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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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Die politischen Parteien und ihr Einfluß auf Justiz und Verwaltung.

Liberalen unsrer Tage nicht wird in Abrede gestellt werden können, hat sich den
Mißständen des parlamentarischen Absolutismus nicht verschließen können. Mit
der einen Partei, welche das Staatsruder ergreift, werden alle Gegner trotz
ihrer anerkannten Fähigkeiten ohne weiteres von jeder Mitwirkung auf die Re¬
gierung ausgeschlossen, und es kaun conscquenterweise dahin kommen, daß sich
der Staat mit Mittelmäßigkeiten begnügen und auf die werthvollsten Dienste
von Capacitäten verzichten muß. Dabei ist es gerade, wie ein Beispiel Eng¬
lands lehrt, nicht immer eine Verschiedenheit der politischen Meinungen, welche
die Parteien trennt. Wie oft haben die Whigs die Aufhebung der Habeas-
Cvrpusaete selbst durchgeführt, während sie dieselbe Maßregel unter dem Torh-
ministerium bekämpft haben. So haben auch die Tories die Katholikeneman-
eipativn vollendet, die sie gegenüber den Whigministern abgelehnt hatten. In
England ist es lediglich das eigene Interesse, die Beförderung des Einflusses,
die Erlangung von Macht und Vermögen, welche jede Partei für sich zu er¬
reichet? sucht. Es ist die Herrschaft zweier bevorzugter Klassen, die ehemals aus
dem von Macaülciy so schön geschilderten Unterschied von conservativ und liberal
hervorgingen, jetzt längst aber ihre historische Bedeutung verloren haben und
die Herrschaft des Staates als ein ihnen abwechselnd zustehendes Privilegium
betrachten. Diese Klassen haben sich, wie der Kanzler scharfsinnig hervorhob,
die Krone mit unrechter Gewalt dienstbar gemacht; sie sind nicht als Vertreter
des Volkes zu betrachten, weil dessen Betheiligung an den Wahlen eine viel
geringere ist, als sie je selbst nach dem Klassenwahlsystem des Continents es
sein kann. Nichtsdestoweniger hat die Krone in den verschiedensten Zeiten und
nicht selten mit illegitimen Mitteln den Einfluß zu gewinnen gesucht, den ihr
legitim die eifersüchtige Privilegieuherrschaft zu entziehen suchte. Es ist nicht
unbekannt, wie in den Zeiten der George die Parlamentsmitglieder durch Ehren¬
stellen und Pensionen willfährig gemacht wurden, wie Robert Walpole kein
Geheimniß von dem Bestechungstarif machte, nach welchem er die Parlaments¬
mitglieder zu schätzen wußte. Und dabei sind in England die großen Nach¬
theile der Parteiherrschaft noch dadurch zurückgedrängt worden, daß das
Selfgovernment die Verwaltung in Provinzen und Gemeinden übernommen
und dadurch der Patronage des jedesmaligen Ministeriums entzogen hatte.
Gänzlich aufgewogen können aber diese Nachtheile nicht werden. So -- um
nur einige Beispiele anzuführen -- jener plötzliche Wechsel in der äußeren
Politik, wie er sich noch nach dem Sturze Diöraelis bei dem Eintritt des
Ministeriums Gladstone gezeigt, so der entsetzliche Zustand der Agrargesetzgebung,
welcher das Landeigenthum in England in den Händen einiger hundert Pri-
vilegirten concentrirt und in Irland zu der bekannten Vergewaltigung und zu
Greueln und Blutthaten führt, so der Wechsel in etwa achtzig hohen Stellungen,
die mit jedem Ministerium ihr Amt verlassen und infolge davon eine Unfähig¬
keit in der Gesetzgebung hervorrufen, die freilich ans dem Continent nur der-


Die politischen Parteien und ihr Einfluß auf Justiz und Verwaltung.

Liberalen unsrer Tage nicht wird in Abrede gestellt werden können, hat sich den
Mißständen des parlamentarischen Absolutismus nicht verschließen können. Mit
der einen Partei, welche das Staatsruder ergreift, werden alle Gegner trotz
ihrer anerkannten Fähigkeiten ohne weiteres von jeder Mitwirkung auf die Re¬
gierung ausgeschlossen, und es kaun conscquenterweise dahin kommen, daß sich
der Staat mit Mittelmäßigkeiten begnügen und auf die werthvollsten Dienste
von Capacitäten verzichten muß. Dabei ist es gerade, wie ein Beispiel Eng¬
lands lehrt, nicht immer eine Verschiedenheit der politischen Meinungen, welche
die Parteien trennt. Wie oft haben die Whigs die Aufhebung der Habeas-
Cvrpusaete selbst durchgeführt, während sie dieselbe Maßregel unter dem Torh-
ministerium bekämpft haben. So haben auch die Tories die Katholikeneman-
eipativn vollendet, die sie gegenüber den Whigministern abgelehnt hatten. In
England ist es lediglich das eigene Interesse, die Beförderung des Einflusses,
die Erlangung von Macht und Vermögen, welche jede Partei für sich zu er¬
reichet? sucht. Es ist die Herrschaft zweier bevorzugter Klassen, die ehemals aus
dem von Macaülciy so schön geschilderten Unterschied von conservativ und liberal
hervorgingen, jetzt längst aber ihre historische Bedeutung verloren haben und
die Herrschaft des Staates als ein ihnen abwechselnd zustehendes Privilegium
betrachten. Diese Klassen haben sich, wie der Kanzler scharfsinnig hervorhob,
die Krone mit unrechter Gewalt dienstbar gemacht; sie sind nicht als Vertreter
des Volkes zu betrachten, weil dessen Betheiligung an den Wahlen eine viel
geringere ist, als sie je selbst nach dem Klassenwahlsystem des Continents es
sein kann. Nichtsdestoweniger hat die Krone in den verschiedensten Zeiten und
nicht selten mit illegitimen Mitteln den Einfluß zu gewinnen gesucht, den ihr
legitim die eifersüchtige Privilegieuherrschaft zu entziehen suchte. Es ist nicht
unbekannt, wie in den Zeiten der George die Parlamentsmitglieder durch Ehren¬
stellen und Pensionen willfährig gemacht wurden, wie Robert Walpole kein
Geheimniß von dem Bestechungstarif machte, nach welchem er die Parlaments¬
mitglieder zu schätzen wußte. Und dabei sind in England die großen Nach¬
theile der Parteiherrschaft noch dadurch zurückgedrängt worden, daß das
Selfgovernment die Verwaltung in Provinzen und Gemeinden übernommen
und dadurch der Patronage des jedesmaligen Ministeriums entzogen hatte.
Gänzlich aufgewogen können aber diese Nachtheile nicht werden. So — um
nur einige Beispiele anzuführen — jener plötzliche Wechsel in der äußeren
Politik, wie er sich noch nach dem Sturze Diöraelis bei dem Eintritt des
Ministeriums Gladstone gezeigt, so der entsetzliche Zustand der Agrargesetzgebung,
welcher das Landeigenthum in England in den Händen einiger hundert Pri-
vilegirten concentrirt und in Irland zu der bekannten Vergewaltigung und zu
Greueln und Blutthaten führt, so der Wechsel in etwa achtzig hohen Stellungen,
die mit jedem Ministerium ihr Amt verlassen und infolge davon eine Unfähig¬
keit in der Gesetzgebung hervorrufen, die freilich ans dem Continent nur der-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/500>, abgerufen am 16.01.2025.