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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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häusliches Leben in Skandinavien im sechzehnten Jahrhundert,

Der innere Raum wurde durch eine einzige Stube gebildet, wie noch vor
Zeiten, Doch war ein Fortschritt eingetreten. Um dein allzu starken Andrange
von Regen, Schnee und Wind vorzubeugen, ließ man die Hausthüre nicht
gerade hinein in die Stube schlagen, sondern hatte durch eine Querwand den
westlichen Theil des Hauses abgesondert und dadurch Raum gewonnen für eine
kleine Vorstube und eine dahinter gelegene Kammer. Durch die Vorstube, in
welche die Thüre von Süden her führte, gelangte man ins Hauptgemach.

Erhellt wurde die Stube durch eine Oeffnung, welche sich entweder im
hohen First des Daches oder neben ihr befand. Das im Dach angebrachte Loch,
in Dänemark und Norwegen "Lyre" oder "Ljore," in Schweden "Vindöga"
genannt, war klein genug, ungefähr eine halbe Elle im Quadrat, Zur Sommers¬
zeit und bei gutem Wetter stand es offen, im Winter aber und wann es sonst
wünschenswert!) erschien, konnte es mit einer Klappe oder einem Schieber ge¬
schlossen werden. Dieser war wie ein vierkantiger Rahmen eingerichtet, an Größe
der Lyre entsprechend, aber mit einer feinen Haut überzogen, so daß er, obschon
geschlossen, doch nicht gänzlich das Tageslicht ausschloß.

Mochte aber auch die Lyre zur Noth den weiten Raum erhellen, ohne Uebel¬
stände war doch die Einrichtung nicht. Nicht nur daß bei starkem Regenwetter
häufig Wasser herabträufelte, oft genug geschah es auch, daß die das Dach als
Weide benutzenden Vierfüßler die in den Rahmen der Lyre gespannte Haut
durchtraten. Vor allem aber erleichterte jene Oeffnung den feindlichen Angriff.
Denn leicht vermochte bei Nacht, wenn das Feuer des Herdes den ganzen
innern Raum erhellte, der Gegner von oben herab einen Spieß oder Pfeil zu
entsenden, der sein Ziel kaum verfehlt haben wird. Trotz aller dieser empfind¬
lichen Nachtheile blieb die Lyre herrschend. Denn sie war keine bloße Zugabe
zum Gebäude, die nach Belieben geändert oder beseitigt werden konnte; vielmehr
war sie durch den wichtigsten Bestandtheil des Hauses, die Feuerstätte, hervor¬
gerufen und von ihr abhängig. Um diese Stätte concentrirten sich alle übrigen
Theile des Hauses, und die stufenweise Entwicklung derselben ist es, wodurch die
lange Reihe der Uebergänge von den Bauformen des Alterthums zu denen der
Neuzeit recht eigentlich bedingt wurde,

Unter der Lyre befand sich nämlich die Feuerstätte, wenn über den Fu߬
boden erhöht, "Are" oder "Arne," wenn vertieft, "Grue" genannt. Durch die
Oeffnung im Dache fand der Rauch des Feuers einen Ausweg. Nur langsam
vermochte man sich von dieser gewohnten Einrichtung loszumachen und sich an
den Ofen, später an den Schornstein zu gewöhnen. Als sich aber der letztere
einbürgerte, kam es im Hause zu einer alles umgestaltenden Revolution. Die
Lyre wurde für immer geschlossen, dagegen wurden die Lichtöffnungen in den
Wänden des Hauses angebracht. Der Bodenraum, bisher unbenutzt, wurde
durch eine Zimmerdecke von der Stube geschieden. Bald baute man ihn ähnlich
der unten gelegenen Stube aus, nicht mit schrägen, sondern mit aufrechtstehenden


häusliches Leben in Skandinavien im sechzehnten Jahrhundert,

Der innere Raum wurde durch eine einzige Stube gebildet, wie noch vor
Zeiten, Doch war ein Fortschritt eingetreten. Um dein allzu starken Andrange
von Regen, Schnee und Wind vorzubeugen, ließ man die Hausthüre nicht
gerade hinein in die Stube schlagen, sondern hatte durch eine Querwand den
westlichen Theil des Hauses abgesondert und dadurch Raum gewonnen für eine
kleine Vorstube und eine dahinter gelegene Kammer. Durch die Vorstube, in
welche die Thüre von Süden her führte, gelangte man ins Hauptgemach.

Erhellt wurde die Stube durch eine Oeffnung, welche sich entweder im
hohen First des Daches oder neben ihr befand. Das im Dach angebrachte Loch,
in Dänemark und Norwegen „Lyre" oder „Ljore," in Schweden „Vindöga"
genannt, war klein genug, ungefähr eine halbe Elle im Quadrat, Zur Sommers¬
zeit und bei gutem Wetter stand es offen, im Winter aber und wann es sonst
wünschenswert!) erschien, konnte es mit einer Klappe oder einem Schieber ge¬
schlossen werden. Dieser war wie ein vierkantiger Rahmen eingerichtet, an Größe
der Lyre entsprechend, aber mit einer feinen Haut überzogen, so daß er, obschon
geschlossen, doch nicht gänzlich das Tageslicht ausschloß.

Mochte aber auch die Lyre zur Noth den weiten Raum erhellen, ohne Uebel¬
stände war doch die Einrichtung nicht. Nicht nur daß bei starkem Regenwetter
häufig Wasser herabträufelte, oft genug geschah es auch, daß die das Dach als
Weide benutzenden Vierfüßler die in den Rahmen der Lyre gespannte Haut
durchtraten. Vor allem aber erleichterte jene Oeffnung den feindlichen Angriff.
Denn leicht vermochte bei Nacht, wenn das Feuer des Herdes den ganzen
innern Raum erhellte, der Gegner von oben herab einen Spieß oder Pfeil zu
entsenden, der sein Ziel kaum verfehlt haben wird. Trotz aller dieser empfind¬
lichen Nachtheile blieb die Lyre herrschend. Denn sie war keine bloße Zugabe
zum Gebäude, die nach Belieben geändert oder beseitigt werden konnte; vielmehr
war sie durch den wichtigsten Bestandtheil des Hauses, die Feuerstätte, hervor¬
gerufen und von ihr abhängig. Um diese Stätte concentrirten sich alle übrigen
Theile des Hauses, und die stufenweise Entwicklung derselben ist es, wodurch die
lange Reihe der Uebergänge von den Bauformen des Alterthums zu denen der
Neuzeit recht eigentlich bedingt wurde,

Unter der Lyre befand sich nämlich die Feuerstätte, wenn über den Fu߬
boden erhöht, „Are" oder „Arne," wenn vertieft, „Grue" genannt. Durch die
Oeffnung im Dache fand der Rauch des Feuers einen Ausweg. Nur langsam
vermochte man sich von dieser gewohnten Einrichtung loszumachen und sich an
den Ofen, später an den Schornstein zu gewöhnen. Als sich aber der letztere
einbürgerte, kam es im Hause zu einer alles umgestaltenden Revolution. Die
Lyre wurde für immer geschlossen, dagegen wurden die Lichtöffnungen in den
Wänden des Hauses angebracht. Der Bodenraum, bisher unbenutzt, wurde
durch eine Zimmerdecke von der Stube geschieden. Bald baute man ihn ähnlich
der unten gelegenen Stube aus, nicht mit schrägen, sondern mit aufrechtstehenden


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[0199] häusliches Leben in Skandinavien im sechzehnten Jahrhundert, Der innere Raum wurde durch eine einzige Stube gebildet, wie noch vor Zeiten, Doch war ein Fortschritt eingetreten. Um dein allzu starken Andrange von Regen, Schnee und Wind vorzubeugen, ließ man die Hausthüre nicht gerade hinein in die Stube schlagen, sondern hatte durch eine Querwand den westlichen Theil des Hauses abgesondert und dadurch Raum gewonnen für eine kleine Vorstube und eine dahinter gelegene Kammer. Durch die Vorstube, in welche die Thüre von Süden her führte, gelangte man ins Hauptgemach. Erhellt wurde die Stube durch eine Oeffnung, welche sich entweder im hohen First des Daches oder neben ihr befand. Das im Dach angebrachte Loch, in Dänemark und Norwegen „Lyre" oder „Ljore," in Schweden „Vindöga" genannt, war klein genug, ungefähr eine halbe Elle im Quadrat, Zur Sommers¬ zeit und bei gutem Wetter stand es offen, im Winter aber und wann es sonst wünschenswert!) erschien, konnte es mit einer Klappe oder einem Schieber ge¬ schlossen werden. Dieser war wie ein vierkantiger Rahmen eingerichtet, an Größe der Lyre entsprechend, aber mit einer feinen Haut überzogen, so daß er, obschon geschlossen, doch nicht gänzlich das Tageslicht ausschloß. Mochte aber auch die Lyre zur Noth den weiten Raum erhellen, ohne Uebel¬ stände war doch die Einrichtung nicht. Nicht nur daß bei starkem Regenwetter häufig Wasser herabträufelte, oft genug geschah es auch, daß die das Dach als Weide benutzenden Vierfüßler die in den Rahmen der Lyre gespannte Haut durchtraten. Vor allem aber erleichterte jene Oeffnung den feindlichen Angriff. Denn leicht vermochte bei Nacht, wenn das Feuer des Herdes den ganzen innern Raum erhellte, der Gegner von oben herab einen Spieß oder Pfeil zu entsenden, der sein Ziel kaum verfehlt haben wird. Trotz aller dieser empfind¬ lichen Nachtheile blieb die Lyre herrschend. Denn sie war keine bloße Zugabe zum Gebäude, die nach Belieben geändert oder beseitigt werden konnte; vielmehr war sie durch den wichtigsten Bestandtheil des Hauses, die Feuerstätte, hervor¬ gerufen und von ihr abhängig. Um diese Stätte concentrirten sich alle übrigen Theile des Hauses, und die stufenweise Entwicklung derselben ist es, wodurch die lange Reihe der Uebergänge von den Bauformen des Alterthums zu denen der Neuzeit recht eigentlich bedingt wurde, Unter der Lyre befand sich nämlich die Feuerstätte, wenn über den Fu߬ boden erhöht, „Are" oder „Arne," wenn vertieft, „Grue" genannt. Durch die Oeffnung im Dache fand der Rauch des Feuers einen Ausweg. Nur langsam vermochte man sich von dieser gewohnten Einrichtung loszumachen und sich an den Ofen, später an den Schornstein zu gewöhnen. Als sich aber der letztere einbürgerte, kam es im Hause zu einer alles umgestaltenden Revolution. Die Lyre wurde für immer geschlossen, dagegen wurden die Lichtöffnungen in den Wänden des Hauses angebracht. Der Bodenraum, bisher unbenutzt, wurde durch eine Zimmerdecke von der Stube geschieden. Bald baute man ihn ähnlich der unten gelegenen Stube aus, nicht mit schrägen, sondern mit aufrechtstehenden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/199>, abgerufen am 15.01.2025.