Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.Zola und der Naturalismus auf dem Theater. den kleinsten Theil der heutigen französischen Bühnendichter. Er ist hauptsächlich Von besondrem Interesse muß, wie sich hiernach schon denken läßt, auch Zola und der Naturalismus auf dem Theater. den kleinsten Theil der heutigen französischen Bühnendichter. Er ist hauptsächlich Von besondrem Interesse muß, wie sich hiernach schon denken läßt, auch <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0300" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/151022"/> <fw type="header" place="top"> Zola und der Naturalismus auf dem Theater.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1011" prev="#ID_1010"> den kleinsten Theil der heutigen französischen Bühnendichter. Er ist hauptsächlich<lb/> gegen Angler gerichtet, während die andern gerade mit Vorliebe die sittlichen<lb/> Gebrechen und Laster der Pariser Gesellschaft auf die Bühne zu ziehen, freilich<lb/> sie dabei auch leider vielfach zu verschönern pflegen, wogegen Zola mit Recht<lb/> sich erhebt. Denn so selten auch immer die wahre Schilderung von Tugend<lb/> und Laster ein dem letztern schon zugeneigtes Gemüth zu bessern imstande sein<lb/> wird, so sicher wird dieses durch die geschminkte Darstellung des Lasters doch<lb/> darin noch bestärkt werden. Doch auch auf die sittlichen Wirkungen, die Photo-<lb/> graphisch treue Abbildung des wirklichen Lebens würde nur wenig zu rechnen<lb/> sein, da dieses selbst, obschon es, wie der stärkste Versucher, so auch der härteste<lb/> Lehrmeister ist, die Gesellschaft vor Korruption nicht zu sichern vermochte. Wo¬<lb/> gegen diejenigen Dichter, welche das Leben von seiner bessern Seite darstellen,<lb/> der Phantasie ihrer Hörer und Zuschauer wenigstens einen reineren Inhalt geben,<lb/> und hierdurch diese veredeln und läutern. Doch freilich die Phantasie! Von<lb/> ihr will ja Zola gerade weder im Leben uoch in der Kunst etwas wissen! Sie<lb/> soll ja gerade von der naturalistischen Schule durch das Wissen und die Er¬<lb/> kenntniß ersetzt werden! Er, der Mann der exacten Naturbeobachtung, der die<lb/> psychologische Untersuchung zur Grundlage der Poesie machen will, glaubt eine<lb/> der wichtigsten Kräfte des menschlichen Geistes aus der Thätigkeit derselben<lb/> eliminiren zu können — er weiß so wenig, daß sie, wie die vornehmste Kraft<lb/> des künstlerischen Schaffens und das wahre Gebiet der Kunst, so auch einer<lb/> der wichtigsten Hebel der Wissenschaft und der Pionier jedes geistigen Fort¬<lb/> schritts ist. „Träumen, heißt es bei ihm, das darstellen zu können, was sein<lb/> könnte, erscheint als ein kindisches Spiel, wenn man das darstellen kann, was<lb/> wirklich ist." Nach ihm ist das Wirkliche alles, es kann nie „etwas Gemeines<lb/> oder Schmähliches sein, da das Wirkliche ja die Welt macht." Als ob dies<lb/> dem einzelnen Wirklichen zugerechnet werden, als ob man das Wirkliche selbst<lb/> und als solches jemals nachahmen könnte! Als ob nur, weil darin alles gleich<lb/> wirklich, nichts in der Welt gut oder böse wäre und dem Guten und Bösen<lb/> nicht ebenfalls Wirklichkeit zukäme! Denn wenn anch, wie Hamlet sagt, nichts an<lb/> sich gut oder böse ist, sondern nur unser Denken es erst dazu macht, so ist es<lb/> in unserm Denken doch wirklich, und das Eine immer nur insofern da, als auch<lb/> das Andre da ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_1012" next="#ID_1013"> Von besondrem Interesse muß, wie sich hiernach schon denken läßt, auch<lb/> für uns der sich mit der Kritik und dem Publicum beschäftigende Abschnitt sein,<lb/> obscho» das, was er rügt, „bei uns ja nicht vorkommen kann." Zola constatirt<lb/> zunächst, daß es in Frankreich — man staune — eine andre Kritik für die<lb/> Träger berühmter literarischer Namen und die Schriftsteller von Einfluß als<lb/> für die neuen Debütanten giebt. Jene würden mit Wohlwollen, diese ohne Mit¬<lb/> leid behandelt. „Das übertriebene Lob der Kritik hat verschiedene Quellen, von<lb/> denen die hauptsächlichste» sind: Rücksicht auf erworbene Stellungen, Kameraderie,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0300]
Zola und der Naturalismus auf dem Theater.
den kleinsten Theil der heutigen französischen Bühnendichter. Er ist hauptsächlich
gegen Angler gerichtet, während die andern gerade mit Vorliebe die sittlichen
Gebrechen und Laster der Pariser Gesellschaft auf die Bühne zu ziehen, freilich
sie dabei auch leider vielfach zu verschönern pflegen, wogegen Zola mit Recht
sich erhebt. Denn so selten auch immer die wahre Schilderung von Tugend
und Laster ein dem letztern schon zugeneigtes Gemüth zu bessern imstande sein
wird, so sicher wird dieses durch die geschminkte Darstellung des Lasters doch
darin noch bestärkt werden. Doch auch auf die sittlichen Wirkungen, die Photo-
graphisch treue Abbildung des wirklichen Lebens würde nur wenig zu rechnen
sein, da dieses selbst, obschon es, wie der stärkste Versucher, so auch der härteste
Lehrmeister ist, die Gesellschaft vor Korruption nicht zu sichern vermochte. Wo¬
gegen diejenigen Dichter, welche das Leben von seiner bessern Seite darstellen,
der Phantasie ihrer Hörer und Zuschauer wenigstens einen reineren Inhalt geben,
und hierdurch diese veredeln und läutern. Doch freilich die Phantasie! Von
ihr will ja Zola gerade weder im Leben uoch in der Kunst etwas wissen! Sie
soll ja gerade von der naturalistischen Schule durch das Wissen und die Er¬
kenntniß ersetzt werden! Er, der Mann der exacten Naturbeobachtung, der die
psychologische Untersuchung zur Grundlage der Poesie machen will, glaubt eine
der wichtigsten Kräfte des menschlichen Geistes aus der Thätigkeit derselben
eliminiren zu können — er weiß so wenig, daß sie, wie die vornehmste Kraft
des künstlerischen Schaffens und das wahre Gebiet der Kunst, so auch einer
der wichtigsten Hebel der Wissenschaft und der Pionier jedes geistigen Fort¬
schritts ist. „Träumen, heißt es bei ihm, das darstellen zu können, was sein
könnte, erscheint als ein kindisches Spiel, wenn man das darstellen kann, was
wirklich ist." Nach ihm ist das Wirkliche alles, es kann nie „etwas Gemeines
oder Schmähliches sein, da das Wirkliche ja die Welt macht." Als ob dies
dem einzelnen Wirklichen zugerechnet werden, als ob man das Wirkliche selbst
und als solches jemals nachahmen könnte! Als ob nur, weil darin alles gleich
wirklich, nichts in der Welt gut oder böse wäre und dem Guten und Bösen
nicht ebenfalls Wirklichkeit zukäme! Denn wenn anch, wie Hamlet sagt, nichts an
sich gut oder böse ist, sondern nur unser Denken es erst dazu macht, so ist es
in unserm Denken doch wirklich, und das Eine immer nur insofern da, als auch
das Andre da ist.
Von besondrem Interesse muß, wie sich hiernach schon denken läßt, auch
für uns der sich mit der Kritik und dem Publicum beschäftigende Abschnitt sein,
obscho» das, was er rügt, „bei uns ja nicht vorkommen kann." Zola constatirt
zunächst, daß es in Frankreich — man staune — eine andre Kritik für die
Träger berühmter literarischer Namen und die Schriftsteller von Einfluß als
für die neuen Debütanten giebt. Jene würden mit Wohlwollen, diese ohne Mit¬
leid behandelt. „Das übertriebene Lob der Kritik hat verschiedene Quellen, von
denen die hauptsächlichste» sind: Rücksicht auf erworbene Stellungen, Kameraderie,
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