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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Franz Schuberts Miillorlieder,

directes zu thun. Es zeigt auch nicht auf Schubert oder irgend eine" andern
Kunstevmpvuiste", sondern klingt ganz so wie eins jeuer vielen Wanderlieder, die
der Volksmund für fröhliche Marsch- und Reisegelegenheiten parat hält, die
Gemeingut sind und sich ungeschrieben von Generation zu Generation vererben.
Man könnte zweifeln, ob Schubert diese Melodie selbst erfunden oder ob er sie
von wandernden Burschen draußen auf der Landstraße gehört hat. Es ist ein
Chvrlied, hübsch in seinem rüstigen Tone nud - gleichviel ob original oder
nicht - trefflich geeignet, das Bild des jungen Gesellen in dem Augenblicke zu
fixiren, wo er auf der Wanderschaft wohlgemuty einherzieht und sich eins seugt.

Seine besondre Figur zeigt sich erst deutlicher im zweiten Liede, wo er
von der Straße abbiegt und dem Bächlein folgt, mit dein er eine sinnige Zwie¬
sprache führt. Daß Schubert ihn als eine schlichte, harmlose Natur hinstelle"
wollte, zeigt die Behandlung der Worte: "Ich weiß nicht, wie mir wurde, noch
wer den Rath mir gab," bei welcher dem naheliegenden Pathos in einer geradezu
absichtlichen Weise aus dem Wege gegangen ist. Musikalisch eigeuthümlich ist
der Ausdruck des phantastischen Elementes, des singenden Wassers, durch eine
leise Baßmelodie.

Zu deu Lieder", welche im Einzelvvrtrage den Sinn verlieren, gehört die
- Nummer. Muß eine"! "icht der Einfall curios vorkommen, diese Nummer
mit einer solchen polternden Sechzehntelfigur des Claviers zu beginnen? Im
Anschluß an das muntergleitende Wellmspiel des vorhergehende,! Liedes wird
sie aber der prächtige Ausdruck der Ueberraschung, die deu Knappen überkommt,
als er plötzlich die 'stattliche Mühle vor sich sieht. Sie beherrscht ihn "och die
nächsten Augenblicke, wie nun ein Gegenstand nach dein andern vor ihm auf¬
taucht. Aus der melodischen Declamation der Gesaugpartie klingt eS von kind¬
licher Freude, der Müller ist wie ein Kind und freut sich wie ein Kind über
das Haus und die blanken Fenster und um gar de" schöne" Sonne"sehen. I"
den lustige" Figuren des Clavierbasses aber lacht das Bächlein über den ge¬
lungenen Spaß. Im Zusammenhang ist dieses "Halt" eine der lebendigsten
und freundlichsten Nummern Schuberts überhaupt.

Die vierte Nummer, "Die Danksagung an deu Bach," drückt das schüchterne
Wesen, das Schuberts Müllerbnrsche haben soll, zum erstenmale aus. Die
Wschm.g vo" Vergnügen ""d Zaghaftigkeit, mit der er der ..Müller!"" gedenkt,
>se eine echt Schnbertsche Leistung.

Mit dem "Feierabend" treffen wir den Knappen in der Mühle selbst, y.er
'se es z.,in erstenmale, wo er uns mit männlichen Zügen eutgegeuwtt. Es
Uegt Kraft in der Weise, mit welcher er sich .tausend Arme" wünscht, und ehr
gegenüber wirkt dann die einfache Innigkeit umsomehr, die Herzenöwärme, tu-
ber Melodie zu deu Worte., "daß die schöne Müllerin merkte meinen treuen
^inn" hervortritt. Diese Nummer ist eine der genialsten, groß entworfen, in
einfachsten Weise zur Seene erweitert, voll Figuren, alle mit kurze.. Striche..


Franz Schuberts Miillorlieder,

directes zu thun. Es zeigt auch nicht auf Schubert oder irgend eine» andern
Kunstevmpvuiste», sondern klingt ganz so wie eins jeuer vielen Wanderlieder, die
der Volksmund für fröhliche Marsch- und Reisegelegenheiten parat hält, die
Gemeingut sind und sich ungeschrieben von Generation zu Generation vererben.
Man könnte zweifeln, ob Schubert diese Melodie selbst erfunden oder ob er sie
von wandernden Burschen draußen auf der Landstraße gehört hat. Es ist ein
Chvrlied, hübsch in seinem rüstigen Tone nud - gleichviel ob original oder
nicht - trefflich geeignet, das Bild des jungen Gesellen in dem Augenblicke zu
fixiren, wo er auf der Wanderschaft wohlgemuty einherzieht und sich eins seugt.

Seine besondre Figur zeigt sich erst deutlicher im zweiten Liede, wo er
von der Straße abbiegt und dem Bächlein folgt, mit dein er eine sinnige Zwie¬
sprache führt. Daß Schubert ihn als eine schlichte, harmlose Natur hinstelle»
wollte, zeigt die Behandlung der Worte: „Ich weiß nicht, wie mir wurde, noch
wer den Rath mir gab," bei welcher dem naheliegenden Pathos in einer geradezu
absichtlichen Weise aus dem Wege gegangen ist. Musikalisch eigeuthümlich ist
der Ausdruck des phantastischen Elementes, des singenden Wassers, durch eine
leise Baßmelodie.

Zu deu Lieder», welche im Einzelvvrtrage den Sinn verlieren, gehört die
- Nummer. Muß eine»! »icht der Einfall curios vorkommen, diese Nummer
mit einer solchen polternden Sechzehntelfigur des Claviers zu beginnen? Im
Anschluß an das muntergleitende Wellmspiel des vorhergehende,! Liedes wird
sie aber der prächtige Ausdruck der Ueberraschung, die deu Knappen überkommt,
als er plötzlich die 'stattliche Mühle vor sich sieht. Sie beherrscht ihn »och die
nächsten Augenblicke, wie nun ein Gegenstand nach dein andern vor ihm auf¬
taucht. Aus der melodischen Declamation der Gesaugpartie klingt eS von kind¬
licher Freude, der Müller ist wie ein Kind und freut sich wie ein Kind über
das Haus und die blanken Fenster und um gar de» schöne» Sonne»sehen. I»
den lustige» Figuren des Clavierbasses aber lacht das Bächlein über den ge¬
lungenen Spaß. Im Zusammenhang ist dieses „Halt" eine der lebendigsten
und freundlichsten Nummern Schuberts überhaupt.

Die vierte Nummer, „Die Danksagung an deu Bach," drückt das schüchterne
Wesen, das Schuberts Müllerbnrsche haben soll, zum erstenmale aus. Die
Wschm.g vo» Vergnügen »»d Zaghaftigkeit, mit der er der ..Müller!»" gedenkt,
>se eine echt Schnbertsche Leistung.

Mit dem „Feierabend" treffen wir den Knappen in der Mühle selbst, y.er
'se es z.,in erstenmale, wo er uns mit männlichen Zügen eutgegeuwtt. Es
Uegt Kraft in der Weise, mit welcher er sich .tausend Arme" wünscht, und ehr
gegenüber wirkt dann die einfache Innigkeit umsomehr, die Herzenöwärme, tu-
ber Melodie zu deu Worte., „daß die schöne Müllerin merkte meinen treuen
^inn" hervortritt. Diese Nummer ist eine der genialsten, groß entworfen, in
einfachsten Weise zur Seene erweitert, voll Figuren, alle mit kurze.. Striche..


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[0309] Franz Schuberts Miillorlieder, directes zu thun. Es zeigt auch nicht auf Schubert oder irgend eine» andern Kunstevmpvuiste», sondern klingt ganz so wie eins jeuer vielen Wanderlieder, die der Volksmund für fröhliche Marsch- und Reisegelegenheiten parat hält, die Gemeingut sind und sich ungeschrieben von Generation zu Generation vererben. Man könnte zweifeln, ob Schubert diese Melodie selbst erfunden oder ob er sie von wandernden Burschen draußen auf der Landstraße gehört hat. Es ist ein Chvrlied, hübsch in seinem rüstigen Tone nud - gleichviel ob original oder nicht - trefflich geeignet, das Bild des jungen Gesellen in dem Augenblicke zu fixiren, wo er auf der Wanderschaft wohlgemuty einherzieht und sich eins seugt. Seine besondre Figur zeigt sich erst deutlicher im zweiten Liede, wo er von der Straße abbiegt und dem Bächlein folgt, mit dein er eine sinnige Zwie¬ sprache führt. Daß Schubert ihn als eine schlichte, harmlose Natur hinstelle» wollte, zeigt die Behandlung der Worte: „Ich weiß nicht, wie mir wurde, noch wer den Rath mir gab," bei welcher dem naheliegenden Pathos in einer geradezu absichtlichen Weise aus dem Wege gegangen ist. Musikalisch eigeuthümlich ist der Ausdruck des phantastischen Elementes, des singenden Wassers, durch eine leise Baßmelodie. Zu deu Lieder», welche im Einzelvvrtrage den Sinn verlieren, gehört die - Nummer. Muß eine»! »icht der Einfall curios vorkommen, diese Nummer mit einer solchen polternden Sechzehntelfigur des Claviers zu beginnen? Im Anschluß an das muntergleitende Wellmspiel des vorhergehende,! Liedes wird sie aber der prächtige Ausdruck der Ueberraschung, die deu Knappen überkommt, als er plötzlich die 'stattliche Mühle vor sich sieht. Sie beherrscht ihn »och die nächsten Augenblicke, wie nun ein Gegenstand nach dein andern vor ihm auf¬ taucht. Aus der melodischen Declamation der Gesaugpartie klingt eS von kind¬ licher Freude, der Müller ist wie ein Kind und freut sich wie ein Kind über das Haus und die blanken Fenster und um gar de» schöne» Sonne»sehen. I» den lustige» Figuren des Clavierbasses aber lacht das Bächlein über den ge¬ lungenen Spaß. Im Zusammenhang ist dieses „Halt" eine der lebendigsten und freundlichsten Nummern Schuberts überhaupt. Die vierte Nummer, „Die Danksagung an deu Bach," drückt das schüchterne Wesen, das Schuberts Müllerbnrsche haben soll, zum erstenmale aus. Die Wschm.g vo» Vergnügen »»d Zaghaftigkeit, mit der er der ..Müller!»" gedenkt, >se eine echt Schnbertsche Leistung. Mit dem „Feierabend" treffen wir den Knappen in der Mühle selbst, y.er 'se es z.,in erstenmale, wo er uns mit männlichen Zügen eutgegeuwtt. Es Uegt Kraft in der Weise, mit welcher er sich .tausend Arme" wünscht, und ehr gegenüber wirkt dann die einfache Innigkeit umsomehr, die Herzenöwärme, tu- ber Melodie zu deu Worte., „daß die schöne Müllerin merkte meinen treuen ^inn" hervortritt. Diese Nummer ist eine der genialsten, groß entworfen, in einfachsten Weise zur Seene erweitert, voll Figuren, alle mit kurze.. Striche..

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/309>, abgerufen am 01.09.2024.