dieser Einleitung hervor: „Müssen doch
durch dies Ineinanderfließen oder durch diese approximative Congruenz des
Dichters und des Helden tiefste, instructivste Blicke in die Dichterseele ermöglicht
werden" :c. Es ist ja bekannt, daß die große Menge der „Gebildeten" lieber
die Commentare zu Goethes Werken liest als die Goethischen Werke selbst,
lieber die Briefe Goethes, in welchen er sich etwa ein neues Staatsklcid be¬
stellt oder eine Theaterprvbe absagt, als die Commentare zu seinen Werken,
lieber sein Autograph sieht als seine Briefe liest, am liebsten aber sein Haus
besucht und sich sonst nur mit Klatschgeschichten aus seinem Leben beschäftigt.
Dagegen hielt ein geistreicher Dichter den Atheismus deshalb für das feinste
Kompliment gegenüber dem Schöpfer, weil er am klarsten beweise, wie wundervoll
seine Werke seien müßten, die den Schöpfer selbst entbehrlich erscheinen ließen;
und mehr als ein leidlicher Kritiker ist schon auf den Gedanken verfallen, daß
der Dichter ans seinen Kunstwerken allein zu erkennen sei, daß diese allein
überhaupt das Publicum etwas angingen. Von einer andern Seite her, aus
einer Erörterung einer bestimmten Kunstart heraus, „tiefste und instructivste
Blicke in die Dichterseele" thun zu wollen, ist zwar kein verbotenes und auch
kein gefährliches Unternehmen, aber es ist auch nicht viel werthvoller als die
Untersuchung, inwiefern Karl der Große sich von der Apfelhöke Meyer unterschied.
Warum? Es führt zu gar keinem, oder zu einem höchst trivialen Resultat.
Die Dichterseele, welche vom essaylesenden Publieum zu durchschauen ist, ver¬
lohnt es nicht der Mühe im Schaffen unter das Mikroskop zu nehmen, die
wahre Dichterseele aber ist beim Schaffen gar nicht zu beobachten; sie arbeitet im
Wahnsinn Apollons, unter dem Antrieb des Dämon, ohne welchen es keinen
Künstler giebt, sondern nur handwerksmäßige Männer.

Wir haben aber diese eine Bemerkung aus dem Haufen halbwahrer, über¬
flüssiger und völlig verkehrter Sätze herausgegriffen, weil sie uns geradeswegs
auf den Kernpunkt dessen führt, was wir sagen wollen.

Mit einer erstaunlichen Naivetät hat Spielhagen in dieser Bemerkung wie
in seinem ganzen Aufsatze den Mantel von den eignen Schultern gezogen und
das, was seine Leser aus seinen Werken schließen könnten, sei ooulos demon-
strirt, nämlich die eigne dürftige Struktur. Es ist nicht ganz ohne mit der
„approximativen Congruenz" des Dichters und seiner Helden.

In dem Aufsatze über den Ich-Roman also ist jenes Schopenhauersche Ge-
dankenminiinum folgendes. Homer hatte gut dichten. Er war das Organ und
der Herold eines dichterischen Volkes, und er hatte das stolze Gefühl, nichts zu


Grenzboten IV. 188l. 71
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[0563] Friedrich Sxiolhagen und sein Ich-Roman. Wir dabei an eine Scherzaufgabe aus der Schulzeit denken: Was ist der Unter¬ schied zwischen Karl dem Großen und der Apfelhöke Meyer? Es war für gute Köpfe ganz unmöglich, es zu rathen, weil das völlig Abgeschmackte ihnen zu fern lag. Die Antwort war nämlich die: Karl der Große war ein Mann, die Apfelhöke Meyer aber eine Frau. Nur eine Bemerkung heben wir aus dieser Einleitung hervor: „Müssen doch durch dies Ineinanderfließen oder durch diese approximative Congruenz des Dichters und des Helden tiefste, instructivste Blicke in die Dichterseele ermöglicht werden" :c. Es ist ja bekannt, daß die große Menge der „Gebildeten" lieber die Commentare zu Goethes Werken liest als die Goethischen Werke selbst, lieber die Briefe Goethes, in welchen er sich etwa ein neues Staatsklcid be¬ stellt oder eine Theaterprvbe absagt, als die Commentare zu seinen Werken, lieber sein Autograph sieht als seine Briefe liest, am liebsten aber sein Haus besucht und sich sonst nur mit Klatschgeschichten aus seinem Leben beschäftigt. Dagegen hielt ein geistreicher Dichter den Atheismus deshalb für das feinste Kompliment gegenüber dem Schöpfer, weil er am klarsten beweise, wie wundervoll seine Werke seien müßten, die den Schöpfer selbst entbehrlich erscheinen ließen; und mehr als ein leidlicher Kritiker ist schon auf den Gedanken verfallen, daß der Dichter ans seinen Kunstwerken allein zu erkennen sei, daß diese allein überhaupt das Publicum etwas angingen. Von einer andern Seite her, aus einer Erörterung einer bestimmten Kunstart heraus, „tiefste und instructivste Blicke in die Dichterseele" thun zu wollen, ist zwar kein verbotenes und auch kein gefährliches Unternehmen, aber es ist auch nicht viel werthvoller als die Untersuchung, inwiefern Karl der Große sich von der Apfelhöke Meyer unterschied. Warum? Es führt zu gar keinem, oder zu einem höchst trivialen Resultat. Die Dichterseele, welche vom essaylesenden Publieum zu durchschauen ist, ver¬ lohnt es nicht der Mühe im Schaffen unter das Mikroskop zu nehmen, die wahre Dichterseele aber ist beim Schaffen gar nicht zu beobachten; sie arbeitet im Wahnsinn Apollons, unter dem Antrieb des Dämon, ohne welchen es keinen Künstler giebt, sondern nur handwerksmäßige Männer. Wir haben aber diese eine Bemerkung aus dem Haufen halbwahrer, über¬ flüssiger und völlig verkehrter Sätze herausgegriffen, weil sie uns geradeswegs auf den Kernpunkt dessen führt, was wir sagen wollen. Mit einer erstaunlichen Naivetät hat Spielhagen in dieser Bemerkung wie in seinem ganzen Aufsatze den Mantel von den eignen Schultern gezogen und das, was seine Leser aus seinen Werken schließen könnten, sei ooulos demon- strirt, nämlich die eigne dürftige Struktur. Es ist nicht ganz ohne mit der „approximativen Congruenz" des Dichters und seiner Helden. In dem Aufsatze über den Ich-Roman also ist jenes Schopenhauersche Ge- dankenminiinum folgendes. Homer hatte gut dichten. Er war das Organ und der Herold eines dichterischen Volkes, und er hatte das stolze Gefühl, nichts zu Grenzboten IV. 188l. 71

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/563>, abgerufen am 15.01.2025.