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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Alfred Meißner.

frühes Ende besungen; die Lieder, in denen er um ihren Verlust klagt, gehören
zu seinen schönsten.

Hatte Meißner seinen Romanen früher den größten Umfang gegeben und
sie mit einer großen Anzahl von Personen, welche die Idee des Romans illu-
strirten, ausgestattet, so ist er in seinen neueren Productionen auf ein geringeres
Maß zurückgegangen, von der ästhetischen Ansicht geleitet, daß die Ueberfülle
von Figuren die Vorführung des gestellten Problems mehr verdunkele als er¬
kläre, und die durchsichtige Anschaulichkeit des Buches engere Grenzen verlange.
Es ist damit der Roman des Nebeneinander entschieden aufgegeben, die verein¬
fachte Composition nähert den Roman mehr der größern Novelle. In diesem
Sinne sind "Die Bildhauer von Worms," eine Criminalgeschichte ans dem 18. Jahr¬
hundert, "Feindliche Pole," eine Episode aus der Geheimgeschichte des deutschen
Particularismus, endlich "Auf und nieder," eine Familiengeschichte aus unsern
Tagen gedichtet. Die Form ist knapp, die Handlung hat nur das nothwendigste
Beiwerk, mit Leichtigkeit baut sich in allen drei Romanen die Action auf. Ein¬
fachheit und Klarheit schließen aber nicht Überraschungen ans, mit welchen der
Leser von Capitel zu Capitel geführt wird, doch nur um in seinen Conjeeturen
getäuscht zu werden und für sie bessere Lösungen zu erhalten.

Wird Meißner bei diesen Romanen im kleinern Stile ausharren, oder wird er
wieder einmal ausgreifen zu einem neuen, großen, ein ganzes Stück socialen
Lebens umspannenden Bilde im Stile der "Sansara," des "schwarzgelb" oder
auch uur der "Kinder Roms"? Wir wünschen das letztere, und glauben, daß
der Autor seine Spannkraft noch nicht verloren. Einstweilen hat er eine Samm¬
lung seiner Gedichte veranstaltet. Sehen wir uns diese Gedichte, wie sie in vier
Bünden einer schön ausgestatteten Liebhaberausgabe vorliegen, näher an, so müssen
wir gegenüber der bunten Mannichfaltigkeit an Stimmungen, Vorgängen, Bildern,
wie sie an uns vorüberziehen, sagen, daß hier der Stimmungsgehalt eines reich¬
bewegter Lebens volltönigen Ausdruck gewonnen hat. Die Muse ist durch alle
Phasen des Lebens mit ihm gegangen; eine für Freiheit, Wahrheit und Schön¬
heit begeisterte Jugendzeit schlägt die ersten Töne an, eine Zeit des Exils folgt,
wo Entrüstung über Geistcsnvth und Vvlksnoth, flammende Sehnsucht nach einer
bessern Zeit zum Ausdrucke kam. Da zieht Achtundvierzig herauf, es folgt ein
vielbewegtes Mannesalter, endlich ein Herbst, in denen sich die Schatten herber
Lebensschicksale tief herabsenken, alles ist da und eint sich zu einem fesselnden
dichterischen Bilde. Reine subjective Empfindung findet fast musikalischen Aus¬
druck in Liebesgedichten, wie: "An meine Rose," "Die Sterne" und vielen andern;
Situationen, Charaktere, Naturscenen sind in Zügen gemalt, die uns mit fort¬
reißen. Wir sehen die alte Lagunenstadt aus dem Meere auftauchen, wir wohnen
der Verbrennung der sterblichen Reste Shelleys bei; das "Ende der Gironde,"
das idyllische Gedicht "Die Schmiede," die düstere Ballade "Die Jüdin," die
ergreifende Geschichte "Wallt" voll dramatischen Lebens, das Gebirgsbild "Saum-


Alfred Meißner.

frühes Ende besungen; die Lieder, in denen er um ihren Verlust klagt, gehören
zu seinen schönsten.

Hatte Meißner seinen Romanen früher den größten Umfang gegeben und
sie mit einer großen Anzahl von Personen, welche die Idee des Romans illu-
strirten, ausgestattet, so ist er in seinen neueren Productionen auf ein geringeres
Maß zurückgegangen, von der ästhetischen Ansicht geleitet, daß die Ueberfülle
von Figuren die Vorführung des gestellten Problems mehr verdunkele als er¬
kläre, und die durchsichtige Anschaulichkeit des Buches engere Grenzen verlange.
Es ist damit der Roman des Nebeneinander entschieden aufgegeben, die verein¬
fachte Composition nähert den Roman mehr der größern Novelle. In diesem
Sinne sind „Die Bildhauer von Worms," eine Criminalgeschichte ans dem 18. Jahr¬
hundert, „Feindliche Pole," eine Episode aus der Geheimgeschichte des deutschen
Particularismus, endlich „Auf und nieder," eine Familiengeschichte aus unsern
Tagen gedichtet. Die Form ist knapp, die Handlung hat nur das nothwendigste
Beiwerk, mit Leichtigkeit baut sich in allen drei Romanen die Action auf. Ein¬
fachheit und Klarheit schließen aber nicht Überraschungen ans, mit welchen der
Leser von Capitel zu Capitel geführt wird, doch nur um in seinen Conjeeturen
getäuscht zu werden und für sie bessere Lösungen zu erhalten.

Wird Meißner bei diesen Romanen im kleinern Stile ausharren, oder wird er
wieder einmal ausgreifen zu einem neuen, großen, ein ganzes Stück socialen
Lebens umspannenden Bilde im Stile der „Sansara," des „schwarzgelb" oder
auch uur der „Kinder Roms"? Wir wünschen das letztere, und glauben, daß
der Autor seine Spannkraft noch nicht verloren. Einstweilen hat er eine Samm¬
lung seiner Gedichte veranstaltet. Sehen wir uns diese Gedichte, wie sie in vier
Bünden einer schön ausgestatteten Liebhaberausgabe vorliegen, näher an, so müssen
wir gegenüber der bunten Mannichfaltigkeit an Stimmungen, Vorgängen, Bildern,
wie sie an uns vorüberziehen, sagen, daß hier der Stimmungsgehalt eines reich¬
bewegter Lebens volltönigen Ausdruck gewonnen hat. Die Muse ist durch alle
Phasen des Lebens mit ihm gegangen; eine für Freiheit, Wahrheit und Schön¬
heit begeisterte Jugendzeit schlägt die ersten Töne an, eine Zeit des Exils folgt,
wo Entrüstung über Geistcsnvth und Vvlksnoth, flammende Sehnsucht nach einer
bessern Zeit zum Ausdrucke kam. Da zieht Achtundvierzig herauf, es folgt ein
vielbewegtes Mannesalter, endlich ein Herbst, in denen sich die Schatten herber
Lebensschicksale tief herabsenken, alles ist da und eint sich zu einem fesselnden
dichterischen Bilde. Reine subjective Empfindung findet fast musikalischen Aus¬
druck in Liebesgedichten, wie: „An meine Rose," „Die Sterne" und vielen andern;
Situationen, Charaktere, Naturscenen sind in Zügen gemalt, die uns mit fort¬
reißen. Wir sehen die alte Lagunenstadt aus dem Meere auftauchen, wir wohnen
der Verbrennung der sterblichen Reste Shelleys bei; das „Ende der Gironde,"
das idyllische Gedicht „Die Schmiede," die düstere Ballade „Die Jüdin," die
ergreifende Geschichte „Wallt" voll dramatischen Lebens, das Gebirgsbild „Saum-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/218>, abgerufen am 25.11.2024.