Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Zur Charakteristik des NIanchesterthmns.

heit," "Meisterstück von Frechheit," "infame Gesetze," "die wahnsinnige Politik
dieses Hauses," "flache und durchsichtige Schurkerei (slmllov ima tra-nKpiu-vnd
lcnavLi^)," "politische Gauner," " adeliche Unwissenheit und Krönchen tragende Ge¬
meinheit" kommen fast in allen seinen Reden vor, nicht bloß in denen, die er
in Volksversammlungen, sondern auch in solchen, die er im Parlamente gehalten
hat. Die Jünger Cobdens sind zwar meist weniger Hagebuchen, aber dafür noch
hochnäsiger als der Meister. Ihr Dünkel geberdet sich wie Wissenschaftlichkeit,
sie treten auf, als ob sie allein die Wissenden wären, und als ob sie nichts mehr
zu lernen hätten, während doch allein Bescheidenheit das Kennzeichen wahrer
Wissenschaft und nirgends mehr am Platze ist als in denjenigen Wissenschaften,
die der Kunst der Politik dienen, wo die Wahrheit nicht allein durch den Denk¬
proceß, sondern zugleich durch Erfahrung, durch stetes Beobachten der fortwährend
sich umbildenden, entwickelnden und bereichernden äußern Welt gefunden wird.
In den naturwissenschaftlichen Disciplinen leugnet dies niemand, auf wirthschaft¬
lichem Gebiete aber, wo zahllose Causalverbindungen, die man bis jetzt kaum halb
erkannt hat, sich kreuzen, wo Experimente im kleinen nicht viel nützen und im
großen gefährlich sind, proclamiren Parteiführer ihre Unfehlbarkeit und finden
damit Gläubige. Uebrigens gerathen Freihändler dieser Art mit einem Aus¬
spruche ihres Propheten in Widerspruch, Cobden wollte ein praktischer Manu
sein und nichts mit Abstractionen zu thun haben.

In Geschäftssachen freilich war Cobden nicht sehr praktisch; denn zweimal
mußten ihn seine Verehrer durch Geldsammlungen vor dem Bankerotte retten.
Sehr praktisch dagegen zeigte er sich bei der Leitung der Amel-Cornlaw-League.
Den kleinen Pächtern sagte er, daß sie am meisten unter dem Getrcidezoll zu
leiden hätten, welcher damals mit dem Fallen der Marktpreise stieg und mit
ihrem Steigen fiel. Den großen Grundbesitzern bewies er, daß sie ohne Getreide¬
zölle aus ihren Gütern eine ebenso hohe Rente ziehen würden als mit solchen,
und daß sie schließlich vom Freihandel in Korn auch keinen Verlust an politischem
Einfluß zu fürchten hätten. Den gegen seine Agitation mißtrauischen Arbeitern,
die vom Sinken der Getreidepreise ein Sinken der Löhne kommen sahen, sagte
er 1841 im Unterhause: "Ich sehe keinen Zusammenhang zwischen dem Preise
der Nahrungsmittel und dem der Arbeit bei deren gesundem natürlichem Zu¬
stande. . . . Der Lohnsatz hat nicht mehr Zusammenhang mit dem Preise der
Lebensmittel als mit den Mondwechseln." 1842 äußerte er ebenfalls im Unter-
Hause, es habe ihn beim Durchlesen der Verhandlungen über das Korngesctz von
1814 frappirt und mit Betrübniß erfüllt, daß alle Parteien über einen Punkt
einig gewesen feien, darüber nämlich, daß der Preis der Lebensmittel den Lohnsatz
rcgnlire. 1843 ließ er sich in einer Volksversammlung zu Manchester also ver¬
nehmen: "Man fragt uns immer spöttisch, wie wir ohne billiges Korn imstande
sein würden, die Lohne herabzusetzen und mit dem Auslande zu concurriren-
Nun, Ihr wißt, daß das eine schlvüchliche Erfindung des Feindes ist, um die


Zur Charakteristik des NIanchesterthmns.

heit," „Meisterstück von Frechheit," „infame Gesetze," „die wahnsinnige Politik
dieses Hauses," „flache und durchsichtige Schurkerei (slmllov ima tra-nKpiu-vnd
lcnavLi^)," „politische Gauner," „ adeliche Unwissenheit und Krönchen tragende Ge¬
meinheit" kommen fast in allen seinen Reden vor, nicht bloß in denen, die er
in Volksversammlungen, sondern auch in solchen, die er im Parlamente gehalten
hat. Die Jünger Cobdens sind zwar meist weniger Hagebuchen, aber dafür noch
hochnäsiger als der Meister. Ihr Dünkel geberdet sich wie Wissenschaftlichkeit,
sie treten auf, als ob sie allein die Wissenden wären, und als ob sie nichts mehr
zu lernen hätten, während doch allein Bescheidenheit das Kennzeichen wahrer
Wissenschaft und nirgends mehr am Platze ist als in denjenigen Wissenschaften,
die der Kunst der Politik dienen, wo die Wahrheit nicht allein durch den Denk¬
proceß, sondern zugleich durch Erfahrung, durch stetes Beobachten der fortwährend
sich umbildenden, entwickelnden und bereichernden äußern Welt gefunden wird.
In den naturwissenschaftlichen Disciplinen leugnet dies niemand, auf wirthschaft¬
lichem Gebiete aber, wo zahllose Causalverbindungen, die man bis jetzt kaum halb
erkannt hat, sich kreuzen, wo Experimente im kleinen nicht viel nützen und im
großen gefährlich sind, proclamiren Parteiführer ihre Unfehlbarkeit und finden
damit Gläubige. Uebrigens gerathen Freihändler dieser Art mit einem Aus¬
spruche ihres Propheten in Widerspruch, Cobden wollte ein praktischer Manu
sein und nichts mit Abstractionen zu thun haben.

In Geschäftssachen freilich war Cobden nicht sehr praktisch; denn zweimal
mußten ihn seine Verehrer durch Geldsammlungen vor dem Bankerotte retten.
Sehr praktisch dagegen zeigte er sich bei der Leitung der Amel-Cornlaw-League.
Den kleinen Pächtern sagte er, daß sie am meisten unter dem Getrcidezoll zu
leiden hätten, welcher damals mit dem Fallen der Marktpreise stieg und mit
ihrem Steigen fiel. Den großen Grundbesitzern bewies er, daß sie ohne Getreide¬
zölle aus ihren Gütern eine ebenso hohe Rente ziehen würden als mit solchen,
und daß sie schließlich vom Freihandel in Korn auch keinen Verlust an politischem
Einfluß zu fürchten hätten. Den gegen seine Agitation mißtrauischen Arbeitern,
die vom Sinken der Getreidepreise ein Sinken der Löhne kommen sahen, sagte
er 1841 im Unterhause: „Ich sehe keinen Zusammenhang zwischen dem Preise
der Nahrungsmittel und dem der Arbeit bei deren gesundem natürlichem Zu¬
stande. . . . Der Lohnsatz hat nicht mehr Zusammenhang mit dem Preise der
Lebensmittel als mit den Mondwechseln." 1842 äußerte er ebenfalls im Unter-
Hause, es habe ihn beim Durchlesen der Verhandlungen über das Korngesctz von
1814 frappirt und mit Betrübniß erfüllt, daß alle Parteien über einen Punkt
einig gewesen feien, darüber nämlich, daß der Preis der Lebensmittel den Lohnsatz
rcgnlire. 1843 ließ er sich in einer Volksversammlung zu Manchester also ver¬
nehmen: „Man fragt uns immer spöttisch, wie wir ohne billiges Korn imstande
sein würden, die Lohne herabzusetzen und mit dem Auslande zu concurriren-
Nun, Ihr wißt, daß das eine schlvüchliche Erfindung des Feindes ist, um die


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0314" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/150464"/>
          <fw type="header" place="top"> Zur Charakteristik des NIanchesterthmns.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_999" prev="#ID_998"> heit," &#x201E;Meisterstück von Frechheit," &#x201E;infame Gesetze," &#x201E;die wahnsinnige Politik<lb/>
dieses Hauses," &#x201E;flache und durchsichtige Schurkerei (slmllov ima tra-nKpiu-vnd<lb/>
lcnavLi^)," &#x201E;politische Gauner," &#x201E; adeliche Unwissenheit und Krönchen tragende Ge¬<lb/>
meinheit" kommen fast in allen seinen Reden vor, nicht bloß in denen, die er<lb/>
in Volksversammlungen, sondern auch in solchen, die er im Parlamente gehalten<lb/>
hat. Die Jünger Cobdens sind zwar meist weniger Hagebuchen, aber dafür noch<lb/>
hochnäsiger als der Meister. Ihr Dünkel geberdet sich wie Wissenschaftlichkeit,<lb/>
sie treten auf, als ob sie allein die Wissenden wären, und als ob sie nichts mehr<lb/>
zu lernen hätten, während doch allein Bescheidenheit das Kennzeichen wahrer<lb/>
Wissenschaft und nirgends mehr am Platze ist als in denjenigen Wissenschaften,<lb/>
die der Kunst der Politik dienen, wo die Wahrheit nicht allein durch den Denk¬<lb/>
proceß, sondern zugleich durch Erfahrung, durch stetes Beobachten der fortwährend<lb/>
sich umbildenden, entwickelnden und bereichernden äußern Welt gefunden wird.<lb/>
In den naturwissenschaftlichen Disciplinen leugnet dies niemand, auf wirthschaft¬<lb/>
lichem Gebiete aber, wo zahllose Causalverbindungen, die man bis jetzt kaum halb<lb/>
erkannt hat, sich kreuzen, wo Experimente im kleinen nicht viel nützen und im<lb/>
großen gefährlich sind, proclamiren Parteiführer ihre Unfehlbarkeit und finden<lb/>
damit Gläubige. Uebrigens gerathen Freihändler dieser Art mit einem Aus¬<lb/>
spruche ihres Propheten in Widerspruch, Cobden wollte ein praktischer Manu<lb/>
sein und nichts mit Abstractionen zu thun haben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1000" next="#ID_1001"> In Geschäftssachen freilich war Cobden nicht sehr praktisch; denn zweimal<lb/>
mußten ihn seine Verehrer durch Geldsammlungen vor dem Bankerotte retten.<lb/>
Sehr praktisch dagegen zeigte er sich bei der Leitung der Amel-Cornlaw-League.<lb/>
Den kleinen Pächtern sagte er, daß sie am meisten unter dem Getrcidezoll zu<lb/>
leiden hätten, welcher damals mit dem Fallen der Marktpreise stieg und mit<lb/>
ihrem Steigen fiel. Den großen Grundbesitzern bewies er, daß sie ohne Getreide¬<lb/>
zölle aus ihren Gütern eine ebenso hohe Rente ziehen würden als mit solchen,<lb/>
und daß sie schließlich vom Freihandel in Korn auch keinen Verlust an politischem<lb/>
Einfluß zu fürchten hätten. Den gegen seine Agitation mißtrauischen Arbeitern,<lb/>
die vom Sinken der Getreidepreise ein Sinken der Löhne kommen sahen, sagte<lb/>
er 1841 im Unterhause: &#x201E;Ich sehe keinen Zusammenhang zwischen dem Preise<lb/>
der Nahrungsmittel und dem der Arbeit bei deren gesundem natürlichem Zu¬<lb/>
stande. . . . Der Lohnsatz hat nicht mehr Zusammenhang mit dem Preise der<lb/>
Lebensmittel als mit den Mondwechseln." 1842 äußerte er ebenfalls im Unter-<lb/>
Hause, es habe ihn beim Durchlesen der Verhandlungen über das Korngesctz von<lb/>
1814 frappirt und mit Betrübniß erfüllt, daß alle Parteien über einen Punkt<lb/>
einig gewesen feien, darüber nämlich, daß der Preis der Lebensmittel den Lohnsatz<lb/>
rcgnlire. 1843 ließ er sich in einer Volksversammlung zu Manchester also ver¬<lb/>
nehmen: &#x201E;Man fragt uns immer spöttisch, wie wir ohne billiges Korn imstande<lb/>
sein würden, die Lohne herabzusetzen und mit dem Auslande zu concurriren-<lb/>
Nun, Ihr wißt, daß das eine schlvüchliche Erfindung des Feindes ist, um die</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0314] Zur Charakteristik des NIanchesterthmns. heit," „Meisterstück von Frechheit," „infame Gesetze," „die wahnsinnige Politik dieses Hauses," „flache und durchsichtige Schurkerei (slmllov ima tra-nKpiu-vnd lcnavLi^)," „politische Gauner," „ adeliche Unwissenheit und Krönchen tragende Ge¬ meinheit" kommen fast in allen seinen Reden vor, nicht bloß in denen, die er in Volksversammlungen, sondern auch in solchen, die er im Parlamente gehalten hat. Die Jünger Cobdens sind zwar meist weniger Hagebuchen, aber dafür noch hochnäsiger als der Meister. Ihr Dünkel geberdet sich wie Wissenschaftlichkeit, sie treten auf, als ob sie allein die Wissenden wären, und als ob sie nichts mehr zu lernen hätten, während doch allein Bescheidenheit das Kennzeichen wahrer Wissenschaft und nirgends mehr am Platze ist als in denjenigen Wissenschaften, die der Kunst der Politik dienen, wo die Wahrheit nicht allein durch den Denk¬ proceß, sondern zugleich durch Erfahrung, durch stetes Beobachten der fortwährend sich umbildenden, entwickelnden und bereichernden äußern Welt gefunden wird. In den naturwissenschaftlichen Disciplinen leugnet dies niemand, auf wirthschaft¬ lichem Gebiete aber, wo zahllose Causalverbindungen, die man bis jetzt kaum halb erkannt hat, sich kreuzen, wo Experimente im kleinen nicht viel nützen und im großen gefährlich sind, proclamiren Parteiführer ihre Unfehlbarkeit und finden damit Gläubige. Uebrigens gerathen Freihändler dieser Art mit einem Aus¬ spruche ihres Propheten in Widerspruch, Cobden wollte ein praktischer Manu sein und nichts mit Abstractionen zu thun haben. In Geschäftssachen freilich war Cobden nicht sehr praktisch; denn zweimal mußten ihn seine Verehrer durch Geldsammlungen vor dem Bankerotte retten. Sehr praktisch dagegen zeigte er sich bei der Leitung der Amel-Cornlaw-League. Den kleinen Pächtern sagte er, daß sie am meisten unter dem Getrcidezoll zu leiden hätten, welcher damals mit dem Fallen der Marktpreise stieg und mit ihrem Steigen fiel. Den großen Grundbesitzern bewies er, daß sie ohne Getreide¬ zölle aus ihren Gütern eine ebenso hohe Rente ziehen würden als mit solchen, und daß sie schließlich vom Freihandel in Korn auch keinen Verlust an politischem Einfluß zu fürchten hätten. Den gegen seine Agitation mißtrauischen Arbeitern, die vom Sinken der Getreidepreise ein Sinken der Löhne kommen sahen, sagte er 1841 im Unterhause: „Ich sehe keinen Zusammenhang zwischen dem Preise der Nahrungsmittel und dem der Arbeit bei deren gesundem natürlichem Zu¬ stande. . . . Der Lohnsatz hat nicht mehr Zusammenhang mit dem Preise der Lebensmittel als mit den Mondwechseln." 1842 äußerte er ebenfalls im Unter- Hause, es habe ihn beim Durchlesen der Verhandlungen über das Korngesctz von 1814 frappirt und mit Betrübniß erfüllt, daß alle Parteien über einen Punkt einig gewesen feien, darüber nämlich, daß der Preis der Lebensmittel den Lohnsatz rcgnlire. 1843 ließ er sich in einer Volksversammlung zu Manchester also ver¬ nehmen: „Man fragt uns immer spöttisch, wie wir ohne billiges Korn imstande sein würden, die Lohne herabzusetzen und mit dem Auslande zu concurriren- Nun, Ihr wißt, daß das eine schlvüchliche Erfindung des Feindes ist, um die

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/314
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/314>, abgerufen am 01.09.2024.