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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Die ägyptische Frage.

nach Entlassung des Premierministers bewilligt wurde. Der Khedive erbot sich,
denselben durch Eyub oder Haidar Pascha zu ersetzen, und Arabi erklärte sich
damit einverstanden, die andern Obersten aber verlangten Scherif Pascha, und
der Khedive ging schließlich darauf ein. Der neue Premier hat seitdem sein
Amt angetreten und ist mit der Bildung eines andern Cabinets beschäftigt. So
ist die Angelegenheit nur theilweise erledigt, und die Hauptsachen sind noch in
der Schwebe. Unsicher scheint die neueste Nachricht, die aufständischen Truppen
hätten sich unterworfen. Sicher dagegen ist, auch wenn sich dies bestätigen
sollte, daß in der Armee des Khedive Tewfik ein Geist herrscht, welcher die
Sicherheit der ägyptischen Regierung und der sehr wichtigen Interessen Europas
im Nilthale so schwer bedroht, daß diese Armee aufgelöst und reorganisirt werden
und daß inzwischen eine andre Macht an deren Stelle treten muß.

Hätten die unzufriedneu Regimenter nur Forderungen militärischer Natur
erhoben, so wäre ihr Auftreten zwar im höchsten Grade ungehörig und strafbar
gewesen, aber ihre Beschwerde hätte sich vielleicht abstellen lassen, ohne die
Sicherheit des Staates zu gefährden und ohne die Bande der Disciplin allzu¬
sehr zu lockern. Aber sie sind, wie berichtet wurde, weiter gegangen: sie haben
eine Constitution verlangt, und sie haben diese Frage an die Instanz der Pforte
verweisen lassen, wodurch die sehr heiklen Beziehungen zwischer dieser und
Aeghpten aufs stärkste berührt werden -- Beziehungen, die namentlich Frank¬
reich nicht zu einer thatsächlichen Abhängigkeit des Khedive vom Sultan
werden zu lassen gewillt sein wird, die aber auch England sich nicht nach dieser
Richtung hin entwickeln lassen kann. Was die ägyptische Soldatesca sich unter
einer Constitution vorstellt, wissen wir nicht, die Leute, die über der Bühne
des Puppenspiels die Drähte dirigiren, werden sich darüber klarer sein, am
klarsten aber die schlauen Intriganten, denen sie wieder zu Werkzeugen dienen.

Wäre das Verlangen der Meuterer aber auch besser begründet, so war
der Weg, den sie zu Hrem Ziele einschlugen, ein durchaus verwerflicher und
thörichter. Sollte die Pforte auf ihren Anspruch einzugehen geneigt sein, so
würden die Mächte, welche an der Erhaltung des bestehenden in Aeghpten ein
weit größeres Interesse haben als die ottomanische Regierung, auf keinen Fall
ihre Zustimmung dazu geben. Sie haben nach reiflicher Erwägung beschlossen,
daß das gegenwärtige Vcrwaltnngssystem in Aeghpten einzuführen sei, nach welchem
ein nationaler Fürst und eingeborne Minister das Land unter einer gewissen
Mitwirkung und Controle europäischer Beamten, welchen die Aufsicht über die
Justiz und die Finanzen übertragen ist, regieren sollen; sie haben gefunden,
daß dieses System alle Bürgschaften gewährt, welche Aeghpten zur Entwicklung
seiner Hilfsquellen, zur allmählichen Einführung der nothwendigen Reformen
"ut zum Wohlbefinden aller Schichten seiner Bevölkerung bedarf, und sie
werden sich von dem Wege, den sie mit dieser Ordnung der Dinge eingeschlagen
haben, nicht durch eine Hand voll aufgewiegelter Nizams abdrängen lassen,


Die ägyptische Frage.

nach Entlassung des Premierministers bewilligt wurde. Der Khedive erbot sich,
denselben durch Eyub oder Haidar Pascha zu ersetzen, und Arabi erklärte sich
damit einverstanden, die andern Obersten aber verlangten Scherif Pascha, und
der Khedive ging schließlich darauf ein. Der neue Premier hat seitdem sein
Amt angetreten und ist mit der Bildung eines andern Cabinets beschäftigt. So
ist die Angelegenheit nur theilweise erledigt, und die Hauptsachen sind noch in
der Schwebe. Unsicher scheint die neueste Nachricht, die aufständischen Truppen
hätten sich unterworfen. Sicher dagegen ist, auch wenn sich dies bestätigen
sollte, daß in der Armee des Khedive Tewfik ein Geist herrscht, welcher die
Sicherheit der ägyptischen Regierung und der sehr wichtigen Interessen Europas
im Nilthale so schwer bedroht, daß diese Armee aufgelöst und reorganisirt werden
und daß inzwischen eine andre Macht an deren Stelle treten muß.

Hätten die unzufriedneu Regimenter nur Forderungen militärischer Natur
erhoben, so wäre ihr Auftreten zwar im höchsten Grade ungehörig und strafbar
gewesen, aber ihre Beschwerde hätte sich vielleicht abstellen lassen, ohne die
Sicherheit des Staates zu gefährden und ohne die Bande der Disciplin allzu¬
sehr zu lockern. Aber sie sind, wie berichtet wurde, weiter gegangen: sie haben
eine Constitution verlangt, und sie haben diese Frage an die Instanz der Pforte
verweisen lassen, wodurch die sehr heiklen Beziehungen zwischer dieser und
Aeghpten aufs stärkste berührt werden — Beziehungen, die namentlich Frank¬
reich nicht zu einer thatsächlichen Abhängigkeit des Khedive vom Sultan
werden zu lassen gewillt sein wird, die aber auch England sich nicht nach dieser
Richtung hin entwickeln lassen kann. Was die ägyptische Soldatesca sich unter
einer Constitution vorstellt, wissen wir nicht, die Leute, die über der Bühne
des Puppenspiels die Drähte dirigiren, werden sich darüber klarer sein, am
klarsten aber die schlauen Intriganten, denen sie wieder zu Werkzeugen dienen.

Wäre das Verlangen der Meuterer aber auch besser begründet, so war
der Weg, den sie zu Hrem Ziele einschlugen, ein durchaus verwerflicher und
thörichter. Sollte die Pforte auf ihren Anspruch einzugehen geneigt sein, so
würden die Mächte, welche an der Erhaltung des bestehenden in Aeghpten ein
weit größeres Interesse haben als die ottomanische Regierung, auf keinen Fall
ihre Zustimmung dazu geben. Sie haben nach reiflicher Erwägung beschlossen,
daß das gegenwärtige Vcrwaltnngssystem in Aeghpten einzuführen sei, nach welchem
ein nationaler Fürst und eingeborne Minister das Land unter einer gewissen
Mitwirkung und Controle europäischer Beamten, welchen die Aufsicht über die
Justiz und die Finanzen übertragen ist, regieren sollen; sie haben gefunden,
daß dieses System alle Bürgschaften gewährt, welche Aeghpten zur Entwicklung
seiner Hilfsquellen, zur allmählichen Einführung der nothwendigen Reformen
«ut zum Wohlbefinden aller Schichten seiner Bevölkerung bedarf, und sie
werden sich von dem Wege, den sie mit dieser Ordnung der Dinge eingeschlagen
haben, nicht durch eine Hand voll aufgewiegelter Nizams abdrängen lassen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/535>, abgerufen am 01.09.2024.