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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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Zur socialen Frage.

gelegen hatten, durch seine großen Bürger nach Rom gebracht und dort in
Umlauf gesetzt wurden. Erst das Aufkommen des Ritterstandes, der großen
Bankiers, welche die Steuern der neugewonnenen Provinzen pachtete", das
Großkapital in ihren Händen concentrirten und rücksichtslos ausbeuteten, er¬
zeugte eine andre Art von Colvssalvermögeu, welche die Verarmung des Volkes
und die Vernichtung des besitzenden Mittelstandes zur Folge hatten. Man kennt
die großen Erschütterungen, welche der wirtschaftliche Niedergang des römischen
Staates und die Concentration der Vermögen in wenigen Händen verursachten,
die gracchischen Unruhen, die Sklaven-, Bundesgenossen- und Bürgerkriege, die
Triumvirate, die Proseriptivnen, bis endlich aus dem Kampfe der Großen gegen¬
einander einer als Alleinherrscher hervorging. Die Monarchie gab der Welt,
insbesondere Italien, einen mehrhuudertjährigcn Friede", und das Volk konnte
bei der im ganze" geregelte", zum Theil vortrefflichen Verwaltung und bei grund¬
sätzlicher Fürsorge der Negierung für seine Ernährung sich bei seiner Armuth
mehr oder weniger beruhigen.

Viel anders habe" sich die Dinge bei uns entwickelt (ich rede besonders
von Deutschland). Vor etwa fünfzig Jahren gab es bei uns noch sehr wenige
Riesenvermögen. Freilich hatten wir Ueberfluß an Fürsten und Dynasten, die
ansehnliche Reichthümer besaßen. Allein dieselben waren großenteils in Grund-
eigenthum angelegt, wurden mehr nach patriarchalischen Gesichtspunkten ver¬
waltet, waren dem Umfange nach wesentlich stillestehend wenn nicht zurückgehend
und konnten deshalb nur einen untergeordneten Einfluß auf die Wirthschaft
des Volkes üben. Deutschland war ein armes Land, das noch aus tausend
Wunden blutete, die ihm zweihuudertjährige Kriegsepochen geschlagen hatten.
Es besaß keine Industrie, kaum nennenswerthen Export. Der innere Handel
war bei sehr mangelhaften Verkehrswegen durch Hunderte von Zollschranken
unterbunden. Es gab keine Hauptstadt, die dem Umlauf der Güter einen mäch¬
tigen Antrieb hätte geben können, keine mächtige Börse. Kurz, es fehlte so gut
wie alles, um Reichthümer zu erzeugen. Es sind also kaum fünfzig Jahre her,
daß Colossalvermögen in größerer Anzahl entstanden sind; ja vielleicht sind es
nicht mehr als dreißig Jahre, denn ich selbst, obwohl ich noch kein Greis bin, er¬
innere mich der Zeit, da man unsre Nabvbs noch nicht kannte, oder habe sie
gar noch als gewöhnliche Makler von Haus zu Haus gehen sehen. Wie un¬
endlich kurz ist diese Zeit, wie gewaltsam müssen daher auch die Wirkungen sein!
Anfangs merkte man dies wenig, denn die gesammte Nation wurde wohlhabender;
die innern Zollschranken sielen, Großindustrie entstand, und Eisenbahnen be¬
deckten das Land. Aber es gab anch Pansen des Aufschwungs, Stockungen,
Krisen. Das Nachdenken wurde angeregt, man bemerkte die tiefschwarzen Schlag¬
schatten, welche der übergroße Reichthum der einzelnen warf. Zahllose Federn
kamen in Thätigkeit, die Ursachen wirthschaftlicher Uebelstände zu ergründen,
und die Vollkommenheit der Verkehrsmittel gab Gelegenheit auch zum person-


Zur socialen Frage.

gelegen hatten, durch seine großen Bürger nach Rom gebracht und dort in
Umlauf gesetzt wurden. Erst das Aufkommen des Ritterstandes, der großen
Bankiers, welche die Steuern der neugewonnenen Provinzen pachtete», das
Großkapital in ihren Händen concentrirten und rücksichtslos ausbeuteten, er¬
zeugte eine andre Art von Colvssalvermögeu, welche die Verarmung des Volkes
und die Vernichtung des besitzenden Mittelstandes zur Folge hatten. Man kennt
die großen Erschütterungen, welche der wirtschaftliche Niedergang des römischen
Staates und die Concentration der Vermögen in wenigen Händen verursachten,
die gracchischen Unruhen, die Sklaven-, Bundesgenossen- und Bürgerkriege, die
Triumvirate, die Proseriptivnen, bis endlich aus dem Kampfe der Großen gegen¬
einander einer als Alleinherrscher hervorging. Die Monarchie gab der Welt,
insbesondere Italien, einen mehrhuudertjährigcn Friede», und das Volk konnte
bei der im ganze» geregelte», zum Theil vortrefflichen Verwaltung und bei grund¬
sätzlicher Fürsorge der Negierung für seine Ernährung sich bei seiner Armuth
mehr oder weniger beruhigen.

Viel anders habe» sich die Dinge bei uns entwickelt (ich rede besonders
von Deutschland). Vor etwa fünfzig Jahren gab es bei uns noch sehr wenige
Riesenvermögen. Freilich hatten wir Ueberfluß an Fürsten und Dynasten, die
ansehnliche Reichthümer besaßen. Allein dieselben waren großenteils in Grund-
eigenthum angelegt, wurden mehr nach patriarchalischen Gesichtspunkten ver¬
waltet, waren dem Umfange nach wesentlich stillestehend wenn nicht zurückgehend
und konnten deshalb nur einen untergeordneten Einfluß auf die Wirthschaft
des Volkes üben. Deutschland war ein armes Land, das noch aus tausend
Wunden blutete, die ihm zweihuudertjährige Kriegsepochen geschlagen hatten.
Es besaß keine Industrie, kaum nennenswerthen Export. Der innere Handel
war bei sehr mangelhaften Verkehrswegen durch Hunderte von Zollschranken
unterbunden. Es gab keine Hauptstadt, die dem Umlauf der Güter einen mäch¬
tigen Antrieb hätte geben können, keine mächtige Börse. Kurz, es fehlte so gut
wie alles, um Reichthümer zu erzeugen. Es sind also kaum fünfzig Jahre her,
daß Colossalvermögen in größerer Anzahl entstanden sind; ja vielleicht sind es
nicht mehr als dreißig Jahre, denn ich selbst, obwohl ich noch kein Greis bin, er¬
innere mich der Zeit, da man unsre Nabvbs noch nicht kannte, oder habe sie
gar noch als gewöhnliche Makler von Haus zu Haus gehen sehen. Wie un¬
endlich kurz ist diese Zeit, wie gewaltsam müssen daher auch die Wirkungen sein!
Anfangs merkte man dies wenig, denn die gesammte Nation wurde wohlhabender;
die innern Zollschranken sielen, Großindustrie entstand, und Eisenbahnen be¬
deckten das Land. Aber es gab anch Pansen des Aufschwungs, Stockungen,
Krisen. Das Nachdenken wurde angeregt, man bemerkte die tiefschwarzen Schlag¬
schatten, welche der übergroße Reichthum der einzelnen warf. Zahllose Federn
kamen in Thätigkeit, die Ursachen wirthschaftlicher Uebelstände zu ergründen,
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[0457] Zur socialen Frage. gelegen hatten, durch seine großen Bürger nach Rom gebracht und dort in Umlauf gesetzt wurden. Erst das Aufkommen des Ritterstandes, der großen Bankiers, welche die Steuern der neugewonnenen Provinzen pachtete», das Großkapital in ihren Händen concentrirten und rücksichtslos ausbeuteten, er¬ zeugte eine andre Art von Colvssalvermögeu, welche die Verarmung des Volkes und die Vernichtung des besitzenden Mittelstandes zur Folge hatten. Man kennt die großen Erschütterungen, welche der wirtschaftliche Niedergang des römischen Staates und die Concentration der Vermögen in wenigen Händen verursachten, die gracchischen Unruhen, die Sklaven-, Bundesgenossen- und Bürgerkriege, die Triumvirate, die Proseriptivnen, bis endlich aus dem Kampfe der Großen gegen¬ einander einer als Alleinherrscher hervorging. Die Monarchie gab der Welt, insbesondere Italien, einen mehrhuudertjährigcn Friede», und das Volk konnte bei der im ganze» geregelte», zum Theil vortrefflichen Verwaltung und bei grund¬ sätzlicher Fürsorge der Negierung für seine Ernährung sich bei seiner Armuth mehr oder weniger beruhigen. Viel anders habe» sich die Dinge bei uns entwickelt (ich rede besonders von Deutschland). Vor etwa fünfzig Jahren gab es bei uns noch sehr wenige Riesenvermögen. Freilich hatten wir Ueberfluß an Fürsten und Dynasten, die ansehnliche Reichthümer besaßen. Allein dieselben waren großenteils in Grund- eigenthum angelegt, wurden mehr nach patriarchalischen Gesichtspunkten ver¬ waltet, waren dem Umfange nach wesentlich stillestehend wenn nicht zurückgehend und konnten deshalb nur einen untergeordneten Einfluß auf die Wirthschaft des Volkes üben. Deutschland war ein armes Land, das noch aus tausend Wunden blutete, die ihm zweihuudertjährige Kriegsepochen geschlagen hatten. Es besaß keine Industrie, kaum nennenswerthen Export. Der innere Handel war bei sehr mangelhaften Verkehrswegen durch Hunderte von Zollschranken unterbunden. Es gab keine Hauptstadt, die dem Umlauf der Güter einen mäch¬ tigen Antrieb hätte geben können, keine mächtige Börse. Kurz, es fehlte so gut wie alles, um Reichthümer zu erzeugen. Es sind also kaum fünfzig Jahre her, daß Colossalvermögen in größerer Anzahl entstanden sind; ja vielleicht sind es nicht mehr als dreißig Jahre, denn ich selbst, obwohl ich noch kein Greis bin, er¬ innere mich der Zeit, da man unsre Nabvbs noch nicht kannte, oder habe sie gar noch als gewöhnliche Makler von Haus zu Haus gehen sehen. Wie un¬ endlich kurz ist diese Zeit, wie gewaltsam müssen daher auch die Wirkungen sein! Anfangs merkte man dies wenig, denn die gesammte Nation wurde wohlhabender; die innern Zollschranken sielen, Großindustrie entstand, und Eisenbahnen be¬ deckten das Land. Aber es gab anch Pansen des Aufschwungs, Stockungen, Krisen. Das Nachdenken wurde angeregt, man bemerkte die tiefschwarzen Schlag¬ schatten, welche der übergroße Reichthum der einzelnen warf. Zahllose Federn kamen in Thätigkeit, die Ursachen wirthschaftlicher Uebelstände zu ergründen, und die Vollkommenheit der Verkehrsmittel gab Gelegenheit auch zum person-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/457>, abgerufen am 15.01.2025.