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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Die Entwicklung des Rechts in Deutschland.

lische Gerichtsverfassung mit dein Grafen und seinen sieben Urtheilsfindern nebst
der versammelten Gerichtsgemeinde die gothische, burgundische, altalamcmnische,
altbairische Gerichtsverfassung mit ihrem selbsturtheilenden Einzelrichter. Dieser
verschwindet mit der fränkischen Eroberung. In Sachsen gestaltete sich aus der
fränkischen Gerichtsverfassung die des Sachsenspiegels und der übrigen sächsischen
Rechtsquellen.

Ebenso wie das öffentliche Recht war auch das Lehnswesen des Mittel¬
alters fränkischen Ursprungs. Die fränkischen Formen desselben, die Vassallität
und das Beneficium, veränderten die bisherigen Grundbesitz- und Verfassuugs-
verhältnisse in Deutschland, Frankreich, Italien, England von Grund aus und
unterwarfen bei ihrem siegreichen Vordringen über das ganze Westeuropa den
gesammten adlichen Grundbesitz ebenso wie die Herzogtümer, Bisthümer und
Grafschaften der fränkischen Investitur, der feierlichen rechtsförmlichen Besitz¬
einweisung, die bei den Franken Investitur hieß und die wir zwar erst aus
Karolingischer Zeit genauer kennen, wo sie bereits bei Alamannen, Baiern, Bur-
gunden und Gothen in vollem Gebrauche war, die aber gleichwohl als eine den
Franken ursprünglich eigenthümliche Institution gelten mich. Denn weder das
altwestgothische noch das langobardische Recht kennen eine ähnliche rechtsförmliche
Besitzeinweisung, vielmehr beschränkt sich jenes auf eine formlose Besitzübergabe
(trMtio) oder auf Uebergabe einer Urkunde, die fern von dem Grundstücke er¬
folgen konnte und nur das Eigenthum an demselben, nicht den Besitz über¬
mittelte; und genau das gleiche gilt vom langobardischcn Rechte, wo die Ueber¬
gabe der Urkunde außerdem die einzige Rechtsform für den Grundbesitzverkehr
gewesen zu sein scheint. Auch nach der Einverleibung des langobardischen Reichs
in das fränkische recipirte das langobardische Recht die fränkische Investitur nicht,
während sie bei den übrigen Stämmen des Frankenreichs, auch bei den Sachsen
des Festlandes, sofort nach der fränkischen Eroberung, bei deu Angelsachsen dagegen
erst mit den Normannen, d. h. mit dem fränkischen Rechte auftritt. Auch in
Baiern und Alamannien, wo die Volksrechte die Investitur mit keinem Worte er¬
wähnen und die Begehung der Urkunde als rechtlich vollkommener Veräußerungsact
genügte, ist sie erst nach der fränkischen Eroberung seit Mitte des achten Jahr¬
hunderts mit Sicherheit nachweisbar. Im Gegensatz zu den übrigen Stammes-
rcchten fordert das fränkische Jmmobiliarsachenrecht für die Veräußerung von
Eigen zweifachen Veräußerungsact, die feierliche Erklärung des Veräußernngs-
willens (tiAäitio) und die gleichfalls feierliche Vollziehung dieses Veräußeruugs-
willens (iiivsLÄui'g.). Dieses fränkische Recht ist im Mittelalter im Norden wie
im Süden Deutschlands, in Sachsen wie in Schwaben und Baiern gemeines
Landrecht geworden. Die Investitur ist dabei in die allein rechtswirksame Form
der gerichtlichen Auflassung übergegangen; der Erwerber kann nur noch durch
deu Richter inveftirt werden. Aus der gerichtlichen Auflassung ging dann die
rechte Gewere am Eigen hervor, die seit dem elften Jahrhundert nachweisbar ist.


Die Entwicklung des Rechts in Deutschland.

lische Gerichtsverfassung mit dein Grafen und seinen sieben Urtheilsfindern nebst
der versammelten Gerichtsgemeinde die gothische, burgundische, altalamcmnische,
altbairische Gerichtsverfassung mit ihrem selbsturtheilenden Einzelrichter. Dieser
verschwindet mit der fränkischen Eroberung. In Sachsen gestaltete sich aus der
fränkischen Gerichtsverfassung die des Sachsenspiegels und der übrigen sächsischen
Rechtsquellen.

Ebenso wie das öffentliche Recht war auch das Lehnswesen des Mittel¬
alters fränkischen Ursprungs. Die fränkischen Formen desselben, die Vassallität
und das Beneficium, veränderten die bisherigen Grundbesitz- und Verfassuugs-
verhältnisse in Deutschland, Frankreich, Italien, England von Grund aus und
unterwarfen bei ihrem siegreichen Vordringen über das ganze Westeuropa den
gesammten adlichen Grundbesitz ebenso wie die Herzogtümer, Bisthümer und
Grafschaften der fränkischen Investitur, der feierlichen rechtsförmlichen Besitz¬
einweisung, die bei den Franken Investitur hieß und die wir zwar erst aus
Karolingischer Zeit genauer kennen, wo sie bereits bei Alamannen, Baiern, Bur-
gunden und Gothen in vollem Gebrauche war, die aber gleichwohl als eine den
Franken ursprünglich eigenthümliche Institution gelten mich. Denn weder das
altwestgothische noch das langobardische Recht kennen eine ähnliche rechtsförmliche
Besitzeinweisung, vielmehr beschränkt sich jenes auf eine formlose Besitzübergabe
(trMtio) oder auf Uebergabe einer Urkunde, die fern von dem Grundstücke er¬
folgen konnte und nur das Eigenthum an demselben, nicht den Besitz über¬
mittelte; und genau das gleiche gilt vom langobardischcn Rechte, wo die Ueber¬
gabe der Urkunde außerdem die einzige Rechtsform für den Grundbesitzverkehr
gewesen zu sein scheint. Auch nach der Einverleibung des langobardischen Reichs
in das fränkische recipirte das langobardische Recht die fränkische Investitur nicht,
während sie bei den übrigen Stämmen des Frankenreichs, auch bei den Sachsen
des Festlandes, sofort nach der fränkischen Eroberung, bei deu Angelsachsen dagegen
erst mit den Normannen, d. h. mit dem fränkischen Rechte auftritt. Auch in
Baiern und Alamannien, wo die Volksrechte die Investitur mit keinem Worte er¬
wähnen und die Begehung der Urkunde als rechtlich vollkommener Veräußerungsact
genügte, ist sie erst nach der fränkischen Eroberung seit Mitte des achten Jahr¬
hunderts mit Sicherheit nachweisbar. Im Gegensatz zu den übrigen Stammes-
rcchten fordert das fränkische Jmmobiliarsachenrecht für die Veräußerung von
Eigen zweifachen Veräußerungsact, die feierliche Erklärung des Veräußernngs-
willens (tiAäitio) und die gleichfalls feierliche Vollziehung dieses Veräußeruugs-
willens (iiivsLÄui'g.). Dieses fränkische Recht ist im Mittelalter im Norden wie
im Süden Deutschlands, in Sachsen wie in Schwaben und Baiern gemeines
Landrecht geworden. Die Investitur ist dabei in die allein rechtswirksame Form
der gerichtlichen Auflassung übergegangen; der Erwerber kann nur noch durch
deu Richter inveftirt werden. Aus der gerichtlichen Auflassung ging dann die
rechte Gewere am Eigen hervor, die seit dem elften Jahrhundert nachweisbar ist.


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[0416] Die Entwicklung des Rechts in Deutschland. lische Gerichtsverfassung mit dein Grafen und seinen sieben Urtheilsfindern nebst der versammelten Gerichtsgemeinde die gothische, burgundische, altalamcmnische, altbairische Gerichtsverfassung mit ihrem selbsturtheilenden Einzelrichter. Dieser verschwindet mit der fränkischen Eroberung. In Sachsen gestaltete sich aus der fränkischen Gerichtsverfassung die des Sachsenspiegels und der übrigen sächsischen Rechtsquellen. Ebenso wie das öffentliche Recht war auch das Lehnswesen des Mittel¬ alters fränkischen Ursprungs. Die fränkischen Formen desselben, die Vassallität und das Beneficium, veränderten die bisherigen Grundbesitz- und Verfassuugs- verhältnisse in Deutschland, Frankreich, Italien, England von Grund aus und unterwarfen bei ihrem siegreichen Vordringen über das ganze Westeuropa den gesammten adlichen Grundbesitz ebenso wie die Herzogtümer, Bisthümer und Grafschaften der fränkischen Investitur, der feierlichen rechtsförmlichen Besitz¬ einweisung, die bei den Franken Investitur hieß und die wir zwar erst aus Karolingischer Zeit genauer kennen, wo sie bereits bei Alamannen, Baiern, Bur- gunden und Gothen in vollem Gebrauche war, die aber gleichwohl als eine den Franken ursprünglich eigenthümliche Institution gelten mich. Denn weder das altwestgothische noch das langobardische Recht kennen eine ähnliche rechtsförmliche Besitzeinweisung, vielmehr beschränkt sich jenes auf eine formlose Besitzübergabe (trMtio) oder auf Uebergabe einer Urkunde, die fern von dem Grundstücke er¬ folgen konnte und nur das Eigenthum an demselben, nicht den Besitz über¬ mittelte; und genau das gleiche gilt vom langobardischcn Rechte, wo die Ueber¬ gabe der Urkunde außerdem die einzige Rechtsform für den Grundbesitzverkehr gewesen zu sein scheint. Auch nach der Einverleibung des langobardischen Reichs in das fränkische recipirte das langobardische Recht die fränkische Investitur nicht, während sie bei den übrigen Stämmen des Frankenreichs, auch bei den Sachsen des Festlandes, sofort nach der fränkischen Eroberung, bei deu Angelsachsen dagegen erst mit den Normannen, d. h. mit dem fränkischen Rechte auftritt. Auch in Baiern und Alamannien, wo die Volksrechte die Investitur mit keinem Worte er¬ wähnen und die Begehung der Urkunde als rechtlich vollkommener Veräußerungsact genügte, ist sie erst nach der fränkischen Eroberung seit Mitte des achten Jahr¬ hunderts mit Sicherheit nachweisbar. Im Gegensatz zu den übrigen Stammes- rcchten fordert das fränkische Jmmobiliarsachenrecht für die Veräußerung von Eigen zweifachen Veräußerungsact, die feierliche Erklärung des Veräußernngs- willens (tiAäitio) und die gleichfalls feierliche Vollziehung dieses Veräußeruugs- willens (iiivsLÄui'g.). Dieses fränkische Recht ist im Mittelalter im Norden wie im Süden Deutschlands, in Sachsen wie in Schwaben und Baiern gemeines Landrecht geworden. Die Investitur ist dabei in die allein rechtswirksame Form der gerichtlichen Auflassung übergegangen; der Erwerber kann nur noch durch deu Richter inveftirt werden. Aus der gerichtlichen Auflassung ging dann die rechte Gewere am Eigen hervor, die seit dem elften Jahrhundert nachweisbar ist.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/416>, abgerufen am 01.09.2024.