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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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Freiherr vom Stein und Herr Lügen Richter,

zwar nicht Adam Smith selbst, wohl aber seine Schüler gelehrt hatten. Stein
war also ein Mann der Praxis, nicht der Principienreiterei,

Nach Pertz' Leben Steins (II, 535) rieth er einem Manne wie Wilhelm
von Humboldt, "ja nicht bloß die Grundsätze der Wissenschaft, sondern auch
die Geschichte der Finanz- und Staatswirthschaft der Nationen" zu studiren,
wobei er ihm Forbonnais und Ganilh empfahl. Beide sind Schutzzöllner;
ersterer ist der Vertreter des Systems der Regalien, der indirecten Steuern und
der Staatsmonopole, letzterer ist der französische List. Das Antistaatliche bei
Adam Smith fand in Stein einen ebenso entschiedenen Gegner, wie das I^isssr
tairs des spätern Manchesterthums in ihm gefunden haben würde. Nicht das
Interesse der möglichst großen Production, sondern die Förderung der Staats¬
macht und der Vaterlandsliebe stand bei ihm in erster Linie. Damit hängt denn
auch aufs engste zusammen, daß er in der obersten Rcgierungsinstanz mächtig
centralisiren wollte. So hielt er es für doctrinciren Aberglauben, wenn man
jede Staatsverwaltung ökonomischer Anstalten unbedingt verwerfen wollte.

Genau so wie bellte Bismcirck, erkannte damals Stein die grundlegende
Wichtigkeit der Erhaltung der arbeitenden Klassen, der Landwirthschaft und eines
kräftigen Bauernstandes für den Staat. Er hebt hervor, daß schon Aristoteles
geradeso wie die ältesten Gesetzgeber die tiefgreifende Wichtigkeit dieser Fragen
anerkannt haben. Aber es blieb ihm nicht verborgen, daß für ganz verschiedene
Umstände, zumal für ganz verschiedne Cultur- und wirthschaftliche Entwicklungs-
stufen, unmöglich die gleiche Antwort gegeben werden kann.

Ueber die Freiheit des Kornhandels drückt sich Stein in dem westfäli¬
schen Verwaltnilgsbcricht von 1801 sehr behutsam aus. "Die Landwirthschaft
-- sagt er -- kann nicht vollkommen werden, wenn sie nicht des Absatzes ihrer
Producte sicher ist." (Pertz I, S.209.) Die Hauptabwcichnng Steins von der
damaligen Schultheorie bestand darin, daß er unverholen Fülle anerkannte, wo
man die Regel aufheben müsse, um größere Uebel zu verhüten. Während hierin
Niebuhr, Arndt und Wilhelm von Humboldt mit ihm übereinstimmten, fand es
Schön (der doch den heutigen Manchesterleuteu gegenüber noch zu den ge¬
mäßigten Freihändlern gehörte) unbedenklich, wenn die schwächer" Landbesitzer
im Wege des freien Verkehrs von stärkern, mit mehr Reinertrag wirthschaftenden
verdrängt würden. (II, 14.) "Es kann, sagt Schön, dem Staate doch gleich-
giltig sein, ob A. oder B. ein Landgut besitze; derjenige, der den meisten Credit,
sowohl in Absicht seines Vermögens als seiner Fähigkeit hat, ist der beste Be¬
sitzer, und wer seine Schulden nicht bezahlen kann, muß dem, der das
Capital hat, weichen. Der Capitalist ist dem Staate eben so wichtig als der
Mnnnfacturist oder Producent oder Kaufmann; der erste und der letzte haben
nur insofern Werth, als sie Capitalien sind. Es sind also keine Gründe da,
um den Landwirth anders zu behandeln als den Manufacturisten oder Kauf¬
mann, der seine Schulden nicht bezahlen kann." Glaubt man nicht, hier die


Freiherr vom Stein und Herr Lügen Richter,

zwar nicht Adam Smith selbst, wohl aber seine Schüler gelehrt hatten. Stein
war also ein Mann der Praxis, nicht der Principienreiterei,

Nach Pertz' Leben Steins (II, 535) rieth er einem Manne wie Wilhelm
von Humboldt, „ja nicht bloß die Grundsätze der Wissenschaft, sondern auch
die Geschichte der Finanz- und Staatswirthschaft der Nationen" zu studiren,
wobei er ihm Forbonnais und Ganilh empfahl. Beide sind Schutzzöllner;
ersterer ist der Vertreter des Systems der Regalien, der indirecten Steuern und
der Staatsmonopole, letzterer ist der französische List. Das Antistaatliche bei
Adam Smith fand in Stein einen ebenso entschiedenen Gegner, wie das I^isssr
tairs des spätern Manchesterthums in ihm gefunden haben würde. Nicht das
Interesse der möglichst großen Production, sondern die Förderung der Staats¬
macht und der Vaterlandsliebe stand bei ihm in erster Linie. Damit hängt denn
auch aufs engste zusammen, daß er in der obersten Rcgierungsinstanz mächtig
centralisiren wollte. So hielt er es für doctrinciren Aberglauben, wenn man
jede Staatsverwaltung ökonomischer Anstalten unbedingt verwerfen wollte.

Genau so wie bellte Bismcirck, erkannte damals Stein die grundlegende
Wichtigkeit der Erhaltung der arbeitenden Klassen, der Landwirthschaft und eines
kräftigen Bauernstandes für den Staat. Er hebt hervor, daß schon Aristoteles
geradeso wie die ältesten Gesetzgeber die tiefgreifende Wichtigkeit dieser Fragen
anerkannt haben. Aber es blieb ihm nicht verborgen, daß für ganz verschiedene
Umstände, zumal für ganz verschiedne Cultur- und wirthschaftliche Entwicklungs-
stufen, unmöglich die gleiche Antwort gegeben werden kann.

Ueber die Freiheit des Kornhandels drückt sich Stein in dem westfäli¬
schen Verwaltnilgsbcricht von 1801 sehr behutsam aus. „Die Landwirthschaft
— sagt er — kann nicht vollkommen werden, wenn sie nicht des Absatzes ihrer
Producte sicher ist." (Pertz I, S.209.) Die Hauptabwcichnng Steins von der
damaligen Schultheorie bestand darin, daß er unverholen Fülle anerkannte, wo
man die Regel aufheben müsse, um größere Uebel zu verhüten. Während hierin
Niebuhr, Arndt und Wilhelm von Humboldt mit ihm übereinstimmten, fand es
Schön (der doch den heutigen Manchesterleuteu gegenüber noch zu den ge¬
mäßigten Freihändlern gehörte) unbedenklich, wenn die schwächer» Landbesitzer
im Wege des freien Verkehrs von stärkern, mit mehr Reinertrag wirthschaftenden
verdrängt würden. (II, 14.) „Es kann, sagt Schön, dem Staate doch gleich-
giltig sein, ob A. oder B. ein Landgut besitze; derjenige, der den meisten Credit,
sowohl in Absicht seines Vermögens als seiner Fähigkeit hat, ist der beste Be¬
sitzer, und wer seine Schulden nicht bezahlen kann, muß dem, der das
Capital hat, weichen. Der Capitalist ist dem Staate eben so wichtig als der
Mnnnfacturist oder Producent oder Kaufmann; der erste und der letzte haben
nur insofern Werth, als sie Capitalien sind. Es sind also keine Gründe da,
um den Landwirth anders zu behandeln als den Manufacturisten oder Kauf¬
mann, der seine Schulden nicht bezahlen kann." Glaubt man nicht, hier die


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[0492] Freiherr vom Stein und Herr Lügen Richter, zwar nicht Adam Smith selbst, wohl aber seine Schüler gelehrt hatten. Stein war also ein Mann der Praxis, nicht der Principienreiterei, Nach Pertz' Leben Steins (II, 535) rieth er einem Manne wie Wilhelm von Humboldt, „ja nicht bloß die Grundsätze der Wissenschaft, sondern auch die Geschichte der Finanz- und Staatswirthschaft der Nationen" zu studiren, wobei er ihm Forbonnais und Ganilh empfahl. Beide sind Schutzzöllner; ersterer ist der Vertreter des Systems der Regalien, der indirecten Steuern und der Staatsmonopole, letzterer ist der französische List. Das Antistaatliche bei Adam Smith fand in Stein einen ebenso entschiedenen Gegner, wie das I^isssr tairs des spätern Manchesterthums in ihm gefunden haben würde. Nicht das Interesse der möglichst großen Production, sondern die Förderung der Staats¬ macht und der Vaterlandsliebe stand bei ihm in erster Linie. Damit hängt denn auch aufs engste zusammen, daß er in der obersten Rcgierungsinstanz mächtig centralisiren wollte. So hielt er es für doctrinciren Aberglauben, wenn man jede Staatsverwaltung ökonomischer Anstalten unbedingt verwerfen wollte. Genau so wie bellte Bismcirck, erkannte damals Stein die grundlegende Wichtigkeit der Erhaltung der arbeitenden Klassen, der Landwirthschaft und eines kräftigen Bauernstandes für den Staat. Er hebt hervor, daß schon Aristoteles geradeso wie die ältesten Gesetzgeber die tiefgreifende Wichtigkeit dieser Fragen anerkannt haben. Aber es blieb ihm nicht verborgen, daß für ganz verschiedene Umstände, zumal für ganz verschiedne Cultur- und wirthschaftliche Entwicklungs- stufen, unmöglich die gleiche Antwort gegeben werden kann. Ueber die Freiheit des Kornhandels drückt sich Stein in dem westfäli¬ schen Verwaltnilgsbcricht von 1801 sehr behutsam aus. „Die Landwirthschaft — sagt er — kann nicht vollkommen werden, wenn sie nicht des Absatzes ihrer Producte sicher ist." (Pertz I, S.209.) Die Hauptabwcichnng Steins von der damaligen Schultheorie bestand darin, daß er unverholen Fülle anerkannte, wo man die Regel aufheben müsse, um größere Uebel zu verhüten. Während hierin Niebuhr, Arndt und Wilhelm von Humboldt mit ihm übereinstimmten, fand es Schön (der doch den heutigen Manchesterleuteu gegenüber noch zu den ge¬ mäßigten Freihändlern gehörte) unbedenklich, wenn die schwächer» Landbesitzer im Wege des freien Verkehrs von stärkern, mit mehr Reinertrag wirthschaftenden verdrängt würden. (II, 14.) „Es kann, sagt Schön, dem Staate doch gleich- giltig sein, ob A. oder B. ein Landgut besitze; derjenige, der den meisten Credit, sowohl in Absicht seines Vermögens als seiner Fähigkeit hat, ist der beste Be¬ sitzer, und wer seine Schulden nicht bezahlen kann, muß dem, der das Capital hat, weichen. Der Capitalist ist dem Staate eben so wichtig als der Mnnnfacturist oder Producent oder Kaufmann; der erste und der letzte haben nur insofern Werth, als sie Capitalien sind. Es sind also keine Gründe da, um den Landwirth anders zu behandeln als den Manufacturisten oder Kauf¬ mann, der seine Schulden nicht bezahlen kann." Glaubt man nicht, hier die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/492>, abgerufen am 15.01.2025.