Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Zur iLhamkteristik des lNanchesterthmns.

Nothwendigkeiten und Bequemlichkeiten des Lebens. Eine zahlreiche Bevölkerung
kann beschäftigt, genährt, gekleidet und mit Wohnung versorgt werden, trotz der
Schwierigkeiten, welche Boden und Klima in den Weg stellen. Kunst und Fleiß
der Menschen überwinden dieselben und lassen, wie in demi Falle Hollands, aus
einem Sumpfe einen großen und mächtigen Staat sich erheben. Zuletzt wird
fremder Handel zugelassen, der Luxusgegenstände einführt und den Ueberfluß
der Producte ausführt.

Und nun denken wir uns dieses selbe Land nach den Grundsätzen des absoluten
Freihandels eingerichtet. Einige besonders von der Natur begünstigte Gegenden
ausgenommen, kann es kein Getreide bauen; denn Rußland und Amerika liefern
dies billiger, nicht bloß auf fremde Märkte, sondern auf seine eignen. Es kann
keinen Wein gewinnen; denn Frankreich verkauft ihn wohlfeiler. Es kann nicht
Fabriken betreiben; denn England überbietet es allenthalben durch die Billigkeit
seiner Eisen-, Baumwollen- und Wollenwaaren. Es kann ferner nicht fortfahren,
das Korn, die Manufacte und die Weine sowie die Colonialwanren, die es braucht,
von auswärts zu beziehen; denn seine eigne Industrie ist lahm gelegt oder ganz
vernichtet, und so hat es nichts zum Austausche für jene Waaren. Es muß
ohne dieselben oder nur kärglich mit ihnen versorgt leben. Das Ende ist ein
halbeultivirtes Land und eine hungernde und zerlumpte Bevölkerung ohne heimische
Industrie und ohne Hnudel nach fremden Märkten. Das Land ist, vom über¬
legnen Auslande ausgesogen, ungefähr ein zweites Irland geworden, das seine
Kräfte nach außen abgegeben hat.

Das Gesagte paßt auf die meisten Länder der Welt. Sie erfreuen sich
müßiger Befähigung zur Production der meisten Lebensbedürfnisse, wogegen
sie zur Production von wenig oder nichts außerordentlich befähigt sind. Bei
einem allgemein verbreiteten verständig bemessenen Schutzzollsystem, welches die
Industrie jedes Landes ans seinem eignen Boden mit seinen Rohstoffen concentrirt,
blüht die Industrie, wächst der Reichthum, gedeiht der Handel, mehrt sich die
Bevölkerung auf der ganzen Erde. Ohne solche Regelung zeigen Bevölkerung,
Gewerbfleiß und Reichthum die Tendenz, sich auf gewisse von der Natur be¬
günstigte Stellen zu concentriren und zu beschränken und von den andern all¬
mählich zu verschwinden.

"Setzen wir denFall, Frankreich hätte nach 1815 seine Schutzzölle auf Eiseu-
und Baumwollenwaaren abgeschafft, wo würde jetzt die Industrie des Seinethals
hin sein, wie würde es um die Bevölkerung von Rouen und Elboenf, von
Tonrcoing und Noubaix stehen? Manchester und Birmingham, Glasgow und
Sheffield würden das alles niedergeworfen haben. Der Verlust Frankreichs
würde so ungeheuer gewesen sein, daß es seine Kaufkraft nahezu verloren hatte.
England aber würde schließlich im Vergleich zu jenem riesigen Verluste Frank¬
reichs wenig gewonnen haben. Es würde reicher geworden sein, aber zuletzt
Kunden verloren haben.


Zur iLhamkteristik des lNanchesterthmns.

Nothwendigkeiten und Bequemlichkeiten des Lebens. Eine zahlreiche Bevölkerung
kann beschäftigt, genährt, gekleidet und mit Wohnung versorgt werden, trotz der
Schwierigkeiten, welche Boden und Klima in den Weg stellen. Kunst und Fleiß
der Menschen überwinden dieselben und lassen, wie in demi Falle Hollands, aus
einem Sumpfe einen großen und mächtigen Staat sich erheben. Zuletzt wird
fremder Handel zugelassen, der Luxusgegenstände einführt und den Ueberfluß
der Producte ausführt.

Und nun denken wir uns dieses selbe Land nach den Grundsätzen des absoluten
Freihandels eingerichtet. Einige besonders von der Natur begünstigte Gegenden
ausgenommen, kann es kein Getreide bauen; denn Rußland und Amerika liefern
dies billiger, nicht bloß auf fremde Märkte, sondern auf seine eignen. Es kann
keinen Wein gewinnen; denn Frankreich verkauft ihn wohlfeiler. Es kann nicht
Fabriken betreiben; denn England überbietet es allenthalben durch die Billigkeit
seiner Eisen-, Baumwollen- und Wollenwaaren. Es kann ferner nicht fortfahren,
das Korn, die Manufacte und die Weine sowie die Colonialwanren, die es braucht,
von auswärts zu beziehen; denn seine eigne Industrie ist lahm gelegt oder ganz
vernichtet, und so hat es nichts zum Austausche für jene Waaren. Es muß
ohne dieselben oder nur kärglich mit ihnen versorgt leben. Das Ende ist ein
halbeultivirtes Land und eine hungernde und zerlumpte Bevölkerung ohne heimische
Industrie und ohne Hnudel nach fremden Märkten. Das Land ist, vom über¬
legnen Auslande ausgesogen, ungefähr ein zweites Irland geworden, das seine
Kräfte nach außen abgegeben hat.

Das Gesagte paßt auf die meisten Länder der Welt. Sie erfreuen sich
müßiger Befähigung zur Production der meisten Lebensbedürfnisse, wogegen
sie zur Production von wenig oder nichts außerordentlich befähigt sind. Bei
einem allgemein verbreiteten verständig bemessenen Schutzzollsystem, welches die
Industrie jedes Landes ans seinem eignen Boden mit seinen Rohstoffen concentrirt,
blüht die Industrie, wächst der Reichthum, gedeiht der Handel, mehrt sich die
Bevölkerung auf der ganzen Erde. Ohne solche Regelung zeigen Bevölkerung,
Gewerbfleiß und Reichthum die Tendenz, sich auf gewisse von der Natur be¬
günstigte Stellen zu concentriren und zu beschränken und von den andern all¬
mählich zu verschwinden.

„Setzen wir denFall, Frankreich hätte nach 1815 seine Schutzzölle auf Eiseu-
und Baumwollenwaaren abgeschafft, wo würde jetzt die Industrie des Seinethals
hin sein, wie würde es um die Bevölkerung von Rouen und Elboenf, von
Tonrcoing und Noubaix stehen? Manchester und Birmingham, Glasgow und
Sheffield würden das alles niedergeworfen haben. Der Verlust Frankreichs
würde so ungeheuer gewesen sein, daß es seine Kaufkraft nahezu verloren hatte.
England aber würde schließlich im Vergleich zu jenem riesigen Verluste Frank¬
reichs wenig gewonnen haben. Es würde reicher geworden sein, aber zuletzt
Kunden verloren haben.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0354" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/150504"/>
          <fw type="header" place="top"> Zur iLhamkteristik des lNanchesterthmns.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1114" prev="#ID_1113"> Nothwendigkeiten und Bequemlichkeiten des Lebens. Eine zahlreiche Bevölkerung<lb/>
kann beschäftigt, genährt, gekleidet und mit Wohnung versorgt werden, trotz der<lb/>
Schwierigkeiten, welche Boden und Klima in den Weg stellen. Kunst und Fleiß<lb/>
der Menschen überwinden dieselben und lassen, wie in demi Falle Hollands, aus<lb/>
einem Sumpfe einen großen und mächtigen Staat sich erheben. Zuletzt wird<lb/>
fremder Handel zugelassen, der Luxusgegenstände einführt und den Ueberfluß<lb/>
der Producte ausführt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1115"> Und nun denken wir uns dieses selbe Land nach den Grundsätzen des absoluten<lb/>
Freihandels eingerichtet. Einige besonders von der Natur begünstigte Gegenden<lb/>
ausgenommen, kann es kein Getreide bauen; denn Rußland und Amerika liefern<lb/>
dies billiger, nicht bloß auf fremde Märkte, sondern auf seine eignen. Es kann<lb/>
keinen Wein gewinnen; denn Frankreich verkauft ihn wohlfeiler. Es kann nicht<lb/>
Fabriken betreiben; denn England überbietet es allenthalben durch die Billigkeit<lb/>
seiner Eisen-, Baumwollen- und Wollenwaaren. Es kann ferner nicht fortfahren,<lb/>
das Korn, die Manufacte und die Weine sowie die Colonialwanren, die es braucht,<lb/>
von auswärts zu beziehen; denn seine eigne Industrie ist lahm gelegt oder ganz<lb/>
vernichtet, und so hat es nichts zum Austausche für jene Waaren. Es muß<lb/>
ohne dieselben oder nur kärglich mit ihnen versorgt leben. Das Ende ist ein<lb/>
halbeultivirtes Land und eine hungernde und zerlumpte Bevölkerung ohne heimische<lb/>
Industrie und ohne Hnudel nach fremden Märkten. Das Land ist, vom über¬<lb/>
legnen Auslande ausgesogen, ungefähr ein zweites Irland geworden, das seine<lb/>
Kräfte nach außen abgegeben hat.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1116"> Das Gesagte paßt auf die meisten Länder der Welt. Sie erfreuen sich<lb/>
müßiger Befähigung zur Production der meisten Lebensbedürfnisse, wogegen<lb/>
sie zur Production von wenig oder nichts außerordentlich befähigt sind. Bei<lb/>
einem allgemein verbreiteten verständig bemessenen Schutzzollsystem, welches die<lb/>
Industrie jedes Landes ans seinem eignen Boden mit seinen Rohstoffen concentrirt,<lb/>
blüht die Industrie, wächst der Reichthum, gedeiht der Handel, mehrt sich die<lb/>
Bevölkerung auf der ganzen Erde. Ohne solche Regelung zeigen Bevölkerung,<lb/>
Gewerbfleiß und Reichthum die Tendenz, sich auf gewisse von der Natur be¬<lb/>
günstigte Stellen zu concentriren und zu beschränken und von den andern all¬<lb/>
mählich zu verschwinden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1117"> &#x201E;Setzen wir denFall, Frankreich hätte nach 1815 seine Schutzzölle auf Eiseu-<lb/>
und Baumwollenwaaren abgeschafft, wo würde jetzt die Industrie des Seinethals<lb/>
hin sein, wie würde es um die Bevölkerung von Rouen und Elboenf, von<lb/>
Tonrcoing und Noubaix stehen? Manchester und Birmingham, Glasgow und<lb/>
Sheffield würden das alles niedergeworfen haben. Der Verlust Frankreichs<lb/>
würde so ungeheuer gewesen sein, daß es seine Kaufkraft nahezu verloren hatte.<lb/>
England aber würde schließlich im Vergleich zu jenem riesigen Verluste Frank¬<lb/>
reichs wenig gewonnen haben. Es würde reicher geworden sein, aber zuletzt<lb/>
Kunden verloren haben.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0354] Zur iLhamkteristik des lNanchesterthmns. Nothwendigkeiten und Bequemlichkeiten des Lebens. Eine zahlreiche Bevölkerung kann beschäftigt, genährt, gekleidet und mit Wohnung versorgt werden, trotz der Schwierigkeiten, welche Boden und Klima in den Weg stellen. Kunst und Fleiß der Menschen überwinden dieselben und lassen, wie in demi Falle Hollands, aus einem Sumpfe einen großen und mächtigen Staat sich erheben. Zuletzt wird fremder Handel zugelassen, der Luxusgegenstände einführt und den Ueberfluß der Producte ausführt. Und nun denken wir uns dieses selbe Land nach den Grundsätzen des absoluten Freihandels eingerichtet. Einige besonders von der Natur begünstigte Gegenden ausgenommen, kann es kein Getreide bauen; denn Rußland und Amerika liefern dies billiger, nicht bloß auf fremde Märkte, sondern auf seine eignen. Es kann keinen Wein gewinnen; denn Frankreich verkauft ihn wohlfeiler. Es kann nicht Fabriken betreiben; denn England überbietet es allenthalben durch die Billigkeit seiner Eisen-, Baumwollen- und Wollenwaaren. Es kann ferner nicht fortfahren, das Korn, die Manufacte und die Weine sowie die Colonialwanren, die es braucht, von auswärts zu beziehen; denn seine eigne Industrie ist lahm gelegt oder ganz vernichtet, und so hat es nichts zum Austausche für jene Waaren. Es muß ohne dieselben oder nur kärglich mit ihnen versorgt leben. Das Ende ist ein halbeultivirtes Land und eine hungernde und zerlumpte Bevölkerung ohne heimische Industrie und ohne Hnudel nach fremden Märkten. Das Land ist, vom über¬ legnen Auslande ausgesogen, ungefähr ein zweites Irland geworden, das seine Kräfte nach außen abgegeben hat. Das Gesagte paßt auf die meisten Länder der Welt. Sie erfreuen sich müßiger Befähigung zur Production der meisten Lebensbedürfnisse, wogegen sie zur Production von wenig oder nichts außerordentlich befähigt sind. Bei einem allgemein verbreiteten verständig bemessenen Schutzzollsystem, welches die Industrie jedes Landes ans seinem eignen Boden mit seinen Rohstoffen concentrirt, blüht die Industrie, wächst der Reichthum, gedeiht der Handel, mehrt sich die Bevölkerung auf der ganzen Erde. Ohne solche Regelung zeigen Bevölkerung, Gewerbfleiß und Reichthum die Tendenz, sich auf gewisse von der Natur be¬ günstigte Stellen zu concentriren und zu beschränken und von den andern all¬ mählich zu verschwinden. „Setzen wir denFall, Frankreich hätte nach 1815 seine Schutzzölle auf Eiseu- und Baumwollenwaaren abgeschafft, wo würde jetzt die Industrie des Seinethals hin sein, wie würde es um die Bevölkerung von Rouen und Elboenf, von Tonrcoing und Noubaix stehen? Manchester und Birmingham, Glasgow und Sheffield würden das alles niedergeworfen haben. Der Verlust Frankreichs würde so ungeheuer gewesen sein, daß es seine Kaufkraft nahezu verloren hatte. England aber würde schließlich im Vergleich zu jenem riesigen Verluste Frank¬ reichs wenig gewonnen haben. Es würde reicher geworden sein, aber zuletzt Kunden verloren haben.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/354
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/354>, abgerufen am 25.11.2024.