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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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sichtbar ist, wenn auch vielleicht nicht später als "Venus und Adonis," so doch
um vieles später als "Titus Andronicus" geschrieben ist und das in vieler
Beziehung so entschieden auf italienische Vorbilder zurückweisende Lustspiel "Die
bezähmte Widerspenstige" kaum vor 1594 entstanden sein dürfte, während das
bereits erwähnte, unzweifelhaft frühere Stück "Verlorne Liebesmüh" sich schon
fast wie eine Absage an die darin parodirte italienische Couecttimanier und den
Enphuismus der italienisirenden höfischen Schule ausnimmt, Ueberhaupt be¬
schränkt sich der Einfluß der Renaissnuee bei Shakespeare im Drama immer
nur auf die Sprache, deu Ausdruck und die Charakterzeichnung. Was dagegen
die Composition und Structur des Dramas, was die Behandlung der Scene
betrifft, so steht er darin jederzeit ganz auf dem Boden der nationalen Ueber-
lieferung, nur daß er die hier überlieferten Formen zu einem bisher ganz un¬
geahnten Reichthum entwickelt hat. Wenn in einigen seiner früheren Dramen
der italienische Geschmack dominirt, wenn er darin von diesem noch mehr be¬
herrscht erscheint, als daß er ihn selber beherrschte, so stellt sich in andern doch
schon das umgekehrte Verhältniß dar, bis das aus der Renaissnnccdichtung ge¬
wonnene Formgefühl endlich ganz in den nationalen Formen aufgegangen und
diese dadurch verklärt und geläutert erscheinen.

Es ist also kein Zweifel, daß Shakespeare früher einzelne Werke in dem
Geschmack und der Form der nationalen Bühne schrieb, als die Renaissance
auf ihn Einfluß gewann, daß längere Zeit Arbeiten der einen und andern
Richtung bei ihm nebeneinander herliefen, daß er die Formen beider gelegentlich
miteinander zu verbinden suchte und diese Verbindung zum Theil noch eine nur
äußerliche blieb, wofür "Romeo und Julia" und "Die bezähmte Widerspäustige"
als Beispiele dienen mögen. Denn in dem erstgenannten Stücke sehen wir ihn
neben dem italienischen Sonett und dem im Geiste der Epithalamicn gedichteten
Monologe vor der Brautnacht das nationale Tagclied in Anwendung bringen,
in letzterem aber um das nach dein Muster der älteren italienischen Lustspiele
gearbeitete Hauptstück sich die den alten nationalen Dntorluäv verwandten Vvr-
und Zwischenspiele ranken.

Nicht minder spricht für diese Verhältnisse der volksthümliche Charakter,
welcher sich an der Behandlung des Shakespearischen Dramas fast durchgehend
beobachten läßt. Aus zwei verschiedenen Quellen schöpfte der Dichter bei seinem
poetischen Schaffen: ans der Natur und dem Leben und aus den poetischen und
wissenschaftlichen Werken der Zeit. Von diesen kamen ihm neben den nationalen
und volksthümlichen ausschließlich die classischen und italienischen Anregungen
lind Einflüsse. Von jenen zwar nur die ersteren, aber diese in voller Unmittel¬
barkeit und Frische. Sie sind es, die seinen Werken den quellenden frischen
Naturreiz, den wunderbaren Zauber der Ursprünglichkeit geben. Dem Verfasser
der vorliegenden Schrift hat dieses Moment nicht entgehen können. Er legt
gegen den Schluß hin sogar das größte Gewicht darauf. "Was seine (Shakespeares)


sichtbar ist, wenn auch vielleicht nicht später als „Venus und Adonis," so doch
um vieles später als „Titus Andronicus" geschrieben ist und das in vieler
Beziehung so entschieden auf italienische Vorbilder zurückweisende Lustspiel „Die
bezähmte Widerspenstige" kaum vor 1594 entstanden sein dürfte, während das
bereits erwähnte, unzweifelhaft frühere Stück „Verlorne Liebesmüh" sich schon
fast wie eine Absage an die darin parodirte italienische Couecttimanier und den
Enphuismus der italienisirenden höfischen Schule ausnimmt, Ueberhaupt be¬
schränkt sich der Einfluß der Renaissnuee bei Shakespeare im Drama immer
nur auf die Sprache, deu Ausdruck und die Charakterzeichnung. Was dagegen
die Composition und Structur des Dramas, was die Behandlung der Scene
betrifft, so steht er darin jederzeit ganz auf dem Boden der nationalen Ueber-
lieferung, nur daß er die hier überlieferten Formen zu einem bisher ganz un¬
geahnten Reichthum entwickelt hat. Wenn in einigen seiner früheren Dramen
der italienische Geschmack dominirt, wenn er darin von diesem noch mehr be¬
herrscht erscheint, als daß er ihn selber beherrschte, so stellt sich in andern doch
schon das umgekehrte Verhältniß dar, bis das aus der Renaissnnccdichtung ge¬
wonnene Formgefühl endlich ganz in den nationalen Formen aufgegangen und
diese dadurch verklärt und geläutert erscheinen.

Es ist also kein Zweifel, daß Shakespeare früher einzelne Werke in dem
Geschmack und der Form der nationalen Bühne schrieb, als die Renaissance
auf ihn Einfluß gewann, daß längere Zeit Arbeiten der einen und andern
Richtung bei ihm nebeneinander herliefen, daß er die Formen beider gelegentlich
miteinander zu verbinden suchte und diese Verbindung zum Theil noch eine nur
äußerliche blieb, wofür „Romeo und Julia" und „Die bezähmte Widerspäustige"
als Beispiele dienen mögen. Denn in dem erstgenannten Stücke sehen wir ihn
neben dem italienischen Sonett und dem im Geiste der Epithalamicn gedichteten
Monologe vor der Brautnacht das nationale Tagclied in Anwendung bringen,
in letzterem aber um das nach dein Muster der älteren italienischen Lustspiele
gearbeitete Hauptstück sich die den alten nationalen Dntorluäv verwandten Vvr-
und Zwischenspiele ranken.

Nicht minder spricht für diese Verhältnisse der volksthümliche Charakter,
welcher sich an der Behandlung des Shakespearischen Dramas fast durchgehend
beobachten läßt. Aus zwei verschiedenen Quellen schöpfte der Dichter bei seinem
poetischen Schaffen: ans der Natur und dem Leben und aus den poetischen und
wissenschaftlichen Werken der Zeit. Von diesen kamen ihm neben den nationalen
und volksthümlichen ausschließlich die classischen und italienischen Anregungen
lind Einflüsse. Von jenen zwar nur die ersteren, aber diese in voller Unmittel¬
barkeit und Frische. Sie sind es, die seinen Werken den quellenden frischen
Naturreiz, den wunderbaren Zauber der Ursprünglichkeit geben. Dem Verfasser
der vorliegenden Schrift hat dieses Moment nicht entgehen können. Er legt
gegen den Schluß hin sogar das größte Gewicht darauf. „Was seine (Shakespeares)


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/252>, abgerufen am 15.01.2025.