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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Zur Charakteristik des Manchestorthums.

"Einer von den Mißständen zeitweiliger Art, gegen welche der Staat das
wirthschaftliche Leben des Volkes zu schützen hat, ist die nothwendige und überall
bemerkbare Inferiorität der Fabrikthätigkcit in ihren Anfängen, ihrer Kindheits¬
periode. Das Kind kann Aussicht haben, bald ein Mann, ja ein Riese zu werden,
aber wenn es während seiner ersten Jahre nicht beschützt wird, wird es kränkeln
mit sterben. Lange bestehende Fabriken erfreuen sich großen Capitals, reicher Er¬
fahrung und vieler Geschicklichkeit. Production in großem Maßstabe bewirkt
eine Wohlfeilheit der Waare, mit welcher Etablissements, die erst angefangen
haben, selbst wenn sie sonst unter günstigen Umständen arbeiten, nicht concur-
riren können. So hat bei allen Industrien, auch den größten, staatlicher Schutz
an der Wiege gestanden. Weit entfernt, daß derselbe auf ein Monopol hinauf¬
liefe, verhütet er vielmehr, daß die alten und großgewachsenen Fabriken sich
thatsächlich eines Monopols erfreuen. Nur jener Schutz bewirkt heilsamen Wett¬
eifer, nur er hat schließlich Wohlfeilheit zur Folge. Burkes Maxime: "Macht
die Dinge theuer, damit sie billig werden, ist hier kein Paradoxon." ....

Aber nicht bloß neue Staaten und neue Industrien erfordern zu ihrer
Entwicklung Schutz, auch alte Staaten bedürfen ihn zuweilen, wenn der werth¬
vollste Zweig ihrer gewerblichen Thätigkeit nicht verdorren soll. In alten Län¬
dern ist der Grund und Boden, der nicht auswandern kann, zu allen Zeiten
der zunächst ins Auge fallende und bequemste Gegenstand der Besteuerung ge¬
wesen, und das wird im wesentlichen so bleiben. Folglich sehen wir England
und Frankreich mit einer großen Menge solcher Steuern belastet. Wird nun
durch einen Kompensationszoll der Preis des Getreides zu einem entsprechenden
Betrage erhöht, so fallen diese Steuern dahin, wohin sie billigerweise fallen
sollten, auf die ganze Nation. Wo dies nicht geschieht, und Getreide aus frucht¬
baren Gegenden eingeführt werden kann, sodaß der Preis desselben zu niedrig
wird, können große Strecken des alten Landes dahin kommen, daß sie die Be¬
stellung nicht mehr verlohnen und von künstlich erzeugter Unfruchtbarkeit befallen
werden. Das Volk verliert dann einen Theil seiner natürlichsten und gesündesten
Beschäftigung, seine Physische Kraft nimmt ab, seine Unabhängigkeit vom Aus¬
lande wird gefährdet. Das Getreide ist allerdings wohlfeil genug, das Brot
groß genug, aber wo ist das Geld, es zu kaufen? . . .

Ferner: der wahre Gewinn jedes Landes besteht in reichlichem Lohn für
den Arbeiter. Die arbeitenden Klassen, nicht die truß'W oousuuuM iuM, sind
die Nation. Sie sind die Producenten und die Hauptevnsumenten. Was sie
ausgeben, macht den großen heimischen Markt. Aber in dem wilden Kampfe
allgemeiner Concurrenz, der über die ganze Erdoberfläche hiutobt, muß die Ent¬
schädigung des Arbeiters für seine Arbeit allmählich bis auf das tiefste Niveau
herabgedrückt werden, und der fleißigste Mann muß verhungern, wenn er sich
nicht gefallen lassen will, mit Weib und Kind so elend genährt, gekleidet und
mit Wohnung versehen zu sein als der elendeste seiner Concurrenten.


Zur Charakteristik des Manchestorthums.

„Einer von den Mißständen zeitweiliger Art, gegen welche der Staat das
wirthschaftliche Leben des Volkes zu schützen hat, ist die nothwendige und überall
bemerkbare Inferiorität der Fabrikthätigkcit in ihren Anfängen, ihrer Kindheits¬
periode. Das Kind kann Aussicht haben, bald ein Mann, ja ein Riese zu werden,
aber wenn es während seiner ersten Jahre nicht beschützt wird, wird es kränkeln
mit sterben. Lange bestehende Fabriken erfreuen sich großen Capitals, reicher Er¬
fahrung und vieler Geschicklichkeit. Production in großem Maßstabe bewirkt
eine Wohlfeilheit der Waare, mit welcher Etablissements, die erst angefangen
haben, selbst wenn sie sonst unter günstigen Umständen arbeiten, nicht concur-
riren können. So hat bei allen Industrien, auch den größten, staatlicher Schutz
an der Wiege gestanden. Weit entfernt, daß derselbe auf ein Monopol hinauf¬
liefe, verhütet er vielmehr, daß die alten und großgewachsenen Fabriken sich
thatsächlich eines Monopols erfreuen. Nur jener Schutz bewirkt heilsamen Wett¬
eifer, nur er hat schließlich Wohlfeilheit zur Folge. Burkes Maxime: «Macht
die Dinge theuer, damit sie billig werden, ist hier kein Paradoxon.» ....

Aber nicht bloß neue Staaten und neue Industrien erfordern zu ihrer
Entwicklung Schutz, auch alte Staaten bedürfen ihn zuweilen, wenn der werth¬
vollste Zweig ihrer gewerblichen Thätigkeit nicht verdorren soll. In alten Län¬
dern ist der Grund und Boden, der nicht auswandern kann, zu allen Zeiten
der zunächst ins Auge fallende und bequemste Gegenstand der Besteuerung ge¬
wesen, und das wird im wesentlichen so bleiben. Folglich sehen wir England
und Frankreich mit einer großen Menge solcher Steuern belastet. Wird nun
durch einen Kompensationszoll der Preis des Getreides zu einem entsprechenden
Betrage erhöht, so fallen diese Steuern dahin, wohin sie billigerweise fallen
sollten, auf die ganze Nation. Wo dies nicht geschieht, und Getreide aus frucht¬
baren Gegenden eingeführt werden kann, sodaß der Preis desselben zu niedrig
wird, können große Strecken des alten Landes dahin kommen, daß sie die Be¬
stellung nicht mehr verlohnen und von künstlich erzeugter Unfruchtbarkeit befallen
werden. Das Volk verliert dann einen Theil seiner natürlichsten und gesündesten
Beschäftigung, seine Physische Kraft nimmt ab, seine Unabhängigkeit vom Aus¬
lande wird gefährdet. Das Getreide ist allerdings wohlfeil genug, das Brot
groß genug, aber wo ist das Geld, es zu kaufen? . . .

Ferner: der wahre Gewinn jedes Landes besteht in reichlichem Lohn für
den Arbeiter. Die arbeitenden Klassen, nicht die truß'W oousuuuM iuM, sind
die Nation. Sie sind die Producenten und die Hauptevnsumenten. Was sie
ausgeben, macht den großen heimischen Markt. Aber in dem wilden Kampfe
allgemeiner Concurrenz, der über die ganze Erdoberfläche hiutobt, muß die Ent¬
schädigung des Arbeiters für seine Arbeit allmählich bis auf das tiefste Niveau
herabgedrückt werden, und der fleißigste Mann muß verhungern, wenn er sich
nicht gefallen lassen will, mit Weib und Kind so elend genährt, gekleidet und
mit Wohnung versehen zu sein als der elendeste seiner Concurrenten.


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[0356] Zur Charakteristik des Manchestorthums. „Einer von den Mißständen zeitweiliger Art, gegen welche der Staat das wirthschaftliche Leben des Volkes zu schützen hat, ist die nothwendige und überall bemerkbare Inferiorität der Fabrikthätigkcit in ihren Anfängen, ihrer Kindheits¬ periode. Das Kind kann Aussicht haben, bald ein Mann, ja ein Riese zu werden, aber wenn es während seiner ersten Jahre nicht beschützt wird, wird es kränkeln mit sterben. Lange bestehende Fabriken erfreuen sich großen Capitals, reicher Er¬ fahrung und vieler Geschicklichkeit. Production in großem Maßstabe bewirkt eine Wohlfeilheit der Waare, mit welcher Etablissements, die erst angefangen haben, selbst wenn sie sonst unter günstigen Umständen arbeiten, nicht concur- riren können. So hat bei allen Industrien, auch den größten, staatlicher Schutz an der Wiege gestanden. Weit entfernt, daß derselbe auf ein Monopol hinauf¬ liefe, verhütet er vielmehr, daß die alten und großgewachsenen Fabriken sich thatsächlich eines Monopols erfreuen. Nur jener Schutz bewirkt heilsamen Wett¬ eifer, nur er hat schließlich Wohlfeilheit zur Folge. Burkes Maxime: «Macht die Dinge theuer, damit sie billig werden, ist hier kein Paradoxon.» .... Aber nicht bloß neue Staaten und neue Industrien erfordern zu ihrer Entwicklung Schutz, auch alte Staaten bedürfen ihn zuweilen, wenn der werth¬ vollste Zweig ihrer gewerblichen Thätigkeit nicht verdorren soll. In alten Län¬ dern ist der Grund und Boden, der nicht auswandern kann, zu allen Zeiten der zunächst ins Auge fallende und bequemste Gegenstand der Besteuerung ge¬ wesen, und das wird im wesentlichen so bleiben. Folglich sehen wir England und Frankreich mit einer großen Menge solcher Steuern belastet. Wird nun durch einen Kompensationszoll der Preis des Getreides zu einem entsprechenden Betrage erhöht, so fallen diese Steuern dahin, wohin sie billigerweise fallen sollten, auf die ganze Nation. Wo dies nicht geschieht, und Getreide aus frucht¬ baren Gegenden eingeführt werden kann, sodaß der Preis desselben zu niedrig wird, können große Strecken des alten Landes dahin kommen, daß sie die Be¬ stellung nicht mehr verlohnen und von künstlich erzeugter Unfruchtbarkeit befallen werden. Das Volk verliert dann einen Theil seiner natürlichsten und gesündesten Beschäftigung, seine Physische Kraft nimmt ab, seine Unabhängigkeit vom Aus¬ lande wird gefährdet. Das Getreide ist allerdings wohlfeil genug, das Brot groß genug, aber wo ist das Geld, es zu kaufen? . . . Ferner: der wahre Gewinn jedes Landes besteht in reichlichem Lohn für den Arbeiter. Die arbeitenden Klassen, nicht die truß'W oousuuuM iuM, sind die Nation. Sie sind die Producenten und die Hauptevnsumenten. Was sie ausgeben, macht den großen heimischen Markt. Aber in dem wilden Kampfe allgemeiner Concurrenz, der über die ganze Erdoberfläche hiutobt, muß die Ent¬ schädigung des Arbeiters für seine Arbeit allmählich bis auf das tiefste Niveau herabgedrückt werden, und der fleißigste Mann muß verhungern, wenn er sich nicht gefallen lassen will, mit Weib und Kind so elend genährt, gekleidet und mit Wohnung versehen zu sein als der elendeste seiner Concurrenten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/356>, abgerufen am 01.09.2024.