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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Die Entwicklung der Leudalität und das deutsche Kriegswesen im frühen Mittelnlter,

10. und 11. Jahrhundert durchaus im Sinne von VW-Mu8 gebraucht wird,
sodaß man zugleich senior und miles sein konnte. Könige, Herzoge, Fürsten
und Freie werden sowohl seiuorss wie militss genannt; der Kaiser allein ist
nicht milss, sondern nur senior. Im gewöhnlichen Sinne freilich bezeichnet der
Ausdruck militss doch vorzugsweise einerseits die Untervassallen im Gegensatze
zu den Fürsten, den xrmoixos, Primates oder oxtimates, andrerseits aber die
gesammte vollgerüstete Ritterschaft in militärischer Hinsicht. Und nach dieser
Seite hin dehnte der Kreis der milites sich noch weiter aus, und zwar durch
Aufnahme eines Theiles der Ministerialen in die Ritterschaft.

Zu Anfang der Zeit der sächsischen Kaiser umfaßte die Ministerialität ueben
den Inhabern ursprünglicher Staatsämter, welche meist in directen Verhältniß
zum Könige standen, in den einzelnen tÄmilms (Dienstmannschnften) dcrVassallen:
eine Anzahl leicht bewaffneter militss, ferner die Verwaltungsbeamten, welche
Hauswesen und Landwirthschaft leiteten, und endlich die Vertreter und sachkundigen
Führer der Gewerke. Seit nun die Zahl der königlichen Hoftage beständig wuchs
und, wie der Hof selbst, auch die Vassallen sehr viel häufiger als ehedem bald
zu dieser, bald zu jener Pfalz zogen, da mußte den Herren daran liegen, ein
an Kopfzahl beschränktes Reisegefolge zu besitzen, welches nach drei Richtungen
hin gleich brauchbar und erfahren war: erstlich als Haus- und Stallbeamte
(Truchseß, Schenke, eomss stÄlmli, Maresseals), dann als wehrhafte Weggenosfen
und endlich als kundige Rathgeber bei den Verhandlungen mit andern Edlen
oder mit der Kanzlei des Königs. Dem entsprechend wurden theils Hausbeamte
zu militss, theils militss zu Hausbeamtcn gemacht, und so erheben sich allmählich
seit der Mitte des 10. Jahrhunderts die unmittelbaren Geleitsgenosscn der Herren
als Männer der Verwaltung, des Rathes, des Krieges zu einer dienstmännischen
Elite, zu einer Ministerialität im engeren Sinne (Iiouorati ssrvisntos), welcher
die nahe Verbindung mit dem Herren Wichtigkeit und beständig wachsenden Einfluß,
die stete Führung ritterlicher Waffen Glanz und Ansehen verliehen. Daß man
in den engeren Kreis der häuslichen Berather und Verwalter sowie in das be¬
waffnete Gefolge, kurz in die nodilior lÄmilia vorzugsweise, ja fast ausschlie߬
lich unfreie Leute aufnahm, das hatte seinen Grund namentlich darin, daß Leute
solcher Herkunft dem Hofrechte des Herrn selbst unterworfen waren, also im
Falle einer Veruntreuung oder sonstigen Vergehens sofort an Ort und Stelle
vom Hofgerichte verurtheilt werden konnten, während freie Diener vor einem
königlichen Schöffengerichte belangt werden mußten, was natürlich weit umständ¬
licher und dem Herrn minder willkommen war. Allmählich sonderte sich die
höhere Ministerialität als die militss ourias oder als xsrsonÄS milieu-Sö as
wmlia von den niederen Hörigen, die in der Landwirthschaft oder bei den Ge¬
werben thätig blieben, immer entschiedener ab, und diese Absonderung wird endlich
so scharf, daß sich für die höhere Dienstmannschaft aus dem Hofrechte ein be¬
sondres Dienstrecht entwickelte, dessen Bestimmungen sich dem Rechte der Freien,


Die Entwicklung der Leudalität und das deutsche Kriegswesen im frühen Mittelnlter,

10. und 11. Jahrhundert durchaus im Sinne von VW-Mu8 gebraucht wird,
sodaß man zugleich senior und miles sein konnte. Könige, Herzoge, Fürsten
und Freie werden sowohl seiuorss wie militss genannt; der Kaiser allein ist
nicht milss, sondern nur senior. Im gewöhnlichen Sinne freilich bezeichnet der
Ausdruck militss doch vorzugsweise einerseits die Untervassallen im Gegensatze
zu den Fürsten, den xrmoixos, Primates oder oxtimates, andrerseits aber die
gesammte vollgerüstete Ritterschaft in militärischer Hinsicht. Und nach dieser
Seite hin dehnte der Kreis der milites sich noch weiter aus, und zwar durch
Aufnahme eines Theiles der Ministerialen in die Ritterschaft.

Zu Anfang der Zeit der sächsischen Kaiser umfaßte die Ministerialität ueben
den Inhabern ursprünglicher Staatsämter, welche meist in directen Verhältniß
zum Könige standen, in den einzelnen tÄmilms (Dienstmannschnften) dcrVassallen:
eine Anzahl leicht bewaffneter militss, ferner die Verwaltungsbeamten, welche
Hauswesen und Landwirthschaft leiteten, und endlich die Vertreter und sachkundigen
Führer der Gewerke. Seit nun die Zahl der königlichen Hoftage beständig wuchs
und, wie der Hof selbst, auch die Vassallen sehr viel häufiger als ehedem bald
zu dieser, bald zu jener Pfalz zogen, da mußte den Herren daran liegen, ein
an Kopfzahl beschränktes Reisegefolge zu besitzen, welches nach drei Richtungen
hin gleich brauchbar und erfahren war: erstlich als Haus- und Stallbeamte
(Truchseß, Schenke, eomss stÄlmli, Maresseals), dann als wehrhafte Weggenosfen
und endlich als kundige Rathgeber bei den Verhandlungen mit andern Edlen
oder mit der Kanzlei des Königs. Dem entsprechend wurden theils Hausbeamte
zu militss, theils militss zu Hausbeamtcn gemacht, und so erheben sich allmählich
seit der Mitte des 10. Jahrhunderts die unmittelbaren Geleitsgenosscn der Herren
als Männer der Verwaltung, des Rathes, des Krieges zu einer dienstmännischen
Elite, zu einer Ministerialität im engeren Sinne (Iiouorati ssrvisntos), welcher
die nahe Verbindung mit dem Herren Wichtigkeit und beständig wachsenden Einfluß,
die stete Führung ritterlicher Waffen Glanz und Ansehen verliehen. Daß man
in den engeren Kreis der häuslichen Berather und Verwalter sowie in das be¬
waffnete Gefolge, kurz in die nodilior lÄmilia vorzugsweise, ja fast ausschlie߬
lich unfreie Leute aufnahm, das hatte seinen Grund namentlich darin, daß Leute
solcher Herkunft dem Hofrechte des Herrn selbst unterworfen waren, also im
Falle einer Veruntreuung oder sonstigen Vergehens sofort an Ort und Stelle
vom Hofgerichte verurtheilt werden konnten, während freie Diener vor einem
königlichen Schöffengerichte belangt werden mußten, was natürlich weit umständ¬
licher und dem Herrn minder willkommen war. Allmählich sonderte sich die
höhere Ministerialität als die militss ourias oder als xsrsonÄS milieu-Sö as
wmlia von den niederen Hörigen, die in der Landwirthschaft oder bei den Ge¬
werben thätig blieben, immer entschiedener ab, und diese Absonderung wird endlich
so scharf, daß sich für die höhere Dienstmannschaft aus dem Hofrechte ein be¬
sondres Dienstrecht entwickelte, dessen Bestimmungen sich dem Rechte der Freien,


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[0239] Die Entwicklung der Leudalität und das deutsche Kriegswesen im frühen Mittelnlter, 10. und 11. Jahrhundert durchaus im Sinne von VW-Mu8 gebraucht wird, sodaß man zugleich senior und miles sein konnte. Könige, Herzoge, Fürsten und Freie werden sowohl seiuorss wie militss genannt; der Kaiser allein ist nicht milss, sondern nur senior. Im gewöhnlichen Sinne freilich bezeichnet der Ausdruck militss doch vorzugsweise einerseits die Untervassallen im Gegensatze zu den Fürsten, den xrmoixos, Primates oder oxtimates, andrerseits aber die gesammte vollgerüstete Ritterschaft in militärischer Hinsicht. Und nach dieser Seite hin dehnte der Kreis der milites sich noch weiter aus, und zwar durch Aufnahme eines Theiles der Ministerialen in die Ritterschaft. Zu Anfang der Zeit der sächsischen Kaiser umfaßte die Ministerialität ueben den Inhabern ursprünglicher Staatsämter, welche meist in directen Verhältniß zum Könige standen, in den einzelnen tÄmilms (Dienstmannschnften) dcrVassallen: eine Anzahl leicht bewaffneter militss, ferner die Verwaltungsbeamten, welche Hauswesen und Landwirthschaft leiteten, und endlich die Vertreter und sachkundigen Führer der Gewerke. Seit nun die Zahl der königlichen Hoftage beständig wuchs und, wie der Hof selbst, auch die Vassallen sehr viel häufiger als ehedem bald zu dieser, bald zu jener Pfalz zogen, da mußte den Herren daran liegen, ein an Kopfzahl beschränktes Reisegefolge zu besitzen, welches nach drei Richtungen hin gleich brauchbar und erfahren war: erstlich als Haus- und Stallbeamte (Truchseß, Schenke, eomss stÄlmli, Maresseals), dann als wehrhafte Weggenosfen und endlich als kundige Rathgeber bei den Verhandlungen mit andern Edlen oder mit der Kanzlei des Königs. Dem entsprechend wurden theils Hausbeamte zu militss, theils militss zu Hausbeamtcn gemacht, und so erheben sich allmählich seit der Mitte des 10. Jahrhunderts die unmittelbaren Geleitsgenosscn der Herren als Männer der Verwaltung, des Rathes, des Krieges zu einer dienstmännischen Elite, zu einer Ministerialität im engeren Sinne (Iiouorati ssrvisntos), welcher die nahe Verbindung mit dem Herren Wichtigkeit und beständig wachsenden Einfluß, die stete Führung ritterlicher Waffen Glanz und Ansehen verliehen. Daß man in den engeren Kreis der häuslichen Berather und Verwalter sowie in das be¬ waffnete Gefolge, kurz in die nodilior lÄmilia vorzugsweise, ja fast ausschlie߬ lich unfreie Leute aufnahm, das hatte seinen Grund namentlich darin, daß Leute solcher Herkunft dem Hofrechte des Herrn selbst unterworfen waren, also im Falle einer Veruntreuung oder sonstigen Vergehens sofort an Ort und Stelle vom Hofgerichte verurtheilt werden konnten, während freie Diener vor einem königlichen Schöffengerichte belangt werden mußten, was natürlich weit umständ¬ licher und dem Herrn minder willkommen war. Allmählich sonderte sich die höhere Ministerialität als die militss ourias oder als xsrsonÄS milieu-Sö as wmlia von den niederen Hörigen, die in der Landwirthschaft oder bei den Ge¬ werben thätig blieben, immer entschiedener ab, und diese Absonderung wird endlich so scharf, daß sich für die höhere Dienstmannschaft aus dem Hofrechte ein be¬ sondres Dienstrecht entwickelte, dessen Bestimmungen sich dem Rechte der Freien,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/239>, abgerufen am 01.09.2024.