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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal.

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Die Briefe der Freifrau von Bunsen.

und gänzliche Befriedigung als bestehender Zustand ausgedrückt ist. Ich habe
in mir die stete Ueberzeugung, mehr und mehr geliebt zu sein, und das geringste,
jedes und alles in mir, das Anspruch haben könnte, gut zu sein, auf eine Weise
gewürdigt zu fühlen, wie sie einem Menschenkinde selten zutheil wird. Dazu
kommt das Bewußtsein, durch jedes Wort und jede That, ja durch meine bloße
Gegenwart zu erfreuen. Ach, meine Mutter! ich fürchte nur, ich werde ver¬
wöhnt! Es ist fast des Glücks zu viel, mit keinem Unverstand kämpfen zu müssen!
Meine Beschäftigungen sind auch gerade wie ich sie haben möchte, nur daß ich,
wie gewöhnlich, nicht Zeit finde, alles zu thun, was ich möchte."

Und doch, was wurde nicht alles gethan! Overbeck, der Philosoph Brandes,
Platner und andre römischen Bekannten nahmen die Gastfreundschaft des Hauses
in Anspruch. Ausflüge in die anziehende Umgebung wurden gemacht und die
Abende mit der Lectüre von Platons Dialogen, Goethes "Götz von Berlichingen,"
Macchiavellis und biblischer Bücher verbracht. Als der Herbst nahte, zog Bunsen
mit seiner jungen Frau in den Palazzo Cciffarclli auf das Capitol. An den
Arbeiten Bunsens, der damals für den deutschen Gottesdienst die englische Li¬
turgie übersetzte, nahm seine Gattin den regsten Antheil. Mit stolzer Freude
erfüllte es sie, deu geliebte" Mann bei dieser Arbeit unterstützen zu können. Die
freie Zeit, welche ihr die häuslichen Beschäftigungen, die Sorgen um die heran¬
wachsende Kinderschaar in den nächsten Jahren ließen, verlebte Frau Bunsen
mit ihrem Gemahle im Kreise bedeutender Männer. Den Mittelpunkt der deut¬
schen Gesellschaft bildete der preußische Gesandte Niebuhr. Bon ihm schreibt
Frances an ihre Mutter: "Ich kenne keine größere geistige Anregung als ihn
-- über was es auch sei -- sprechen zu hören. Ueber vielerlei habe ich ihn
schon gehört, aber seine Gabe, durch originelle Auffassung und lebhafte Ein¬
bildungskraft jeden Gegenstand seines Gesprächs aufs neue zu beleuchten, er¬
freut mich immer wieder und muß auch den unwissendsten Zuhörer anregen."
Neben Niebuhr stand der Gesandtschaftsprediger I)r, Schmieder, von dessen lau¬
terem Glauben und aufrichtiger Gesinnung Frances, je öfter sie ihn hörte, mehr
und mehr überzeugt war, ferner Julius Schmorr von Carolsfeld, Olivier Rhebenitz,
Overbeck, der Miniaturmaler August Grabt, Thorwaldsen, der Tiroler Koch,
"ein bizarrer, reizbarer Mann voll richtiger Gedanken und bitterm Sarkasmus,"
Platner, "durch unglücklichen Zufall zum Maler bestimmt, während die Natur
ihn zum Gelehrten und Geschichtschreiber erkoren," nach Schmieders Scheiden
Richard Rothe, der nachmalige Professor der Theologie an der Universität Heidel¬
berg, ferner die Musiker Neukomm und Reißiger, von Gelehrten Brandes, Lepsius,
Abeken, Sie alle bildeten einen vertrauten Kreis, dessen Signatur sich durch
den Ein- und Austritt bedeutender Männer, wie es ein römischer Winter mit
sich brachte, von Jahr zu Jahr änderte. An dem geistigen Leben dieses Kreises
betheiligte sich Frances mit regem Eifer. Wurden gemeinschaftlich Schriftsteller
gelesen, so war sie jederzeit dabei. Vor allem bemühte sie sich eifrig um die


Die Briefe der Freifrau von Bunsen.

und gänzliche Befriedigung als bestehender Zustand ausgedrückt ist. Ich habe
in mir die stete Ueberzeugung, mehr und mehr geliebt zu sein, und das geringste,
jedes und alles in mir, das Anspruch haben könnte, gut zu sein, auf eine Weise
gewürdigt zu fühlen, wie sie einem Menschenkinde selten zutheil wird. Dazu
kommt das Bewußtsein, durch jedes Wort und jede That, ja durch meine bloße
Gegenwart zu erfreuen. Ach, meine Mutter! ich fürchte nur, ich werde ver¬
wöhnt! Es ist fast des Glücks zu viel, mit keinem Unverstand kämpfen zu müssen!
Meine Beschäftigungen sind auch gerade wie ich sie haben möchte, nur daß ich,
wie gewöhnlich, nicht Zeit finde, alles zu thun, was ich möchte."

Und doch, was wurde nicht alles gethan! Overbeck, der Philosoph Brandes,
Platner und andre römischen Bekannten nahmen die Gastfreundschaft des Hauses
in Anspruch. Ausflüge in die anziehende Umgebung wurden gemacht und die
Abende mit der Lectüre von Platons Dialogen, Goethes „Götz von Berlichingen,"
Macchiavellis und biblischer Bücher verbracht. Als der Herbst nahte, zog Bunsen
mit seiner jungen Frau in den Palazzo Cciffarclli auf das Capitol. An den
Arbeiten Bunsens, der damals für den deutschen Gottesdienst die englische Li¬
turgie übersetzte, nahm seine Gattin den regsten Antheil. Mit stolzer Freude
erfüllte es sie, deu geliebte» Mann bei dieser Arbeit unterstützen zu können. Die
freie Zeit, welche ihr die häuslichen Beschäftigungen, die Sorgen um die heran¬
wachsende Kinderschaar in den nächsten Jahren ließen, verlebte Frau Bunsen
mit ihrem Gemahle im Kreise bedeutender Männer. Den Mittelpunkt der deut¬
schen Gesellschaft bildete der preußische Gesandte Niebuhr. Bon ihm schreibt
Frances an ihre Mutter: „Ich kenne keine größere geistige Anregung als ihn
— über was es auch sei — sprechen zu hören. Ueber vielerlei habe ich ihn
schon gehört, aber seine Gabe, durch originelle Auffassung und lebhafte Ein¬
bildungskraft jeden Gegenstand seines Gesprächs aufs neue zu beleuchten, er¬
freut mich immer wieder und muß auch den unwissendsten Zuhörer anregen."
Neben Niebuhr stand der Gesandtschaftsprediger I)r, Schmieder, von dessen lau¬
terem Glauben und aufrichtiger Gesinnung Frances, je öfter sie ihn hörte, mehr
und mehr überzeugt war, ferner Julius Schmorr von Carolsfeld, Olivier Rhebenitz,
Overbeck, der Miniaturmaler August Grabt, Thorwaldsen, der Tiroler Koch,
„ein bizarrer, reizbarer Mann voll richtiger Gedanken und bitterm Sarkasmus,"
Platner, „durch unglücklichen Zufall zum Maler bestimmt, während die Natur
ihn zum Gelehrten und Geschichtschreiber erkoren," nach Schmieders Scheiden
Richard Rothe, der nachmalige Professor der Theologie an der Universität Heidel¬
berg, ferner die Musiker Neukomm und Reißiger, von Gelehrten Brandes, Lepsius,
Abeken, Sie alle bildeten einen vertrauten Kreis, dessen Signatur sich durch
den Ein- und Austritt bedeutender Männer, wie es ein römischer Winter mit
sich brachte, von Jahr zu Jahr änderte. An dem geistigen Leben dieses Kreises
betheiligte sich Frances mit regem Eifer. Wurden gemeinschaftlich Schriftsteller
gelesen, so war sie jederzeit dabei. Vor allem bemühte sie sich eifrig um die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157970/120>, abgerufen am 15.01.2025.