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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Das deutsche Lied seit Robert Schumann,

an denen die Literatur ziemlich arm ist, wenn auch die ältere weniger als die
heutige.

Zwei der schönsten Lieder, die in unsrer Zeit geschaffen wurden, sind der
"Asm" und "Es blinkt der Thau," beide allbekannt und beide von Anton
Rubinstein, Rubinstein besitzt ein Naturgenie, das sich intensiv und elektrisch
äußert, das plötzliches Aufflammen liebt und mit einem einzigen starke" Strahl
ins Weite hellt und blendet. Ihm sind die spontanen Einfälle eigen, welche
wie frisches Bergwasser mitten ans Steinen hervorsprudeln. Wer könnte ohne
ursprüngliches Musikgenie auf so etwas Frappantes, ja Elementares gerathen
wie z. B. jenen Einsatz der Contrabässe in seinem (us-aur-Clavierevncert? Rubin¬
stein, dem Pianisten, sagt man nach, daß er in der Fülle der Inspiration manch¬
mal fehlgreife. Als Componist thut er das noch häufiger; aber aus Mangel
an Inspiration. Dieser Umstand macht auch seine Lieder sehr ungleich im Werth.
Immer den richtigen Moment abpassend, würde gerade Rubinstein im Liede
lauter Cabinctstücke haben geben können. Oft tändelt er ganz allerliebst und
bringt dann am Schluß noch einen zündenden Gedanken. So in der Nummer
"Wie eine Lerch' in blauer Luft" an der Stelle: "und nur im Menschen der
Verstand hält mich noch fest." Oft bringt er aber auch nichts. Das beruht
darauf, daß der Erfindung die Frische zeitweilig bei dem rastlosen Manne aus¬
geht, Sorglosigkeit ist Rubinstein nicht vorzuwerfen. Hiergegen spricht die Anlage
seiner Lieder, die überall Bedacht und Ueberlegung zeigt. Er hat einzelne Ge¬
dichte, die durch Mendelssohn in musikalischen Curs gekommen sind, besser, wahrer
als dieser componirt. Man vergleiche Rubinsteins Komposition von Heines
Tragödie "Entflieh mit mir ze." mit der des frühern Meisters. Da ist die
Situation viel natürlicher und zugleich ein größrer Reichthum an poetischen Details.
Wie schön, wenn der Liebhaber, nachdem die Ungeduld ausgetobt, dem Mädchen
noch einmal zuruft: "Entflieh mit mir" -- es ist, als sähe man sie schon auf
dem Heimwege. Das gleiche gilt vom "Frühlingsblick," bei dem er die Seele
in dem Momente, wo Eindrücke und Gefühle eben erst heranziehen, vor uns
ausbreitet. Er liebt es in seinen Liedern, da, wo Gelegenheit ist, von den Helden
der Dichtung uns nicht bloß zu referiren, sondern zu zeigen, wie sie im Ge¬
müthe ringen und arbeiten. Das giebt oft in den Liedern ein paar Tacte mehr,
aber auch eine viel größre Unmittelbarkeit. So ists in "Clärchens Lied", so in
dem Geibelschen Gedichte "Klinge, mein Pandcro" dem oftcomponirten, das
namentlich in der Lassenschen Version -- unter dem Titel "Die Musikantin" --
viel gesungen wird.

Am günstigsten scheinen für Rubinstein die Stoffe, die die Phantasie oder
die Leidenschaft etwas in Wallung bringen. Man sehe darauf hin den "Sturm"
an (Ur. 4 in Opus 78) oder die elfte Nummer in demselben Hefte, wo sich
zwei Raben von dem erschlagnen Helden erzählen und seiner treulosen Gattin --
ein wild phantastisches Stück. Claviermcilcrei scheint Rubinstein nicht zu lieben.


Das deutsche Lied seit Robert Schumann,

an denen die Literatur ziemlich arm ist, wenn auch die ältere weniger als die
heutige.

Zwei der schönsten Lieder, die in unsrer Zeit geschaffen wurden, sind der
„Asm" und „Es blinkt der Thau," beide allbekannt und beide von Anton
Rubinstein, Rubinstein besitzt ein Naturgenie, das sich intensiv und elektrisch
äußert, das plötzliches Aufflammen liebt und mit einem einzigen starke» Strahl
ins Weite hellt und blendet. Ihm sind die spontanen Einfälle eigen, welche
wie frisches Bergwasser mitten ans Steinen hervorsprudeln. Wer könnte ohne
ursprüngliches Musikgenie auf so etwas Frappantes, ja Elementares gerathen
wie z. B. jenen Einsatz der Contrabässe in seinem (us-aur-Clavierevncert? Rubin¬
stein, dem Pianisten, sagt man nach, daß er in der Fülle der Inspiration manch¬
mal fehlgreife. Als Componist thut er das noch häufiger; aber aus Mangel
an Inspiration. Dieser Umstand macht auch seine Lieder sehr ungleich im Werth.
Immer den richtigen Moment abpassend, würde gerade Rubinstein im Liede
lauter Cabinctstücke haben geben können. Oft tändelt er ganz allerliebst und
bringt dann am Schluß noch einen zündenden Gedanken. So in der Nummer
„Wie eine Lerch' in blauer Luft" an der Stelle: „und nur im Menschen der
Verstand hält mich noch fest." Oft bringt er aber auch nichts. Das beruht
darauf, daß der Erfindung die Frische zeitweilig bei dem rastlosen Manne aus¬
geht, Sorglosigkeit ist Rubinstein nicht vorzuwerfen. Hiergegen spricht die Anlage
seiner Lieder, die überall Bedacht und Ueberlegung zeigt. Er hat einzelne Ge¬
dichte, die durch Mendelssohn in musikalischen Curs gekommen sind, besser, wahrer
als dieser componirt. Man vergleiche Rubinsteins Komposition von Heines
Tragödie „Entflieh mit mir ze." mit der des frühern Meisters. Da ist die
Situation viel natürlicher und zugleich ein größrer Reichthum an poetischen Details.
Wie schön, wenn der Liebhaber, nachdem die Ungeduld ausgetobt, dem Mädchen
noch einmal zuruft: „Entflieh mit mir" — es ist, als sähe man sie schon auf
dem Heimwege. Das gleiche gilt vom „Frühlingsblick," bei dem er die Seele
in dem Momente, wo Eindrücke und Gefühle eben erst heranziehen, vor uns
ausbreitet. Er liebt es in seinen Liedern, da, wo Gelegenheit ist, von den Helden
der Dichtung uns nicht bloß zu referiren, sondern zu zeigen, wie sie im Ge¬
müthe ringen und arbeiten. Das giebt oft in den Liedern ein paar Tacte mehr,
aber auch eine viel größre Unmittelbarkeit. So ists in „Clärchens Lied", so in
dem Geibelschen Gedichte „Klinge, mein Pandcro" dem oftcomponirten, das
namentlich in der Lassenschen Version — unter dem Titel „Die Musikantin" —
viel gesungen wird.

Am günstigsten scheinen für Rubinstein die Stoffe, die die Phantasie oder
die Leidenschaft etwas in Wallung bringen. Man sehe darauf hin den „Sturm"
an (Ur. 4 in Opus 78) oder die elfte Nummer in demselben Hefte, wo sich
zwei Raben von dem erschlagnen Helden erzählen und seiner treulosen Gattin —
ein wild phantastisches Stück. Claviermcilcrei scheint Rubinstein nicht zu lieben.


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[0036] Das deutsche Lied seit Robert Schumann, an denen die Literatur ziemlich arm ist, wenn auch die ältere weniger als die heutige. Zwei der schönsten Lieder, die in unsrer Zeit geschaffen wurden, sind der „Asm" und „Es blinkt der Thau," beide allbekannt und beide von Anton Rubinstein, Rubinstein besitzt ein Naturgenie, das sich intensiv und elektrisch äußert, das plötzliches Aufflammen liebt und mit einem einzigen starke» Strahl ins Weite hellt und blendet. Ihm sind die spontanen Einfälle eigen, welche wie frisches Bergwasser mitten ans Steinen hervorsprudeln. Wer könnte ohne ursprüngliches Musikgenie auf so etwas Frappantes, ja Elementares gerathen wie z. B. jenen Einsatz der Contrabässe in seinem (us-aur-Clavierevncert? Rubin¬ stein, dem Pianisten, sagt man nach, daß er in der Fülle der Inspiration manch¬ mal fehlgreife. Als Componist thut er das noch häufiger; aber aus Mangel an Inspiration. Dieser Umstand macht auch seine Lieder sehr ungleich im Werth. Immer den richtigen Moment abpassend, würde gerade Rubinstein im Liede lauter Cabinctstücke haben geben können. Oft tändelt er ganz allerliebst und bringt dann am Schluß noch einen zündenden Gedanken. So in der Nummer „Wie eine Lerch' in blauer Luft" an der Stelle: „und nur im Menschen der Verstand hält mich noch fest." Oft bringt er aber auch nichts. Das beruht darauf, daß der Erfindung die Frische zeitweilig bei dem rastlosen Manne aus¬ geht, Sorglosigkeit ist Rubinstein nicht vorzuwerfen. Hiergegen spricht die Anlage seiner Lieder, die überall Bedacht und Ueberlegung zeigt. Er hat einzelne Ge¬ dichte, die durch Mendelssohn in musikalischen Curs gekommen sind, besser, wahrer als dieser componirt. Man vergleiche Rubinsteins Komposition von Heines Tragödie „Entflieh mit mir ze." mit der des frühern Meisters. Da ist die Situation viel natürlicher und zugleich ein größrer Reichthum an poetischen Details. Wie schön, wenn der Liebhaber, nachdem die Ungeduld ausgetobt, dem Mädchen noch einmal zuruft: „Entflieh mit mir" — es ist, als sähe man sie schon auf dem Heimwege. Das gleiche gilt vom „Frühlingsblick," bei dem er die Seele in dem Momente, wo Eindrücke und Gefühle eben erst heranziehen, vor uns ausbreitet. Er liebt es in seinen Liedern, da, wo Gelegenheit ist, von den Helden der Dichtung uns nicht bloß zu referiren, sondern zu zeigen, wie sie im Ge¬ müthe ringen und arbeiten. Das giebt oft in den Liedern ein paar Tacte mehr, aber auch eine viel größre Unmittelbarkeit. So ists in „Clärchens Lied", so in dem Geibelschen Gedichte „Klinge, mein Pandcro" dem oftcomponirten, das namentlich in der Lassenschen Version — unter dem Titel „Die Musikantin" — viel gesungen wird. Am günstigsten scheinen für Rubinstein die Stoffe, die die Phantasie oder die Leidenschaft etwas in Wallung bringen. Man sehe darauf hin den „Sturm" an (Ur. 4 in Opus 78) oder die elfte Nummer in demselben Hefte, wo sich zwei Raben von dem erschlagnen Helden erzählen und seiner treulosen Gattin — ein wild phantastisches Stück. Claviermcilcrei scheint Rubinstein nicht zu lieben.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/36>, abgerufen am 01.09.2024.