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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Rückblicke auf die Lehrerversammlung in Karlsruhe.

Auf die Vorwüfe, welche im einzelnen gegen die freien Leserversammlungen
erhoben worden sind, wollen wir hier nicht näher eingehen. Im richtigen Sinne
geleitet und nicht allzuoft wiederkehrend, mögen diese Versammlungen manches
gute im Gefolge haben. Aber auf einige Gefahren möchten wir doch aufmerksam
machen, die in letzter Zeit deutlich hervorgetreten sind. In erster Linie steht
hier das übertriebene Standesbewußtsein, das sich nicht nur auf den Versamm¬
lungen, sondern auch im Leben bei den Lehrern geltend macht, und die Ueber¬
schätzung ihrer Thätigkeit. "Fragen wir alle mächtigen Völker der Erde," sagte
ein Redner in Karlsruhe, "wer ihnen ihre Größe, ihren Ruhm, ihren Glanz
verliehen? Sie werden uns antworten, es ist die Erziehung, welche uns diese
Größe, diesen Ruhm, diese" Glanz gegeben. Es ist die Erziehung, welche uns
nicht herabsinken läßt in die Armseligkeit und Niedrigkeit eines Alltagslebens,
und sollten wir dennoch einmal gesunken sein, so ist es wieder die Erziehung,
welche uns aufrichtet aus dem Staube und uns mit neuem Ruhme, mit neuem
Glanz, mit neuer Große umgiebt. Ja, es liegt eine wunderbare, eine göttliche
Kraft in der Erziehung; sie schafft den sittlichen Frieden der Familie, sie schafft
die socialen Tugenden, sie durchdringt alle Elemente der ganzen menschlichen
Gesellschaft. Die Erziehung schafft vor allem Männer; Männer aber sind es,
welche die Völker erheben, sie zur Größe führen und erhalten. Nur durch die
Männer verjüngen und erneuern sich die Nationen, und sehlen ihnen die
Männer, dann eilen die Völker ihrem Untergange entgegen, sie gehen zu Grunde.
Wie manches Volk bietet gerade in unsern Tagen eine so unendlich traurige
Erscheinung; es fehlen ihm die Männer, weil ihm die Erziehung fehlt, und in¬
folge dessen eilt es mit Riesenschritten seiner Auslosung entgegen. . . Wer war
denn mit die Ursache jener wunderbaren Erhebung des preußischen Volkes im
Jahre 1813, als sein König es rief? Wer drückte dem bartlosen Jüngling die
Büchse in die Hand und erfüllte sein Herz mit glühender Begeisterung; wer
gürtete den schwachen Knaben zum Schutze für das theure Vaterland? Es war
die Schule, welche in jenen Jahren durch ihre Erziehung Wunder wirkte. Und
wer war es im Jahre 1870, der das ganze deutsche Volk vom Norden bis
zum Süden, vom Osten bis zum Westen in nie gesehener Begeisterung sich er¬
heben ließ? Wer war es, der das deutsche Volk reif machte, eine mächtige, ge¬
achtete Nation unter einem Kaiser zu werden ... ja es war die moderne Schule,
die man heute nun bekämpft" u, s. f. Diese von lebhaftem, andauerndem Beifall
begleiteten Worte werden hoffentlich bei den zukünftigen Geschichtsschreibern Be¬
achtung finden. Also nicht bloß die Schlacht von Königgrätz hat der preu¬
ßische Schulmeister gewonnen, auch die Freiheitskriege, der letzte große Krieg,
die deutsche Kaiserkrone werden ihm vindicirt. Nun begreift man voll¬
kommen, wenn Herr Dr. Wolfs Schillers Wort an die Künstler für die Lehrer
in Anspruch nimmt und ihnen in Karlsruhe zuruft: "Der Menschheit Würde
ist in eure Hand gegeben. Bewahret sie! Sie sinkt mit euch, mit euch wird


Rückblicke auf die Lehrerversammlung in Karlsruhe.

Auf die Vorwüfe, welche im einzelnen gegen die freien Leserversammlungen
erhoben worden sind, wollen wir hier nicht näher eingehen. Im richtigen Sinne
geleitet und nicht allzuoft wiederkehrend, mögen diese Versammlungen manches
gute im Gefolge haben. Aber auf einige Gefahren möchten wir doch aufmerksam
machen, die in letzter Zeit deutlich hervorgetreten sind. In erster Linie steht
hier das übertriebene Standesbewußtsein, das sich nicht nur auf den Versamm¬
lungen, sondern auch im Leben bei den Lehrern geltend macht, und die Ueber¬
schätzung ihrer Thätigkeit. „Fragen wir alle mächtigen Völker der Erde," sagte
ein Redner in Karlsruhe, „wer ihnen ihre Größe, ihren Ruhm, ihren Glanz
verliehen? Sie werden uns antworten, es ist die Erziehung, welche uns diese
Größe, diesen Ruhm, diese» Glanz gegeben. Es ist die Erziehung, welche uns
nicht herabsinken läßt in die Armseligkeit und Niedrigkeit eines Alltagslebens,
und sollten wir dennoch einmal gesunken sein, so ist es wieder die Erziehung,
welche uns aufrichtet aus dem Staube und uns mit neuem Ruhme, mit neuem
Glanz, mit neuer Große umgiebt. Ja, es liegt eine wunderbare, eine göttliche
Kraft in der Erziehung; sie schafft den sittlichen Frieden der Familie, sie schafft
die socialen Tugenden, sie durchdringt alle Elemente der ganzen menschlichen
Gesellschaft. Die Erziehung schafft vor allem Männer; Männer aber sind es,
welche die Völker erheben, sie zur Größe führen und erhalten. Nur durch die
Männer verjüngen und erneuern sich die Nationen, und sehlen ihnen die
Männer, dann eilen die Völker ihrem Untergange entgegen, sie gehen zu Grunde.
Wie manches Volk bietet gerade in unsern Tagen eine so unendlich traurige
Erscheinung; es fehlen ihm die Männer, weil ihm die Erziehung fehlt, und in¬
folge dessen eilt es mit Riesenschritten seiner Auslosung entgegen. . . Wer war
denn mit die Ursache jener wunderbaren Erhebung des preußischen Volkes im
Jahre 1813, als sein König es rief? Wer drückte dem bartlosen Jüngling die
Büchse in die Hand und erfüllte sein Herz mit glühender Begeisterung; wer
gürtete den schwachen Knaben zum Schutze für das theure Vaterland? Es war
die Schule, welche in jenen Jahren durch ihre Erziehung Wunder wirkte. Und
wer war es im Jahre 1870, der das ganze deutsche Volk vom Norden bis
zum Süden, vom Osten bis zum Westen in nie gesehener Begeisterung sich er¬
heben ließ? Wer war es, der das deutsche Volk reif machte, eine mächtige, ge¬
achtete Nation unter einem Kaiser zu werden ... ja es war die moderne Schule,
die man heute nun bekämpft" u, s. f. Diese von lebhaftem, andauerndem Beifall
begleiteten Worte werden hoffentlich bei den zukünftigen Geschichtsschreibern Be¬
achtung finden. Also nicht bloß die Schlacht von Königgrätz hat der preu¬
ßische Schulmeister gewonnen, auch die Freiheitskriege, der letzte große Krieg,
die deutsche Kaiserkrone werden ihm vindicirt. Nun begreift man voll¬
kommen, wenn Herr Dr. Wolfs Schillers Wort an die Künstler für die Lehrer
in Anspruch nimmt und ihnen in Karlsruhe zuruft: „Der Menschheit Würde
ist in eure Hand gegeben. Bewahret sie! Sie sinkt mit euch, mit euch wird


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[0566] Rückblicke auf die Lehrerversammlung in Karlsruhe. Auf die Vorwüfe, welche im einzelnen gegen die freien Leserversammlungen erhoben worden sind, wollen wir hier nicht näher eingehen. Im richtigen Sinne geleitet und nicht allzuoft wiederkehrend, mögen diese Versammlungen manches gute im Gefolge haben. Aber auf einige Gefahren möchten wir doch aufmerksam machen, die in letzter Zeit deutlich hervorgetreten sind. In erster Linie steht hier das übertriebene Standesbewußtsein, das sich nicht nur auf den Versamm¬ lungen, sondern auch im Leben bei den Lehrern geltend macht, und die Ueber¬ schätzung ihrer Thätigkeit. „Fragen wir alle mächtigen Völker der Erde," sagte ein Redner in Karlsruhe, „wer ihnen ihre Größe, ihren Ruhm, ihren Glanz verliehen? Sie werden uns antworten, es ist die Erziehung, welche uns diese Größe, diesen Ruhm, diese» Glanz gegeben. Es ist die Erziehung, welche uns nicht herabsinken läßt in die Armseligkeit und Niedrigkeit eines Alltagslebens, und sollten wir dennoch einmal gesunken sein, so ist es wieder die Erziehung, welche uns aufrichtet aus dem Staube und uns mit neuem Ruhme, mit neuem Glanz, mit neuer Große umgiebt. Ja, es liegt eine wunderbare, eine göttliche Kraft in der Erziehung; sie schafft den sittlichen Frieden der Familie, sie schafft die socialen Tugenden, sie durchdringt alle Elemente der ganzen menschlichen Gesellschaft. Die Erziehung schafft vor allem Männer; Männer aber sind es, welche die Völker erheben, sie zur Größe führen und erhalten. Nur durch die Männer verjüngen und erneuern sich die Nationen, und sehlen ihnen die Männer, dann eilen die Völker ihrem Untergange entgegen, sie gehen zu Grunde. Wie manches Volk bietet gerade in unsern Tagen eine so unendlich traurige Erscheinung; es fehlen ihm die Männer, weil ihm die Erziehung fehlt, und in¬ folge dessen eilt es mit Riesenschritten seiner Auslosung entgegen. . . Wer war denn mit die Ursache jener wunderbaren Erhebung des preußischen Volkes im Jahre 1813, als sein König es rief? Wer drückte dem bartlosen Jüngling die Büchse in die Hand und erfüllte sein Herz mit glühender Begeisterung; wer gürtete den schwachen Knaben zum Schutze für das theure Vaterland? Es war die Schule, welche in jenen Jahren durch ihre Erziehung Wunder wirkte. Und wer war es im Jahre 1870, der das ganze deutsche Volk vom Norden bis zum Süden, vom Osten bis zum Westen in nie gesehener Begeisterung sich er¬ heben ließ? Wer war es, der das deutsche Volk reif machte, eine mächtige, ge¬ achtete Nation unter einem Kaiser zu werden ... ja es war die moderne Schule, die man heute nun bekämpft" u, s. f. Diese von lebhaftem, andauerndem Beifall begleiteten Worte werden hoffentlich bei den zukünftigen Geschichtsschreibern Be¬ achtung finden. Also nicht bloß die Schlacht von Königgrätz hat der preu¬ ßische Schulmeister gewonnen, auch die Freiheitskriege, der letzte große Krieg, die deutsche Kaiserkrone werden ihm vindicirt. Nun begreift man voll¬ kommen, wenn Herr Dr. Wolfs Schillers Wort an die Künstler für die Lehrer in Anspruch nimmt und ihnen in Karlsruhe zuruft: „Der Menschheit Würde ist in eure Hand gegeben. Bewahret sie! Sie sinkt mit euch, mit euch wird

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/566>, abgerufen am 01.09.2024.