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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Neueste Bulle" deutscher Lyrik.

O Prosa des Lebens,
Verlasse mich bald,
Sonst kommet mein Winter,
Und der Winter ist kalt.

Nicht stören unsern Idealisten in dem heißen Drange, seine Liebespein poetisch
zu verklären, die "spitzen, unbequemen Redensarten" der Leute, denen er (S, 27)
zuruft:


Glaubt Ihr denn, daß ich nicht glücklich,
Daß mich Gram verzehrt?
I die Liebe ist erquicklich
Und beneidenswert!).
, Drum mögt Ihr mich ruhig Schelte"
Als vllkwt voran;
Laß' ich Eure Prosa gelten,
Laßt nur die Poesie!

Von welcher Art diese Poesie ist, möge das auf der folgenden Seite zu lesende
Gedicht "Merkwürdig" illustriren, um welches alle angehenden Mhndriche den Antot
beneiden dürfen:


Ich träumt', bei meiner Ehre,
Daß mir mein Liebchen wäre
Ach plötzlich ausgerückt;
Und wie ich da erwache
Und seh', daß an der Sache
Nichts wahr ist -- war ich hochbeglückt;
Doch wie ich sinnend schwärme
Und mich halbwachend härme,
Da -- bin ich wieder eingenickt.

Selten wohl ist seit Lauras Tagen ein weibliches Wesen so sinnig verherrlicht
worden wie die Dame dieses Poeten, der, nachdem er "ihre Aeuglein und ihr Haar
lieblich, reizend, wunderbar" gepriesen, begeistert anhebt:


Ach, und erst ihr kleines Mündchen!
Sapperlot, das ganze Kindchen
Ist und bleibt, 'ich sag' es frei --
Meine ganze Schwärmerei.

Diese Schwärmerei verhindert jedoch den Dichter nicht, gelegentlich auch andern
Reizen seine Huldigung zu entbieten, so in dem prächtigen Gedichte


Die dicke Liese.
Schwarze Haare, -- blaue Augen,
Ach, wie selten sieht man diese,
Und das Alles, keinen zu glauben,
Hat die dicke Liese. Dicke Liese, schwarze Liese,
Blaue Amorette,
Ach, Du liebe Vielgcpriesnc
Schwarze, Blaue, Fette.

Besonders stolz darf die zumeist gefeierte, sein "Herz'l," wie er sie mehrmals zärt¬
lich cipostrophirt, auf die Huldigung sein, die ihr in Gestalt eines Sonettenkwnzt'S
zu Theil wird; denn unser Dichter will als fvrmenknndigcr Meister keineswegs
hinter seine" Mitbewerbern um den lyrischen Lorbeer zurückstehen, sondern über¬
trumpft dieselben uoch dnrch das kühne Unternehmen, vierzehn Sonette in der
Weise aneinanderzureihen, daß ihre Anfangszeiten ein neues selbständiges sonee


Neueste Bulle» deutscher Lyrik.

O Prosa des Lebens,
Verlasse mich bald,
Sonst kommet mein Winter,
Und der Winter ist kalt.

Nicht stören unsern Idealisten in dem heißen Drange, seine Liebespein poetisch
zu verklären, die „spitzen, unbequemen Redensarten" der Leute, denen er (S, 27)
zuruft:


Glaubt Ihr denn, daß ich nicht glücklich,
Daß mich Gram verzehrt?
I die Liebe ist erquicklich
Und beneidenswert!).
, Drum mögt Ihr mich ruhig Schelte»
Als vllkwt voran;
Laß' ich Eure Prosa gelten,
Laßt nur die Poesie!

Von welcher Art diese Poesie ist, möge das auf der folgenden Seite zu lesende
Gedicht „Merkwürdig" illustriren, um welches alle angehenden Mhndriche den Antot
beneiden dürfen:


Ich träumt', bei meiner Ehre,
Daß mir mein Liebchen wäre
Ach plötzlich ausgerückt;
Und wie ich da erwache
Und seh', daß an der Sache
Nichts wahr ist — war ich hochbeglückt;
Doch wie ich sinnend schwärme
Und mich halbwachend härme,
Da — bin ich wieder eingenickt.

Selten wohl ist seit Lauras Tagen ein weibliches Wesen so sinnig verherrlicht
worden wie die Dame dieses Poeten, der, nachdem er „ihre Aeuglein und ihr Haar
lieblich, reizend, wunderbar" gepriesen, begeistert anhebt:


Ach, und erst ihr kleines Mündchen!
Sapperlot, das ganze Kindchen
Ist und bleibt, 'ich sag' es frei —
Meine ganze Schwärmerei.

Diese Schwärmerei verhindert jedoch den Dichter nicht, gelegentlich auch andern
Reizen seine Huldigung zu entbieten, so in dem prächtigen Gedichte


Die dicke Liese.
Schwarze Haare, — blaue Augen,
Ach, wie selten sieht man diese,
Und das Alles, keinen zu glauben,
Hat die dicke Liese. Dicke Liese, schwarze Liese,
Blaue Amorette,
Ach, Du liebe Vielgcpriesnc
Schwarze, Blaue, Fette.

Besonders stolz darf die zumeist gefeierte, sein „Herz'l," wie er sie mehrmals zärt¬
lich cipostrophirt, auf die Huldigung sein, die ihr in Gestalt eines Sonettenkwnzt'S
zu Theil wird; denn unser Dichter will als fvrmenknndigcr Meister keineswegs
hinter seine» Mitbewerbern um den lyrischen Lorbeer zurückstehen, sondern über¬
trumpft dieselben uoch dnrch das kühne Unternehmen, vierzehn Sonette in der
Weise aneinanderzureihen, daß ihre Anfangszeiten ein neues selbständiges sonee


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[0514] Neueste Bulle» deutscher Lyrik. O Prosa des Lebens, Verlasse mich bald, Sonst kommet mein Winter, Und der Winter ist kalt. Nicht stören unsern Idealisten in dem heißen Drange, seine Liebespein poetisch zu verklären, die „spitzen, unbequemen Redensarten" der Leute, denen er (S, 27) zuruft: Glaubt Ihr denn, daß ich nicht glücklich, Daß mich Gram verzehrt? I die Liebe ist erquicklich Und beneidenswert!). , Drum mögt Ihr mich ruhig Schelte» Als vllkwt voran; Laß' ich Eure Prosa gelten, Laßt nur die Poesie! Von welcher Art diese Poesie ist, möge das auf der folgenden Seite zu lesende Gedicht „Merkwürdig" illustriren, um welches alle angehenden Mhndriche den Antot beneiden dürfen: Ich träumt', bei meiner Ehre, Daß mir mein Liebchen wäre Ach plötzlich ausgerückt; Und wie ich da erwache Und seh', daß an der Sache Nichts wahr ist — war ich hochbeglückt; Doch wie ich sinnend schwärme Und mich halbwachend härme, Da — bin ich wieder eingenickt. Selten wohl ist seit Lauras Tagen ein weibliches Wesen so sinnig verherrlicht worden wie die Dame dieses Poeten, der, nachdem er „ihre Aeuglein und ihr Haar lieblich, reizend, wunderbar" gepriesen, begeistert anhebt: Ach, und erst ihr kleines Mündchen! Sapperlot, das ganze Kindchen Ist und bleibt, 'ich sag' es frei — Meine ganze Schwärmerei. Diese Schwärmerei verhindert jedoch den Dichter nicht, gelegentlich auch andern Reizen seine Huldigung zu entbieten, so in dem prächtigen Gedichte Die dicke Liese. Schwarze Haare, — blaue Augen, Ach, wie selten sieht man diese, Und das Alles, keinen zu glauben, Hat die dicke Liese. Dicke Liese, schwarze Liese, Blaue Amorette, Ach, Du liebe Vielgcpriesnc Schwarze, Blaue, Fette. Besonders stolz darf die zumeist gefeierte, sein „Herz'l," wie er sie mehrmals zärt¬ lich cipostrophirt, auf die Huldigung sein, die ihr in Gestalt eines Sonettenkwnzt'S zu Theil wird; denn unser Dichter will als fvrmenknndigcr Meister keineswegs hinter seine» Mitbewerbern um den lyrischen Lorbeer zurückstehen, sondern über¬ trumpft dieselben uoch dnrch das kühne Unternehmen, vierzehn Sonette in der Weise aneinanderzureihen, daß ihre Anfangszeiten ein neues selbständiges sonee

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/514>, abgerufen am 01.09.2024.