Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Unruh über Bismarck,

der österreichischen Partei gewesen. Das war vielmehr der Minister von Schleinitz,
der auch später noch viel mit den Oesterreichern verkehrte, ja dessen Salon ihr
Stelldichein war. Manteuffel war durchaus kein Parteigänger Oesterreichs, son¬
dern ein preußischer Offizier mit brennend rohalistischem Patriotismus. Sodann
aber sollte man meinen, wenn die Opposition, zu der Unruh gehörte, patriotisch
preußisch gedacht, wenn sie dein Dualismus in Deutschland ein Ende gemacht
zu sehen gewünscht, wenn sie die deutsche Idee durch Preußen verwirklichen ge¬
wollt hätte, so hätte sie, da sie wußte, daß Bismarck diesen Zweck verfolgte,
denselben unterstützen müssen, und dies hätte auch von ihrem liberalen Stand¬
punkte aus geschehen müssen, da ihr ferner bekannt war, daß ein Sieg über
Oesterreich "die conservative Partei wieder vom Staatsruder entfernen würde."
Sie hat das nicht gethan, sondern das Gegentheil. Sie ist unpatriotisch und incon-
sequent, unpolitisch und gegen ihr eignes Interesse verfahren, weil ihr stupider
Haß, der Haß gegen den vornehmeren Geist, der Haß der Mittelmäßigkeit gegen
das Genie, und ihre advocatenhafte Rechthaberei sie verblendeten.

Man mußte liberalcrseits, wenn man in der deutschen Sache praktische
Politik treiben wollte, für diese Sache, die nicht ohne Entfernung Oesterreichs
ans dem Vuude gefördert werden konnte, den König von Preußen gewinnen,
der Bedenken gegen einen Conflict mit Oesterreich hatte und darin von einem
Theile seiner Umgebung bestärkt wurde. Der König Wilhelm mußte allmählich
von der Nothwendigkeit eines Bruches mit der Wiener Politik und eines Ver¬
suches, Preußen allein an die Spitze der dentschen Staaten zu stellen, überzeugt
werden. Bismarck verfolgte diesen Zweck, und das Abgeordnetenhaus hätte dies
ebenfalls thun sollen; statt dessen stießen sie den König vor den Kopf, indem
sie ihm die Mittel zur Militärreorganisativn versagten, und nun fehlte ihnen
jeder archimedische Punkt zum Fußfassen für ihre Absichten, und sie hatten nichts
als den Wind ihrer Reden und ihre Einbildung, die ihnen vorspiegelte, sie
wären bedeutend.

Wenn Unruh endlich S. 19 sagt, Bismarck habe den Streit über die
Militärvorlage zu einem Verfassungsconflict gesteigert, er sei gegen die Oppo¬
sition provocatorisch aufgetreten, er habe sich fast in jeder Rede bemüht, sie
dnrch boshaften Witz aufzustacheln, alles mir, um sich der österreichisch gesinnten
Hofpartei gegenüber in Amt und Macht zu behaupten, und wenn er S. 20
dieselbe Anklage mit den Worten wiederholt: "Noch heute bin ich der Meinung,
daß Bismarck den Conflict gebrauchte und benutzte, um sich in seiner Stellung
zu erhalten und zu befestigen," so ist das geradezu eine Injurie, eine
grobe Unwahrheit, von derselben Verblendung eingegeben wie die ans
S. 16, nach welcher Bismarck von den Nationalvercinsgrvßcn "lediglich als
Repräsentant der Reaction" angesehen wurde. Der Minister wollte keine Re-
action, damals so wenig wie heute, wo man ihn dessen wieder beschuldigt.
Wäre es anders gewesen, so hätte er sie haben können. Unruh und Collegen


Gmizbvtm IV. 1831. öl
Unruh über Bismarck,

der österreichischen Partei gewesen. Das war vielmehr der Minister von Schleinitz,
der auch später noch viel mit den Oesterreichern verkehrte, ja dessen Salon ihr
Stelldichein war. Manteuffel war durchaus kein Parteigänger Oesterreichs, son¬
dern ein preußischer Offizier mit brennend rohalistischem Patriotismus. Sodann
aber sollte man meinen, wenn die Opposition, zu der Unruh gehörte, patriotisch
preußisch gedacht, wenn sie dein Dualismus in Deutschland ein Ende gemacht
zu sehen gewünscht, wenn sie die deutsche Idee durch Preußen verwirklichen ge¬
wollt hätte, so hätte sie, da sie wußte, daß Bismarck diesen Zweck verfolgte,
denselben unterstützen müssen, und dies hätte auch von ihrem liberalen Stand¬
punkte aus geschehen müssen, da ihr ferner bekannt war, daß ein Sieg über
Oesterreich „die conservative Partei wieder vom Staatsruder entfernen würde."
Sie hat das nicht gethan, sondern das Gegentheil. Sie ist unpatriotisch und incon-
sequent, unpolitisch und gegen ihr eignes Interesse verfahren, weil ihr stupider
Haß, der Haß gegen den vornehmeren Geist, der Haß der Mittelmäßigkeit gegen
das Genie, und ihre advocatenhafte Rechthaberei sie verblendeten.

Man mußte liberalcrseits, wenn man in der deutschen Sache praktische
Politik treiben wollte, für diese Sache, die nicht ohne Entfernung Oesterreichs
ans dem Vuude gefördert werden konnte, den König von Preußen gewinnen,
der Bedenken gegen einen Conflict mit Oesterreich hatte und darin von einem
Theile seiner Umgebung bestärkt wurde. Der König Wilhelm mußte allmählich
von der Nothwendigkeit eines Bruches mit der Wiener Politik und eines Ver¬
suches, Preußen allein an die Spitze der dentschen Staaten zu stellen, überzeugt
werden. Bismarck verfolgte diesen Zweck, und das Abgeordnetenhaus hätte dies
ebenfalls thun sollen; statt dessen stießen sie den König vor den Kopf, indem
sie ihm die Mittel zur Militärreorganisativn versagten, und nun fehlte ihnen
jeder archimedische Punkt zum Fußfassen für ihre Absichten, und sie hatten nichts
als den Wind ihrer Reden und ihre Einbildung, die ihnen vorspiegelte, sie
wären bedeutend.

Wenn Unruh endlich S. 19 sagt, Bismarck habe den Streit über die
Militärvorlage zu einem Verfassungsconflict gesteigert, er sei gegen die Oppo¬
sition provocatorisch aufgetreten, er habe sich fast in jeder Rede bemüht, sie
dnrch boshaften Witz aufzustacheln, alles mir, um sich der österreichisch gesinnten
Hofpartei gegenüber in Amt und Macht zu behaupten, und wenn er S. 20
dieselbe Anklage mit den Worten wiederholt: „Noch heute bin ich der Meinung,
daß Bismarck den Conflict gebrauchte und benutzte, um sich in seiner Stellung
zu erhalten und zu befestigen," so ist das geradezu eine Injurie, eine
grobe Unwahrheit, von derselben Verblendung eingegeben wie die ans
S. 16, nach welcher Bismarck von den Nationalvercinsgrvßcn „lediglich als
Repräsentant der Reaction" angesehen wurde. Der Minister wollte keine Re-
action, damals so wenig wie heute, wo man ihn dessen wieder beschuldigt.
Wäre es anders gewesen, so hätte er sie haben können. Unruh und Collegen


Gmizbvtm IV. 1831. öl
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0403" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/151125"/>
          <fw type="header" place="top"> Unruh über Bismarck,</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1330" prev="#ID_1329"> der österreichischen Partei gewesen. Das war vielmehr der Minister von Schleinitz,<lb/>
der auch später noch viel mit den Oesterreichern verkehrte, ja dessen Salon ihr<lb/>
Stelldichein war. Manteuffel war durchaus kein Parteigänger Oesterreichs, son¬<lb/>
dern ein preußischer Offizier mit brennend rohalistischem Patriotismus. Sodann<lb/>
aber sollte man meinen, wenn die Opposition, zu der Unruh gehörte, patriotisch<lb/>
preußisch gedacht, wenn sie dein Dualismus in Deutschland ein Ende gemacht<lb/>
zu sehen gewünscht, wenn sie die deutsche Idee durch Preußen verwirklichen ge¬<lb/>
wollt hätte, so hätte sie, da sie wußte, daß Bismarck diesen Zweck verfolgte,<lb/>
denselben unterstützen müssen, und dies hätte auch von ihrem liberalen Stand¬<lb/>
punkte aus geschehen müssen, da ihr ferner bekannt war, daß ein Sieg über<lb/>
Oesterreich &#x201E;die conservative Partei wieder vom Staatsruder entfernen würde."<lb/>
Sie hat das nicht gethan, sondern das Gegentheil. Sie ist unpatriotisch und incon-<lb/>
sequent, unpolitisch und gegen ihr eignes Interesse verfahren, weil ihr stupider<lb/>
Haß, der Haß gegen den vornehmeren Geist, der Haß der Mittelmäßigkeit gegen<lb/>
das Genie, und ihre advocatenhafte Rechthaberei sie verblendeten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1331"> Man mußte liberalcrseits, wenn man in der deutschen Sache praktische<lb/>
Politik treiben wollte, für diese Sache, die nicht ohne Entfernung Oesterreichs<lb/>
ans dem Vuude gefördert werden konnte, den König von Preußen gewinnen,<lb/>
der Bedenken gegen einen Conflict mit Oesterreich hatte und darin von einem<lb/>
Theile seiner Umgebung bestärkt wurde. Der König Wilhelm mußte allmählich<lb/>
von der Nothwendigkeit eines Bruches mit der Wiener Politik und eines Ver¬<lb/>
suches, Preußen allein an die Spitze der dentschen Staaten zu stellen, überzeugt<lb/>
werden. Bismarck verfolgte diesen Zweck, und das Abgeordnetenhaus hätte dies<lb/>
ebenfalls thun sollen; statt dessen stießen sie den König vor den Kopf, indem<lb/>
sie ihm die Mittel zur Militärreorganisativn versagten, und nun fehlte ihnen<lb/>
jeder archimedische Punkt zum Fußfassen für ihre Absichten, und sie hatten nichts<lb/>
als den Wind ihrer Reden und ihre Einbildung, die ihnen vorspiegelte, sie<lb/>
wären bedeutend.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1332" next="#ID_1333"> Wenn Unruh endlich S. 19 sagt, Bismarck habe den Streit über die<lb/>
Militärvorlage zu einem Verfassungsconflict gesteigert, er sei gegen die Oppo¬<lb/>
sition provocatorisch aufgetreten, er habe sich fast in jeder Rede bemüht, sie<lb/>
dnrch boshaften Witz aufzustacheln, alles mir, um sich der österreichisch gesinnten<lb/>
Hofpartei gegenüber in Amt und Macht zu behaupten, und wenn er S. 20<lb/>
dieselbe Anklage mit den Worten wiederholt: &#x201E;Noch heute bin ich der Meinung,<lb/>
daß Bismarck den Conflict gebrauchte und benutzte, um sich in seiner Stellung<lb/>
zu erhalten und zu befestigen," so ist das geradezu eine Injurie, eine<lb/>
grobe Unwahrheit, von derselben Verblendung eingegeben wie die ans<lb/>
S. 16, nach welcher Bismarck von den Nationalvercinsgrvßcn &#x201E;lediglich als<lb/>
Repräsentant der Reaction" angesehen wurde. Der Minister wollte keine Re-<lb/>
action, damals so wenig wie heute, wo man ihn dessen wieder beschuldigt.<lb/>
Wäre es anders gewesen, so hätte er sie haben können. Unruh und Collegen</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Gmizbvtm IV. 1831. öl</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0403] Unruh über Bismarck, der österreichischen Partei gewesen. Das war vielmehr der Minister von Schleinitz, der auch später noch viel mit den Oesterreichern verkehrte, ja dessen Salon ihr Stelldichein war. Manteuffel war durchaus kein Parteigänger Oesterreichs, son¬ dern ein preußischer Offizier mit brennend rohalistischem Patriotismus. Sodann aber sollte man meinen, wenn die Opposition, zu der Unruh gehörte, patriotisch preußisch gedacht, wenn sie dein Dualismus in Deutschland ein Ende gemacht zu sehen gewünscht, wenn sie die deutsche Idee durch Preußen verwirklichen ge¬ wollt hätte, so hätte sie, da sie wußte, daß Bismarck diesen Zweck verfolgte, denselben unterstützen müssen, und dies hätte auch von ihrem liberalen Stand¬ punkte aus geschehen müssen, da ihr ferner bekannt war, daß ein Sieg über Oesterreich „die conservative Partei wieder vom Staatsruder entfernen würde." Sie hat das nicht gethan, sondern das Gegentheil. Sie ist unpatriotisch und incon- sequent, unpolitisch und gegen ihr eignes Interesse verfahren, weil ihr stupider Haß, der Haß gegen den vornehmeren Geist, der Haß der Mittelmäßigkeit gegen das Genie, und ihre advocatenhafte Rechthaberei sie verblendeten. Man mußte liberalcrseits, wenn man in der deutschen Sache praktische Politik treiben wollte, für diese Sache, die nicht ohne Entfernung Oesterreichs ans dem Vuude gefördert werden konnte, den König von Preußen gewinnen, der Bedenken gegen einen Conflict mit Oesterreich hatte und darin von einem Theile seiner Umgebung bestärkt wurde. Der König Wilhelm mußte allmählich von der Nothwendigkeit eines Bruches mit der Wiener Politik und eines Ver¬ suches, Preußen allein an die Spitze der dentschen Staaten zu stellen, überzeugt werden. Bismarck verfolgte diesen Zweck, und das Abgeordnetenhaus hätte dies ebenfalls thun sollen; statt dessen stießen sie den König vor den Kopf, indem sie ihm die Mittel zur Militärreorganisativn versagten, und nun fehlte ihnen jeder archimedische Punkt zum Fußfassen für ihre Absichten, und sie hatten nichts als den Wind ihrer Reden und ihre Einbildung, die ihnen vorspiegelte, sie wären bedeutend. Wenn Unruh endlich S. 19 sagt, Bismarck habe den Streit über die Militärvorlage zu einem Verfassungsconflict gesteigert, er sei gegen die Oppo¬ sition provocatorisch aufgetreten, er habe sich fast in jeder Rede bemüht, sie dnrch boshaften Witz aufzustacheln, alles mir, um sich der österreichisch gesinnten Hofpartei gegenüber in Amt und Macht zu behaupten, und wenn er S. 20 dieselbe Anklage mit den Worten wiederholt: „Noch heute bin ich der Meinung, daß Bismarck den Conflict gebrauchte und benutzte, um sich in seiner Stellung zu erhalten und zu befestigen," so ist das geradezu eine Injurie, eine grobe Unwahrheit, von derselben Verblendung eingegeben wie die ans S. 16, nach welcher Bismarck von den Nationalvercinsgrvßcn „lediglich als Repräsentant der Reaction" angesehen wurde. Der Minister wollte keine Re- action, damals so wenig wie heute, wo man ihn dessen wieder beschuldigt. Wäre es anders gewesen, so hätte er sie haben können. Unruh und Collegen Gmizbvtm IV. 1831. öl

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/403
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/403>, abgerufen am 16.01.2025.