Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Franz Schuberts Müllerlieder.

_
des Abwesenden Tische die Gedichte des Dessauer Wilhelm Müller. Er fängt
mi zu lese", nimmt das Buch mit nach Hause, und nach ein paar Tagen ist die
ganze Komposition fix und fertig, wie sie gedruckt steht. Daß diese Dichtung
einen ganz eignen Reiz für den Componisten haben muß, leuchtet auf den ersten
Blick ein. Ihr Aufbau hat etwas Musikalisches: Des Müllers Werbung, sem
Liebesglück und dann der Verlust - das gleicht ganz der Nuance, die das
A und O unsrer musikalischen Dynamik bildet: ----^ --orvsosMo.
p"co loro und äsor^kiräo. Auch andre Musiker wie Curses.naun und Berger
haben nach diesem Cyclus gegriffen und ihr Behagen daran erklingen lassen.
Hatte doch Wilhelm Müller, der Dichter, der diesen kleinen Roman in Lieder
brachte, nnbestreitlmr eine Mnsitantenader in sich, und wenn er "Lieder eines
reisenden Waldhornisten" schrieb, that er es sicher nicht bloß der Kuriosität wegen.
Daß Schubert später von demselben Wilhelm Müller eine" zweiten Liederkreis
wmponirt. die melancholische und tiefe "Winterreise." ist allbekannt. Ob er es
dem Dichter mit den "Müllerliedern" ganz zu Gefallen gethan, Ware interessant
5" erfahren. Genan gebunden hat sich Schubert jedenfalls nicht an den Ton
des Gedichtes; er hat'ihm den halblnstigen Vortrag abgestreift, bei dem man
nicht recht weiß, ob man es ernst oder lächerlich nehme" soll. Der Dichter, auf
eine volksthümliche Form bedacht, hat sich hier vergriffen, und Schubert hat dies
ohne Zweifel gemerkt. Er hat den Prolog und Epilog weggelassen und drei
Nummern") von den Liedern. Bei zweien kann mau das bedauern, es sind die
""t dem Titel "Erster Schmerz, letzter Scherz" und "Blümlein Vergißmein."
Das dritte hingegen, welches das "Mühlenlcben" schildert, ist von Schubert in
einer Clavierlösnng über das ganze Werk vertheilt worden. Das Wasserrauichen
und Räderklappern, der Fernklauq emsiger Arbeit sitzt dem Hörer "n Ohr. so
lange die Lieder klingen, am deutlichsten und am reichsten liegt dieser Stoff in,
-Feierabend." Darin bestand ja überhaupt eine Eigenthümlichkeit der Muller-
Ueder. daß das Instrument nicht bloß dürftig in Harmonien begleitet sondern
d°ß es den localen und scenischen Theil der Geschichte selbständig schildert. Damit
^ "i das Lied ganz neues Leben gekommen, sein Schauplatz hat sich uuermeßl.es
Mveitert. seine Sphäre ist nicht mehr durch das menschliche Herz begrenzt. souderu
sie erstreckt sich dnrch die ganze sicht- und deutbare Welt. Was Wagner spater
"'t dem Orchester für das musikalische Drama erstrebte, das hat Schubert vierzig
^"W- früher für das musikalische Lied mit dein Clavier erreicht, dessen Kunst
kleb Meister Beethoven und die vorangehenden Wiener zu reifen Früchten ge-
nlb " ist Schuberts Columbusthat, und auf seiue Entdeckungen sind
ini^ ^waigen Fortschritte zurückzuführen, die bis in die jüngste Gegenwart
^ ^>ete gemacht sind, Schumann und Imsen, sie haben nur ausgebaut, was
Ändert anlegte. Das was man eine Vorläuferschaft nennen könnte, wie sie



) Jiittgst michcompoim'l ion L. Stark in Stuttgart.
Franz Schuberts Müllerlieder.

_
des Abwesenden Tische die Gedichte des Dessauer Wilhelm Müller. Er fängt
mi zu lese», nimmt das Buch mit nach Hause, und nach ein paar Tagen ist die
ganze Komposition fix und fertig, wie sie gedruckt steht. Daß diese Dichtung
einen ganz eignen Reiz für den Componisten haben muß, leuchtet auf den ersten
Blick ein. Ihr Aufbau hat etwas Musikalisches: Des Müllers Werbung, sem
Liebesglück und dann der Verlust - das gleicht ganz der Nuance, die das
A und O unsrer musikalischen Dynamik bildet: —--^ --orvsosMo.
p"co loro und äsor^kiräo. Auch andre Musiker wie Curses.naun und Berger
haben nach diesem Cyclus gegriffen und ihr Behagen daran erklingen lassen.
Hatte doch Wilhelm Müller, der Dichter, der diesen kleinen Roman in Lieder
brachte, nnbestreitlmr eine Mnsitantenader in sich, und wenn er „Lieder eines
reisenden Waldhornisten" schrieb, that er es sicher nicht bloß der Kuriosität wegen.
Daß Schubert später von demselben Wilhelm Müller eine» zweiten Liederkreis
wmponirt. die melancholische und tiefe „Winterreise." ist allbekannt. Ob er es
dem Dichter mit den „Müllerliedern" ganz zu Gefallen gethan, Ware interessant
5" erfahren. Genan gebunden hat sich Schubert jedenfalls nicht an den Ton
des Gedichtes; er hat'ihm den halblnstigen Vortrag abgestreift, bei dem man
nicht recht weiß, ob man es ernst oder lächerlich nehme» soll. Der Dichter, auf
eine volksthümliche Form bedacht, hat sich hier vergriffen, und Schubert hat dies
ohne Zweifel gemerkt. Er hat den Prolog und Epilog weggelassen und drei
Nummern") von den Liedern. Bei zweien kann mau das bedauern, es sind die
""t dem Titel „Erster Schmerz, letzter Scherz" und „Blümlein Vergißmein."
Das dritte hingegen, welches das „Mühlenlcben" schildert, ist von Schubert in
einer Clavierlösnng über das ganze Werk vertheilt worden. Das Wasserrauichen
und Räderklappern, der Fernklauq emsiger Arbeit sitzt dem Hörer »n Ohr. so
lange die Lieder klingen, am deutlichsten und am reichsten liegt dieser Stoff in,
-Feierabend." Darin bestand ja überhaupt eine Eigenthümlichkeit der Muller-
Ueder. daß das Instrument nicht bloß dürftig in Harmonien begleitet sondern
d°ß es den localen und scenischen Theil der Geschichte selbständig schildert. Damit
^ "i das Lied ganz neues Leben gekommen, sein Schauplatz hat sich uuermeßl.es
Mveitert. seine Sphäre ist nicht mehr durch das menschliche Herz begrenzt. souderu
sie erstreckt sich dnrch die ganze sicht- und deutbare Welt. Was Wagner spater
"'t dem Orchester für das musikalische Drama erstrebte, das hat Schubert vierzig
^"W- früher für das musikalische Lied mit dein Clavier erreicht, dessen Kunst
kleb Meister Beethoven und die vorangehenden Wiener zu reifen Früchten ge-
nlb " ist Schuberts Columbusthat, und auf seiue Entdeckungen sind
ini^ ^waigen Fortschritte zurückzuführen, die bis in die jüngste Gegenwart
^ ^>ete gemacht sind, Schumann und Imsen, sie haben nur ausgebaut, was
Ändert anlegte. Das was man eine Vorläuferschaft nennen könnte, wie sie



) Jiittgst michcompoim'l ion L. Stark in Stuttgart.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0307" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/150457"/>
          <fw type="header" place="top"> Franz Schuberts Müllerlieder.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_976" prev="#ID_975" next="#ID_977"> _<lb/>
des Abwesenden Tische die Gedichte des Dessauer Wilhelm Müller. Er fängt<lb/>
mi zu lese», nimmt das Buch mit nach Hause, und nach ein paar Tagen ist die<lb/>
ganze Komposition fix und fertig, wie sie gedruckt steht. Daß diese Dichtung<lb/>
einen ganz eignen Reiz für den Componisten haben muß, leuchtet auf den ersten<lb/>
Blick ein. Ihr Aufbau hat etwas Musikalisches: Des Müllers Werbung, sem<lb/>
Liebesglück und dann der Verlust - das gleicht ganz der Nuance, die das<lb/>
A und O unsrer musikalischen Dynamik bildet: &#x2014;--^ --orvsosMo.<lb/>
p"co loro und äsor^kiräo. Auch andre Musiker wie Curses.naun und Berger<lb/>
haben nach diesem Cyclus gegriffen und ihr Behagen daran erklingen lassen.<lb/>
Hatte doch Wilhelm Müller, der Dichter, der diesen kleinen Roman in Lieder<lb/>
brachte, nnbestreitlmr eine Mnsitantenader in sich, und wenn er &#x201E;Lieder eines<lb/>
reisenden Waldhornisten" schrieb, that er es sicher nicht bloß der Kuriosität wegen.<lb/>
Daß Schubert später von demselben Wilhelm Müller eine» zweiten Liederkreis<lb/>
wmponirt. die melancholische und tiefe &#x201E;Winterreise." ist allbekannt. Ob er es<lb/>
dem Dichter mit den &#x201E;Müllerliedern" ganz zu Gefallen gethan, Ware interessant<lb/>
5" erfahren.  Genan gebunden hat sich Schubert jedenfalls nicht an den Ton<lb/>
des Gedichtes; er hat'ihm den halblnstigen Vortrag abgestreift, bei dem man<lb/>
nicht recht weiß, ob man es ernst oder lächerlich nehme» soll. Der Dichter, auf<lb/>
eine volksthümliche Form bedacht, hat sich hier vergriffen, und Schubert hat dies<lb/>
ohne Zweifel gemerkt.  Er hat den Prolog und Epilog weggelassen und drei<lb/>
Nummern") von den Liedern. Bei zweien kann mau das bedauern, es sind die<lb/>
""t dem Titel &#x201E;Erster Schmerz, letzter Scherz" und &#x201E;Blümlein Vergißmein."<lb/>
Das dritte hingegen, welches das &#x201E;Mühlenlcben" schildert, ist von Schubert in<lb/>
einer Clavierlösnng über das ganze Werk vertheilt worden. Das Wasserrauichen<lb/>
und Räderklappern, der Fernklauq emsiger Arbeit sitzt dem Hörer »n Ohr. so<lb/>
lange die Lieder klingen, am deutlichsten und am reichsten liegt dieser Stoff in,<lb/>
-Feierabend." Darin bestand ja überhaupt eine Eigenthümlichkeit der Muller-<lb/>
Ueder. daß das Instrument nicht bloß dürftig in Harmonien begleitet sondern<lb/>
d°ß es den localen und scenischen Theil der Geschichte selbständig schildert. Damit<lb/>
^ "i das Lied ganz neues Leben gekommen, sein Schauplatz hat sich uuermeßl.es<lb/>
Mveitert. seine Sphäre ist nicht mehr durch das menschliche Herz begrenzt. souderu<lb/>
sie erstreckt sich dnrch die ganze sicht- und deutbare Welt. Was Wagner spater<lb/>
"'t dem Orchester für das musikalische Drama erstrebte, das hat Schubert vierzig<lb/>
^"W- früher für das musikalische Lied mit dein Clavier erreicht, dessen Kunst<lb/>
kleb Meister Beethoven und die vorangehenden Wiener zu reifen Früchten ge-<lb/>
nlb " ist Schuberts Columbusthat, und auf seiue Entdeckungen sind<lb/>
ini^  ^waigen Fortschritte zurückzuführen, die bis in die jüngste Gegenwart<lb/>
^ ^&gt;ete gemacht sind, Schumann und Imsen, sie haben nur ausgebaut, was<lb/>
Ändert anlegte.  Das was man eine Vorläuferschaft nennen könnte, wie sie</p><lb/>
          <note xml:id="FID_74" place="foot"> ) Jiittgst michcompoim'l ion L. Stark in Stuttgart.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0307] Franz Schuberts Müllerlieder. _ des Abwesenden Tische die Gedichte des Dessauer Wilhelm Müller. Er fängt mi zu lese», nimmt das Buch mit nach Hause, und nach ein paar Tagen ist die ganze Komposition fix und fertig, wie sie gedruckt steht. Daß diese Dichtung einen ganz eignen Reiz für den Componisten haben muß, leuchtet auf den ersten Blick ein. Ihr Aufbau hat etwas Musikalisches: Des Müllers Werbung, sem Liebesglück und dann der Verlust - das gleicht ganz der Nuance, die das A und O unsrer musikalischen Dynamik bildet: —--^ --orvsosMo. p"co loro und äsor^kiräo. Auch andre Musiker wie Curses.naun und Berger haben nach diesem Cyclus gegriffen und ihr Behagen daran erklingen lassen. Hatte doch Wilhelm Müller, der Dichter, der diesen kleinen Roman in Lieder brachte, nnbestreitlmr eine Mnsitantenader in sich, und wenn er „Lieder eines reisenden Waldhornisten" schrieb, that er es sicher nicht bloß der Kuriosität wegen. Daß Schubert später von demselben Wilhelm Müller eine» zweiten Liederkreis wmponirt. die melancholische und tiefe „Winterreise." ist allbekannt. Ob er es dem Dichter mit den „Müllerliedern" ganz zu Gefallen gethan, Ware interessant 5" erfahren. Genan gebunden hat sich Schubert jedenfalls nicht an den Ton des Gedichtes; er hat'ihm den halblnstigen Vortrag abgestreift, bei dem man nicht recht weiß, ob man es ernst oder lächerlich nehme» soll. Der Dichter, auf eine volksthümliche Form bedacht, hat sich hier vergriffen, und Schubert hat dies ohne Zweifel gemerkt. Er hat den Prolog und Epilog weggelassen und drei Nummern") von den Liedern. Bei zweien kann mau das bedauern, es sind die ""t dem Titel „Erster Schmerz, letzter Scherz" und „Blümlein Vergißmein." Das dritte hingegen, welches das „Mühlenlcben" schildert, ist von Schubert in einer Clavierlösnng über das ganze Werk vertheilt worden. Das Wasserrauichen und Räderklappern, der Fernklauq emsiger Arbeit sitzt dem Hörer »n Ohr. so lange die Lieder klingen, am deutlichsten und am reichsten liegt dieser Stoff in, -Feierabend." Darin bestand ja überhaupt eine Eigenthümlichkeit der Muller- Ueder. daß das Instrument nicht bloß dürftig in Harmonien begleitet sondern d°ß es den localen und scenischen Theil der Geschichte selbständig schildert. Damit ^ "i das Lied ganz neues Leben gekommen, sein Schauplatz hat sich uuermeßl.es Mveitert. seine Sphäre ist nicht mehr durch das menschliche Herz begrenzt. souderu sie erstreckt sich dnrch die ganze sicht- und deutbare Welt. Was Wagner spater "'t dem Orchester für das musikalische Drama erstrebte, das hat Schubert vierzig ^"W- früher für das musikalische Lied mit dein Clavier erreicht, dessen Kunst kleb Meister Beethoven und die vorangehenden Wiener zu reifen Früchten ge- nlb " ist Schuberts Columbusthat, und auf seiue Entdeckungen sind ini^ ^waigen Fortschritte zurückzuführen, die bis in die jüngste Gegenwart ^ ^>ete gemacht sind, Schumann und Imsen, sie haben nur ausgebaut, was Ändert anlegte. Das was man eine Vorläuferschaft nennen könnte, wie sie ) Jiittgst michcompoim'l ion L. Stark in Stuttgart.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/307
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/307>, abgerufen am 01.09.2024.