Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.Skizzen aus unserm heutigen Volksleben, Auch dem Herrn Baron ist es "positiv unerfindlich," was die Leute für einen "Lieber Gott, meinte der Herr Baron, was ist da zu machen? Die Leute t?, ^, Skizzen aus unserm heutigen Volksleben, Auch dem Herrn Baron ist es „positiv unerfindlich," was die Leute für einen „Lieber Gott, meinte der Herr Baron, was ist da zu machen? Die Leute t?, ^, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0295" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/151017"/> <fw type="header" place="top"> Skizzen aus unserm heutigen Volksleben,</fw><lb/> <p xml:id="ID_1002"> Auch dem Herrn Baron ist es „positiv unerfindlich," was die Leute für einen<lb/> Gefallen am Stehlen haben. Als er das Gut von seinem Herrn Vater »vernahm,<lb/> meinte er, es sei die höchste Zeit, daß die Wirthschaft seines Gutes zeitgemäß<lb/> reformirt werde. Er hatte in Tharandt studirt und trachtete darnach, die extensive<lb/> in eine intensive Bewirthschaftung umzuwandeln. Die Kartvffclplänc, welche die<lb/> Leute früher hatten, und welche vom Gute bestellt wurden, kamen in Wegfall,<lb/> Die Arbeiter wurden auf Geldlohn gestellt. Zwei Mark Tagelohn klang sehr an¬<lb/> sehnlich. Freilich wurden nur die gearbeiteten Stunden bezahlt; im Winter, wenn<lb/> die Arbeit ruhte, gab es nichts. Auch der Detailverkauf wurde gänzlich eingestellt<lb/> und alles an bestimmte Händler nach auswärts abgefahren. Ans dem Gute war<lb/> nicht eine Kartoffel, nicht ein Stückchen Butter zu haben. Um der Bernntrenuug<lb/> vorzubeugen, waren die Arbeiter verpflichtet, sich weder ein Huhn noch ein Schwein<lb/> zu halten. Nach diesen Gesichtspunkten gab der Herr Baron, der häufig abwesend<lb/> war, seine Direktive, und der Herr Inspektor führte sie schneidig durch. Die Wirth¬<lb/> schaft gestaltete sich zu einem Muster für die ganze Umgegend, „Barons" mußten<lb/> mit Bestellung und Ernte stets zuerst fertig sein, das war Ehrensache, Daß<lb/> die Leute dabei uicht geschont werden konnten, war natürlich. „Lieber Gott, das<lb/> ist einmal so, die Leute mögen sich fügen oder gehen, ans Sentimentalitäten kann<lb/> man sich nicht einlassen," Die Freizügigkeit kam diesem System zu statten. Die<lb/> guten, aber in ihren Anforderungen hartnäckigen Elemente zogen fort, und statt<lb/> dessen siedelte sich jenes ländliche Zigeuncrthum an, das noch eine Stufe tiefer steht<lb/> als das Volk der Fabrikarbeiter, Es sind Leute, die ohne Besitz, ohne Hausrath,<lb/> ohne Orts- oder Landcszugehörigkeit hin- und herziehen, und deren verwahrloste<lb/> Kinder den Schrecken aller Lehrer bilden. Diese Leute fingen bald an, tonangebend<lb/> in Unterdorf zu werden. Der Krämer, der lauter schlechte Waare zu theurem<lb/> Preise feil hält, und die drei Schänkwirthe standen sich gilt dabei, die Armenkasse<lb/> desto schlechter, Natürlich reichten die zwei Mark Tagelohn lauge nicht so weit<lb/> als die frühere Naturalleistung; Frau und Kinder mußten ebenfalls auf die Arbeit,<lb/> So verlumpte das Hauswesen und der Mann gewöhnte sich an die Schenke, Man<lb/> frühstückte theuer, kleidete sich theuer, weil mau beim Juden im Magazin billig<lb/> kaufte, und der Sonnabend verschlang einen großen Theil des Lohnes im voraus.<lb/> Damit war der Vortheil abermals verloren, das Stehlen begann, und die innerlich<lb/> haltlosen, durch manches böse Beispiel bereits verdorbenen Leute brachten es darin<lb/> zu großer Virtuosität, Der Baron ließ einstecken, wen er erwischte, aber die<lb/> aus dem Gefängniß zurückkehrenden waren erst recht schlecht geworden und kannten<lb/> nun gar keine Scheu mehr. Diese Leute bildeten die Majorität in Unterdorf und<lb/> gaben den Ton an, während die besseren Elemente sich nachziehen ließen,</p><lb/> <p xml:id="ID_1003"> „Lieber Gott, meinte der Herr Baron, was ist da zu machen? Die Leute<lb/> sind selbst schuld daran," Aber entsetzt war er doch, als die ganze Gesellschaft<lb/> neulich radiant gewählt hatte, trotz der Vertheilung so vortrefflicher Flugschriften<lb/> und trotz der zwingenden Gründe, die darin entwickelt waren, „Ist mir positiv<lb/> unerfindlich," sagte der Herr Baron,</p><lb/> <note type="byline"> t?, ^,</note><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0295]
Skizzen aus unserm heutigen Volksleben,
Auch dem Herrn Baron ist es „positiv unerfindlich," was die Leute für einen
Gefallen am Stehlen haben. Als er das Gut von seinem Herrn Vater »vernahm,
meinte er, es sei die höchste Zeit, daß die Wirthschaft seines Gutes zeitgemäß
reformirt werde. Er hatte in Tharandt studirt und trachtete darnach, die extensive
in eine intensive Bewirthschaftung umzuwandeln. Die Kartvffclplänc, welche die
Leute früher hatten, und welche vom Gute bestellt wurden, kamen in Wegfall,
Die Arbeiter wurden auf Geldlohn gestellt. Zwei Mark Tagelohn klang sehr an¬
sehnlich. Freilich wurden nur die gearbeiteten Stunden bezahlt; im Winter, wenn
die Arbeit ruhte, gab es nichts. Auch der Detailverkauf wurde gänzlich eingestellt
und alles an bestimmte Händler nach auswärts abgefahren. Ans dem Gute war
nicht eine Kartoffel, nicht ein Stückchen Butter zu haben. Um der Bernntrenuug
vorzubeugen, waren die Arbeiter verpflichtet, sich weder ein Huhn noch ein Schwein
zu halten. Nach diesen Gesichtspunkten gab der Herr Baron, der häufig abwesend
war, seine Direktive, und der Herr Inspektor führte sie schneidig durch. Die Wirth¬
schaft gestaltete sich zu einem Muster für die ganze Umgegend, „Barons" mußten
mit Bestellung und Ernte stets zuerst fertig sein, das war Ehrensache, Daß
die Leute dabei uicht geschont werden konnten, war natürlich. „Lieber Gott, das
ist einmal so, die Leute mögen sich fügen oder gehen, ans Sentimentalitäten kann
man sich nicht einlassen," Die Freizügigkeit kam diesem System zu statten. Die
guten, aber in ihren Anforderungen hartnäckigen Elemente zogen fort, und statt
dessen siedelte sich jenes ländliche Zigeuncrthum an, das noch eine Stufe tiefer steht
als das Volk der Fabrikarbeiter, Es sind Leute, die ohne Besitz, ohne Hausrath,
ohne Orts- oder Landcszugehörigkeit hin- und herziehen, und deren verwahrloste
Kinder den Schrecken aller Lehrer bilden. Diese Leute fingen bald an, tonangebend
in Unterdorf zu werden. Der Krämer, der lauter schlechte Waare zu theurem
Preise feil hält, und die drei Schänkwirthe standen sich gilt dabei, die Armenkasse
desto schlechter, Natürlich reichten die zwei Mark Tagelohn lauge nicht so weit
als die frühere Naturalleistung; Frau und Kinder mußten ebenfalls auf die Arbeit,
So verlumpte das Hauswesen und der Mann gewöhnte sich an die Schenke, Man
frühstückte theuer, kleidete sich theuer, weil mau beim Juden im Magazin billig
kaufte, und der Sonnabend verschlang einen großen Theil des Lohnes im voraus.
Damit war der Vortheil abermals verloren, das Stehlen begann, und die innerlich
haltlosen, durch manches böse Beispiel bereits verdorbenen Leute brachten es darin
zu großer Virtuosität, Der Baron ließ einstecken, wen er erwischte, aber die
aus dem Gefängniß zurückkehrenden waren erst recht schlecht geworden und kannten
nun gar keine Scheu mehr. Diese Leute bildeten die Majorität in Unterdorf und
gaben den Ton an, während die besseren Elemente sich nachziehen ließen,
„Lieber Gott, meinte der Herr Baron, was ist da zu machen? Die Leute
sind selbst schuld daran," Aber entsetzt war er doch, als die ganze Gesellschaft
neulich radiant gewählt hatte, trotz der Vertheilung so vortrefflicher Flugschriften
und trotz der zwingenden Gründe, die darin entwickelt waren, „Ist mir positiv
unerfindlich," sagte der Herr Baron,
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