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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Russische Agmrzustände.

NUN sehe man sich diesen beglückenden Jedermaunsbesitz einmal an. Ausnahms¬
los ans allen Provinzen bekam die obengenannte Commission zu hören, daß, da
der Bauer nie wisse, ob der Acker, der ihm in diesem Jahre von der Gemeinde
zugetheilt wurde, ihm im nächsten Jahre noch bleiben werde, er sich wohl hüte,
auf ihn irgendwelche Mühe oder irgendwelche Kosten zu wenden. Denn sobald
er ihn düngen und bessern wollte, wäre er sicher, daß bei der nächsten Vertheilung
des Gemeindelandes er ihm abgenommen werde. Es giebt aber Guberuien, wie
das ungeheure Gubernium Persa, wo die Sitte herrscht, den Gemeindencker vor
jeder Saat an die Gemeindeglieder zu vertheilen. Derselbe ist denn auch natür¬
lich ertragsunfähig, während in den Dörfern der Dünger sich bergehoch ansammelt.
Im Süden greift der Bauer vielfach zu der Aushilfe, daß er von den Gro߬
besitzern Land pachtet und dieses mit größrer Sicherheit bewirthschaftet. Aber
auch hier wirkt die altgewohnte Unsitte nach: die Pachter werden meist jährlich
abgeschlossen, ans dem Lande möglichst viel herausgezogen und das ausgesogne
Stück dann dem Besitzer zurückgegeben. Will hie und da aber ein Bauer sein
Landloos durch Kurs von der Gemeinde zu eigen erwerben, so werden ihm so
viele Schwierigkeiten gemacht, daß er vor den jahrelangen Verhandlungen zu¬
rückschreckt. Die Commission hat feststellen können, daß der bäuerliche Acker seit
der Freilassung der Bauern keine Düngung gesehen hat. Das ist nun gerade
20 Jahre her, und man mag sich vorstellen, was aus dem vorzüglichsten Boden
geworden ist, wenn er zwanzig Jahre lang in der dreifeldrigen Schnnrwirth-
schaft ohne Dung gequält wurde! Es ist selbstverständlich, daß der herrliche
Boden des schwarzerdigen Südens in den letzten Jahren immer undankbarer
wird, und daß die Verarmung der Bauern nach Norden hin und wo überhaupt
der Boden minder reich von der Natur ausgestattet war, immer schneller vor sich
gegangen ist und vor sich geht. Ebenso rückwärts geht es natürlich mit den
Wiesen. An der Wolga und ihren Nebenflüsse!" z. B. dehnen sich endlose Wiesen
in bäuerlichen Gemeindebesitz aus. Im Gubernium Nieder-Nowgorod zählt man
etwa 200 000 Hectare solcher von Natur herrlich angelegter Wiesengründe. Da¬
von ist die Hälfte so vernachlässigt und verwachsen, daß sie keinen Ertrag mehr
giebt. Auch hier thut niemand etwas für Land, da es ihm nicht zu eigen ge¬
hört oder ans bestimmte Zeit in seinem Besitz bleibt. Diese endlosen Strecken
bäuerlichen Gemeindelandes werden mit jedem Jahre unfruchtbarer, oder, mit
jedem Jahre mehrt sich progressiv die Zahl derer, welche es vorziehen, ihr Land¬
loos aufzugeben und als freie Arbeiter, Handwerker, Händler in die weite Welt
zu gehen. Jedes weitre Jahr muß die völlige Erschöpfung gewaltiger Ackerflächen
herbeiführen, die von den Zurückbleibenden aus Maugel um Capitnlkraft nicht
wieder herausgebracht werden können. Jeder Abziehende belastet die zurückbleibende


Russische Agmrzustände.

NUN sehe man sich diesen beglückenden Jedermaunsbesitz einmal an. Ausnahms¬
los ans allen Provinzen bekam die obengenannte Commission zu hören, daß, da
der Bauer nie wisse, ob der Acker, der ihm in diesem Jahre von der Gemeinde
zugetheilt wurde, ihm im nächsten Jahre noch bleiben werde, er sich wohl hüte,
auf ihn irgendwelche Mühe oder irgendwelche Kosten zu wenden. Denn sobald
er ihn düngen und bessern wollte, wäre er sicher, daß bei der nächsten Vertheilung
des Gemeindelandes er ihm abgenommen werde. Es giebt aber Guberuien, wie
das ungeheure Gubernium Persa, wo die Sitte herrscht, den Gemeindencker vor
jeder Saat an die Gemeindeglieder zu vertheilen. Derselbe ist denn auch natür¬
lich ertragsunfähig, während in den Dörfern der Dünger sich bergehoch ansammelt.
Im Süden greift der Bauer vielfach zu der Aushilfe, daß er von den Gro߬
besitzern Land pachtet und dieses mit größrer Sicherheit bewirthschaftet. Aber
auch hier wirkt die altgewohnte Unsitte nach: die Pachter werden meist jährlich
abgeschlossen, ans dem Lande möglichst viel herausgezogen und das ausgesogne
Stück dann dem Besitzer zurückgegeben. Will hie und da aber ein Bauer sein
Landloos durch Kurs von der Gemeinde zu eigen erwerben, so werden ihm so
viele Schwierigkeiten gemacht, daß er vor den jahrelangen Verhandlungen zu¬
rückschreckt. Die Commission hat feststellen können, daß der bäuerliche Acker seit
der Freilassung der Bauern keine Düngung gesehen hat. Das ist nun gerade
20 Jahre her, und man mag sich vorstellen, was aus dem vorzüglichsten Boden
geworden ist, wenn er zwanzig Jahre lang in der dreifeldrigen Schnnrwirth-
schaft ohne Dung gequält wurde! Es ist selbstverständlich, daß der herrliche
Boden des schwarzerdigen Südens in den letzten Jahren immer undankbarer
wird, und daß die Verarmung der Bauern nach Norden hin und wo überhaupt
der Boden minder reich von der Natur ausgestattet war, immer schneller vor sich
gegangen ist und vor sich geht. Ebenso rückwärts geht es natürlich mit den
Wiesen. An der Wolga und ihren Nebenflüsse!« z. B. dehnen sich endlose Wiesen
in bäuerlichen Gemeindebesitz aus. Im Gubernium Nieder-Nowgorod zählt man
etwa 200 000 Hectare solcher von Natur herrlich angelegter Wiesengründe. Da¬
von ist die Hälfte so vernachlässigt und verwachsen, daß sie keinen Ertrag mehr
giebt. Auch hier thut niemand etwas für Land, da es ihm nicht zu eigen ge¬
hört oder ans bestimmte Zeit in seinem Besitz bleibt. Diese endlosen Strecken
bäuerlichen Gemeindelandes werden mit jedem Jahre unfruchtbarer, oder, mit
jedem Jahre mehrt sich progressiv die Zahl derer, welche es vorziehen, ihr Land¬
loos aufzugeben und als freie Arbeiter, Handwerker, Händler in die weite Welt
zu gehen. Jedes weitre Jahr muß die völlige Erschöpfung gewaltiger Ackerflächen
herbeiführen, die von den Zurückbleibenden aus Maugel um Capitnlkraft nicht
wieder herausgebracht werden können. Jeder Abziehende belastet die zurückbleibende


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[0061] Russische Agmrzustände. NUN sehe man sich diesen beglückenden Jedermaunsbesitz einmal an. Ausnahms¬ los ans allen Provinzen bekam die obengenannte Commission zu hören, daß, da der Bauer nie wisse, ob der Acker, der ihm in diesem Jahre von der Gemeinde zugetheilt wurde, ihm im nächsten Jahre noch bleiben werde, er sich wohl hüte, auf ihn irgendwelche Mühe oder irgendwelche Kosten zu wenden. Denn sobald er ihn düngen und bessern wollte, wäre er sicher, daß bei der nächsten Vertheilung des Gemeindelandes er ihm abgenommen werde. Es giebt aber Guberuien, wie das ungeheure Gubernium Persa, wo die Sitte herrscht, den Gemeindencker vor jeder Saat an die Gemeindeglieder zu vertheilen. Derselbe ist denn auch natür¬ lich ertragsunfähig, während in den Dörfern der Dünger sich bergehoch ansammelt. Im Süden greift der Bauer vielfach zu der Aushilfe, daß er von den Gro߬ besitzern Land pachtet und dieses mit größrer Sicherheit bewirthschaftet. Aber auch hier wirkt die altgewohnte Unsitte nach: die Pachter werden meist jährlich abgeschlossen, ans dem Lande möglichst viel herausgezogen und das ausgesogne Stück dann dem Besitzer zurückgegeben. Will hie und da aber ein Bauer sein Landloos durch Kurs von der Gemeinde zu eigen erwerben, so werden ihm so viele Schwierigkeiten gemacht, daß er vor den jahrelangen Verhandlungen zu¬ rückschreckt. Die Commission hat feststellen können, daß der bäuerliche Acker seit der Freilassung der Bauern keine Düngung gesehen hat. Das ist nun gerade 20 Jahre her, und man mag sich vorstellen, was aus dem vorzüglichsten Boden geworden ist, wenn er zwanzig Jahre lang in der dreifeldrigen Schnnrwirth- schaft ohne Dung gequält wurde! Es ist selbstverständlich, daß der herrliche Boden des schwarzerdigen Südens in den letzten Jahren immer undankbarer wird, und daß die Verarmung der Bauern nach Norden hin und wo überhaupt der Boden minder reich von der Natur ausgestattet war, immer schneller vor sich gegangen ist und vor sich geht. Ebenso rückwärts geht es natürlich mit den Wiesen. An der Wolga und ihren Nebenflüsse!« z. B. dehnen sich endlose Wiesen in bäuerlichen Gemeindebesitz aus. Im Gubernium Nieder-Nowgorod zählt man etwa 200 000 Hectare solcher von Natur herrlich angelegter Wiesengründe. Da¬ von ist die Hälfte so vernachlässigt und verwachsen, daß sie keinen Ertrag mehr giebt. Auch hier thut niemand etwas für Land, da es ihm nicht zu eigen ge¬ hört oder ans bestimmte Zeit in seinem Besitz bleibt. Diese endlosen Strecken bäuerlichen Gemeindelandes werden mit jedem Jahre unfruchtbarer, oder, mit jedem Jahre mehrt sich progressiv die Zahl derer, welche es vorziehen, ihr Land¬ loos aufzugeben und als freie Arbeiter, Handwerker, Händler in die weite Welt zu gehen. Jedes weitre Jahr muß die völlige Erschöpfung gewaltiger Ackerflächen herbeiführen, die von den Zurückbleibenden aus Maugel um Capitnlkraft nicht wieder herausgebracht werden können. Jeder Abziehende belastet die zurückbleibende

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/61>, abgerufen am 01.09.2024.