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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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Zwei Molivre-Biographien.

zu halten und die allerunschuldigsten Dinge, wie Nase, Fuß u, s. w., nicht mehr
mit den ihnen zukommenden Namen, sondern nur noch mit Umschreibungen zu
bezeichnen, etwa in der Weise und zum Theil mit ähnlicher Unverständlichkeit,
wie die Statten in der ausgearteten spätern nordischen Dichtkunst die umschrei¬
benden sogenannten Kenningar gebrauchten. Ein ganzes Wörterbuch solcher
preeiöscn Ausdrücke ist damals zusammengestellt und gedruckt worden, Ihren
höchste"? literarischen Triumph feierte diese Richtung in den Romanen des Fräulein
de Scudörh, die in Form einer Landkarte einen vollständigen Codex der pre-
eiösen Liebe entwarf mit allen ihren Stationen des Schmachteus und allmäh¬
lichen Vorrückens, ähnlich wie vierhundert Jahre früher in dem höfischen "Minne¬
dienst" die unwahre conventionelle Liebe der Ritter zu ihren "Herrinnen" in
ein System gebracht worden war. Unnötigerweise sucht Mcchreuholtz das durch
Madeleine de Scudvry vertretene damalige Preciösenthuin noch zu unterscheiden
von einer zweiten nachäffenden Richtung desselben. Wenn Moliüre in der Vor¬
rede zu den gedruckten ?röLivu8ö8 Mioulgs eine solche Unterscheidung macht,
so ist dies nur eine ans äußern Rücksichten ihm abgedrungene Erklärung, die
gegenüber den deutlichen Angriffen auf Mad. de Seudvrh in dem Stücke selbst
nichts besagen will. Denn mit welchen Schwierigkeiten er zu kämpfe" hatte,
zeigt uns die vorübergehende Sistirung seines Stückes gleich nach der ersten
Aufführung.

Auch an die "Schule der Frauen" knüpfte sich ein länger als ein Jahr
dauernder Federstreit der verschiedensten Gegner und Neider, die durch deu
großen Erfolg, welchen dieses Lustspiel hatte, in die Schranken gerufen worden
waren. Diesmal eröffnete Mvlivre freilich selbst den Kampf, indem er mit dem
kleinen Stück lüritiizus as 1'soolö Ass tsmmss den geplanten Angriffen offensiv
zuvorkam, und später betheiligte er sich nochmals daran mit dem "Impromptu
von Versailles." Dies letztere Gelcgenheitsstück war, anßer gegen die gecken¬
haften Marquis, insbesondere gegen die gespreizte Vortragsmanier des Concur-
renztheaters im Hotel de Bourgogne gerichtet. Denn auch in diesem Punkte
kämpfte Moliöre für Wahrheit und Natürlichkeit, stieß freilich bei seinem Be¬
streben, den einfachen Redeton auch in der Tragödie zur Geltung zu bringen,
auf den unüberwindlichen Widerstand, den ihm die Tradition entgegenstellte.
Es ist ja bekannt, wie dieselbe noch heute bei den französischen Schauspielern
mächtig ist. Aber über alle Anfeindungen, die ihm entgegentraten, konnte sich
Moliöre trösten mit dem Beifall, den er mit diesem Lustspiel beim Könige und
bei Kennern wie Boileau und Lafontaine fand. Ersterer setzte ihm gerade da¬
mals eine jährliche Dichterpension aus, und mit den letzteren gleichstrebenden
Männern verband ihn fortan eine innige Freundschaft.

Am heftigsten ist die Fehde, die sich an den "Tartttffe" anschloß. Dieses
Stück mitsammt der Wirkung, die es ausübte, ist wohl in Deutschland das be¬
kannteste von allen Stücken Moliöres geworden, namentlich und fast mehr noch


Zwei Molivre-Biographien.

zu halten und die allerunschuldigsten Dinge, wie Nase, Fuß u, s. w., nicht mehr
mit den ihnen zukommenden Namen, sondern nur noch mit Umschreibungen zu
bezeichnen, etwa in der Weise und zum Theil mit ähnlicher Unverständlichkeit,
wie die Statten in der ausgearteten spätern nordischen Dichtkunst die umschrei¬
benden sogenannten Kenningar gebrauchten. Ein ganzes Wörterbuch solcher
preeiöscn Ausdrücke ist damals zusammengestellt und gedruckt worden, Ihren
höchste«? literarischen Triumph feierte diese Richtung in den Romanen des Fräulein
de Scudörh, die in Form einer Landkarte einen vollständigen Codex der pre-
eiösen Liebe entwarf mit allen ihren Stationen des Schmachteus und allmäh¬
lichen Vorrückens, ähnlich wie vierhundert Jahre früher in dem höfischen „Minne¬
dienst" die unwahre conventionelle Liebe der Ritter zu ihren „Herrinnen" in
ein System gebracht worden war. Unnötigerweise sucht Mcchreuholtz das durch
Madeleine de Scudvry vertretene damalige Preciösenthuin noch zu unterscheiden
von einer zweiten nachäffenden Richtung desselben. Wenn Moliüre in der Vor¬
rede zu den gedruckten ?röLivu8ö8 Mioulgs eine solche Unterscheidung macht,
so ist dies nur eine ans äußern Rücksichten ihm abgedrungene Erklärung, die
gegenüber den deutlichen Angriffen auf Mad. de Seudvrh in dem Stücke selbst
nichts besagen will. Denn mit welchen Schwierigkeiten er zu kämpfe» hatte,
zeigt uns die vorübergehende Sistirung seines Stückes gleich nach der ersten
Aufführung.

Auch an die „Schule der Frauen" knüpfte sich ein länger als ein Jahr
dauernder Federstreit der verschiedensten Gegner und Neider, die durch deu
großen Erfolg, welchen dieses Lustspiel hatte, in die Schranken gerufen worden
waren. Diesmal eröffnete Mvlivre freilich selbst den Kampf, indem er mit dem
kleinen Stück lüritiizus as 1'soolö Ass tsmmss den geplanten Angriffen offensiv
zuvorkam, und später betheiligte er sich nochmals daran mit dem „Impromptu
von Versailles." Dies letztere Gelcgenheitsstück war, anßer gegen die gecken¬
haften Marquis, insbesondere gegen die gespreizte Vortragsmanier des Concur-
renztheaters im Hotel de Bourgogne gerichtet. Denn auch in diesem Punkte
kämpfte Moliöre für Wahrheit und Natürlichkeit, stieß freilich bei seinem Be¬
streben, den einfachen Redeton auch in der Tragödie zur Geltung zu bringen,
auf den unüberwindlichen Widerstand, den ihm die Tradition entgegenstellte.
Es ist ja bekannt, wie dieselbe noch heute bei den französischen Schauspielern
mächtig ist. Aber über alle Anfeindungen, die ihm entgegentraten, konnte sich
Moliöre trösten mit dem Beifall, den er mit diesem Lustspiel beim Könige und
bei Kennern wie Boileau und Lafontaine fand. Ersterer setzte ihm gerade da¬
mals eine jährliche Dichterpension aus, und mit den letzteren gleichstrebenden
Männern verband ihn fortan eine innige Freundschaft.

Am heftigsten ist die Fehde, die sich an den „Tartttffe" anschloß. Dieses
Stück mitsammt der Wirkung, die es ausübte, ist wohl in Deutschland das be¬
kannteste von allen Stücken Moliöres geworden, namentlich und fast mehr noch


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[0508] Zwei Molivre-Biographien. zu halten und die allerunschuldigsten Dinge, wie Nase, Fuß u, s. w., nicht mehr mit den ihnen zukommenden Namen, sondern nur noch mit Umschreibungen zu bezeichnen, etwa in der Weise und zum Theil mit ähnlicher Unverständlichkeit, wie die Statten in der ausgearteten spätern nordischen Dichtkunst die umschrei¬ benden sogenannten Kenningar gebrauchten. Ein ganzes Wörterbuch solcher preeiöscn Ausdrücke ist damals zusammengestellt und gedruckt worden, Ihren höchste«? literarischen Triumph feierte diese Richtung in den Romanen des Fräulein de Scudörh, die in Form einer Landkarte einen vollständigen Codex der pre- eiösen Liebe entwarf mit allen ihren Stationen des Schmachteus und allmäh¬ lichen Vorrückens, ähnlich wie vierhundert Jahre früher in dem höfischen „Minne¬ dienst" die unwahre conventionelle Liebe der Ritter zu ihren „Herrinnen" in ein System gebracht worden war. Unnötigerweise sucht Mcchreuholtz das durch Madeleine de Scudvry vertretene damalige Preciösenthuin noch zu unterscheiden von einer zweiten nachäffenden Richtung desselben. Wenn Moliüre in der Vor¬ rede zu den gedruckten ?röLivu8ö8 Mioulgs eine solche Unterscheidung macht, so ist dies nur eine ans äußern Rücksichten ihm abgedrungene Erklärung, die gegenüber den deutlichen Angriffen auf Mad. de Seudvrh in dem Stücke selbst nichts besagen will. Denn mit welchen Schwierigkeiten er zu kämpfe» hatte, zeigt uns die vorübergehende Sistirung seines Stückes gleich nach der ersten Aufführung. Auch an die „Schule der Frauen" knüpfte sich ein länger als ein Jahr dauernder Federstreit der verschiedensten Gegner und Neider, die durch deu großen Erfolg, welchen dieses Lustspiel hatte, in die Schranken gerufen worden waren. Diesmal eröffnete Mvlivre freilich selbst den Kampf, indem er mit dem kleinen Stück lüritiizus as 1'soolö Ass tsmmss den geplanten Angriffen offensiv zuvorkam, und später betheiligte er sich nochmals daran mit dem „Impromptu von Versailles." Dies letztere Gelcgenheitsstück war, anßer gegen die gecken¬ haften Marquis, insbesondere gegen die gespreizte Vortragsmanier des Concur- renztheaters im Hotel de Bourgogne gerichtet. Denn auch in diesem Punkte kämpfte Moliöre für Wahrheit und Natürlichkeit, stieß freilich bei seinem Be¬ streben, den einfachen Redeton auch in der Tragödie zur Geltung zu bringen, auf den unüberwindlichen Widerstand, den ihm die Tradition entgegenstellte. Es ist ja bekannt, wie dieselbe noch heute bei den französischen Schauspielern mächtig ist. Aber über alle Anfeindungen, die ihm entgegentraten, konnte sich Moliöre trösten mit dem Beifall, den er mit diesem Lustspiel beim Könige und bei Kennern wie Boileau und Lafontaine fand. Ersterer setzte ihm gerade da¬ mals eine jährliche Dichterpension aus, und mit den letzteren gleichstrebenden Männern verband ihn fortan eine innige Freundschaft. Am heftigsten ist die Fehde, die sich an den „Tartttffe" anschloß. Dieses Stück mitsammt der Wirkung, die es ausübte, ist wohl in Deutschland das be¬ kannteste von allen Stücken Moliöres geworden, namentlich und fast mehr noch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/508>, abgerufen am 15.01.2025.