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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Rümelin über die deutschen Schulen.

obligatorischen Termine erreichen zu können, Leben und Bewegung in die stagni-
rende Masse der Schule gebracht werden, denn für Lehrer, Eltern und Schüler
knüpft sich an den Fortschritt ein bestimmtes, naheliegendes praktisches Interesse.
Schulversäumnisse, der Krebsschaden der Volksschule, würden seltner werden. Für
die beiden Oberklassen der Volksschule würde durch den Abgang der Befähigter",
die das Examen bestanden haben, eine Erleichterung eintreten, die es dem Lehrer
fortan gestattete, der kleinern Zahl der zurückgebliebenen Schwachen und Trägen
größere Aufmerksamkeit zu widmen. Endlich würde die Zeit, welche jetzt der be¬
fähigtere und fleißige Schüler unbeschäftigt auf der Schulbank sitzt, nutzbar werden,
sei es in der Unterstützung der Eltern im Erwerb des täglichen Brotes, sei es
im Interesse seines spätern Berufs. Die Gefahr, daß der schon mit dem 12. Jahre
abgegangene die erworbenen Kenntnisse wieder vergessen möchte, könnte dadurch
vermiede" werden, daß er bis zum vollendeten 14. Jahre noch die Fortbildungs¬
schule besucht, die das Gelernte befestigen und erweitern müßte. Diese Fort¬
bildungsschule oder Oberklasse würde mit 4 bis 6 wöchentlichen Stunden, etwa
an der Hand eines zweiten Theils des Volksschullesebuchs weiterführen. Bei
mäßiger Schülerzahl, meint Rümelin, würde auch in den wenigem Schulstunden
mehr erreicht werden, als wenn man in der Volksschule, so wie sie ist, neue
Perser aufnimmt, die dann auch betrieben werden sollen, wo die Vorbedingungen
dazu fehlen. Mit diesem Vorschlage glaubt Rümelin überdies einem an sich wohl¬
berechtigten, aber bei den bestehenden Schuleinrichtungen sast unausführbaren
Reformpläne entgegenzukommen, dem Bestreben nämlich, Gymnastik und militärische
Vorübungen zu einem wesentlichen Bestandtheile der gesummten Jugendbildung
zu machen. Diese Uebungen würden in jene zwei Jahre fallen. In dieselbe
Zeit könnte die jetzt so warm befürwortete Ausbildung der Handfertigkeiten in
Papp-, Fleche-, Schnitz- und Dreharbciten verlegt werden.

An Einwürfen gegen einen so tief einschneidenden Vorschlag wird es nicht
fehlen. Rümelin selbst hebt deren einige hervor, um sie jedoch sogleich als nicht
stichhaltig zurückzuweisen. Das erste Bedenken würde jedenfalls das sein, daß in
das Stillleben der Volksschule durch Verwirklichung jener Reformen ein gährendes
und treibendes Element der Concurrenz und Aemulation, des Steigens und Hetzens
hineindringen und zu einer Ueberbürdung des kindlichen Alters führen möchte
und daß jeder Lehrer seinen Ehrgeiz darein setzen würde, möglichst viele Schüler
im 12. oder 13. Jahre zum Schlußcxcnnen zu bringen. Nach Rümelins Mei¬
nung wäre hier wohl keine Gefahr zu befürchten. Denn die lähmenden Kräfte,
die in den Schülermassen einer Volksschule walten, würden sicherlich mächtig
genug sein, ein Uebermaß der Zumuthung abzuschneiden, und so würde in Lehrer,
Kinder und Eltern nur ein Wetteifer gelegt werden, dessen Folgen für alle Theile
nur günstig sein könnten.

Wir möchten aber noch auf einige Schwierigkeiten aufmerksam machen, welche
Rümelin entgangen zu sein scheinen. Sie bestehen in der Abgrenzung der Klassen-
Pensen der Volksschule. Dienen die beiden letzten Jahre nur zur Einübung des
vorher gelernten, so kann natürlich der Befähigtere, der seine Zeit fleißig benutzt
hat, ohne Verlust ausscheiden; tritt aber eine Erweiterung des Lehrstoffes ein,
so erleidet der Abgehende eine Einbuße, die durch die wenigen Stunden der Fort¬
bildungsklasse nicht ausgeglichen werden dürfte. Eine weitere Schwierigkeit hängt
mit der Frage nach der Größe der ausscheidenden Schülerzahl zusammen, d. h.
ob die Fortbildungsschule vom 12. bis zum 14. Jahre die Hauptsache werdeu oder
neben der Volksschule nur ein Anhängsel für die bessern Elemente bleiben soll.


Rümelin über die deutschen Schulen.

obligatorischen Termine erreichen zu können, Leben und Bewegung in die stagni-
rende Masse der Schule gebracht werden, denn für Lehrer, Eltern und Schüler
knüpft sich an den Fortschritt ein bestimmtes, naheliegendes praktisches Interesse.
Schulversäumnisse, der Krebsschaden der Volksschule, würden seltner werden. Für
die beiden Oberklassen der Volksschule würde durch den Abgang der Befähigter»,
die das Examen bestanden haben, eine Erleichterung eintreten, die es dem Lehrer
fortan gestattete, der kleinern Zahl der zurückgebliebenen Schwachen und Trägen
größere Aufmerksamkeit zu widmen. Endlich würde die Zeit, welche jetzt der be¬
fähigtere und fleißige Schüler unbeschäftigt auf der Schulbank sitzt, nutzbar werden,
sei es in der Unterstützung der Eltern im Erwerb des täglichen Brotes, sei es
im Interesse seines spätern Berufs. Die Gefahr, daß der schon mit dem 12. Jahre
abgegangene die erworbenen Kenntnisse wieder vergessen möchte, könnte dadurch
vermiede« werden, daß er bis zum vollendeten 14. Jahre noch die Fortbildungs¬
schule besucht, die das Gelernte befestigen und erweitern müßte. Diese Fort¬
bildungsschule oder Oberklasse würde mit 4 bis 6 wöchentlichen Stunden, etwa
an der Hand eines zweiten Theils des Volksschullesebuchs weiterführen. Bei
mäßiger Schülerzahl, meint Rümelin, würde auch in den wenigem Schulstunden
mehr erreicht werden, als wenn man in der Volksschule, so wie sie ist, neue
Perser aufnimmt, die dann auch betrieben werden sollen, wo die Vorbedingungen
dazu fehlen. Mit diesem Vorschlage glaubt Rümelin überdies einem an sich wohl¬
berechtigten, aber bei den bestehenden Schuleinrichtungen sast unausführbaren
Reformpläne entgegenzukommen, dem Bestreben nämlich, Gymnastik und militärische
Vorübungen zu einem wesentlichen Bestandtheile der gesummten Jugendbildung
zu machen. Diese Uebungen würden in jene zwei Jahre fallen. In dieselbe
Zeit könnte die jetzt so warm befürwortete Ausbildung der Handfertigkeiten in
Papp-, Fleche-, Schnitz- und Dreharbciten verlegt werden.

An Einwürfen gegen einen so tief einschneidenden Vorschlag wird es nicht
fehlen. Rümelin selbst hebt deren einige hervor, um sie jedoch sogleich als nicht
stichhaltig zurückzuweisen. Das erste Bedenken würde jedenfalls das sein, daß in
das Stillleben der Volksschule durch Verwirklichung jener Reformen ein gährendes
und treibendes Element der Concurrenz und Aemulation, des Steigens und Hetzens
hineindringen und zu einer Ueberbürdung des kindlichen Alters führen möchte
und daß jeder Lehrer seinen Ehrgeiz darein setzen würde, möglichst viele Schüler
im 12. oder 13. Jahre zum Schlußcxcnnen zu bringen. Nach Rümelins Mei¬
nung wäre hier wohl keine Gefahr zu befürchten. Denn die lähmenden Kräfte,
die in den Schülermassen einer Volksschule walten, würden sicherlich mächtig
genug sein, ein Uebermaß der Zumuthung abzuschneiden, und so würde in Lehrer,
Kinder und Eltern nur ein Wetteifer gelegt werden, dessen Folgen für alle Theile
nur günstig sein könnten.

Wir möchten aber noch auf einige Schwierigkeiten aufmerksam machen, welche
Rümelin entgangen zu sein scheinen. Sie bestehen in der Abgrenzung der Klassen-
Pensen der Volksschule. Dienen die beiden letzten Jahre nur zur Einübung des
vorher gelernten, so kann natürlich der Befähigtere, der seine Zeit fleißig benutzt
hat, ohne Verlust ausscheiden; tritt aber eine Erweiterung des Lehrstoffes ein,
so erleidet der Abgehende eine Einbuße, die durch die wenigen Stunden der Fort¬
bildungsklasse nicht ausgeglichen werden dürfte. Eine weitere Schwierigkeit hängt
mit der Frage nach der Größe der ausscheidenden Schülerzahl zusammen, d. h.
ob die Fortbildungsschule vom 12. bis zum 14. Jahre die Hauptsache werdeu oder
neben der Volksschule nur ein Anhängsel für die bessern Elemente bleiben soll.


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[0434] Rümelin über die deutschen Schulen. obligatorischen Termine erreichen zu können, Leben und Bewegung in die stagni- rende Masse der Schule gebracht werden, denn für Lehrer, Eltern und Schüler knüpft sich an den Fortschritt ein bestimmtes, naheliegendes praktisches Interesse. Schulversäumnisse, der Krebsschaden der Volksschule, würden seltner werden. Für die beiden Oberklassen der Volksschule würde durch den Abgang der Befähigter», die das Examen bestanden haben, eine Erleichterung eintreten, die es dem Lehrer fortan gestattete, der kleinern Zahl der zurückgebliebenen Schwachen und Trägen größere Aufmerksamkeit zu widmen. Endlich würde die Zeit, welche jetzt der be¬ fähigtere und fleißige Schüler unbeschäftigt auf der Schulbank sitzt, nutzbar werden, sei es in der Unterstützung der Eltern im Erwerb des täglichen Brotes, sei es im Interesse seines spätern Berufs. Die Gefahr, daß der schon mit dem 12. Jahre abgegangene die erworbenen Kenntnisse wieder vergessen möchte, könnte dadurch vermiede« werden, daß er bis zum vollendeten 14. Jahre noch die Fortbildungs¬ schule besucht, die das Gelernte befestigen und erweitern müßte. Diese Fort¬ bildungsschule oder Oberklasse würde mit 4 bis 6 wöchentlichen Stunden, etwa an der Hand eines zweiten Theils des Volksschullesebuchs weiterführen. Bei mäßiger Schülerzahl, meint Rümelin, würde auch in den wenigem Schulstunden mehr erreicht werden, als wenn man in der Volksschule, so wie sie ist, neue Perser aufnimmt, die dann auch betrieben werden sollen, wo die Vorbedingungen dazu fehlen. Mit diesem Vorschlage glaubt Rümelin überdies einem an sich wohl¬ berechtigten, aber bei den bestehenden Schuleinrichtungen sast unausführbaren Reformpläne entgegenzukommen, dem Bestreben nämlich, Gymnastik und militärische Vorübungen zu einem wesentlichen Bestandtheile der gesummten Jugendbildung zu machen. Diese Uebungen würden in jene zwei Jahre fallen. In dieselbe Zeit könnte die jetzt so warm befürwortete Ausbildung der Handfertigkeiten in Papp-, Fleche-, Schnitz- und Dreharbciten verlegt werden. An Einwürfen gegen einen so tief einschneidenden Vorschlag wird es nicht fehlen. Rümelin selbst hebt deren einige hervor, um sie jedoch sogleich als nicht stichhaltig zurückzuweisen. Das erste Bedenken würde jedenfalls das sein, daß in das Stillleben der Volksschule durch Verwirklichung jener Reformen ein gährendes und treibendes Element der Concurrenz und Aemulation, des Steigens und Hetzens hineindringen und zu einer Ueberbürdung des kindlichen Alters führen möchte und daß jeder Lehrer seinen Ehrgeiz darein setzen würde, möglichst viele Schüler im 12. oder 13. Jahre zum Schlußcxcnnen zu bringen. Nach Rümelins Mei¬ nung wäre hier wohl keine Gefahr zu befürchten. Denn die lähmenden Kräfte, die in den Schülermassen einer Volksschule walten, würden sicherlich mächtig genug sein, ein Uebermaß der Zumuthung abzuschneiden, und so würde in Lehrer, Kinder und Eltern nur ein Wetteifer gelegt werden, dessen Folgen für alle Theile nur günstig sein könnten. Wir möchten aber noch auf einige Schwierigkeiten aufmerksam machen, welche Rümelin entgangen zu sein scheinen. Sie bestehen in der Abgrenzung der Klassen- Pensen der Volksschule. Dienen die beiden letzten Jahre nur zur Einübung des vorher gelernten, so kann natürlich der Befähigtere, der seine Zeit fleißig benutzt hat, ohne Verlust ausscheiden; tritt aber eine Erweiterung des Lehrstoffes ein, so erleidet der Abgehende eine Einbuße, die durch die wenigen Stunden der Fort¬ bildungsklasse nicht ausgeglichen werden dürfte. Eine weitere Schwierigkeit hängt mit der Frage nach der Größe der ausscheidenden Schülerzahl zusammen, d. h. ob die Fortbildungsschule vom 12. bis zum 14. Jahre die Hauptsache werdeu oder neben der Volksschule nur ein Anhängsel für die bessern Elemente bleiben soll.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/434>, abgerufen am 25.11.2024.