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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Neueste Blüten deutscher Lyrik.

Und jedenfalls hofft sie, daß der Kritiker sich der Macht der zu Hilfe gerufenen
Thatsachen beugen werde, wenn sie zum Schlüsse ihm zuruft:


Da Gott denn will, daß frei nach seinem Drang
Ein jedes Vöglein in dem Walde singe,
Und daß die Primel blüh' am Wiesenhang,
So tutt' auch du es, daß mein Lied erklinge!

Wenn die Sängerin, ihrem ersten Entschlüsse getreu, ihr Lied nur "zu eignem
Genuß," "in dunkelster Laube" sänge, wer wäre so schlecht erzogen, die beanspruchte
Duldung, zumal einer Dame, zu versagen? Da sie jedoch ihre Frühlingslieder und
alle die lyrischen Accorde, mit denen sie den Spätsommer, Herbst und Winter be¬
gleitet, "erklingen" läßt, so muß sie es wohl oder übel über sich ergehen lassen,
daß man dieselben auf ihre Existenzberechtigung hin untersucht, und diese ist aller¬
dings uicht groß, denn Facta wie die, daß im Frühling "kleine Primel" sprießen
wieder, Veilchen blühn an jedem Hag," "die Schwalbe wiederkehrt," im Herbst
aber "entlaubt stehn rings die Bäume," möchten, in ähnlicher Art vorgetragen, all¬
mählich ihre Zugkraft verloren haben. Und welchen Raum nehmen diese den Jahres¬
zeiten gewidmeten Ergüsse in dein Buche ein, ganz abgesehen von denjenigen, in
denen die Natur im allgemeinen besungen wird! Eine warme Verehrerin derselben,
der Wiese und Wald der liebste Aufenthalt sind, erhebt die Dichterin mit beson¬
dern! Eifer für Conservirung der Wälder ihre Stimme; nicht weniger als drei
lange Gedichte dienen diesem an sich gewiß anerkennenswerther Zwecke, zu dessen
Erreichung sie lyrische und praktische Gründe sinnig vereinigt; so heißt es auf S, 41
(..Beim Umbauen eines Waldes"):


Ja, wenn im Leuz dann durch Wolkencisfe
Prasselnd stürze" die Regengüsse,
saugt keine Pflanzendecke sie ans;
Alles zerreißend rasen die Flüsse
Thalwärts im Lauf,
Ach, mit den schattmspcudeude" Bäume"
Sterben, die ihre" Fuß umsäumen,
Blumen und Kraut! Kein Liebender wird
Unter den wilde" Rose" hier drinnen
Biemmumschwirrt.

Die ganze Wehmuth der Dichterin entlädt sich, wie sie auf stillem Feld, "wo Ceres'
Garben reiften," Männer trifft, "die der Erde Brust zerhackt, Dämme hausend,
kahl und nackt":


"Freunde," sprach ich, meiner selbst kam" mächtig,
"Enge, was habt ihr da gethan?"
""Hierher kommt die neue Bah",""
Riefe" lachend sie, ""und das ist prächtig!""

In düstern Bildern malt sie prophetisch die schweren Uebel, die daraus keimen
Werden:


Welle Kinder in"ger" a"f de" Stiege",
Freche Mädchen lachen wild,
Männer, die der Rohheit Bild,
Leeren dort das Glas mit gier'gen Zügen . . .
Ausgetilgt ist eine Welt des Schönen
Auf dem Fleckchen Erde hier,
Ach, ein Eden war sie mir,
U"d für sie Scham' ich mich "icht der Thränen!

Auch ein halbes Dutzend "Sonnette" (hio) wird dem Leser dargeboten; be¬
sonders interessant ist darunter das mit der Ueberschrift "Metrik" (S, 225), in


Grenzboten UI. 18S1. 63
Neueste Blüten deutscher Lyrik.

Und jedenfalls hofft sie, daß der Kritiker sich der Macht der zu Hilfe gerufenen
Thatsachen beugen werde, wenn sie zum Schlüsse ihm zuruft:


Da Gott denn will, daß frei nach seinem Drang
Ein jedes Vöglein in dem Walde singe,
Und daß die Primel blüh' am Wiesenhang,
So tutt' auch du es, daß mein Lied erklinge!

Wenn die Sängerin, ihrem ersten Entschlüsse getreu, ihr Lied nur „zu eignem
Genuß," „in dunkelster Laube" sänge, wer wäre so schlecht erzogen, die beanspruchte
Duldung, zumal einer Dame, zu versagen? Da sie jedoch ihre Frühlingslieder und
alle die lyrischen Accorde, mit denen sie den Spätsommer, Herbst und Winter be¬
gleitet, „erklingen" läßt, so muß sie es wohl oder übel über sich ergehen lassen,
daß man dieselben auf ihre Existenzberechtigung hin untersucht, und diese ist aller¬
dings uicht groß, denn Facta wie die, daß im Frühling „kleine Primel» sprießen
wieder, Veilchen blühn an jedem Hag," „die Schwalbe wiederkehrt," im Herbst
aber „entlaubt stehn rings die Bäume," möchten, in ähnlicher Art vorgetragen, all¬
mählich ihre Zugkraft verloren haben. Und welchen Raum nehmen diese den Jahres¬
zeiten gewidmeten Ergüsse in dein Buche ein, ganz abgesehen von denjenigen, in
denen die Natur im allgemeinen besungen wird! Eine warme Verehrerin derselben,
der Wiese und Wald der liebste Aufenthalt sind, erhebt die Dichterin mit beson¬
dern! Eifer für Conservirung der Wälder ihre Stimme; nicht weniger als drei
lange Gedichte dienen diesem an sich gewiß anerkennenswerther Zwecke, zu dessen
Erreichung sie lyrische und praktische Gründe sinnig vereinigt; so heißt es auf S, 41
(..Beim Umbauen eines Waldes"):


Ja, wenn im Leuz dann durch Wolkencisfe
Prasselnd stürze» die Regengüsse,
saugt keine Pflanzendecke sie ans;
Alles zerreißend rasen die Flüsse
Thalwärts im Lauf,
Ach, mit den schattmspcudeude» Bäume»
Sterben, die ihre» Fuß umsäumen,
Blumen und Kraut! Kein Liebender wird
Unter den wilde» Rose» hier drinnen
Biemmumschwirrt.

Die ganze Wehmuth der Dichterin entlädt sich, wie sie auf stillem Feld, „wo Ceres'
Garben reiften," Männer trifft, „die der Erde Brust zerhackt, Dämme hausend,
kahl und nackt":


„Freunde," sprach ich, meiner selbst kam» mächtig,
„Enge, was habt ihr da gethan?"
„„Hierher kommt die neue Bah»,""
Riefe» lachend sie, „„und das ist prächtig!""

In düstern Bildern malt sie prophetisch die schweren Uebel, die daraus keimen
Werden:


Welle Kinder in»ger» a»f de» Stiege»,
Freche Mädchen lachen wild,
Männer, die der Rohheit Bild,
Leeren dort das Glas mit gier'gen Zügen . . .
Ausgetilgt ist eine Welt des Schönen
Auf dem Fleckchen Erde hier,
Ach, ein Eden war sie mir,
U»d für sie Scham' ich mich »icht der Thränen!

Auch ein halbes Dutzend „Sonnette" (hio) wird dem Leser dargeboten; be¬
sonders interessant ist darunter das mit der Ueberschrift „Metrik" (S, 225), in


Grenzboten UI. 18S1. 63
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[0505] Neueste Blüten deutscher Lyrik. Und jedenfalls hofft sie, daß der Kritiker sich der Macht der zu Hilfe gerufenen Thatsachen beugen werde, wenn sie zum Schlüsse ihm zuruft: Da Gott denn will, daß frei nach seinem Drang Ein jedes Vöglein in dem Walde singe, Und daß die Primel blüh' am Wiesenhang, So tutt' auch du es, daß mein Lied erklinge! Wenn die Sängerin, ihrem ersten Entschlüsse getreu, ihr Lied nur „zu eignem Genuß," „in dunkelster Laube" sänge, wer wäre so schlecht erzogen, die beanspruchte Duldung, zumal einer Dame, zu versagen? Da sie jedoch ihre Frühlingslieder und alle die lyrischen Accorde, mit denen sie den Spätsommer, Herbst und Winter be¬ gleitet, „erklingen" läßt, so muß sie es wohl oder übel über sich ergehen lassen, daß man dieselben auf ihre Existenzberechtigung hin untersucht, und diese ist aller¬ dings uicht groß, denn Facta wie die, daß im Frühling „kleine Primel» sprießen wieder, Veilchen blühn an jedem Hag," „die Schwalbe wiederkehrt," im Herbst aber „entlaubt stehn rings die Bäume," möchten, in ähnlicher Art vorgetragen, all¬ mählich ihre Zugkraft verloren haben. Und welchen Raum nehmen diese den Jahres¬ zeiten gewidmeten Ergüsse in dein Buche ein, ganz abgesehen von denjenigen, in denen die Natur im allgemeinen besungen wird! Eine warme Verehrerin derselben, der Wiese und Wald der liebste Aufenthalt sind, erhebt die Dichterin mit beson¬ dern! Eifer für Conservirung der Wälder ihre Stimme; nicht weniger als drei lange Gedichte dienen diesem an sich gewiß anerkennenswerther Zwecke, zu dessen Erreichung sie lyrische und praktische Gründe sinnig vereinigt; so heißt es auf S, 41 (..Beim Umbauen eines Waldes"): Ja, wenn im Leuz dann durch Wolkencisfe Prasselnd stürze» die Regengüsse, saugt keine Pflanzendecke sie ans; Alles zerreißend rasen die Flüsse Thalwärts im Lauf, Ach, mit den schattmspcudeude» Bäume» Sterben, die ihre» Fuß umsäumen, Blumen und Kraut! Kein Liebender wird Unter den wilde» Rose» hier drinnen Biemmumschwirrt. Die ganze Wehmuth der Dichterin entlädt sich, wie sie auf stillem Feld, „wo Ceres' Garben reiften," Männer trifft, „die der Erde Brust zerhackt, Dämme hausend, kahl und nackt": „Freunde," sprach ich, meiner selbst kam» mächtig, „Enge, was habt ihr da gethan?" „„Hierher kommt die neue Bah»,"" Riefe» lachend sie, „„und das ist prächtig!"" In düstern Bildern malt sie prophetisch die schweren Uebel, die daraus keimen Werden: Welle Kinder in»ger» a»f de» Stiege», Freche Mädchen lachen wild, Männer, die der Rohheit Bild, Leeren dort das Glas mit gier'gen Zügen . . . Ausgetilgt ist eine Welt des Schönen Auf dem Fleckchen Erde hier, Ach, ein Eden war sie mir, U»d für sie Scham' ich mich »icht der Thränen! Auch ein halbes Dutzend „Sonnette" (hio) wird dem Leser dargeboten; be¬ sonders interessant ist darunter das mit der Ueberschrift „Metrik" (S, 225), in Grenzboten UI. 18S1. 63

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/505>, abgerufen am 25.12.2024.