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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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Die Rmizlorkrisis.

auf der Quadratmeile lebten An diese Mißregierung erinnert sich der kleine
Mann noch, und damit wurden sie von den Aposteln des Fortschritts und der
Secession gefaßt nud vor mir gewarnt, und doch bin ichs gerade, ich allein, der
dem Kaiser gerathen hat, diesen Zuständen trotz dem Widerstreben der Junker-
Partei ein Ende zu machen.

Die solche und andre Wahllügen predigten, glcuiben aber selbst nicht daran.
Sie hassen mich, weil ich ein Junker bin und kein Professor, weil ich seit zwanzig
Jahren Münster bin und ihnen das zu lange gedauert hat. Ich bin als Junker
gehöre", aber meine Politik war, so lange ich dem König als Minister diene,
niemals eine Junkerpolitik. Ich bin auch nicht conservativ im Sinne der con-
servativen Partei. Das hat man bei vielen Gelegenheiten beobachten können,
z. B. bei dem Streit über das Schulaufsichtsgesetz, wo sie mich verließen, mich
mieden und mich mit Verleumdung anfeindeten. Ich bin in erster Linie Royalist,
dann ein guter Preuße und ein guter Deutscher. Dafür legt meine ganze Ver¬
gangenheit Zeugniß ab. . . . Jetzt benutzt mau meine Anhänglichkeit an den
Kaiser, mein entschlossenes Pflichtgefühl ihm gegenüber, mich weiter zu verdäch¬
tigen. Ich soll es mit meinem Rücktritt nicht ernsthaft meinen, den oder jenen
Zweck mit dessen Ankündigung verfolge", das Regieren soll mir ans Herz ge¬
wachsen sein u. tgi. in. Es kann aber anders kommen. Es kann heißen: Hier
habt ihr, was ihr wollt, hier ist das Heft, greift zu und versucht, was ihr
könnt. Es würde mir sehr schwer fallen, den Kaiser in seinem Alter zu ver¬
lasse". Aber ich tuum meine Ueberzeugung nicht aufgeben, und ich will keine
Wiederkehr der Conflietszeit. Ich verlange eine bessere Würdigung und Be¬
handlung.

Wie der Kanzler sich daraufhin die nächste Zukunft denkt, hat uns ein
kurzer Artikel der "Norddeutschen Allgemeinen Zeitung" gesagt, neben dem
ein ähnlicher in der "Kölnischen Zeitung" herging. Ich gebe erster" mich
seinem Sinne wieder und berichtige dabei einen Irrthum in der Kölnerin.
Nach dem genannten Berliner Blatte hat der Reichskanzler den Entschluß ge¬
faßt, eventuell vou seinem Amte zurückzutreten, ein Abschiedsgesuch aber weder
schriftlich beim Kaiser eingereicht noch mündlich ausgesprochen, sondern nur um
die Ermächtigung gebeten, mit den beiden Seiten der sich aus dem Centrum
und den Liberalen zusammensetzenden Mehrheit darüber zu verhandeln, ob sie
überhaupt vereint oder getrennt bereit sein würden, die Leitung der Rcichs-
regiernng in die Hand zu nehmen. Er glaubt hierüber eine Entscheidung Pro¬
vociren zu müssen, bevor er sich entschließt, sein Amt angesichts einer Majorität
weiterzuführen, deren Opposition sich wesentlich im Kampfe gegen seine Person
concentrirt. sein Wunsch ist, die Verantwortung für eine von unerwünschten
Krisen möglicherweise nicht freizuhaltende Minvritätsregiernng nicht zu über¬
nehmen, wenn die Gesammtheit oder eine Fraction der Majorität geneigt ist,
ihrerseits das Staatsschiff in sicheren Bahne" weiter zu führen. Die Ent-


Die Rmizlorkrisis.

auf der Quadratmeile lebten An diese Mißregierung erinnert sich der kleine
Mann noch, und damit wurden sie von den Aposteln des Fortschritts und der
Secession gefaßt nud vor mir gewarnt, und doch bin ichs gerade, ich allein, der
dem Kaiser gerathen hat, diesen Zuständen trotz dem Widerstreben der Junker-
Partei ein Ende zu machen.

Die solche und andre Wahllügen predigten, glcuiben aber selbst nicht daran.
Sie hassen mich, weil ich ein Junker bin und kein Professor, weil ich seit zwanzig
Jahren Münster bin und ihnen das zu lange gedauert hat. Ich bin als Junker
gehöre», aber meine Politik war, so lange ich dem König als Minister diene,
niemals eine Junkerpolitik. Ich bin auch nicht conservativ im Sinne der con-
servativen Partei. Das hat man bei vielen Gelegenheiten beobachten können,
z. B. bei dem Streit über das Schulaufsichtsgesetz, wo sie mich verließen, mich
mieden und mich mit Verleumdung anfeindeten. Ich bin in erster Linie Royalist,
dann ein guter Preuße und ein guter Deutscher. Dafür legt meine ganze Ver¬
gangenheit Zeugniß ab. . . . Jetzt benutzt mau meine Anhänglichkeit an den
Kaiser, mein entschlossenes Pflichtgefühl ihm gegenüber, mich weiter zu verdäch¬
tigen. Ich soll es mit meinem Rücktritt nicht ernsthaft meinen, den oder jenen
Zweck mit dessen Ankündigung verfolge», das Regieren soll mir ans Herz ge¬
wachsen sein u. tgi. in. Es kann aber anders kommen. Es kann heißen: Hier
habt ihr, was ihr wollt, hier ist das Heft, greift zu und versucht, was ihr
könnt. Es würde mir sehr schwer fallen, den Kaiser in seinem Alter zu ver¬
lasse». Aber ich tuum meine Ueberzeugung nicht aufgeben, und ich will keine
Wiederkehr der Conflietszeit. Ich verlange eine bessere Würdigung und Be¬
handlung.

Wie der Kanzler sich daraufhin die nächste Zukunft denkt, hat uns ein
kurzer Artikel der „Norddeutschen Allgemeinen Zeitung" gesagt, neben dem
ein ähnlicher in der „Kölnischen Zeitung" herging. Ich gebe erster» mich
seinem Sinne wieder und berichtige dabei einen Irrthum in der Kölnerin.
Nach dem genannten Berliner Blatte hat der Reichskanzler den Entschluß ge¬
faßt, eventuell vou seinem Amte zurückzutreten, ein Abschiedsgesuch aber weder
schriftlich beim Kaiser eingereicht noch mündlich ausgesprochen, sondern nur um
die Ermächtigung gebeten, mit den beiden Seiten der sich aus dem Centrum
und den Liberalen zusammensetzenden Mehrheit darüber zu verhandeln, ob sie
überhaupt vereint oder getrennt bereit sein würden, die Leitung der Rcichs-
regiernng in die Hand zu nehmen. Er glaubt hierüber eine Entscheidung Pro¬
vociren zu müssen, bevor er sich entschließt, sein Amt angesichts einer Majorität
weiterzuführen, deren Opposition sich wesentlich im Kampfe gegen seine Person
concentrirt. sein Wunsch ist, die Verantwortung für eine von unerwünschten
Krisen möglicherweise nicht freizuhaltende Minvritätsregiernng nicht zu über¬
nehmen, wenn die Gesammtheit oder eine Fraction der Majorität geneigt ist,
ihrerseits das Staatsschiff in sicheren Bahne» weiter zu führen. Die Ent-


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[0351] Die Rmizlorkrisis. auf der Quadratmeile lebten An diese Mißregierung erinnert sich der kleine Mann noch, und damit wurden sie von den Aposteln des Fortschritts und der Secession gefaßt nud vor mir gewarnt, und doch bin ichs gerade, ich allein, der dem Kaiser gerathen hat, diesen Zuständen trotz dem Widerstreben der Junker- Partei ein Ende zu machen. Die solche und andre Wahllügen predigten, glcuiben aber selbst nicht daran. Sie hassen mich, weil ich ein Junker bin und kein Professor, weil ich seit zwanzig Jahren Münster bin und ihnen das zu lange gedauert hat. Ich bin als Junker gehöre», aber meine Politik war, so lange ich dem König als Minister diene, niemals eine Junkerpolitik. Ich bin auch nicht conservativ im Sinne der con- servativen Partei. Das hat man bei vielen Gelegenheiten beobachten können, z. B. bei dem Streit über das Schulaufsichtsgesetz, wo sie mich verließen, mich mieden und mich mit Verleumdung anfeindeten. Ich bin in erster Linie Royalist, dann ein guter Preuße und ein guter Deutscher. Dafür legt meine ganze Ver¬ gangenheit Zeugniß ab. . . . Jetzt benutzt mau meine Anhänglichkeit an den Kaiser, mein entschlossenes Pflichtgefühl ihm gegenüber, mich weiter zu verdäch¬ tigen. Ich soll es mit meinem Rücktritt nicht ernsthaft meinen, den oder jenen Zweck mit dessen Ankündigung verfolge», das Regieren soll mir ans Herz ge¬ wachsen sein u. tgi. in. Es kann aber anders kommen. Es kann heißen: Hier habt ihr, was ihr wollt, hier ist das Heft, greift zu und versucht, was ihr könnt. Es würde mir sehr schwer fallen, den Kaiser in seinem Alter zu ver¬ lasse». Aber ich tuum meine Ueberzeugung nicht aufgeben, und ich will keine Wiederkehr der Conflietszeit. Ich verlange eine bessere Würdigung und Be¬ handlung. Wie der Kanzler sich daraufhin die nächste Zukunft denkt, hat uns ein kurzer Artikel der „Norddeutschen Allgemeinen Zeitung" gesagt, neben dem ein ähnlicher in der „Kölnischen Zeitung" herging. Ich gebe erster» mich seinem Sinne wieder und berichtige dabei einen Irrthum in der Kölnerin. Nach dem genannten Berliner Blatte hat der Reichskanzler den Entschluß ge¬ faßt, eventuell vou seinem Amte zurückzutreten, ein Abschiedsgesuch aber weder schriftlich beim Kaiser eingereicht noch mündlich ausgesprochen, sondern nur um die Ermächtigung gebeten, mit den beiden Seiten der sich aus dem Centrum und den Liberalen zusammensetzenden Mehrheit darüber zu verhandeln, ob sie überhaupt vereint oder getrennt bereit sein würden, die Leitung der Rcichs- regiernng in die Hand zu nehmen. Er glaubt hierüber eine Entscheidung Pro¬ vociren zu müssen, bevor er sich entschließt, sein Amt angesichts einer Majorität weiterzuführen, deren Opposition sich wesentlich im Kampfe gegen seine Person concentrirt. sein Wunsch ist, die Verantwortung für eine von unerwünschten Krisen möglicherweise nicht freizuhaltende Minvritätsregiernng nicht zu über¬ nehmen, wenn die Gesammtheit oder eine Fraction der Majorität geneigt ist, ihrerseits das Staatsschiff in sicheren Bahne» weiter zu führen. Die Ent-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/351>, abgerufen am 15.01.2025.