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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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Zwei Nolisre-Biographien,

und in gewandter Darstellung einem größeren Publicum im Rahmen der Zeit¬
geschichte ein in sich abgeschlossenes, wohlgelungenes Charakterbild Molivres, seines
Lebens und poetischen Schaffens, Mahrenholtz hat bisher durch eine Anzahl
eingehendster, in verschiedenen Fachzeitschriften erschienener Aufsätze sich als eif¬
rigen "Molwristen" gezeigt und will um in seinem Buche, das zugleich den
zweiten Band der von Körting und Koschwitz herausgegebenen "Französische"
Studien" bildet, da eine wissenschaftliche und vollständige Biographie
Molivres zu schreiben ohne Gewissenlosigkeit nicht möglich sei, eine nur für die
Kreise der Fachgenossen bestimmte rein wissenschaftliche Biographie liefern.

Was ist nun, fragen wir da sofort, für ein Unterschied zwischen wissen¬
schaftlich und rein wissenschaftlich? Jede Lebensbeschreibung, die wahr sein will,
und das ist doch wohl das erste Erforderniß, muß eine wissenschaftliche sein,
d, h. sie muß auf wissenschaftlicher Durcharbeitung der Quellen beruhen. Was
ist nun zum Unterschiede eine rein wissenschaftliche? Wahrscheinlich die, bei der
die Spuren mühseliger Gelehrsamkeit wie bei Mahrenhvltz auf Schritt und Tritt
uns in augenfälliger Weise sichtbar bleiben. Denn obwohl er den "Ballast un¬
nöthigen Quellenmatcrials abwerfen" und uns nur die sicheren Resultate der
bisherige" Moliörefvrschuug auf "beschränktem Raum" (beinahe 400 Seiten
Großvctav) darbieten will, wird uns doch nicht mir in ewigen Wiederholungen
bei jedem einzelnen Punkte das Qnellenmaterial immer aufs neue vorgeführt,
um in unerträglicher Breite das Für und Wider zu erörtern, ohne daß dabei
etwas neues heraussprängc, sondern wir erfahren auch in ermüdendster Weit¬
schweifigkeit neben dem vielen Unsicher" und Schwankenden noch das, was alles
wir von Molmre nicht wissen und uicht wissen können. Wir glauben, daß
selbst den Fachgenossen nicht damit gedient sein kann, zu dem wenigen Neuen das
viele aufgewärmte Alte mit in den Kauf nehmen zu müssen. Und wie überaus
langweilig wirken die umständlichen Charakterentwicklungen aller einzelnen Per¬
sonen jedes Stückes bis zu der unbedeutendste" herab! Während Lvtheißcn
wohl manchmal etwas beredter sein könnte und es bei ihm an einzelnen Punkten
uns geschienen hat, als ob er sich für sein Publieum etwas gar zu kurz fasse,
beklagt Mahrenholtz noch hin und wieder, daß er bei der Beschränktheit des
Raumes auf den und jenen Punkt nicht näher eingehe" könne! Was für ein
Ungethüm von Biographie hätten wir vollends zu erwarten gehabt, wenn ihm
nicht glücklicherweise diese Schranken gezogen worden wären! Ist es denn wirk¬
lich nöthig, bei einer Biographie jedes, mich das weitabliegendste Detail, das
irgend einmal von einem Forscher angerührt worden ist, wieder aufs genaueste
durchzusprechen? Wie müßte da eine Lebensbeschreibung Goethes, mit dem
Mahrenholtz Molisre besonders gern vergleicht, aussehen!

Was aber die wissenschaftliche Biographie Molivres betrifft, die nach
Mahrenholtz jetzt noch unmöglich ist, so fragen wir: Ist denn die Entdeckung
irgend welches erheblichen neuen Qnellenmatcrials noch wahrscheinlich? Wenn


Grenzboten IV. 1881. 59
Zwei Nolisre-Biographien,

und in gewandter Darstellung einem größeren Publicum im Rahmen der Zeit¬
geschichte ein in sich abgeschlossenes, wohlgelungenes Charakterbild Molivres, seines
Lebens und poetischen Schaffens, Mahrenholtz hat bisher durch eine Anzahl
eingehendster, in verschiedenen Fachzeitschriften erschienener Aufsätze sich als eif¬
rigen „Molwristen" gezeigt und will um in seinem Buche, das zugleich den
zweiten Band der von Körting und Koschwitz herausgegebenen „Französische»
Studien" bildet, da eine wissenschaftliche und vollständige Biographie
Molivres zu schreiben ohne Gewissenlosigkeit nicht möglich sei, eine nur für die
Kreise der Fachgenossen bestimmte rein wissenschaftliche Biographie liefern.

Was ist nun, fragen wir da sofort, für ein Unterschied zwischen wissen¬
schaftlich und rein wissenschaftlich? Jede Lebensbeschreibung, die wahr sein will,
und das ist doch wohl das erste Erforderniß, muß eine wissenschaftliche sein,
d, h. sie muß auf wissenschaftlicher Durcharbeitung der Quellen beruhen. Was
ist nun zum Unterschiede eine rein wissenschaftliche? Wahrscheinlich die, bei der
die Spuren mühseliger Gelehrsamkeit wie bei Mahrenhvltz auf Schritt und Tritt
uns in augenfälliger Weise sichtbar bleiben. Denn obwohl er den „Ballast un¬
nöthigen Quellenmatcrials abwerfen" und uns nur die sicheren Resultate der
bisherige» Moliörefvrschuug auf „beschränktem Raum" (beinahe 400 Seiten
Großvctav) darbieten will, wird uns doch nicht mir in ewigen Wiederholungen
bei jedem einzelnen Punkte das Qnellenmaterial immer aufs neue vorgeführt,
um in unerträglicher Breite das Für und Wider zu erörtern, ohne daß dabei
etwas neues heraussprängc, sondern wir erfahren auch in ermüdendster Weit¬
schweifigkeit neben dem vielen Unsicher» und Schwankenden noch das, was alles
wir von Molmre nicht wissen und uicht wissen können. Wir glauben, daß
selbst den Fachgenossen nicht damit gedient sein kann, zu dem wenigen Neuen das
viele aufgewärmte Alte mit in den Kauf nehmen zu müssen. Und wie überaus
langweilig wirken die umständlichen Charakterentwicklungen aller einzelnen Per¬
sonen jedes Stückes bis zu der unbedeutendste« herab! Während Lvtheißcn
wohl manchmal etwas beredter sein könnte und es bei ihm an einzelnen Punkten
uns geschienen hat, als ob er sich für sein Publieum etwas gar zu kurz fasse,
beklagt Mahrenholtz noch hin und wieder, daß er bei der Beschränktheit des
Raumes auf den und jenen Punkt nicht näher eingehe» könne! Was für ein
Ungethüm von Biographie hätten wir vollends zu erwarten gehabt, wenn ihm
nicht glücklicherweise diese Schranken gezogen worden wären! Ist es denn wirk¬
lich nöthig, bei einer Biographie jedes, mich das weitabliegendste Detail, das
irgend einmal von einem Forscher angerührt worden ist, wieder aufs genaueste
durchzusprechen? Wie müßte da eine Lebensbeschreibung Goethes, mit dem
Mahrenholtz Molisre besonders gern vergleicht, aussehen!

Was aber die wissenschaftliche Biographie Molivres betrifft, die nach
Mahrenholtz jetzt noch unmöglich ist, so fragen wir: Ist denn die Entdeckung
irgend welches erheblichen neuen Qnellenmatcrials noch wahrscheinlich? Wenn


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[0467] Zwei Nolisre-Biographien, und in gewandter Darstellung einem größeren Publicum im Rahmen der Zeit¬ geschichte ein in sich abgeschlossenes, wohlgelungenes Charakterbild Molivres, seines Lebens und poetischen Schaffens, Mahrenholtz hat bisher durch eine Anzahl eingehendster, in verschiedenen Fachzeitschriften erschienener Aufsätze sich als eif¬ rigen „Molwristen" gezeigt und will um in seinem Buche, das zugleich den zweiten Band der von Körting und Koschwitz herausgegebenen „Französische» Studien" bildet, da eine wissenschaftliche und vollständige Biographie Molivres zu schreiben ohne Gewissenlosigkeit nicht möglich sei, eine nur für die Kreise der Fachgenossen bestimmte rein wissenschaftliche Biographie liefern. Was ist nun, fragen wir da sofort, für ein Unterschied zwischen wissen¬ schaftlich und rein wissenschaftlich? Jede Lebensbeschreibung, die wahr sein will, und das ist doch wohl das erste Erforderniß, muß eine wissenschaftliche sein, d, h. sie muß auf wissenschaftlicher Durcharbeitung der Quellen beruhen. Was ist nun zum Unterschiede eine rein wissenschaftliche? Wahrscheinlich die, bei der die Spuren mühseliger Gelehrsamkeit wie bei Mahrenhvltz auf Schritt und Tritt uns in augenfälliger Weise sichtbar bleiben. Denn obwohl er den „Ballast un¬ nöthigen Quellenmatcrials abwerfen" und uns nur die sicheren Resultate der bisherige» Moliörefvrschuug auf „beschränktem Raum" (beinahe 400 Seiten Großvctav) darbieten will, wird uns doch nicht mir in ewigen Wiederholungen bei jedem einzelnen Punkte das Qnellenmaterial immer aufs neue vorgeführt, um in unerträglicher Breite das Für und Wider zu erörtern, ohne daß dabei etwas neues heraussprängc, sondern wir erfahren auch in ermüdendster Weit¬ schweifigkeit neben dem vielen Unsicher» und Schwankenden noch das, was alles wir von Molmre nicht wissen und uicht wissen können. Wir glauben, daß selbst den Fachgenossen nicht damit gedient sein kann, zu dem wenigen Neuen das viele aufgewärmte Alte mit in den Kauf nehmen zu müssen. Und wie überaus langweilig wirken die umständlichen Charakterentwicklungen aller einzelnen Per¬ sonen jedes Stückes bis zu der unbedeutendste« herab! Während Lvtheißcn wohl manchmal etwas beredter sein könnte und es bei ihm an einzelnen Punkten uns geschienen hat, als ob er sich für sein Publieum etwas gar zu kurz fasse, beklagt Mahrenholtz noch hin und wieder, daß er bei der Beschränktheit des Raumes auf den und jenen Punkt nicht näher eingehe» könne! Was für ein Ungethüm von Biographie hätten wir vollends zu erwarten gehabt, wenn ihm nicht glücklicherweise diese Schranken gezogen worden wären! Ist es denn wirk¬ lich nöthig, bei einer Biographie jedes, mich das weitabliegendste Detail, das irgend einmal von einem Forscher angerührt worden ist, wieder aufs genaueste durchzusprechen? Wie müßte da eine Lebensbeschreibung Goethes, mit dem Mahrenholtz Molisre besonders gern vergleicht, aussehen! Was aber die wissenschaftliche Biographie Molivres betrifft, die nach Mahrenholtz jetzt noch unmöglich ist, so fragen wir: Ist denn die Entdeckung irgend welches erheblichen neuen Qnellenmatcrials noch wahrscheinlich? Wenn Grenzboten IV. 1881. 59

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/467>, abgerufen am 19.10.2024.