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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Zur Charakteristik des Manchesterthums.

Combination gelassen gegen überzutreten. Alle Bündnisse werden dann machtlos
sein. Dies wäre dann das Resultat der letzten Appellation an das Land.

Sich der Macht zu erfreuen und doch von aller Verantwortlichkeit befreit
zu sein, hat zu allen Zeiten und allenthalben als eine äußerst gefährliche Stellung
für einen Staatsmann gegolten. Gambetta nahm bisher diese Stellung ein.
Er war bis jetzt formell nnr Vorsitzender der Deputirtenkammer, also niemand
verantwortlich, und doch in Wirklichkeit das bestimmende Centrum der politischen
Action Frankreichs. Die Frage der nächsten Zukunft, der Zukunft, die vor der
Thür steht, ist nun für ihn: Soll er herabsteigen von seinem selbstgewählten
Standpunkte als Präsident des Abgeordnetenhauses, um statt dessen auch der
Form nach Führer des Ministeriums der Republik zu werden? Will er die
Rolle des Verschleierten, der unsichtbaren Gottheit der französischen Politik, deren
leise geflüstertes Wort hinreichte, erst Waddiugton, dann Freycinet zu schleuniger
Abgabe seines Ministerportcfeuilles zu bewegen, aufgeben und alle die äußer¬
lichen und sichtbaren Embleme eines französischen Premierministers anlegen?
Er ist jetzt, trotz mancher kleiner Mißerfolge, der anerkannte Führer der öffent¬
lichen Meinung in Frankreich. Er ist eine der großen politischen Persönlich¬
keiten in Europa, erheblich weniger bedeutend als Fürst Bismarck, aber viel
bedeutender als Gladstone. Wenn er den Posten eines Premierministers an¬
nimmt, so wird er thun, was alle Welt von ihm unter den obwaltenden Um¬
ständen erwartet, und er braucht jetzt nicht zu fürchten, daß dann der französische
Republikanismus "seine beste Karte ausgespielt" haben wird. Diese Befürch¬
tung soll ihn bisher abgehalten haben, die ministerielle Verantwortlichkeit zu
übernehmen. Gegenwärtig aber ist, die Republik in Frankreich so fest begründet,
daß ihre Haltbarkeit nicht mehr von einem einzelnen Manne abhängt, wie her¬
vorragend und wie energisch er auch sein möge.




Zur Charakteristik des Nanchesterthums.
Die Phrase vom Zuvielregieren.

urke sagt: "Es ist eins der schwierigsten Probleme, zu bestimmen,
was der Staat zur Leitung an die Hand zu nehmen und was er
mit so wenig Einmischung als möglich der Anstrengung des ein¬
zelnen zu überlassen hat." In solchem bescheidnen und wenig
zuversichtlichen Tone sprechen kluger Sinn und Erfahrung über
diesen heiklen Gegenstand. Wie hochmüthig und schnellfertig dagegen läßt sich


Zur Charakteristik des Manchesterthums.

Combination gelassen gegen überzutreten. Alle Bündnisse werden dann machtlos
sein. Dies wäre dann das Resultat der letzten Appellation an das Land.

Sich der Macht zu erfreuen und doch von aller Verantwortlichkeit befreit
zu sein, hat zu allen Zeiten und allenthalben als eine äußerst gefährliche Stellung
für einen Staatsmann gegolten. Gambetta nahm bisher diese Stellung ein.
Er war bis jetzt formell nnr Vorsitzender der Deputirtenkammer, also niemand
verantwortlich, und doch in Wirklichkeit das bestimmende Centrum der politischen
Action Frankreichs. Die Frage der nächsten Zukunft, der Zukunft, die vor der
Thür steht, ist nun für ihn: Soll er herabsteigen von seinem selbstgewählten
Standpunkte als Präsident des Abgeordnetenhauses, um statt dessen auch der
Form nach Führer des Ministeriums der Republik zu werden? Will er die
Rolle des Verschleierten, der unsichtbaren Gottheit der französischen Politik, deren
leise geflüstertes Wort hinreichte, erst Waddiugton, dann Freycinet zu schleuniger
Abgabe seines Ministerportcfeuilles zu bewegen, aufgeben und alle die äußer¬
lichen und sichtbaren Embleme eines französischen Premierministers anlegen?
Er ist jetzt, trotz mancher kleiner Mißerfolge, der anerkannte Führer der öffent¬
lichen Meinung in Frankreich. Er ist eine der großen politischen Persönlich¬
keiten in Europa, erheblich weniger bedeutend als Fürst Bismarck, aber viel
bedeutender als Gladstone. Wenn er den Posten eines Premierministers an¬
nimmt, so wird er thun, was alle Welt von ihm unter den obwaltenden Um¬
ständen erwartet, und er braucht jetzt nicht zu fürchten, daß dann der französische
Republikanismus „seine beste Karte ausgespielt" haben wird. Diese Befürch¬
tung soll ihn bisher abgehalten haben, die ministerielle Verantwortlichkeit zu
übernehmen. Gegenwärtig aber ist, die Republik in Frankreich so fest begründet,
daß ihre Haltbarkeit nicht mehr von einem einzelnen Manne abhängt, wie her¬
vorragend und wie energisch er auch sein möge.




Zur Charakteristik des Nanchesterthums.
Die Phrase vom Zuvielregieren.

urke sagt: „Es ist eins der schwierigsten Probleme, zu bestimmen,
was der Staat zur Leitung an die Hand zu nehmen und was er
mit so wenig Einmischung als möglich der Anstrengung des ein¬
zelnen zu überlassen hat." In solchem bescheidnen und wenig
zuversichtlichen Tone sprechen kluger Sinn und Erfahrung über
diesen heiklen Gegenstand. Wie hochmüthig und schnellfertig dagegen läßt sich


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[0406] Zur Charakteristik des Manchesterthums. Combination gelassen gegen überzutreten. Alle Bündnisse werden dann machtlos sein. Dies wäre dann das Resultat der letzten Appellation an das Land. Sich der Macht zu erfreuen und doch von aller Verantwortlichkeit befreit zu sein, hat zu allen Zeiten und allenthalben als eine äußerst gefährliche Stellung für einen Staatsmann gegolten. Gambetta nahm bisher diese Stellung ein. Er war bis jetzt formell nnr Vorsitzender der Deputirtenkammer, also niemand verantwortlich, und doch in Wirklichkeit das bestimmende Centrum der politischen Action Frankreichs. Die Frage der nächsten Zukunft, der Zukunft, die vor der Thür steht, ist nun für ihn: Soll er herabsteigen von seinem selbstgewählten Standpunkte als Präsident des Abgeordnetenhauses, um statt dessen auch der Form nach Führer des Ministeriums der Republik zu werden? Will er die Rolle des Verschleierten, der unsichtbaren Gottheit der französischen Politik, deren leise geflüstertes Wort hinreichte, erst Waddiugton, dann Freycinet zu schleuniger Abgabe seines Ministerportcfeuilles zu bewegen, aufgeben und alle die äußer¬ lichen und sichtbaren Embleme eines französischen Premierministers anlegen? Er ist jetzt, trotz mancher kleiner Mißerfolge, der anerkannte Führer der öffent¬ lichen Meinung in Frankreich. Er ist eine der großen politischen Persönlich¬ keiten in Europa, erheblich weniger bedeutend als Fürst Bismarck, aber viel bedeutender als Gladstone. Wenn er den Posten eines Premierministers an¬ nimmt, so wird er thun, was alle Welt von ihm unter den obwaltenden Um¬ ständen erwartet, und er braucht jetzt nicht zu fürchten, daß dann der französische Republikanismus „seine beste Karte ausgespielt" haben wird. Diese Befürch¬ tung soll ihn bisher abgehalten haben, die ministerielle Verantwortlichkeit zu übernehmen. Gegenwärtig aber ist, die Republik in Frankreich so fest begründet, daß ihre Haltbarkeit nicht mehr von einem einzelnen Manne abhängt, wie her¬ vorragend und wie energisch er auch sein möge. Zur Charakteristik des Nanchesterthums. Die Phrase vom Zuvielregieren. urke sagt: „Es ist eins der schwierigsten Probleme, zu bestimmen, was der Staat zur Leitung an die Hand zu nehmen und was er mit so wenig Einmischung als möglich der Anstrengung des ein¬ zelnen zu überlassen hat." In solchem bescheidnen und wenig zuversichtlichen Tone sprechen kluger Sinn und Erfahrung über diesen heiklen Gegenstand. Wie hochmüthig und schnellfertig dagegen läßt sich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/406>, abgerufen am 01.09.2024.