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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Die ägyptische Frage.

wird, und ist ein Theil des Landes eines Fürsten, der unter dem vereinten
Einflüsse Englands und Frankreichs steht. Ein dreister Meuterer, der Europa
Trotz bieten möchte, darf den Weg Englands nach Indien nicht in seine Ge¬
walt bekommen. Eine solche Lage würde sich in England binnen wenigen Wochen
als unerträglich herausstellen. Auch Frankreich konnte ein derartiges Verhältniß
nicht dulden. Es ist mit Recht stolz darauf, daß die Welt den Canal seiner
kräftigen Initiative und seinem Muthe, als es dafür zu zahlen galt, verdankt.
Sehr viele Franzosen sind Besitzer ägyptischer Staatsschuldscheine. Als Frank¬
reich 1840 und 1841 beinahe einen Krieg gewagt hätte, um Mehemed Alis
Unabhängigkeit zu vertheidigen, standen keine solchen soliden Interessen auf dem
Spiele; man gehorchte fast allein dein sentimentalen Antriebe, den Thiers seinen
Studien der Feldzüge Napoleons entnommen hatte. Allein kann es nicht inter-
veniren, weil England und Italien das uuter keinen Umständen dulden würden.
Ebensowenig kann England ohne entschiednen Einspruch Frankreichs in Aegypten
militärisch eingreifen. Italien allein mit der Herstellung der Ordnung zu be¬
trauen, wird ebensowenig angehen. Eine gemeinsame englisch-französische Ex¬
pedition zu dem Zwecke wird in London mit Recht bedenklich gefunden, eine
englisch-italienische wäre in Paris Wusa inAratg., so scheint in der That nur der
Ausweg übrig zu bleiben, daß man den Türken gestattet, den Aufstand zu unterdrücken.

Man Wirdeinwerfen, daß der Sultan, nachdem er in Aegypten Ruhe und
Ordnung geschaffen, Neigung haben könnte, das erbliche Paschalik aufzuheben,
und das Land unter seine Günstlinge zu vertheilen, und daß in solchem Falle
das Delta sehr bald auf den elenden Zustand Armeniens herabgebracht sein
würde. Wohl möglich; aber Wollen und Vollbringen ist zweierlei. Die
Neigung würde nur zur That werden können, wenn England und Frankreich
sich ganz aus der Affaire zurückzögen, was wegen der vitalen Interessen, die
beide Mächte an: Nile haben, vollkommen unmöglich und undenkbar ist. Es
wäre mit andern Worten abgeschmackt, zu glauben, die Pforte könne in Aegypten
gegen die Ideen und den Willen der beiden Westmächte handeln. Ihre Inter¬
vention würde zu einem scharf umschränkten Zwecke ungerufen, sie würde vorher
w Betreff der Zahl der Truppen, der Ausdehnung ihrer Operationen und der
Dauer ihres Verbleibens geregelt werden. Daß der Sultan eine einzige dieser
Bestimmungen verletzen, eine einzige dieser Beschränkungen überschreiten, daß
^, nachdem seine Truppen ihre Aufgabe erfüllt, sich weigern würde, sie zu¬
rückzurufen, heißt einerseits annehmen, daß das ottomanische Reich im Punkte
der Moral auf das Niveau eines Stammes von Wilden herabgesunken sei,
andrerseits es in seiner Vorstellung zu einer Militärmacht erheben, welche im¬
stande wäre, dem Westen Trotz zu bieten. Schon der einzige Umstand, daß
twe türkische Streitmacht für Aegypten in der Hauptsache zur See abgesandt
und auf demselben Wege mit Kricgsvorräthcn versehen und verstärkt werden
wüßte, sollte solche wunderliche Befürchtungen nicht aufkommen lassen.


Grenzboten 111. Z3SZ. ö8
Die ägyptische Frage.

wird, und ist ein Theil des Landes eines Fürsten, der unter dem vereinten
Einflüsse Englands und Frankreichs steht. Ein dreister Meuterer, der Europa
Trotz bieten möchte, darf den Weg Englands nach Indien nicht in seine Ge¬
walt bekommen. Eine solche Lage würde sich in England binnen wenigen Wochen
als unerträglich herausstellen. Auch Frankreich konnte ein derartiges Verhältniß
nicht dulden. Es ist mit Recht stolz darauf, daß die Welt den Canal seiner
kräftigen Initiative und seinem Muthe, als es dafür zu zahlen galt, verdankt.
Sehr viele Franzosen sind Besitzer ägyptischer Staatsschuldscheine. Als Frank¬
reich 1840 und 1841 beinahe einen Krieg gewagt hätte, um Mehemed Alis
Unabhängigkeit zu vertheidigen, standen keine solchen soliden Interessen auf dem
Spiele; man gehorchte fast allein dein sentimentalen Antriebe, den Thiers seinen
Studien der Feldzüge Napoleons entnommen hatte. Allein kann es nicht inter-
veniren, weil England und Italien das uuter keinen Umständen dulden würden.
Ebensowenig kann England ohne entschiednen Einspruch Frankreichs in Aegypten
militärisch eingreifen. Italien allein mit der Herstellung der Ordnung zu be¬
trauen, wird ebensowenig angehen. Eine gemeinsame englisch-französische Ex¬
pedition zu dem Zwecke wird in London mit Recht bedenklich gefunden, eine
englisch-italienische wäre in Paris Wusa inAratg., so scheint in der That nur der
Ausweg übrig zu bleiben, daß man den Türken gestattet, den Aufstand zu unterdrücken.

Man Wirdeinwerfen, daß der Sultan, nachdem er in Aegypten Ruhe und
Ordnung geschaffen, Neigung haben könnte, das erbliche Paschalik aufzuheben,
und das Land unter seine Günstlinge zu vertheilen, und daß in solchem Falle
das Delta sehr bald auf den elenden Zustand Armeniens herabgebracht sein
würde. Wohl möglich; aber Wollen und Vollbringen ist zweierlei. Die
Neigung würde nur zur That werden können, wenn England und Frankreich
sich ganz aus der Affaire zurückzögen, was wegen der vitalen Interessen, die
beide Mächte an: Nile haben, vollkommen unmöglich und undenkbar ist. Es
wäre mit andern Worten abgeschmackt, zu glauben, die Pforte könne in Aegypten
gegen die Ideen und den Willen der beiden Westmächte handeln. Ihre Inter¬
vention würde zu einem scharf umschränkten Zwecke ungerufen, sie würde vorher
w Betreff der Zahl der Truppen, der Ausdehnung ihrer Operationen und der
Dauer ihres Verbleibens geregelt werden. Daß der Sultan eine einzige dieser
Bestimmungen verletzen, eine einzige dieser Beschränkungen überschreiten, daß
^, nachdem seine Truppen ihre Aufgabe erfüllt, sich weigern würde, sie zu¬
rückzurufen, heißt einerseits annehmen, daß das ottomanische Reich im Punkte
der Moral auf das Niveau eines Stammes von Wilden herabgesunken sei,
andrerseits es in seiner Vorstellung zu einer Militärmacht erheben, welche im¬
stande wäre, dem Westen Trotz zu bieten. Schon der einzige Umstand, daß
twe türkische Streitmacht für Aegypten in der Hauptsache zur See abgesandt
und auf demselben Wege mit Kricgsvorräthcn versehen und verstärkt werden
wüßte, sollte solche wunderliche Befürchtungen nicht aufkommen lassen.


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[0541] Die ägyptische Frage. wird, und ist ein Theil des Landes eines Fürsten, der unter dem vereinten Einflüsse Englands und Frankreichs steht. Ein dreister Meuterer, der Europa Trotz bieten möchte, darf den Weg Englands nach Indien nicht in seine Ge¬ walt bekommen. Eine solche Lage würde sich in England binnen wenigen Wochen als unerträglich herausstellen. Auch Frankreich konnte ein derartiges Verhältniß nicht dulden. Es ist mit Recht stolz darauf, daß die Welt den Canal seiner kräftigen Initiative und seinem Muthe, als es dafür zu zahlen galt, verdankt. Sehr viele Franzosen sind Besitzer ägyptischer Staatsschuldscheine. Als Frank¬ reich 1840 und 1841 beinahe einen Krieg gewagt hätte, um Mehemed Alis Unabhängigkeit zu vertheidigen, standen keine solchen soliden Interessen auf dem Spiele; man gehorchte fast allein dein sentimentalen Antriebe, den Thiers seinen Studien der Feldzüge Napoleons entnommen hatte. Allein kann es nicht inter- veniren, weil England und Italien das uuter keinen Umständen dulden würden. Ebensowenig kann England ohne entschiednen Einspruch Frankreichs in Aegypten militärisch eingreifen. Italien allein mit der Herstellung der Ordnung zu be¬ trauen, wird ebensowenig angehen. Eine gemeinsame englisch-französische Ex¬ pedition zu dem Zwecke wird in London mit Recht bedenklich gefunden, eine englisch-italienische wäre in Paris Wusa inAratg., so scheint in der That nur der Ausweg übrig zu bleiben, daß man den Türken gestattet, den Aufstand zu unterdrücken. Man Wirdeinwerfen, daß der Sultan, nachdem er in Aegypten Ruhe und Ordnung geschaffen, Neigung haben könnte, das erbliche Paschalik aufzuheben, und das Land unter seine Günstlinge zu vertheilen, und daß in solchem Falle das Delta sehr bald auf den elenden Zustand Armeniens herabgebracht sein würde. Wohl möglich; aber Wollen und Vollbringen ist zweierlei. Die Neigung würde nur zur That werden können, wenn England und Frankreich sich ganz aus der Affaire zurückzögen, was wegen der vitalen Interessen, die beide Mächte an: Nile haben, vollkommen unmöglich und undenkbar ist. Es wäre mit andern Worten abgeschmackt, zu glauben, die Pforte könne in Aegypten gegen die Ideen und den Willen der beiden Westmächte handeln. Ihre Inter¬ vention würde zu einem scharf umschränkten Zwecke ungerufen, sie würde vorher w Betreff der Zahl der Truppen, der Ausdehnung ihrer Operationen und der Dauer ihres Verbleibens geregelt werden. Daß der Sultan eine einzige dieser Bestimmungen verletzen, eine einzige dieser Beschränkungen überschreiten, daß ^, nachdem seine Truppen ihre Aufgabe erfüllt, sich weigern würde, sie zu¬ rückzurufen, heißt einerseits annehmen, daß das ottomanische Reich im Punkte der Moral auf das Niveau eines Stammes von Wilden herabgesunken sei, andrerseits es in seiner Vorstellung zu einer Militärmacht erheben, welche im¬ stande wäre, dem Westen Trotz zu bieten. Schon der einzige Umstand, daß twe türkische Streitmacht für Aegypten in der Hauptsache zur See abgesandt und auf demselben Wege mit Kricgsvorräthcn versehen und verstärkt werden wüßte, sollte solche wunderliche Befürchtungen nicht aufkommen lassen. Grenzboten 111. Z3SZ. ö8

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/541>, abgerufen am 22.11.2024.