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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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Awei Molitire-Biographien.

Um zu beweisen, "wie unwürdig" Armande sich auch nach ihres Gatten Tode
benahm, führt er drei Gründe ein - erstens wurde sie in einen schmutzigen Skandal-
Proceß "freilich ohne Verschuldung" verwickelt, zweitens griff man sie in einem
schmutzigen Pamphlet an, drittens heiratete sie wieder im vierten Jahre ihres
Witwenstandes. Man sieht: ein Grund immer stichhaltiger als der andre, um
das Andenken einer Fran in den Staub zu ziehen! Lotheißen hält sich, obschon
auch er ihre Schuld annimmt, reservirter und weist wenigstens darauf hin, daß
man bei der Umgebung und den Anschauungen, unter denen Armande groß ge¬
worden war, diese Dinge milder beurtheilen müsse.

Moliöres sittliches Verhalten selbst ist ein zu wenig untadclhaftes, als daß
man ihm das Recht zu einem verdammenden Urtheile so ohne weiteres zu¬
gestehen möchte. Lotheißcn will auch bei ihm einen weniger strengen Maßstab
anlegen, indem er sagt, er habe viel geliebt und darum solle ihm viel verziehen
werden, während Mcchrenholtz über diesen Punkt ganz schweigt. Aber schon daß
Moliöre die Tochter seiner alternden ehemaligen Geliebten, die man vielfach so¬
gar für sein eignes Kind hielt, zu seiner Frau machte, war -- ganz abgesehen
von dem Altersunterschiede -- ein schwerer Fehler. Daß aber andrerseits das
Verhalten Armcmdes kein so ganz unwürdiges gewesen sein kann, wird dadurch
bewiesen, daß Moliere nach zeitweiliger Trennung immer wieder zu ihr zurück¬
kehrte, daß mehrfach eine Aussöhnung der Gatten erfolgte, wenn anch der Friede
meist nicht lange dauerte. Man erweist also dem Andenken Moliöres selbst den
allergeringsten Dienst, wenn man sich bemüht, den Gegenstand seiner heißen
Neigung so niedrig als möglich hinzustellen. Daß Armande als junge, hervor¬
ragende Schauspielerin -- seit ihrer Verheiratung trat sie als erste Liebhaberin
auf -- bei ihrer von alleu Augenzeugen hervorgehobenen bezaubernden Anmuth
eine Menge Bewunderer um sich sammelte, deren Zudringlichkeiten sie selbst,
wenn sie gewollt hätte, nicht schroff zurückweisen konnte, ist erklärlich. So mußte
Moliöres Verdacht immer aufs neue erregt werden, und wie man schließlich
auch die Streitfrage entscheiden möge, ob Armande treulos oder nur kokett war,
so viel ist sicher, daß Moliüre wenigstens zeitweise sich von seiner Frau be¬
trogen glaubte, daß er von allen Qualen der Eifersucht verfolgt wurde, daß er
aber dennoch nicht vermochte, sich endgiltig von ihr loszureißen und so bei den
täglichen Berührungen, in die ihn sein Beruf mit dem geliebten Wesen noth¬
wendigerweise brachte, in endlos erneuter Pein sich aufreiben mußte.

Moliüre war schon lange krank, ohne es sich eingestehen zu wollen. In
höchster Selbstironie verspottet er sein eingebildetes Leide" in dem letzten Stücke,
das er verfaßt hat, dem "Eingebildeten Kranken," wo er noch einmal seiner
tollen Laune alle Zügel schießen läßt. Es würde zu bewundern sein, wie
Moliüre imstande gewesen, trotz allen Widerwärtigkeiten' und trotz der trüben
Stimmung seiner letzten Lebensjahre gerade in dieser Zeit außer dem "Einge¬
bildeten Kranken" noch eine Anzahl der übermüthigsten Possen voll sprudelndster


Awei Molitire-Biographien.

Um zu beweisen, „wie unwürdig" Armande sich auch nach ihres Gatten Tode
benahm, führt er drei Gründe ein - erstens wurde sie in einen schmutzigen Skandal-
Proceß „freilich ohne Verschuldung" verwickelt, zweitens griff man sie in einem
schmutzigen Pamphlet an, drittens heiratete sie wieder im vierten Jahre ihres
Witwenstandes. Man sieht: ein Grund immer stichhaltiger als der andre, um
das Andenken einer Fran in den Staub zu ziehen! Lotheißen hält sich, obschon
auch er ihre Schuld annimmt, reservirter und weist wenigstens darauf hin, daß
man bei der Umgebung und den Anschauungen, unter denen Armande groß ge¬
worden war, diese Dinge milder beurtheilen müsse.

Moliöres sittliches Verhalten selbst ist ein zu wenig untadclhaftes, als daß
man ihm das Recht zu einem verdammenden Urtheile so ohne weiteres zu¬
gestehen möchte. Lotheißcn will auch bei ihm einen weniger strengen Maßstab
anlegen, indem er sagt, er habe viel geliebt und darum solle ihm viel verziehen
werden, während Mcchrenholtz über diesen Punkt ganz schweigt. Aber schon daß
Moliöre die Tochter seiner alternden ehemaligen Geliebten, die man vielfach so¬
gar für sein eignes Kind hielt, zu seiner Frau machte, war — ganz abgesehen
von dem Altersunterschiede — ein schwerer Fehler. Daß aber andrerseits das
Verhalten Armcmdes kein so ganz unwürdiges gewesen sein kann, wird dadurch
bewiesen, daß Moliere nach zeitweiliger Trennung immer wieder zu ihr zurück¬
kehrte, daß mehrfach eine Aussöhnung der Gatten erfolgte, wenn anch der Friede
meist nicht lange dauerte. Man erweist also dem Andenken Moliöres selbst den
allergeringsten Dienst, wenn man sich bemüht, den Gegenstand seiner heißen
Neigung so niedrig als möglich hinzustellen. Daß Armande als junge, hervor¬
ragende Schauspielerin — seit ihrer Verheiratung trat sie als erste Liebhaberin
auf — bei ihrer von alleu Augenzeugen hervorgehobenen bezaubernden Anmuth
eine Menge Bewunderer um sich sammelte, deren Zudringlichkeiten sie selbst,
wenn sie gewollt hätte, nicht schroff zurückweisen konnte, ist erklärlich. So mußte
Moliöres Verdacht immer aufs neue erregt werden, und wie man schließlich
auch die Streitfrage entscheiden möge, ob Armande treulos oder nur kokett war,
so viel ist sicher, daß Moliüre wenigstens zeitweise sich von seiner Frau be¬
trogen glaubte, daß er von allen Qualen der Eifersucht verfolgt wurde, daß er
aber dennoch nicht vermochte, sich endgiltig von ihr loszureißen und so bei den
täglichen Berührungen, in die ihn sein Beruf mit dem geliebten Wesen noth¬
wendigerweise brachte, in endlos erneuter Pein sich aufreiben mußte.

Moliüre war schon lange krank, ohne es sich eingestehen zu wollen. In
höchster Selbstironie verspottet er sein eingebildetes Leide» in dem letzten Stücke,
das er verfaßt hat, dem „Eingebildeten Kranken," wo er noch einmal seiner
tollen Laune alle Zügel schießen läßt. Es würde zu bewundern sein, wie
Moliüre imstande gewesen, trotz allen Widerwärtigkeiten' und trotz der trüben
Stimmung seiner letzten Lebensjahre gerade in dieser Zeit außer dem „Einge¬
bildeten Kranken" noch eine Anzahl der übermüthigsten Possen voll sprudelndster


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/514>, abgerufen am 15.01.2025.