Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Entwicklung der FeudalitÄ und dos deutsche Kriegswesen im frühe" Mittelalter.

linie der Elbe mit ihren Niederungen und Wäldern; bei Frost war sie stets, im
trockenen Hochsommer nicht selten völlig ungenügend. Da galt es eine" ununter¬
brochenen Grenzkrieg, wie er denn auch vom 10. bis tief ins 12. Jahrhundert
geführt worden ist -- eine fortlaufende Kette scheinbar unbedeutender Unter¬
nehmungen gegen die Unzahl kleiner Slaveustämme, in welcher aber jedes Glied
durch heißen Kampf zum festen Ringe geschmiedet ward. Noch zur Zeit Kaiser
Heinrichs IV. bezeichnen die Sachsen als ihre wichtigste militärische Aufgabe die
Vertheidigung der Elbe, welche sie von andern Leistungen an das Reich entbinde.

Unter solchen Umständen erwuchs das Geschlecht der Liudolfinger, dem
die Begründung des eigentlichen deutschen Reiches zuzuschreiben ist. An die Spitze
des Sachsenvolkes war es einst als Vertreter des karliugischen Staatsgedankens
und der christlichen Bildung gekommen. Der letzteren war das Geschlecht treu
geblieben; im übrigen aber hatte es bald selbst die Führung der sächsische" Oppo¬
sition und die Leitung des Grenzkrieges in die eignen Hände genommen und sich
dadurch an so hoher Stelle behauptet. Daß die Liudolfinger nun aber mit
Heinrich I. zum deutschen Königthume emporstiegen, daß überhaupt, aller centri-
fugalen und particulären Gewalten ungeachtet, auch nach dem Aussterben der
ostfränkischen Karlinger ein deutsches Königthum erhalte" blieb, das war einer
bitteren Nothwendigkeit zu danken, einer schweren nationalen Prüfung, nämlich
den furchtbaren Beutezügen der Magyaren.

Der Eindruck der schnellen Kriegszüge und des stürmischen Mnsseuangriffs
der pfeilkundigen Ungarn auf das Abendland war groß. In Italien ging das
Gebet gegen die Pfeile der Teufelssöhne in die kirchlichen Litaneien über; in
Deutschland hielt man die furchtbaren Reiterschwärme für die von Ezechiel ver¬
kündeten Völker Gog und Magog, die vom Weltende käme" und alles Leben
vernichteten. Von der Donau zogen die wüsten Massen bis zur Elbe. Der ge¬
stimmte baierische Adel fiel ihnen gegenüber in einer entscheidenden Niederlage (907).
Ein Jahr später wurde Thüringen, S09 Schwaben verwüstet; 910 besiegten die
Ungar" die Streitmacht des ganzen deutschen Reiches. Die Tage Attilas schienen
wiedergekommen, "ut wirklich wurden die Magyaren deutscherseits mit den Hunnen
identificirt, einmal, weil die Ungarn selbst sich als Nachkommen und Erben der
Hurre" betrachteten, dann aber anch wegen der Gleichheit des kriegerischen Auf¬
tretens beider Völker. Echt nomadische Neiterstämme, lebten sie im Sattel, um¬
schwärmten den Gegner in immer neuen Massen und überschüttete" ihn ans der
Ferne mit einem Hagelwetter tödtlicher Bolzen, während sie sich jedem festen
Griffe der bepanzcrtcii Nitterfanst schnell und gewandt zu entziehen verstanden.
Es kam darauf an, den Masse" auch Massen entgegenzustellen; aber seit der
Heerbann verfallen war, vermochte" die Deutschen nur kleine Schaaren aufzu¬
bringen. Da schloß Heinrich I. einen neunjährigen Waffenstillstand mit den
Magyaren, um diese Frist zur Wiederherstellung der tief gesunkenen deutschen
Wehrkraft zu benutzen.


Die Entwicklung der FeudalitÄ und dos deutsche Kriegswesen im frühe» Mittelalter.

linie der Elbe mit ihren Niederungen und Wäldern; bei Frost war sie stets, im
trockenen Hochsommer nicht selten völlig ungenügend. Da galt es eine» ununter¬
brochenen Grenzkrieg, wie er denn auch vom 10. bis tief ins 12. Jahrhundert
geführt worden ist — eine fortlaufende Kette scheinbar unbedeutender Unter¬
nehmungen gegen die Unzahl kleiner Slaveustämme, in welcher aber jedes Glied
durch heißen Kampf zum festen Ringe geschmiedet ward. Noch zur Zeit Kaiser
Heinrichs IV. bezeichnen die Sachsen als ihre wichtigste militärische Aufgabe die
Vertheidigung der Elbe, welche sie von andern Leistungen an das Reich entbinde.

Unter solchen Umständen erwuchs das Geschlecht der Liudolfinger, dem
die Begründung des eigentlichen deutschen Reiches zuzuschreiben ist. An die Spitze
des Sachsenvolkes war es einst als Vertreter des karliugischen Staatsgedankens
und der christlichen Bildung gekommen. Der letzteren war das Geschlecht treu
geblieben; im übrigen aber hatte es bald selbst die Führung der sächsische» Oppo¬
sition und die Leitung des Grenzkrieges in die eignen Hände genommen und sich
dadurch an so hoher Stelle behauptet. Daß die Liudolfinger nun aber mit
Heinrich I. zum deutschen Königthume emporstiegen, daß überhaupt, aller centri-
fugalen und particulären Gewalten ungeachtet, auch nach dem Aussterben der
ostfränkischen Karlinger ein deutsches Königthum erhalte» blieb, das war einer
bitteren Nothwendigkeit zu danken, einer schweren nationalen Prüfung, nämlich
den furchtbaren Beutezügen der Magyaren.

Der Eindruck der schnellen Kriegszüge und des stürmischen Mnsseuangriffs
der pfeilkundigen Ungarn auf das Abendland war groß. In Italien ging das
Gebet gegen die Pfeile der Teufelssöhne in die kirchlichen Litaneien über; in
Deutschland hielt man die furchtbaren Reiterschwärme für die von Ezechiel ver¬
kündeten Völker Gog und Magog, die vom Weltende käme» und alles Leben
vernichteten. Von der Donau zogen die wüsten Massen bis zur Elbe. Der ge¬
stimmte baierische Adel fiel ihnen gegenüber in einer entscheidenden Niederlage (907).
Ein Jahr später wurde Thüringen, S09 Schwaben verwüstet; 910 besiegten die
Ungar» die Streitmacht des ganzen deutschen Reiches. Die Tage Attilas schienen
wiedergekommen, »ut wirklich wurden die Magyaren deutscherseits mit den Hunnen
identificirt, einmal, weil die Ungarn selbst sich als Nachkommen und Erben der
Hurre» betrachteten, dann aber anch wegen der Gleichheit des kriegerischen Auf¬
tretens beider Völker. Echt nomadische Neiterstämme, lebten sie im Sattel, um¬
schwärmten den Gegner in immer neuen Massen und überschüttete» ihn ans der
Ferne mit einem Hagelwetter tödtlicher Bolzen, während sie sich jedem festen
Griffe der bepanzcrtcii Nitterfanst schnell und gewandt zu entziehen verstanden.
Es kam darauf an, den Masse» auch Massen entgegenzustellen; aber seit der
Heerbann verfallen war, vermochte» die Deutschen nur kleine Schaaren aufzu¬
bringen. Da schloß Heinrich I. einen neunjährigen Waffenstillstand mit den
Magyaren, um diese Frist zur Wiederherstellung der tief gesunkenen deutschen
Wehrkraft zu benutzen.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0199" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/150349"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Entwicklung der FeudalitÄ und dos deutsche Kriegswesen im frühe» Mittelalter.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_666" prev="#ID_665"> linie der Elbe mit ihren Niederungen und Wäldern; bei Frost war sie stets, im<lb/>
trockenen Hochsommer nicht selten völlig ungenügend. Da galt es eine» ununter¬<lb/>
brochenen Grenzkrieg, wie er denn auch vom 10. bis tief ins 12. Jahrhundert<lb/>
geführt worden ist &#x2014; eine fortlaufende Kette scheinbar unbedeutender Unter¬<lb/>
nehmungen gegen die Unzahl kleiner Slaveustämme, in welcher aber jedes Glied<lb/>
durch heißen Kampf zum festen Ringe geschmiedet ward. Noch zur Zeit Kaiser<lb/>
Heinrichs IV. bezeichnen die Sachsen als ihre wichtigste militärische Aufgabe die<lb/>
Vertheidigung der Elbe, welche sie von andern Leistungen an das Reich entbinde.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_667"> Unter solchen Umständen erwuchs das Geschlecht der Liudolfinger, dem<lb/>
die Begründung des eigentlichen deutschen Reiches zuzuschreiben ist. An die Spitze<lb/>
des Sachsenvolkes war es einst als Vertreter des karliugischen Staatsgedankens<lb/>
und der christlichen Bildung gekommen. Der letzteren war das Geschlecht treu<lb/>
geblieben; im übrigen aber hatte es bald selbst die Führung der sächsische» Oppo¬<lb/>
sition und die Leitung des Grenzkrieges in die eignen Hände genommen und sich<lb/>
dadurch an so hoher Stelle behauptet. Daß die Liudolfinger nun aber mit<lb/>
Heinrich I. zum deutschen Königthume emporstiegen, daß überhaupt, aller centri-<lb/>
fugalen und particulären Gewalten ungeachtet, auch nach dem Aussterben der<lb/>
ostfränkischen Karlinger ein deutsches Königthum erhalte» blieb, das war einer<lb/>
bitteren Nothwendigkeit zu danken, einer schweren nationalen Prüfung, nämlich<lb/>
den furchtbaren Beutezügen der Magyaren.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_668"> Der Eindruck der schnellen Kriegszüge und des stürmischen Mnsseuangriffs<lb/>
der pfeilkundigen Ungarn auf das Abendland war groß. In Italien ging das<lb/>
Gebet gegen die Pfeile der Teufelssöhne in die kirchlichen Litaneien über; in<lb/>
Deutschland hielt man die furchtbaren Reiterschwärme für die von Ezechiel ver¬<lb/>
kündeten Völker Gog und Magog, die vom Weltende käme» und alles Leben<lb/>
vernichteten. Von der Donau zogen die wüsten Massen bis zur Elbe. Der ge¬<lb/>
stimmte baierische Adel fiel ihnen gegenüber in einer entscheidenden Niederlage (907).<lb/>
Ein Jahr später wurde Thüringen, S09 Schwaben verwüstet; 910 besiegten die<lb/>
Ungar» die Streitmacht des ganzen deutschen Reiches. Die Tage Attilas schienen<lb/>
wiedergekommen, »ut wirklich wurden die Magyaren deutscherseits mit den Hunnen<lb/>
identificirt, einmal, weil die Ungarn selbst sich als Nachkommen und Erben der<lb/>
Hurre» betrachteten, dann aber anch wegen der Gleichheit des kriegerischen Auf¬<lb/>
tretens beider Völker. Echt nomadische Neiterstämme, lebten sie im Sattel, um¬<lb/>
schwärmten den Gegner in immer neuen Massen und überschüttete» ihn ans der<lb/>
Ferne mit einem Hagelwetter tödtlicher Bolzen, während sie sich jedem festen<lb/>
Griffe der bepanzcrtcii Nitterfanst schnell und gewandt zu entziehen verstanden.<lb/>
Es kam darauf an, den Masse» auch Massen entgegenzustellen; aber seit der<lb/>
Heerbann verfallen war, vermochte» die Deutschen nur kleine Schaaren aufzu¬<lb/>
bringen. Da schloß Heinrich I. einen neunjährigen Waffenstillstand mit den<lb/>
Magyaren, um diese Frist zur Wiederherstellung der tief gesunkenen deutschen<lb/>
Wehrkraft zu benutzen.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0199] Die Entwicklung der FeudalitÄ und dos deutsche Kriegswesen im frühe» Mittelalter. linie der Elbe mit ihren Niederungen und Wäldern; bei Frost war sie stets, im trockenen Hochsommer nicht selten völlig ungenügend. Da galt es eine» ununter¬ brochenen Grenzkrieg, wie er denn auch vom 10. bis tief ins 12. Jahrhundert geführt worden ist — eine fortlaufende Kette scheinbar unbedeutender Unter¬ nehmungen gegen die Unzahl kleiner Slaveustämme, in welcher aber jedes Glied durch heißen Kampf zum festen Ringe geschmiedet ward. Noch zur Zeit Kaiser Heinrichs IV. bezeichnen die Sachsen als ihre wichtigste militärische Aufgabe die Vertheidigung der Elbe, welche sie von andern Leistungen an das Reich entbinde. Unter solchen Umständen erwuchs das Geschlecht der Liudolfinger, dem die Begründung des eigentlichen deutschen Reiches zuzuschreiben ist. An die Spitze des Sachsenvolkes war es einst als Vertreter des karliugischen Staatsgedankens und der christlichen Bildung gekommen. Der letzteren war das Geschlecht treu geblieben; im übrigen aber hatte es bald selbst die Führung der sächsische» Oppo¬ sition und die Leitung des Grenzkrieges in die eignen Hände genommen und sich dadurch an so hoher Stelle behauptet. Daß die Liudolfinger nun aber mit Heinrich I. zum deutschen Königthume emporstiegen, daß überhaupt, aller centri- fugalen und particulären Gewalten ungeachtet, auch nach dem Aussterben der ostfränkischen Karlinger ein deutsches Königthum erhalte» blieb, das war einer bitteren Nothwendigkeit zu danken, einer schweren nationalen Prüfung, nämlich den furchtbaren Beutezügen der Magyaren. Der Eindruck der schnellen Kriegszüge und des stürmischen Mnsseuangriffs der pfeilkundigen Ungarn auf das Abendland war groß. In Italien ging das Gebet gegen die Pfeile der Teufelssöhne in die kirchlichen Litaneien über; in Deutschland hielt man die furchtbaren Reiterschwärme für die von Ezechiel ver¬ kündeten Völker Gog und Magog, die vom Weltende käme» und alles Leben vernichteten. Von der Donau zogen die wüsten Massen bis zur Elbe. Der ge¬ stimmte baierische Adel fiel ihnen gegenüber in einer entscheidenden Niederlage (907). Ein Jahr später wurde Thüringen, S09 Schwaben verwüstet; 910 besiegten die Ungar» die Streitmacht des ganzen deutschen Reiches. Die Tage Attilas schienen wiedergekommen, »ut wirklich wurden die Magyaren deutscherseits mit den Hunnen identificirt, einmal, weil die Ungarn selbst sich als Nachkommen und Erben der Hurre» betrachteten, dann aber anch wegen der Gleichheit des kriegerischen Auf¬ tretens beider Völker. Echt nomadische Neiterstämme, lebten sie im Sattel, um¬ schwärmten den Gegner in immer neuen Massen und überschüttete» ihn ans der Ferne mit einem Hagelwetter tödtlicher Bolzen, während sie sich jedem festen Griffe der bepanzcrtcii Nitterfanst schnell und gewandt zu entziehen verstanden. Es kam darauf an, den Masse» auch Massen entgegenzustellen; aber seit der Heerbann verfallen war, vermochte» die Deutschen nur kleine Schaaren aufzu¬ bringen. Da schloß Heinrich I. einen neunjährigen Waffenstillstand mit den Magyaren, um diese Frist zur Wiederherstellung der tief gesunkenen deutschen Wehrkraft zu benutzen.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/199
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/199>, abgerufen am 25.11.2024.