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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Regenten, ihm nur für den Fall völliger Neutralität in dem Kriege mit
Oesterreich "freie Hand zu anderweitiger Regelung der Verhältnisse des deutschen
Bundes" zu lassen. Konnte es etwas deutlicheres geben? Wenn Frankreich
solche Zugeständnisse schon für die bloße Neutralität Preußens aus freien Stücke"
gewährte, wie viel größeres wäre von ihm für ein förmliches Vündniß zu er¬
langen, eventuell zu erzwingen gewesen?

Wer es liegt auf der Hand, daß ein preußisch-französisches Vündniß ein
Ding der Unmöglichkeit war. Der ehrenhafte deutsch-patriotische Sinn des
Prinz-Regenten widerstand den verführerischen Lockungen von der Seine her,
uicht bloß aus dem Grnnde, weil Preußen ein aus einem Siege über Oesterreich
übermächtig heranwachsendes Frankreich fürchten mußte. Der Sohn Friedrich
Wilhelms III. konnte niemals mit dem Erben des corsischen Eroberers gegen
den Enkel des Bundesgenossen von Leipzig gemeinsame Sache machen.

So fielen für einen einsichtsvollen preußischen Politiker in dein Dilemma
von 1859 zwei Verhaltungsmöglichkeiten von vornherein aus: weder mit Oester¬
reich noch mit Frankreich durfte noch mochte man gemeinsame Sache macheu,
und zu einer Diversion im Gebiete des deutschen Bundes hatte man, wie dar¬
gethan, nicht die Fähigkeit des Entschlusses. So blieb nur ein drittes: die
Neutralität zwischeu den kämpfenden Mächten. Diese Neutralität aber, wenn
sie vertrauenerweckend sein und Preußen uicht größeren Gefahren aussetze" sollte,
als es bei einer Theilnahme am Kriege geschehen konnte, mußte eben eine wirk¬
liche, unbedingte sein. Daß sie das nicht war, daß keine der kriegführenden
Mächte wußte, woran sie mit Preußen war, daß jede jeden Tag glauben konnte,
Preußen an seiner Seite oder sich gegenüber zu sehen, diese Schaukelpolitik ist
das Kriterium der dem Münster der liberalen Aera vorgeworfnen Unfähigkeit.

Mit dieser Politik, öffentlich zu erklären, man habe kein Interesse daran,
Oesterreich zu unterstützen und gleichzeitig das mobilisirte preußische Heer nach
dem Rheine zu dirigiren, verdarb es, wie ein den damaligen Entschließungen
nahestehender Beobachter schreibt, Preußen mit allen: England war entfremdet,
Rußland voller Sympathie sür Frankreich, weil vom Krimkriege her voll Er¬
bitterung gegen Oesterreich, Oesterreich voll tiefe" Grolls, Deutschland voll Mi߬
trauen, das durch die Furcht noch gesteigert wurde.

Die Lage Preußens, als es nach der Schlacht von Svlferinv marschiren
ließ, glich genau derjenigen nach der Schlacht von Austerlih am 2. December
1806, und das Schicksal des Grafen Haugwitz konnte möglicherweise auch den
Freiherrn v. Schleinitz ereilen. "Das war die Frucht, so schreibt der liberale
Fr. Förster über die klägliche Lage Preußens nach dein Preßburger Frieden,
das war die Frucht der als klügstes Staatsprineip von dem preußischen Cabinet
geltend gemachten (halben) Neutralität: mau wollte es mit keinem verderben,
aber auch mit keinen: fest zusammenhalten; so verdarb man es mit allen und
gewann bei keinem Vertrauen."


Regenten, ihm nur für den Fall völliger Neutralität in dem Kriege mit
Oesterreich „freie Hand zu anderweitiger Regelung der Verhältnisse des deutschen
Bundes" zu lassen. Konnte es etwas deutlicheres geben? Wenn Frankreich
solche Zugeständnisse schon für die bloße Neutralität Preußens aus freien Stücke»
gewährte, wie viel größeres wäre von ihm für ein förmliches Vündniß zu er¬
langen, eventuell zu erzwingen gewesen?

Wer es liegt auf der Hand, daß ein preußisch-französisches Vündniß ein
Ding der Unmöglichkeit war. Der ehrenhafte deutsch-patriotische Sinn des
Prinz-Regenten widerstand den verführerischen Lockungen von der Seine her,
uicht bloß aus dem Grnnde, weil Preußen ein aus einem Siege über Oesterreich
übermächtig heranwachsendes Frankreich fürchten mußte. Der Sohn Friedrich
Wilhelms III. konnte niemals mit dem Erben des corsischen Eroberers gegen
den Enkel des Bundesgenossen von Leipzig gemeinsame Sache machen.

So fielen für einen einsichtsvollen preußischen Politiker in dein Dilemma
von 1859 zwei Verhaltungsmöglichkeiten von vornherein aus: weder mit Oester¬
reich noch mit Frankreich durfte noch mochte man gemeinsame Sache macheu,
und zu einer Diversion im Gebiete des deutschen Bundes hatte man, wie dar¬
gethan, nicht die Fähigkeit des Entschlusses. So blieb nur ein drittes: die
Neutralität zwischeu den kämpfenden Mächten. Diese Neutralität aber, wenn
sie vertrauenerweckend sein und Preußen uicht größeren Gefahren aussetze» sollte,
als es bei einer Theilnahme am Kriege geschehen konnte, mußte eben eine wirk¬
liche, unbedingte sein. Daß sie das nicht war, daß keine der kriegführenden
Mächte wußte, woran sie mit Preußen war, daß jede jeden Tag glauben konnte,
Preußen an seiner Seite oder sich gegenüber zu sehen, diese Schaukelpolitik ist
das Kriterium der dem Münster der liberalen Aera vorgeworfnen Unfähigkeit.

Mit dieser Politik, öffentlich zu erklären, man habe kein Interesse daran,
Oesterreich zu unterstützen und gleichzeitig das mobilisirte preußische Heer nach
dem Rheine zu dirigiren, verdarb es, wie ein den damaligen Entschließungen
nahestehender Beobachter schreibt, Preußen mit allen: England war entfremdet,
Rußland voller Sympathie sür Frankreich, weil vom Krimkriege her voll Er¬
bitterung gegen Oesterreich, Oesterreich voll tiefe» Grolls, Deutschland voll Mi߬
trauen, das durch die Furcht noch gesteigert wurde.

Die Lage Preußens, als es nach der Schlacht von Svlferinv marschiren
ließ, glich genau derjenigen nach der Schlacht von Austerlih am 2. December
1806, und das Schicksal des Grafen Haugwitz konnte möglicherweise auch den
Freiherrn v. Schleinitz ereilen. „Das war die Frucht, so schreibt der liberale
Fr. Förster über die klägliche Lage Preußens nach dein Preßburger Frieden,
das war die Frucht der als klügstes Staatsprineip von dem preußischen Cabinet
geltend gemachten (halben) Neutralität: mau wollte es mit keinem verderben,
aber auch mit keinen: fest zusammenhalten; so verdarb man es mit allen und
gewann bei keinem Vertrauen."


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/276>, abgerufen am 26.11.2024.