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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Zur Charakteristik des Manchesterthums.

"Die gewaltigen natürlichen Grenzen Frankreichs, die Alpen und Pyrenäen ruhen
nicht fester auf ihren Grundlagen, als diese Ueberzeugung von der Nothwendig¬
keit passender Schutzzölle. Niemand aber wird behaupten können, daß wegen
dieser Ansicht und der auf sie basirten wirthschaftlichen Politik die französische
Industrie bisher gesiecht habe oder in Zukunft siechen werde."

Die dritte Stelle nimmt Deutschland ein. Wer Gelegenheit hatte, den
Zustand, der hier vor der Gründung des Zollvereins herrschte, mit dein zu
vergleichen, der nach derselben eintrat und immer günstiger sich gestaltend fort¬
dauerte, bis freihändlerische Grundsätze sich geltend machten und zur theilweisen
Beseitigung der anfangs adoptirten Verzollung ausländischer Fabrikerzeugnisse
führten, wird nicht entfernt darüber in Zweifel fein können, daß die Behauptung,
geschützter Gewerbfleiß müsse kränkeln, hier in keiner Weise zutraf. Ja das
Gegentheil zusagen, heißt hierauf etwas selbstverständliches, alle" mit Händen
greifbares hinweisen. Genau von derselben Zeit an, wo Deutschland Schutz¬
zölle für die Industrie aufstellte, begann sich hier eine mächtige Industrie und
ein Reichthum zu entwickeln, die in der frühern Geschichte des Landes nicht
entfernt ihresgleichen hatten. Statt zu siechen, wurde die deutsche Industrie
vou jenem Augenblicke an erst gesund lind kräftig. An allen Orten entstanden
Werkstätten, Fabriken, Mühlen und Waarenjpeicher, die von fleißigem und
rührigen Volle wimmelten und sich von Jahr zu Jahr vergrößerten, bis manche
beinahe den größten englischen Etablissements gleichkamen, und zu gleicher Zeit
machte die Landwirthschaft, statt vernachlässigt zu werden, rasche Fortschritte,
und ebenso entwickelten sich andre Quellen von Rohstoffen, z. B. der Bergbau
und der Hüttenbetrieb, in erfreulichsten Maße. Mit England, dem reichsten
Lande der Welt, hatte der Zollverein im Vergleiche mit seiner weiten Aus¬
dehnung, seiner zahlreichen Bevölkerung und seinem wachsenden Reichthume "ur
wenig Handelsverkehr. Aber dadurch, daß er sich gegen das Entströmen britischer
Fabrikerzeugnisse schützte, wurde seine Bevölkerung fortwährend productiver und
wohlhabender. Ja Eisenwaaren, das Product der geschützten deutschen In¬
dustrie, fanden allmählich den Weg bis nach Birmingham und begannen die
dort gefertigten Artikel zu verdrängen, die mehr geschützten Manufacturen fingen
an, die weniger geschützten auf ihrem eignen Grund und Boden aus dem Felde
M schlage". Die Leute in Birmingham konnten nicht gleiches mit gleichem ver¬
gelten, dafür sorgte der deutsche Tarif. Deutsche Denker, tiefer und unab¬
hängiger als die englischen, stellten praktisch die Seichtheit der Theorien ans
Licht, welche den Engländern in den letzten Jahrzehnten vor der Wirkung der
Zollvereiusgesctzgelmug die Köpfe verdreht hatten, und nicht eher begann diese
gesunde Entwicklung der deutschen Industrie nachzulassen, nicht eher fing diese
an zu kränkeln, als bis die Bemühung des Cobden-Clubs, jene Theorien auch
in den maßgebenden Kreisen Deutschlands zur Geltung zu bringen, Erfolg
gehabt hattet,. Die Zukunft aber wird zeigen, daß die 1873 begonnene U>in


Grenzboten III. 1881. 4L
Zur Charakteristik des Manchesterthums.

„Die gewaltigen natürlichen Grenzen Frankreichs, die Alpen und Pyrenäen ruhen
nicht fester auf ihren Grundlagen, als diese Ueberzeugung von der Nothwendig¬
keit passender Schutzzölle. Niemand aber wird behaupten können, daß wegen
dieser Ansicht und der auf sie basirten wirthschaftlichen Politik die französische
Industrie bisher gesiecht habe oder in Zukunft siechen werde."

Die dritte Stelle nimmt Deutschland ein. Wer Gelegenheit hatte, den
Zustand, der hier vor der Gründung des Zollvereins herrschte, mit dein zu
vergleichen, der nach derselben eintrat und immer günstiger sich gestaltend fort¬
dauerte, bis freihändlerische Grundsätze sich geltend machten und zur theilweisen
Beseitigung der anfangs adoptirten Verzollung ausländischer Fabrikerzeugnisse
führten, wird nicht entfernt darüber in Zweifel fein können, daß die Behauptung,
geschützter Gewerbfleiß müsse kränkeln, hier in keiner Weise zutraf. Ja das
Gegentheil zusagen, heißt hierauf etwas selbstverständliches, alle» mit Händen
greifbares hinweisen. Genau von derselben Zeit an, wo Deutschland Schutz¬
zölle für die Industrie aufstellte, begann sich hier eine mächtige Industrie und
ein Reichthum zu entwickeln, die in der frühern Geschichte des Landes nicht
entfernt ihresgleichen hatten. Statt zu siechen, wurde die deutsche Industrie
vou jenem Augenblicke an erst gesund lind kräftig. An allen Orten entstanden
Werkstätten, Fabriken, Mühlen und Waarenjpeicher, die von fleißigem und
rührigen Volle wimmelten und sich von Jahr zu Jahr vergrößerten, bis manche
beinahe den größten englischen Etablissements gleichkamen, und zu gleicher Zeit
machte die Landwirthschaft, statt vernachlässigt zu werden, rasche Fortschritte,
und ebenso entwickelten sich andre Quellen von Rohstoffen, z. B. der Bergbau
und der Hüttenbetrieb, in erfreulichsten Maße. Mit England, dem reichsten
Lande der Welt, hatte der Zollverein im Vergleiche mit seiner weiten Aus¬
dehnung, seiner zahlreichen Bevölkerung und seinem wachsenden Reichthume »ur
wenig Handelsverkehr. Aber dadurch, daß er sich gegen das Entströmen britischer
Fabrikerzeugnisse schützte, wurde seine Bevölkerung fortwährend productiver und
wohlhabender. Ja Eisenwaaren, das Product der geschützten deutschen In¬
dustrie, fanden allmählich den Weg bis nach Birmingham und begannen die
dort gefertigten Artikel zu verdrängen, die mehr geschützten Manufacturen fingen
an, die weniger geschützten auf ihrem eignen Grund und Boden aus dem Felde
M schlage». Die Leute in Birmingham konnten nicht gleiches mit gleichem ver¬
gelten, dafür sorgte der deutsche Tarif. Deutsche Denker, tiefer und unab¬
hängiger als die englischen, stellten praktisch die Seichtheit der Theorien ans
Licht, welche den Engländern in den letzten Jahrzehnten vor der Wirkung der
Zollvereiusgesctzgelmug die Köpfe verdreht hatten, und nicht eher begann diese
gesunde Entwicklung der deutschen Industrie nachzulassen, nicht eher fing diese
an zu kränkeln, als bis die Bemühung des Cobden-Clubs, jene Theorien auch
in den maßgebenden Kreisen Deutschlands zur Geltung zu bringen, Erfolg
gehabt hattet,. Die Zukunft aber wird zeigen, daß die 1873 begonnene U>in


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[0361] Zur Charakteristik des Manchesterthums. „Die gewaltigen natürlichen Grenzen Frankreichs, die Alpen und Pyrenäen ruhen nicht fester auf ihren Grundlagen, als diese Ueberzeugung von der Nothwendig¬ keit passender Schutzzölle. Niemand aber wird behaupten können, daß wegen dieser Ansicht und der auf sie basirten wirthschaftlichen Politik die französische Industrie bisher gesiecht habe oder in Zukunft siechen werde." Die dritte Stelle nimmt Deutschland ein. Wer Gelegenheit hatte, den Zustand, der hier vor der Gründung des Zollvereins herrschte, mit dein zu vergleichen, der nach derselben eintrat und immer günstiger sich gestaltend fort¬ dauerte, bis freihändlerische Grundsätze sich geltend machten und zur theilweisen Beseitigung der anfangs adoptirten Verzollung ausländischer Fabrikerzeugnisse führten, wird nicht entfernt darüber in Zweifel fein können, daß die Behauptung, geschützter Gewerbfleiß müsse kränkeln, hier in keiner Weise zutraf. Ja das Gegentheil zusagen, heißt hierauf etwas selbstverständliches, alle» mit Händen greifbares hinweisen. Genau von derselben Zeit an, wo Deutschland Schutz¬ zölle für die Industrie aufstellte, begann sich hier eine mächtige Industrie und ein Reichthum zu entwickeln, die in der frühern Geschichte des Landes nicht entfernt ihresgleichen hatten. Statt zu siechen, wurde die deutsche Industrie vou jenem Augenblicke an erst gesund lind kräftig. An allen Orten entstanden Werkstätten, Fabriken, Mühlen und Waarenjpeicher, die von fleißigem und rührigen Volle wimmelten und sich von Jahr zu Jahr vergrößerten, bis manche beinahe den größten englischen Etablissements gleichkamen, und zu gleicher Zeit machte die Landwirthschaft, statt vernachlässigt zu werden, rasche Fortschritte, und ebenso entwickelten sich andre Quellen von Rohstoffen, z. B. der Bergbau und der Hüttenbetrieb, in erfreulichsten Maße. Mit England, dem reichsten Lande der Welt, hatte der Zollverein im Vergleiche mit seiner weiten Aus¬ dehnung, seiner zahlreichen Bevölkerung und seinem wachsenden Reichthume »ur wenig Handelsverkehr. Aber dadurch, daß er sich gegen das Entströmen britischer Fabrikerzeugnisse schützte, wurde seine Bevölkerung fortwährend productiver und wohlhabender. Ja Eisenwaaren, das Product der geschützten deutschen In¬ dustrie, fanden allmählich den Weg bis nach Birmingham und begannen die dort gefertigten Artikel zu verdrängen, die mehr geschützten Manufacturen fingen an, die weniger geschützten auf ihrem eignen Grund und Boden aus dem Felde M schlage». Die Leute in Birmingham konnten nicht gleiches mit gleichem ver¬ gelten, dafür sorgte der deutsche Tarif. Deutsche Denker, tiefer und unab¬ hängiger als die englischen, stellten praktisch die Seichtheit der Theorien ans Licht, welche den Engländern in den letzten Jahrzehnten vor der Wirkung der Zollvereiusgesctzgelmug die Köpfe verdreht hatten, und nicht eher begann diese gesunde Entwicklung der deutschen Industrie nachzulassen, nicht eher fing diese an zu kränkeln, als bis die Bemühung des Cobden-Clubs, jene Theorien auch in den maßgebenden Kreisen Deutschlands zur Geltung zu bringen, Erfolg gehabt hattet,. Die Zukunft aber wird zeigen, daß die 1873 begonnene U>in Grenzboten III. 1881. 4L

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/361>, abgerufen am 01.09.2024.