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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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Zwei Molisre-Biogrciphieu,

vergißt Lvtheißen, wenn er ermahnt, nur aus einem Gefühle der Pietät, nicht
um eine Waffe daraus zu schmieden, den Quellen Molivrescher Stücke nach¬
zugehen, seinerseits hinzuzufügen, daß dies auch noch aus einem andern Grnnde
nicht nur geschehe" darf, sondern sogar geschehen muß, ucimlich um zu einer ge¬
naueren Erkenntniß derselben und zu einer eindringenderen Beurtheilung von
MoliüreS dichterischem Können zu gelangen. Der Dichter kann durch eine jede
derartige Vergleichung nnr gewinnen; immer wieder aufs neue muß man be¬
wundern, wie er aus so heterogenen Elementen Stücke in einem Gusse schuf,
in denen jede auch erborgte Scene an richtiger Stelle dein Charakter des Ganzen
entspricht und dnrch nichts für den Unbefangenen ihren fremden Ursprung ver¬
räth. Hierin zeigt sich Molivre als vollendeter Meister der dramatischen Technik,
Nur an einem mehrfach wiederkehrenden technischen Fehler leiden seine Stücke:
an dem schließlichen Zerhauen des geschürzten Knotens anstatt der Lösung von
innen heraus. Dieser rein äußerliche Abschluß muß geradezu als charakteristisch
für Molivre erklärt werden.

In dem Nachweis von Entlehnungen und Reminiscenzen, die uns zugleich
die große Belesenheit des Dichters bezeugen, liegt ein entschiedener Vorzug der
gelehrten Arbeit von Mcchrenholtz; hier erwirbt er sich, wenn er auch in einzelnen
Fällen über das Ziel hinausschießt, unleugbare Verdienste, Freilich geht er
auch hier bisweilen in der Ausdrucksweise fehl, wenn er beispielsweise bei der
Beurtheilung der "Schule der Ehemänner" zu dem Resultate gelaugt: "Mit
der Selbständigkeit Mvlivres in dieser epochemachenden Dichtung ist es also
nicht sonderlich bestellt, ihre Bedeutung liegt in den culturhistorischen und lite¬
rarischen Beziehungen," Als ob der Werth eiuer "epochemachenden" Dichtung
der einer antiquarischen Merkwürdigkeit sein könnte!"

Auch mit seinem zweiten Lustspiel, dem "Liebeszwist, bewegt Moliöre sich
der Hauptsache nach in den alten Geleisen deS Jntrignenspiels, wenn er mich
schon die Schwingen seines eignen Genius zu regen beginnt und wenigstens
episodisch die Schranken des Hergebrachten durchbricht.

Volle elf Jahre dauerte das Wanderleben seiner Truppe in der Provinz.
Mvlivre war schon ein gereifter Mann, als es ihm gelang, in Paris dauernd
Fuß zu fassen, wo auch sein Genius sich erst voll entfalten sollte. Dort bil¬
dete sich damals eine neue für Wahrheit, Einfachheit und Natürlichkeit gegen
die Tyrannei der zopfigen Regelmäßigkeit kämpfende Dichterschule, deren Prophet
der jugendliche Boileau war, welcher eben mit seiner ersten Satire hervortrat,
Ihr schloß sich, von gleichem Streben beseelt, auch unser Dichter an,

(Schlich folgt,)




Grenzboten VI. 188t,<i0
Zwei Molisre-Biogrciphieu,

vergißt Lvtheißen, wenn er ermahnt, nur aus einem Gefühle der Pietät, nicht
um eine Waffe daraus zu schmieden, den Quellen Molivrescher Stücke nach¬
zugehen, seinerseits hinzuzufügen, daß dies auch noch aus einem andern Grnnde
nicht nur geschehe» darf, sondern sogar geschehen muß, ucimlich um zu einer ge¬
naueren Erkenntniß derselben und zu einer eindringenderen Beurtheilung von
MoliüreS dichterischem Können zu gelangen. Der Dichter kann durch eine jede
derartige Vergleichung nnr gewinnen; immer wieder aufs neue muß man be¬
wundern, wie er aus so heterogenen Elementen Stücke in einem Gusse schuf,
in denen jede auch erborgte Scene an richtiger Stelle dein Charakter des Ganzen
entspricht und dnrch nichts für den Unbefangenen ihren fremden Ursprung ver¬
räth. Hierin zeigt sich Molivre als vollendeter Meister der dramatischen Technik,
Nur an einem mehrfach wiederkehrenden technischen Fehler leiden seine Stücke:
an dem schließlichen Zerhauen des geschürzten Knotens anstatt der Lösung von
innen heraus. Dieser rein äußerliche Abschluß muß geradezu als charakteristisch
für Molivre erklärt werden.

In dem Nachweis von Entlehnungen und Reminiscenzen, die uns zugleich
die große Belesenheit des Dichters bezeugen, liegt ein entschiedener Vorzug der
gelehrten Arbeit von Mcchrenholtz; hier erwirbt er sich, wenn er auch in einzelnen
Fällen über das Ziel hinausschießt, unleugbare Verdienste, Freilich geht er
auch hier bisweilen in der Ausdrucksweise fehl, wenn er beispielsweise bei der
Beurtheilung der „Schule der Ehemänner" zu dem Resultate gelaugt: „Mit
der Selbständigkeit Mvlivres in dieser epochemachenden Dichtung ist es also
nicht sonderlich bestellt, ihre Bedeutung liegt in den culturhistorischen und lite¬
rarischen Beziehungen," Als ob der Werth eiuer „epochemachenden" Dichtung
der einer antiquarischen Merkwürdigkeit sein könnte!"

Auch mit seinem zweiten Lustspiel, dem „Liebeszwist, bewegt Moliöre sich
der Hauptsache nach in den alten Geleisen deS Jntrignenspiels, wenn er mich
schon die Schwingen seines eignen Genius zu regen beginnt und wenigstens
episodisch die Schranken des Hergebrachten durchbricht.

Volle elf Jahre dauerte das Wanderleben seiner Truppe in der Provinz.
Mvlivre war schon ein gereifter Mann, als es ihm gelang, in Paris dauernd
Fuß zu fassen, wo auch sein Genius sich erst voll entfalten sollte. Dort bil¬
dete sich damals eine neue für Wahrheit, Einfachheit und Natürlichkeit gegen
die Tyrannei der zopfigen Regelmäßigkeit kämpfende Dichterschule, deren Prophet
der jugendliche Boileau war, welcher eben mit seiner ersten Satire hervortrat,
Ihr schloß sich, von gleichem Streben beseelt, auch unser Dichter an,

(Schlich folgt,)




Grenzboten VI. 188t,<i0
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[0475] Zwei Molisre-Biogrciphieu, vergißt Lvtheißen, wenn er ermahnt, nur aus einem Gefühle der Pietät, nicht um eine Waffe daraus zu schmieden, den Quellen Molivrescher Stücke nach¬ zugehen, seinerseits hinzuzufügen, daß dies auch noch aus einem andern Grnnde nicht nur geschehe» darf, sondern sogar geschehen muß, ucimlich um zu einer ge¬ naueren Erkenntniß derselben und zu einer eindringenderen Beurtheilung von MoliüreS dichterischem Können zu gelangen. Der Dichter kann durch eine jede derartige Vergleichung nnr gewinnen; immer wieder aufs neue muß man be¬ wundern, wie er aus so heterogenen Elementen Stücke in einem Gusse schuf, in denen jede auch erborgte Scene an richtiger Stelle dein Charakter des Ganzen entspricht und dnrch nichts für den Unbefangenen ihren fremden Ursprung ver¬ räth. Hierin zeigt sich Molivre als vollendeter Meister der dramatischen Technik, Nur an einem mehrfach wiederkehrenden technischen Fehler leiden seine Stücke: an dem schließlichen Zerhauen des geschürzten Knotens anstatt der Lösung von innen heraus. Dieser rein äußerliche Abschluß muß geradezu als charakteristisch für Molivre erklärt werden. In dem Nachweis von Entlehnungen und Reminiscenzen, die uns zugleich die große Belesenheit des Dichters bezeugen, liegt ein entschiedener Vorzug der gelehrten Arbeit von Mcchrenholtz; hier erwirbt er sich, wenn er auch in einzelnen Fällen über das Ziel hinausschießt, unleugbare Verdienste, Freilich geht er auch hier bisweilen in der Ausdrucksweise fehl, wenn er beispielsweise bei der Beurtheilung der „Schule der Ehemänner" zu dem Resultate gelaugt: „Mit der Selbständigkeit Mvlivres in dieser epochemachenden Dichtung ist es also nicht sonderlich bestellt, ihre Bedeutung liegt in den culturhistorischen und lite¬ rarischen Beziehungen," Als ob der Werth eiuer „epochemachenden" Dichtung der einer antiquarischen Merkwürdigkeit sein könnte!" Auch mit seinem zweiten Lustspiel, dem „Liebeszwist, bewegt Moliöre sich der Hauptsache nach in den alten Geleisen deS Jntrignenspiels, wenn er mich schon die Schwingen seines eignen Genius zu regen beginnt und wenigstens episodisch die Schranken des Hergebrachten durchbricht. Volle elf Jahre dauerte das Wanderleben seiner Truppe in der Provinz. Mvlivre war schon ein gereifter Mann, als es ihm gelang, in Paris dauernd Fuß zu fassen, wo auch sein Genius sich erst voll entfalten sollte. Dort bil¬ dete sich damals eine neue für Wahrheit, Einfachheit und Natürlichkeit gegen die Tyrannei der zopfigen Regelmäßigkeit kämpfende Dichterschule, deren Prophet der jugendliche Boileau war, welcher eben mit seiner ersten Satire hervortrat, Ihr schloß sich, von gleichem Streben beseelt, auch unser Dichter an, (Schlich folgt,) Grenzboten VI. 188t,<i0

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/475>, abgerufen am 15.01.2025.