Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.Skizzen ans unserm heutigen Volksleben. während in benachbarten Ortschaften wenig desgleichen hervortritt -- "so hat die Ich habe den alten Pastor emsritus von Ober- und Unterdorf gekannt, der Diese Vorgänge kannte jedermann und hatte nichts dagegen. Leben und leben Nun fing aber Schwiebns an, Oberdorf auszulaufen, hier einen Hof, der Nun bedarf aber der kleine Landwirth ein gewisses Minimum von Land, um über¬ So waren in Oberdorf die größern Besitze zerbröckelt und die kleinern zum Skizzen ans unserm heutigen Volksleben. während in benachbarten Ortschaften wenig desgleichen hervortritt — „so hat die Ich habe den alten Pastor emsritus von Ober- und Unterdorf gekannt, der Diese Vorgänge kannte jedermann und hatte nichts dagegen. Leben und leben Nun fing aber Schwiebns an, Oberdorf auszulaufen, hier einen Hof, der Nun bedarf aber der kleine Landwirth ein gewisses Minimum von Land, um über¬ So waren in Oberdorf die größern Besitze zerbröckelt und die kleinern zum <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0293" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/151015"/> <fw type="header" place="top"> Skizzen ans unserm heutigen Volksleben.</fw><lb/> <p xml:id="ID_991" prev="#ID_990"> während in benachbarten Ortschaften wenig desgleichen hervortritt — „so hat die<lb/> Schule nicht ihre Schuldigkeit gethan." sagt die öffentliche Meinung. Mau darf<lb/> aber den Einfluß der Schule nicht überschätzen. Verhältnisse sind zwingendere<lb/> Gründe als Worte; schließlich behält doch die häusliche Gewohnheit Recht.</p><lb/> <p xml:id="ID_992"> Ich habe den alten Pastor emsritus von Ober- und Unterdorf gekannt, der<lb/> bis vor kurzem in Halle lebte. Er hat mir unter manchem Seufzer die Geschichte<lb/> seiner beiden Orte erzählt. Vor einem Menschenalter waren beides ein paar stille,<lb/> ordentliche Dörfer. In Uuterdorf hatte der Baron Kraushaar sein Gut, das ucich<lb/> alter Väter Weise bewirthschaftet wurde. Ob dabei die höchsten Erträge erzielt<lb/> wurden, bezweifle ich, aber Herr und Knecht befanden sich wohl dabei. In Ober¬<lb/> dorf gab es ein paar Großbauern und eine größere Zahl Anspänner und Kvssathen.<lb/> Das benachbarte, allerdings im andern Kreise gelegene Stiftsgnt war an den Amt¬<lb/> mann Schwiebns verpachtet, mit der Bedingung, in der Nähe eignen Besitz nicht<lb/> erwerben zu dürfen. Es ging seinerzeit das Gerücht einer ärgerlichen Geschichte<lb/> zwischen dem Amtmann Schwiebns und dem Administrator; es sollten sich damals<lb/> ein Paar Kutschpferde auf den Hof des letztgenannten verlaufen und derselbe bald<lb/> darauf unbegreiflicher Weise übersehen haben, daß Obersdorf, obwohl im fremden<lb/> Kreise gelegen, doch flurbenachbart vom Stiftsgute sei. Demgemäß erhielt der<lb/> Amtmann die Erlaubniß, ein Bauerngut in Oberdorf zu kaufen, das überraschend<lb/> schnell fett wurde und sich von Jahr zu Jahr vergrößerte. Schließlich gab der<lb/> Amtmann die Pachtung auf und zog uns sein Gut.</p><lb/> <p xml:id="ID_993"> Diese Vorgänge kannte jedermann und hatte nichts dagegen. Leben und leben<lb/> lassen! Das Stift ist noch dazu ein kirchliches Institut, und — „vom Altare kann<lb/> mein's ja nehmen!" Hält sich doch jeder Maurer für berechtigt, der Kirche gegen¬<lb/> über höhere. Preise zu machen und jeder Bauer für berechtigt, zu Schleuderpreisen<lb/> zu pachten, denn „vom Altare kann man's ja nehmen."</p><lb/> <p xml:id="ID_994"> Nun fing aber Schwiebns an, Oberdorf auszulaufen, hier einen Hof, der<lb/> erbtheilungshalber zu haben war, dort einen andern, dessen Besitzer in der Geld¬<lb/> klemme saß. Jeder Morgen Acker, der mit List, Ueberredung und Ausdauer zu<lb/> erreichen war, wurde gekauft und am Ende auch nicht zu gering bezahlt. In die<lb/> erhandelten Häuser aber setzte er seine Arbeiter. Gegen die Loyalität dieses Ver¬<lb/> fahrens war nichts einzuwenden, wenn auch hie und da behauptet wurde, daß der<lb/> reiche Schwiebns .auf die armen Kosfathcn und Hamster eine unbillige Pression<lb/> ausübe. Genug, sie verkauften ihr Land, und der Amtmann kaufte, es.</p><lb/> <p xml:id="ID_995"> Nun bedarf aber der kleine Landwirth ein gewisses Minimum von Land, um über¬<lb/> haupt existiren zu können, nehmen wir ain sechzehn Morgen. Hat er dies Minimum<lb/> nicht, so hilft ihm auch der Besitz von etlichen hundert Thalern nichts. Er braucht<lb/> Futter und kann für Geld kein Futter kaufen, weil es nicht feil und weil es viel<lb/> zu theuer ist. Tritt nun der Fall ein, daß ein solcher kleiner Mann, der von<lb/> Schulden gedrückt und mit Steuern belastet ist, Unglück, Krankheit im Hause, Bieh-<lb/> sterbeu, schlechte Ernte hat, so muß er verkaufen und sinkt uuter das zur Existenz<lb/> nöthige Minimum an Ackerbesitz. Jetzt ist es ihm unmöglich, die für seine. Wirth¬<lb/> schaft erforderliche Quantität an Körnern und Futter zu ziehen. Kuh und Schwein<lb/> wollen ihr Futter haben — da fängt er an zu ernten, wo er nicht gesät hat, und<lb/> hält sich dazu uach dem Gesetze des Zwanges für berechtigt. Sein Vieh will leben,<lb/> und er auch. Ist das aber erst an ein Paar Stellen eingerissen, so ist kein Halten<lb/> mehr, einer berust sich auf den andern. Am Ende bildet sich das Volk seine Real-<lb/> Ethik selber.</p><lb/> <p xml:id="ID_996" next="#ID_997"> So waren in Oberdorf die größern Besitze zerbröckelt und die kleinern zum</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0293]
Skizzen ans unserm heutigen Volksleben.
während in benachbarten Ortschaften wenig desgleichen hervortritt — „so hat die
Schule nicht ihre Schuldigkeit gethan." sagt die öffentliche Meinung. Mau darf
aber den Einfluß der Schule nicht überschätzen. Verhältnisse sind zwingendere
Gründe als Worte; schließlich behält doch die häusliche Gewohnheit Recht.
Ich habe den alten Pastor emsritus von Ober- und Unterdorf gekannt, der
bis vor kurzem in Halle lebte. Er hat mir unter manchem Seufzer die Geschichte
seiner beiden Orte erzählt. Vor einem Menschenalter waren beides ein paar stille,
ordentliche Dörfer. In Uuterdorf hatte der Baron Kraushaar sein Gut, das ucich
alter Väter Weise bewirthschaftet wurde. Ob dabei die höchsten Erträge erzielt
wurden, bezweifle ich, aber Herr und Knecht befanden sich wohl dabei. In Ober¬
dorf gab es ein paar Großbauern und eine größere Zahl Anspänner und Kvssathen.
Das benachbarte, allerdings im andern Kreise gelegene Stiftsgnt war an den Amt¬
mann Schwiebns verpachtet, mit der Bedingung, in der Nähe eignen Besitz nicht
erwerben zu dürfen. Es ging seinerzeit das Gerücht einer ärgerlichen Geschichte
zwischen dem Amtmann Schwiebns und dem Administrator; es sollten sich damals
ein Paar Kutschpferde auf den Hof des letztgenannten verlaufen und derselbe bald
darauf unbegreiflicher Weise übersehen haben, daß Obersdorf, obwohl im fremden
Kreise gelegen, doch flurbenachbart vom Stiftsgute sei. Demgemäß erhielt der
Amtmann die Erlaubniß, ein Bauerngut in Oberdorf zu kaufen, das überraschend
schnell fett wurde und sich von Jahr zu Jahr vergrößerte. Schließlich gab der
Amtmann die Pachtung auf und zog uns sein Gut.
Diese Vorgänge kannte jedermann und hatte nichts dagegen. Leben und leben
lassen! Das Stift ist noch dazu ein kirchliches Institut, und — „vom Altare kann
mein's ja nehmen!" Hält sich doch jeder Maurer für berechtigt, der Kirche gegen¬
über höhere. Preise zu machen und jeder Bauer für berechtigt, zu Schleuderpreisen
zu pachten, denn „vom Altare kann man's ja nehmen."
Nun fing aber Schwiebns an, Oberdorf auszulaufen, hier einen Hof, der
erbtheilungshalber zu haben war, dort einen andern, dessen Besitzer in der Geld¬
klemme saß. Jeder Morgen Acker, der mit List, Ueberredung und Ausdauer zu
erreichen war, wurde gekauft und am Ende auch nicht zu gering bezahlt. In die
erhandelten Häuser aber setzte er seine Arbeiter. Gegen die Loyalität dieses Ver¬
fahrens war nichts einzuwenden, wenn auch hie und da behauptet wurde, daß der
reiche Schwiebns .auf die armen Kosfathcn und Hamster eine unbillige Pression
ausübe. Genug, sie verkauften ihr Land, und der Amtmann kaufte, es.
Nun bedarf aber der kleine Landwirth ein gewisses Minimum von Land, um über¬
haupt existiren zu können, nehmen wir ain sechzehn Morgen. Hat er dies Minimum
nicht, so hilft ihm auch der Besitz von etlichen hundert Thalern nichts. Er braucht
Futter und kann für Geld kein Futter kaufen, weil es nicht feil und weil es viel
zu theuer ist. Tritt nun der Fall ein, daß ein solcher kleiner Mann, der von
Schulden gedrückt und mit Steuern belastet ist, Unglück, Krankheit im Hause, Bieh-
sterbeu, schlechte Ernte hat, so muß er verkaufen und sinkt uuter das zur Existenz
nöthige Minimum an Ackerbesitz. Jetzt ist es ihm unmöglich, die für seine. Wirth¬
schaft erforderliche Quantität an Körnern und Futter zu ziehen. Kuh und Schwein
wollen ihr Futter haben — da fängt er an zu ernten, wo er nicht gesät hat, und
hält sich dazu uach dem Gesetze des Zwanges für berechtigt. Sein Vieh will leben,
und er auch. Ist das aber erst an ein Paar Stellen eingerissen, so ist kein Halten
mehr, einer berust sich auf den andern. Am Ende bildet sich das Volk seine Real-
Ethik selber.
So waren in Oberdorf die größern Besitze zerbröckelt und die kleinern zum
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