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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Die Entwicklung des Rechts in Deutschland.

wurde auch Britannien normcmnisirt, d. h. frcmkonisirt. Noch heute kommt das
englische Recht im wesentlichen relativ wenig modernisirtem altfranzösischen Rechte
gleich. Von England ist das englische Recht nach Ostindien, Afrika, Australien,
Nordamerika übertragen worden. So hat sich auch in die neu entdeckten Welten,
über den ganzen Erdkreis das salisch-fränkische Recht verbreitet. Als Weltrecht
des Mittelalters ist es rivalisirend neben das kaiserliche Recht des römischen Reichs
getreten.

Das römische Recht war mit dem römischen Reiche nicht untergegangen.
Aber auch da, wo im Frankenreiche massenhaftere römische Bevölkerung sich er¬
hielt, wurde es stark barbarisirt, so in Chnrräthien, in Südfrankreich, wo die
südfranzösischen Coutumes späterhin nicht römisches, sondern frankorömisches
Recht enthalten. Auch in Oberitalien wurde es fast ganz langobardistrt und
blieb nur nominell bestehen. Das einzige Land, wo die einstige Herrlichkeit des
römischen Rechts sich erhielt, war Italien. Hier ging die antike Bildung über¬
haupt und so auch die juristische niemals ganz unter. Allein die gelehrte Li¬
teratur des römischen Rechts vom sechsten bis zum elften Jahrhundert beschränkte
sich darauf, aus den Institutionen und Novellen ein ungefähres Bild des rö¬
mischen Rechts zu entfalten, während die Rechtsanwendung unaufhaltsam in eine
von germanischen! Geiste getränkte Barbarei versank. Erst im zwölften Jahr¬
hundert riefen die Glossatoren von Bologna das reine römische Pandectenrecht
wieder ins Leben und sicherten zugleich durch ihren exegetischen Apparat das
Verständniß desselben für alle folgende Zeit, ohne freilich mit dieser großen
wissenschaftlichen That zugleich auch die Praxis der Rechtsanwendung umzuge¬
stalten. Dieser praktischen Anpassung des wiedergefundnen römischen Rechts unter¬
zogen sich zwei andre Factoren. Zuerst unterwarf die römische Kirche des zwölften
Jahrhunderts dasselbe der Umarbeitung und assimilirte es dnrch Uebersetzung in das
kanonische Recht, durch Umwandlung namentlich des römischen Proceß- und Straf¬
rechts in das kanonische Proceß- und Strafrecht den damaligen Zeitbedürfnissen. In
der Gestalt des (Zorxcis M'is vWonivi wurde so Proceß- und Strafrecht des ^orxus
M-i" "zivilis den folgenden Jahrhunderten überliefert. Der zweite Fcietor, welcher die
Sorge um die praktische Verwendung des römischen Rechts in Italien übernahm,
waren die Commentatoren des dreizehnten und vierzehnten Jahrhunderts. Sie
unterwarfen das Corpus Mils einer Umbildung durch das in den Stadtrechten Ober-
italiens bestehende Gewohnheitsrecht, das auf altlangobardische Ueberlieferungen
zurückging, und bewirkten zugleich die Aufnahme des römischen Rechts in die
langobardischen Gewohnheiten. Indem sie dabei auch das kanonische Recht in den
Kreis ihrer Thätigkeit zogen und die Anwendung desselben in den weltlichen
Gerichten Italiens vermittelten, schufen sie durch die Verbindung des römischen
Rechts mit kanonischen und germanischem Recht ein in der classischen Jurisprudenz
wurzelndes modernisirtes Recht. Im sechzehnten Jahrhundert endigte aber die
schöpferische Kraft des italienischen Geistes. Mit dem Wiedererwachen des etais-


Die Entwicklung des Rechts in Deutschland.

wurde auch Britannien normcmnisirt, d. h. frcmkonisirt. Noch heute kommt das
englische Recht im wesentlichen relativ wenig modernisirtem altfranzösischen Rechte
gleich. Von England ist das englische Recht nach Ostindien, Afrika, Australien,
Nordamerika übertragen worden. So hat sich auch in die neu entdeckten Welten,
über den ganzen Erdkreis das salisch-fränkische Recht verbreitet. Als Weltrecht
des Mittelalters ist es rivalisirend neben das kaiserliche Recht des römischen Reichs
getreten.

Das römische Recht war mit dem römischen Reiche nicht untergegangen.
Aber auch da, wo im Frankenreiche massenhaftere römische Bevölkerung sich er¬
hielt, wurde es stark barbarisirt, so in Chnrräthien, in Südfrankreich, wo die
südfranzösischen Coutumes späterhin nicht römisches, sondern frankorömisches
Recht enthalten. Auch in Oberitalien wurde es fast ganz langobardistrt und
blieb nur nominell bestehen. Das einzige Land, wo die einstige Herrlichkeit des
römischen Rechts sich erhielt, war Italien. Hier ging die antike Bildung über¬
haupt und so auch die juristische niemals ganz unter. Allein die gelehrte Li¬
teratur des römischen Rechts vom sechsten bis zum elften Jahrhundert beschränkte
sich darauf, aus den Institutionen und Novellen ein ungefähres Bild des rö¬
mischen Rechts zu entfalten, während die Rechtsanwendung unaufhaltsam in eine
von germanischen! Geiste getränkte Barbarei versank. Erst im zwölften Jahr¬
hundert riefen die Glossatoren von Bologna das reine römische Pandectenrecht
wieder ins Leben und sicherten zugleich durch ihren exegetischen Apparat das
Verständniß desselben für alle folgende Zeit, ohne freilich mit dieser großen
wissenschaftlichen That zugleich auch die Praxis der Rechtsanwendung umzuge¬
stalten. Dieser praktischen Anpassung des wiedergefundnen römischen Rechts unter¬
zogen sich zwei andre Factoren. Zuerst unterwarf die römische Kirche des zwölften
Jahrhunderts dasselbe der Umarbeitung und assimilirte es dnrch Uebersetzung in das
kanonische Recht, durch Umwandlung namentlich des römischen Proceß- und Straf¬
rechts in das kanonische Proceß- und Strafrecht den damaligen Zeitbedürfnissen. In
der Gestalt des (Zorxcis M'is vWonivi wurde so Proceß- und Strafrecht des ^orxus
M-i« «zivilis den folgenden Jahrhunderten überliefert. Der zweite Fcietor, welcher die
Sorge um die praktische Verwendung des römischen Rechts in Italien übernahm,
waren die Commentatoren des dreizehnten und vierzehnten Jahrhunderts. Sie
unterwarfen das Corpus Mils einer Umbildung durch das in den Stadtrechten Ober-
italiens bestehende Gewohnheitsrecht, das auf altlangobardische Ueberlieferungen
zurückging, und bewirkten zugleich die Aufnahme des römischen Rechts in die
langobardischen Gewohnheiten. Indem sie dabei auch das kanonische Recht in den
Kreis ihrer Thätigkeit zogen und die Anwendung desselben in den weltlichen
Gerichten Italiens vermittelten, schufen sie durch die Verbindung des römischen
Rechts mit kanonischen und germanischem Recht ein in der classischen Jurisprudenz
wurzelndes modernisirtes Recht. Im sechzehnten Jahrhundert endigte aber die
schöpferische Kraft des italienischen Geistes. Mit dem Wiedererwachen des etais-


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[0418] Die Entwicklung des Rechts in Deutschland. wurde auch Britannien normcmnisirt, d. h. frcmkonisirt. Noch heute kommt das englische Recht im wesentlichen relativ wenig modernisirtem altfranzösischen Rechte gleich. Von England ist das englische Recht nach Ostindien, Afrika, Australien, Nordamerika übertragen worden. So hat sich auch in die neu entdeckten Welten, über den ganzen Erdkreis das salisch-fränkische Recht verbreitet. Als Weltrecht des Mittelalters ist es rivalisirend neben das kaiserliche Recht des römischen Reichs getreten. Das römische Recht war mit dem römischen Reiche nicht untergegangen. Aber auch da, wo im Frankenreiche massenhaftere römische Bevölkerung sich er¬ hielt, wurde es stark barbarisirt, so in Chnrräthien, in Südfrankreich, wo die südfranzösischen Coutumes späterhin nicht römisches, sondern frankorömisches Recht enthalten. Auch in Oberitalien wurde es fast ganz langobardistrt und blieb nur nominell bestehen. Das einzige Land, wo die einstige Herrlichkeit des römischen Rechts sich erhielt, war Italien. Hier ging die antike Bildung über¬ haupt und so auch die juristische niemals ganz unter. Allein die gelehrte Li¬ teratur des römischen Rechts vom sechsten bis zum elften Jahrhundert beschränkte sich darauf, aus den Institutionen und Novellen ein ungefähres Bild des rö¬ mischen Rechts zu entfalten, während die Rechtsanwendung unaufhaltsam in eine von germanischen! Geiste getränkte Barbarei versank. Erst im zwölften Jahr¬ hundert riefen die Glossatoren von Bologna das reine römische Pandectenrecht wieder ins Leben und sicherten zugleich durch ihren exegetischen Apparat das Verständniß desselben für alle folgende Zeit, ohne freilich mit dieser großen wissenschaftlichen That zugleich auch die Praxis der Rechtsanwendung umzuge¬ stalten. Dieser praktischen Anpassung des wiedergefundnen römischen Rechts unter¬ zogen sich zwei andre Factoren. Zuerst unterwarf die römische Kirche des zwölften Jahrhunderts dasselbe der Umarbeitung und assimilirte es dnrch Uebersetzung in das kanonische Recht, durch Umwandlung namentlich des römischen Proceß- und Straf¬ rechts in das kanonische Proceß- und Strafrecht den damaligen Zeitbedürfnissen. In der Gestalt des (Zorxcis M'is vWonivi wurde so Proceß- und Strafrecht des ^orxus M-i« «zivilis den folgenden Jahrhunderten überliefert. Der zweite Fcietor, welcher die Sorge um die praktische Verwendung des römischen Rechts in Italien übernahm, waren die Commentatoren des dreizehnten und vierzehnten Jahrhunderts. Sie unterwarfen das Corpus Mils einer Umbildung durch das in den Stadtrechten Ober- italiens bestehende Gewohnheitsrecht, das auf altlangobardische Ueberlieferungen zurückging, und bewirkten zugleich die Aufnahme des römischen Rechts in die langobardischen Gewohnheiten. Indem sie dabei auch das kanonische Recht in den Kreis ihrer Thätigkeit zogen und die Anwendung desselben in den weltlichen Gerichten Italiens vermittelten, schufen sie durch die Verbindung des römischen Rechts mit kanonischen und germanischem Recht ein in der classischen Jurisprudenz wurzelndes modernisirtes Recht. Im sechzehnten Jahrhundert endigte aber die schöpferische Kraft des italienischen Geistes. Mit dem Wiedererwachen des etais-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/418>, abgerufen am 01.09.2024.