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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Der Pariser Salon.

er sich festhalten kann, und den hat ihm Bertrand geboten. Noch klüger und
raffinirter versteht dies Alphonse de Neuville, der ausgezeichnete Kriegsmaler,
dessen Bild I.ö LourZvt erst kürzlich eine Wanderung durch Deutschland ge¬
macht hat, wo es zwar wegen verschiedner Unrichtigkeiten scharf angefochten
wurde, aber wegen der Lebendigkeit der Schilderung und des glänzenden Co-
lorits auch großen Beifall fand. Wie I^s Lourgst verfolgen auch die beiden
neuen Bilder des "Salons" die unverkennbare Tendenz, den französischen Helden¬
muth auf Kosten der Sieger zu verherrlichen und dem Bourgeois unter die
Nase zu reiben, daß nos dravss erst der zehnfachen Uebermacht gewichen sind,
nachdem sie vorher die letzte Patrone verschossen. Diese Bilder sind die reinen
Gasconnaden, aber mit solcher Beredsamkeit, mit solcher coloristischen Bravour
vorgetragen, daß selbst derjenige sich den Reizen der glänzenden Jnscenirung
gefangen giebt, der den Hergang der Dinge besser kennt. Auf dem einen Bilde
sieht man eine Episode aus der Schlacht um Se. Privat, den Schlußaet des
Sturmes auf den Kirchhof, der bekanntlich, zu einer Art Festung gestaltet, am
Nachmittage des 18. August der Schauplatz eines äußerst heftigen Kampfes war.
Das verrammelte Kirchhofsthor ist eben aufgeflogen, die Angreifer stürmen
herein; was sie drinnen aber finden, ist nur ein kleines Häuflein kampfunfähiger
Franzosen, welche die Waffen weggeworfen haben und in stiller Ergebung ihres
Schicksals harren. Von der andern Seite kommen noch ein paar gesunde Ver¬
theidiger herbeigeeilt, um auch der erdrückenden Uebermacht gegenüber bis zum
letzten Augenblicke ihre Pflicht zu thun. In der Charakteristik der Preußen,
namentlich durch plumpe Schädelbildung, hat der Maler alles gethan, um die
Barbaren zu kennzeichnen, während den Franzosen alle körperlichen Vorzüge an¬
gedichtet sind. Noch mehr tritt dieses Bestreben auf dem zweiten Bilde zu Tage.
Hier haben zwei vierschrötige Landwehrmänner einen französische" Spion -- Neu-
ville sagt "Depeschcnträger" -- beim Kragen und untersuchen ihn in Gegen¬
wart von ein paar Offizieren, welche im Hofe einer Meierei nach beendigtem
Mittagsmahl ihren Kaffee trinken. Sehen die Landwehrleute schon aus wie
Cretins, so hat der Maler die Offiziere noch malieiöser chamkterisirt. Der eine
hat fuchsrothes Haar und Bart, der andre, ein grüner Husar, ist mit der wider¬
wärtigsten Geckenhaftigkeit ausgeputzt. Wie nobel sieht dagegen der Franzose
aus! Gelassen und todesmuthig steht er da, wie ein christlicher Märtyrer unter
den Fciusteu römischer Schergen.

Diese beiden "Revanchebilder" bilden, abgesehen von einigen lebendig ge¬
zeichneten und flott gemalten, aber wenig bedeutenden Gefechtsscenen, im dies¬
jährigen "Salon" den einzigen Trost der militärstolzeu Franzosen. Diejenigen
Maler, welche im Auftrage des Staates oder aus eigner Initiative die berühmte
Fahnenvertheilung vom 14. Juli 1880 verherrlichen wollten, Eduard Detaille,
Garnier und Vilin, haben ein so gründliches Fiasco gemacht, daß wenigstens
im Angesichte dieser Bilder niemand im Ernste von der Ueberlegenheit der frein-


Der Pariser Salon.

er sich festhalten kann, und den hat ihm Bertrand geboten. Noch klüger und
raffinirter versteht dies Alphonse de Neuville, der ausgezeichnete Kriegsmaler,
dessen Bild I.ö LourZvt erst kürzlich eine Wanderung durch Deutschland ge¬
macht hat, wo es zwar wegen verschiedner Unrichtigkeiten scharf angefochten
wurde, aber wegen der Lebendigkeit der Schilderung und des glänzenden Co-
lorits auch großen Beifall fand. Wie I^s Lourgst verfolgen auch die beiden
neuen Bilder des „Salons" die unverkennbare Tendenz, den französischen Helden¬
muth auf Kosten der Sieger zu verherrlichen und dem Bourgeois unter die
Nase zu reiben, daß nos dravss erst der zehnfachen Uebermacht gewichen sind,
nachdem sie vorher die letzte Patrone verschossen. Diese Bilder sind die reinen
Gasconnaden, aber mit solcher Beredsamkeit, mit solcher coloristischen Bravour
vorgetragen, daß selbst derjenige sich den Reizen der glänzenden Jnscenirung
gefangen giebt, der den Hergang der Dinge besser kennt. Auf dem einen Bilde
sieht man eine Episode aus der Schlacht um Se. Privat, den Schlußaet des
Sturmes auf den Kirchhof, der bekanntlich, zu einer Art Festung gestaltet, am
Nachmittage des 18. August der Schauplatz eines äußerst heftigen Kampfes war.
Das verrammelte Kirchhofsthor ist eben aufgeflogen, die Angreifer stürmen
herein; was sie drinnen aber finden, ist nur ein kleines Häuflein kampfunfähiger
Franzosen, welche die Waffen weggeworfen haben und in stiller Ergebung ihres
Schicksals harren. Von der andern Seite kommen noch ein paar gesunde Ver¬
theidiger herbeigeeilt, um auch der erdrückenden Uebermacht gegenüber bis zum
letzten Augenblicke ihre Pflicht zu thun. In der Charakteristik der Preußen,
namentlich durch plumpe Schädelbildung, hat der Maler alles gethan, um die
Barbaren zu kennzeichnen, während den Franzosen alle körperlichen Vorzüge an¬
gedichtet sind. Noch mehr tritt dieses Bestreben auf dem zweiten Bilde zu Tage.
Hier haben zwei vierschrötige Landwehrmänner einen französische» Spion — Neu-
ville sagt „Depeschcnträger" — beim Kragen und untersuchen ihn in Gegen¬
wart von ein paar Offizieren, welche im Hofe einer Meierei nach beendigtem
Mittagsmahl ihren Kaffee trinken. Sehen die Landwehrleute schon aus wie
Cretins, so hat der Maler die Offiziere noch malieiöser chamkterisirt. Der eine
hat fuchsrothes Haar und Bart, der andre, ein grüner Husar, ist mit der wider¬
wärtigsten Geckenhaftigkeit ausgeputzt. Wie nobel sieht dagegen der Franzose
aus! Gelassen und todesmuthig steht er da, wie ein christlicher Märtyrer unter
den Fciusteu römischer Schergen.

Diese beiden „Revanchebilder" bilden, abgesehen von einigen lebendig ge¬
zeichneten und flott gemalten, aber wenig bedeutenden Gefechtsscenen, im dies¬
jährigen „Salon" den einzigen Trost der militärstolzeu Franzosen. Diejenigen
Maler, welche im Auftrage des Staates oder aus eigner Initiative die berühmte
Fahnenvertheilung vom 14. Juli 1880 verherrlichen wollten, Eduard Detaille,
Garnier und Vilin, haben ein so gründliches Fiasco gemacht, daß wenigstens
im Angesichte dieser Bilder niemand im Ernste von der Ueberlegenheit der frein-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/85>, abgerufen am 25.11.2024.