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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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Die Reichstagswahlen und der Reichskanzler.

ist auch nicht beim Centrum und noch weniger bei den Conservativen, wohl
aber bei eiuer Coalition dieser mit jenen, und einem solchen Zusammengehen
stehen zwar Schwierigkeiten verschiedner Art entgegen, aber absolut unmöglich
wäre es nicht, wenn von geschickter Hand die Wege zu einer Verständigung ge¬
ebnet würden. An eine Verständigung zwischen den Liberalen und dem Centrum
glauben wir so wenig wie an eine Verschmelzung von Wasser und Feuer. Da¬
gegen lehrt ein Beispiel aus der jüngsten Vergangenheit, daß die Politik, welche
das Centrum leitet, unter Umständen geneigt sein könnte, die Gunst der ihr durch
die Wahlen geschaffenen Lage nach der rechten Seite hin zu benutzen und sich
mit der Regierung und den Conservativen zu gemeinsamem Schaffen auf wirth¬
schaftlichem und socialem Gebiete zu verbinden, und nach Aeußeruugen des Hciupt-
vrgans der Partei könnte man annehmen, daß diese Neigung i" gewissem Maße
wirklich vorhanden wäre. Bekannt ist, daß das Centrum dem Reichskanzler schon
einmal bei der Ausführung seiner Reformpläne seine Unterstützung geliehen hat:
die Zollreform kam mit Zustimmung der Klerikalen zustande. Fürst Bismarck
würde eine solche Unterstützung auch diesmal nicht verschmähen. "Ich habe,"
sagte er, als er mit der wirthschaftlichen Reform begann, "positive praktische
Ziele, nach denen ich strebe, zu denen mir mitunter die Linke, mitunter die
Rechte geholfen hat, nach meinem Wunsche beide gemeinschaftlich helfen sollten.
Aber wer diese Ziele mit mir erstrebt, ob man sie sofort erreicht oder nach
jahrelanger gemeinschaftlicher Arbeit ihnen näher kommt und sie schließlich er¬
reicht, darauf kommt es so sehr nicht an -- ich gehe mit jedem, der mit den
Staats- und Landesinteressen nach meiner Ueberzeugung geht; die Fraction, der
er angehört, ist mir vollständig gleichgiltig."

Eine der "Politischen Correspondenz" aus Berlin von "sehr bemerkens¬
werther Seite" zugekommene Correspondenz sagte von der Situation: "Das
Centrum ist in der Vorhand und hat eine große Gelegenheit, die Klugheit seiner
Politischen Leitung zu zeigen. Wenn die Herren glauben sollten, als Sieger und
Herren der Situation dem Reichskanzler ihre Bedingungen dictiren zu können,
so werden sie Gelegenheit zum Lernen erhalten. Verstehen sie, die Gunst der
Umstände mit Mäßigung zu benutzen, Erreichbares von Unerreichbarem zu unter¬
scheiden, sogar Unwillkommenes zu fördern, um Werthvolleres zu erlangen, so
mögen sie die Rolle erhalten, welche zwölf Jahre lang die nationalliberale Partei
innegehabt hat, und mögen diese Rolle vielleicht mit weittragenden historischen
Wirkungen zum Nutzen des Vaterlandes und zum Heil ihrer Kirche in einem
Momente durchführen, dessen Bedeutung für Rom wohl nur wenige Centrnms-
mitglieder bis jetzt ahnen."

Darauf antwortete die "Germama" in einem Artikel, dessen Ausführungen
sich zum Theil recht wohl hören ließen. Nachdem das Blatt darauf hinge¬
wiesen, daß das Volk das "Niemals," welches der Kaiser auf das letzte Ab¬
schiedsgesuch des Kanzlers geschrieben, jetzt auf die Ankündigung von dessen Ruck-


Die Reichstagswahlen und der Reichskanzler.

ist auch nicht beim Centrum und noch weniger bei den Conservativen, wohl
aber bei eiuer Coalition dieser mit jenen, und einem solchen Zusammengehen
stehen zwar Schwierigkeiten verschiedner Art entgegen, aber absolut unmöglich
wäre es nicht, wenn von geschickter Hand die Wege zu einer Verständigung ge¬
ebnet würden. An eine Verständigung zwischen den Liberalen und dem Centrum
glauben wir so wenig wie an eine Verschmelzung von Wasser und Feuer. Da¬
gegen lehrt ein Beispiel aus der jüngsten Vergangenheit, daß die Politik, welche
das Centrum leitet, unter Umständen geneigt sein könnte, die Gunst der ihr durch
die Wahlen geschaffenen Lage nach der rechten Seite hin zu benutzen und sich
mit der Regierung und den Conservativen zu gemeinsamem Schaffen auf wirth¬
schaftlichem und socialem Gebiete zu verbinden, und nach Aeußeruugen des Hciupt-
vrgans der Partei könnte man annehmen, daß diese Neigung i» gewissem Maße
wirklich vorhanden wäre. Bekannt ist, daß das Centrum dem Reichskanzler schon
einmal bei der Ausführung seiner Reformpläne seine Unterstützung geliehen hat:
die Zollreform kam mit Zustimmung der Klerikalen zustande. Fürst Bismarck
würde eine solche Unterstützung auch diesmal nicht verschmähen. „Ich habe,"
sagte er, als er mit der wirthschaftlichen Reform begann, „positive praktische
Ziele, nach denen ich strebe, zu denen mir mitunter die Linke, mitunter die
Rechte geholfen hat, nach meinem Wunsche beide gemeinschaftlich helfen sollten.
Aber wer diese Ziele mit mir erstrebt, ob man sie sofort erreicht oder nach
jahrelanger gemeinschaftlicher Arbeit ihnen näher kommt und sie schließlich er¬
reicht, darauf kommt es so sehr nicht an — ich gehe mit jedem, der mit den
Staats- und Landesinteressen nach meiner Ueberzeugung geht; die Fraction, der
er angehört, ist mir vollständig gleichgiltig."

Eine der „Politischen Correspondenz" aus Berlin von „sehr bemerkens¬
werther Seite" zugekommene Correspondenz sagte von der Situation: „Das
Centrum ist in der Vorhand und hat eine große Gelegenheit, die Klugheit seiner
Politischen Leitung zu zeigen. Wenn die Herren glauben sollten, als Sieger und
Herren der Situation dem Reichskanzler ihre Bedingungen dictiren zu können,
so werden sie Gelegenheit zum Lernen erhalten. Verstehen sie, die Gunst der
Umstände mit Mäßigung zu benutzen, Erreichbares von Unerreichbarem zu unter¬
scheiden, sogar Unwillkommenes zu fördern, um Werthvolleres zu erlangen, so
mögen sie die Rolle erhalten, welche zwölf Jahre lang die nationalliberale Partei
innegehabt hat, und mögen diese Rolle vielleicht mit weittragenden historischen
Wirkungen zum Nutzen des Vaterlandes und zum Heil ihrer Kirche in einem
Momente durchführen, dessen Bedeutung für Rom wohl nur wenige Centrnms-
mitglieder bis jetzt ahnen."

Darauf antwortete die „Germama" in einem Artikel, dessen Ausführungen
sich zum Theil recht wohl hören ließen. Nachdem das Blatt darauf hinge¬
wiesen, daß das Volk das „Niemals," welches der Kaiser auf das letzte Ab¬
schiedsgesuch des Kanzlers geschrieben, jetzt auf die Ankündigung von dessen Ruck-


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[0311] Die Reichstagswahlen und der Reichskanzler. ist auch nicht beim Centrum und noch weniger bei den Conservativen, wohl aber bei eiuer Coalition dieser mit jenen, und einem solchen Zusammengehen stehen zwar Schwierigkeiten verschiedner Art entgegen, aber absolut unmöglich wäre es nicht, wenn von geschickter Hand die Wege zu einer Verständigung ge¬ ebnet würden. An eine Verständigung zwischen den Liberalen und dem Centrum glauben wir so wenig wie an eine Verschmelzung von Wasser und Feuer. Da¬ gegen lehrt ein Beispiel aus der jüngsten Vergangenheit, daß die Politik, welche das Centrum leitet, unter Umständen geneigt sein könnte, die Gunst der ihr durch die Wahlen geschaffenen Lage nach der rechten Seite hin zu benutzen und sich mit der Regierung und den Conservativen zu gemeinsamem Schaffen auf wirth¬ schaftlichem und socialem Gebiete zu verbinden, und nach Aeußeruugen des Hciupt- vrgans der Partei könnte man annehmen, daß diese Neigung i» gewissem Maße wirklich vorhanden wäre. Bekannt ist, daß das Centrum dem Reichskanzler schon einmal bei der Ausführung seiner Reformpläne seine Unterstützung geliehen hat: die Zollreform kam mit Zustimmung der Klerikalen zustande. Fürst Bismarck würde eine solche Unterstützung auch diesmal nicht verschmähen. „Ich habe," sagte er, als er mit der wirthschaftlichen Reform begann, „positive praktische Ziele, nach denen ich strebe, zu denen mir mitunter die Linke, mitunter die Rechte geholfen hat, nach meinem Wunsche beide gemeinschaftlich helfen sollten. Aber wer diese Ziele mit mir erstrebt, ob man sie sofort erreicht oder nach jahrelanger gemeinschaftlicher Arbeit ihnen näher kommt und sie schließlich er¬ reicht, darauf kommt es so sehr nicht an — ich gehe mit jedem, der mit den Staats- und Landesinteressen nach meiner Ueberzeugung geht; die Fraction, der er angehört, ist mir vollständig gleichgiltig." Eine der „Politischen Correspondenz" aus Berlin von „sehr bemerkens¬ werther Seite" zugekommene Correspondenz sagte von der Situation: „Das Centrum ist in der Vorhand und hat eine große Gelegenheit, die Klugheit seiner Politischen Leitung zu zeigen. Wenn die Herren glauben sollten, als Sieger und Herren der Situation dem Reichskanzler ihre Bedingungen dictiren zu können, so werden sie Gelegenheit zum Lernen erhalten. Verstehen sie, die Gunst der Umstände mit Mäßigung zu benutzen, Erreichbares von Unerreichbarem zu unter¬ scheiden, sogar Unwillkommenes zu fördern, um Werthvolleres zu erlangen, so mögen sie die Rolle erhalten, welche zwölf Jahre lang die nationalliberale Partei innegehabt hat, und mögen diese Rolle vielleicht mit weittragenden historischen Wirkungen zum Nutzen des Vaterlandes und zum Heil ihrer Kirche in einem Momente durchführen, dessen Bedeutung für Rom wohl nur wenige Centrnms- mitglieder bis jetzt ahnen." Darauf antwortete die „Germama" in einem Artikel, dessen Ausführungen sich zum Theil recht wohl hören ließen. Nachdem das Blatt darauf hinge¬ wiesen, daß das Volk das „Niemals," welches der Kaiser auf das letzte Ab¬ schiedsgesuch des Kanzlers geschrieben, jetzt auf die Ankündigung von dessen Ruck-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/311>, abgerufen am 15.01.2025.