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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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Universitätsfenen,

voll und ganz giebt, dem es nicht eine herzliche Freude verursacht, wenn er
merkt, daß der von ihm gebildete Student ihn einst an Wissen und Können über¬
treffen werde, verdient nicht Lehrer der Jugend zu sein. Also kein AntoritcitS-
vredigen, keine Jnfallibilität, nur Anregung zum nachprüfen, zum eignen Ar¬
beiten soll die Vorlesung sein.

Nun ist es aber wohl bekannt genug, daß in der heutigen Zeit die akademische
Wirksamkeit der meisten Universitätslehrer sich nicht bloß durch die von ihnen
gehaltenen Vorlesungen manifestirt. Eine praktische Seite tritt mehr und mehr
in den Vordergrund, Es ist die Abhaltung von Uebungen in dem Fache, das
der Docent vertritt. Soll die Vorlesung mehr den Blick auf das Ganze lenken,
so wird im Seminar der Student in die Kleinarbeit, sagen wir geradezu in
das Handwerksmäßige der wissenschaftlichen Forschung eingeführt. Die Aufgabe
des Lehrers im Seminar ist eine ungleich schwierigere als die auf dem Katheder,
Hier gilt kein Widerspruch, kein Einwand erhebt sich, der Student ist rein
receptiv; dort ist der Lehrer und der Schüler gewissermaßen auf gleiche" Boden
gestellt, eine gegenseitige Debatte beginnt, mit unerbittlicher Logik werden die
Einzelfragen erörtert, neue, ungeahnte Aussichtspunkte thun sich auf. der Lehrer
ist oft gezwungen, seine Ansicht aufzugeben und dem Schüler beizupflichten, er
ist nur in dem Vortheil, den ihm längeres Studium und reifere Einsicht er¬
öffnen. Jeder, der ein Seminar auf deutschen Universitäten zu leiten hatte,
weiß, welcher treuen und gewissenhaften Vorbereitung es bedarf, wie angespannt
alle feinen Nerven während der Dauer der Uebungen bleiben müssen; er weiß
über auch, welchen Genuß dieser geistige Kampf gewährt, wie herrliche Früchte
er trägt, Ist die Vorlesung das aristokratische Element der deutschen Universi¬
täten, die Seminarübungen sind das demokratische,

Sie, mein verehrter -- fast hätte ich geschrieben: Paukant -- also, Sie,
'"ein verehrter Vorredner, und mit Ihnen vielleicht mancher von Ihren und
meinen Lesern, wird ausrufen! Wozu dies alles? Das hat doch mit den Uni¬
versitätsfenen gar nichts zu thun! Ich antworte: Mehr als es scheint. Denn
um Universitätslehrer, wie ich ihn geschildert, wie ich und die große Mehrzahl
meiner College" zu sein sich bestreben, hat im Semester vollauf mit seinen
Vorlesungen und mit den Vorbereitungen für die Seminarübungcn zu thun.
Man meint wohl, die ältern Professoren seien sehr glücklich daran, daß sie ihre
Collegia ausgearbeitet ein- für allemal fertig liegen haben. Ich erinnere mich
da an einen Schwank meiner Studentenzeit, Die Frau Professor X, klagte einmal
einem bei ihr eingeführten Studenten, wie böse die jetzige studirende Jugend ge¬
worden sei; sie wolle die Vorlesung ihres Mannes über das und das Thema
nicht mehr hören, und er lese ja genau dasselbe Heft wie vor vierzig Jahren,
und damals habe er hundert Zuhörer gehabt! In Wahrheit steht die Sache so.
daß für jede Vorlesung, die etwa in zwei Jahren periodisch wiederkehrt, das
wissenschaftliche Ncumaterial in dieser Zwischenzeit ungemein gewachsen ist, und


Universitätsfenen,

voll und ganz giebt, dem es nicht eine herzliche Freude verursacht, wenn er
merkt, daß der von ihm gebildete Student ihn einst an Wissen und Können über¬
treffen werde, verdient nicht Lehrer der Jugend zu sein. Also kein AntoritcitS-
vredigen, keine Jnfallibilität, nur Anregung zum nachprüfen, zum eignen Ar¬
beiten soll die Vorlesung sein.

Nun ist es aber wohl bekannt genug, daß in der heutigen Zeit die akademische
Wirksamkeit der meisten Universitätslehrer sich nicht bloß durch die von ihnen
gehaltenen Vorlesungen manifestirt. Eine praktische Seite tritt mehr und mehr
in den Vordergrund, Es ist die Abhaltung von Uebungen in dem Fache, das
der Docent vertritt. Soll die Vorlesung mehr den Blick auf das Ganze lenken,
so wird im Seminar der Student in die Kleinarbeit, sagen wir geradezu in
das Handwerksmäßige der wissenschaftlichen Forschung eingeführt. Die Aufgabe
des Lehrers im Seminar ist eine ungleich schwierigere als die auf dem Katheder,
Hier gilt kein Widerspruch, kein Einwand erhebt sich, der Student ist rein
receptiv; dort ist der Lehrer und der Schüler gewissermaßen auf gleiche» Boden
gestellt, eine gegenseitige Debatte beginnt, mit unerbittlicher Logik werden die
Einzelfragen erörtert, neue, ungeahnte Aussichtspunkte thun sich auf. der Lehrer
ist oft gezwungen, seine Ansicht aufzugeben und dem Schüler beizupflichten, er
ist nur in dem Vortheil, den ihm längeres Studium und reifere Einsicht er¬
öffnen. Jeder, der ein Seminar auf deutschen Universitäten zu leiten hatte,
weiß, welcher treuen und gewissenhaften Vorbereitung es bedarf, wie angespannt
alle feinen Nerven während der Dauer der Uebungen bleiben müssen; er weiß
über auch, welchen Genuß dieser geistige Kampf gewährt, wie herrliche Früchte
er trägt, Ist die Vorlesung das aristokratische Element der deutschen Universi¬
täten, die Seminarübungen sind das demokratische,

Sie, mein verehrter — fast hätte ich geschrieben: Paukant — also, Sie,
'»ein verehrter Vorredner, und mit Ihnen vielleicht mancher von Ihren und
meinen Lesern, wird ausrufen! Wozu dies alles? Das hat doch mit den Uni¬
versitätsfenen gar nichts zu thun! Ich antworte: Mehr als es scheint. Denn
um Universitätslehrer, wie ich ihn geschildert, wie ich und die große Mehrzahl
meiner College» zu sein sich bestreben, hat im Semester vollauf mit seinen
Vorlesungen und mit den Vorbereitungen für die Seminarübungcn zu thun.
Man meint wohl, die ältern Professoren seien sehr glücklich daran, daß sie ihre
Collegia ausgearbeitet ein- für allemal fertig liegen haben. Ich erinnere mich
da an einen Schwank meiner Studentenzeit, Die Frau Professor X, klagte einmal
einem bei ihr eingeführten Studenten, wie böse die jetzige studirende Jugend ge¬
worden sei; sie wolle die Vorlesung ihres Mannes über das und das Thema
nicht mehr hören, und er lese ja genau dasselbe Heft wie vor vierzig Jahren,
und damals habe er hundert Zuhörer gehabt! In Wahrheit steht die Sache so.
daß für jede Vorlesung, die etwa in zwei Jahren periodisch wiederkehrt, das
wissenschaftliche Ncumaterial in dieser Zwischenzeit ungemein gewachsen ist, und


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[0131] Universitätsfenen, voll und ganz giebt, dem es nicht eine herzliche Freude verursacht, wenn er merkt, daß der von ihm gebildete Student ihn einst an Wissen und Können über¬ treffen werde, verdient nicht Lehrer der Jugend zu sein. Also kein AntoritcitS- vredigen, keine Jnfallibilität, nur Anregung zum nachprüfen, zum eignen Ar¬ beiten soll die Vorlesung sein. Nun ist es aber wohl bekannt genug, daß in der heutigen Zeit die akademische Wirksamkeit der meisten Universitätslehrer sich nicht bloß durch die von ihnen gehaltenen Vorlesungen manifestirt. Eine praktische Seite tritt mehr und mehr in den Vordergrund, Es ist die Abhaltung von Uebungen in dem Fache, das der Docent vertritt. Soll die Vorlesung mehr den Blick auf das Ganze lenken, so wird im Seminar der Student in die Kleinarbeit, sagen wir geradezu in das Handwerksmäßige der wissenschaftlichen Forschung eingeführt. Die Aufgabe des Lehrers im Seminar ist eine ungleich schwierigere als die auf dem Katheder, Hier gilt kein Widerspruch, kein Einwand erhebt sich, der Student ist rein receptiv; dort ist der Lehrer und der Schüler gewissermaßen auf gleiche» Boden gestellt, eine gegenseitige Debatte beginnt, mit unerbittlicher Logik werden die Einzelfragen erörtert, neue, ungeahnte Aussichtspunkte thun sich auf. der Lehrer ist oft gezwungen, seine Ansicht aufzugeben und dem Schüler beizupflichten, er ist nur in dem Vortheil, den ihm längeres Studium und reifere Einsicht er¬ öffnen. Jeder, der ein Seminar auf deutschen Universitäten zu leiten hatte, weiß, welcher treuen und gewissenhaften Vorbereitung es bedarf, wie angespannt alle feinen Nerven während der Dauer der Uebungen bleiben müssen; er weiß über auch, welchen Genuß dieser geistige Kampf gewährt, wie herrliche Früchte er trägt, Ist die Vorlesung das aristokratische Element der deutschen Universi¬ täten, die Seminarübungen sind das demokratische, Sie, mein verehrter — fast hätte ich geschrieben: Paukant — also, Sie, '»ein verehrter Vorredner, und mit Ihnen vielleicht mancher von Ihren und meinen Lesern, wird ausrufen! Wozu dies alles? Das hat doch mit den Uni¬ versitätsfenen gar nichts zu thun! Ich antworte: Mehr als es scheint. Denn um Universitätslehrer, wie ich ihn geschildert, wie ich und die große Mehrzahl meiner College» zu sein sich bestreben, hat im Semester vollauf mit seinen Vorlesungen und mit den Vorbereitungen für die Seminarübungcn zu thun. Man meint wohl, die ältern Professoren seien sehr glücklich daran, daß sie ihre Collegia ausgearbeitet ein- für allemal fertig liegen haben. Ich erinnere mich da an einen Schwank meiner Studentenzeit, Die Frau Professor X, klagte einmal einem bei ihr eingeführten Studenten, wie böse die jetzige studirende Jugend ge¬ worden sei; sie wolle die Vorlesung ihres Mannes über das und das Thema nicht mehr hören, und er lese ja genau dasselbe Heft wie vor vierzig Jahren, und damals habe er hundert Zuhörer gehabt! In Wahrheit steht die Sache so. daß für jede Vorlesung, die etwa in zwei Jahren periodisch wiederkehrt, das wissenschaftliche Ncumaterial in dieser Zwischenzeit ungemein gewachsen ist, und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/131>, abgerufen am 15.01.2025.