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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Alfred Meißner.

Als Heine starb, stand die Reaction in der Blüthe. Ein großer Dichter
war hinübergegangen, ohne daß Nekrologe, Nachrufe, Biographien sein Andenken
feierten. Die Allgemeine Augsburger Zeitung, sonst die sorgsamste bei solchen
Vorfällen, das Blatt, für welches Heine 2S Jahre gearbeitet, hatte für den
Tod ihres berühmten Mitarbeiters nur eine kurze Anzeige. So war es allent¬
halben. Da galt es für sein Andenken etwas zu thun. Meißner schrieb die
"Erinnerungen an Heinrich Heine." Diese Schrift hat unbezweifelt das Ver¬
dienst, daß sich ein würdiges Bild von dem Dichter und Menschen Heine dem
Publicum eingeprägt hat.

Meißners erster Roman "Zwischen Fürst und Volk" (Geschichte des Pfarrers
von Grafenried) entsprang zunächst den Eindrücken, welche ein Aufenthalt in
Thüringen wachgerufen hatte. Eine Studie über Zustände eines der kleinen
Höfe bildete die Grundlage des Romans. Die Schilderung politischer Zustände
vor 1848, die Einheitsbestrebungen, die Parteigruppiruugen der ganzen be¬
wegten Zeit, die Verfassungskämpfe seit 1830 traten hinzu, ein großes Zeitbild
zu geben, doch so, daß nichts aus dem Rahmen der biographischen Form fällt
oder willkürlich eingefügt erscheint. Ans der Umgebung von Fanatikern der
Revolution, der mit Zeitideen speculirenden Literaten, der Tallehrcmds der
kleinen Höfe, läßt der Dichter den edlen Idealismus seines Helden, des Pfarrers
von Grafenried, welcher von eigennützigen Nebengedanken ganz unberührt bleibt,
hervortreten. Aber nicht nur die Welt des Parlaments, der Literaten, der
Journalisten und Volksmänner wird geschildert; im Abstich dazu treten die
Kreise des kleinen Hoflebens, der vornehmen Gesellschaft mit ihrem Raffinement,
ihrem unbekannten, oft düster gefärbten Roman und ihren geheimen Leidens¬
geschichten vor. Auch das rührende Seelengemälde der Liebe, die Schilderung
eines tiefergreifender Frauengeschickes voll tragischer Poesie findet in dem reichen
Gewebe dieses Buches Raum. Am bedeutsamste" ist jedoch der pshchologische
Conflict gedacht, an dem der "Pfarrer" schießlich untergeht. Persönliche Dank¬
barkeit knüpft ihn an seinen Fürsten, die öffentliche Stimme, die sich für ihn
erklärt und seine eigne tiefste Ueberzeugung weisen ihm an der Spitze der Be¬
wegung seinen Platz an. Diese Collision vermag er nicht zu überstehen, sie
bricht ihm das Herz.

Dies in Kürze der Inhalt dieses Romans. Als wichtiges Moment muß
hervorgehoben werden, daß Altösterreich bis 18S0 noch keine Prosa in der Aus¬
dehnung wie Lyrik und Drama besaß und daß es galt, und zwar unter
beträchtlicher Beihilfe der verhaßten Journalistik galt, auf diesem österreichischen
Boden eine Prosa zu bilden. Neben Namen wie Kürnberger und Josef Bayer
hat keiner mehr als Meißner dazu geholfen, die von lyrisch-pathetischen Dusel
behaftete altösterreichische Prosa zur deutschen Prosa zurückzuführen und der früher
beliebten Abschließung vom allgemeinen deutschen Culturherde ein Ende zu
bereiten.


Alfred Meißner.

Als Heine starb, stand die Reaction in der Blüthe. Ein großer Dichter
war hinübergegangen, ohne daß Nekrologe, Nachrufe, Biographien sein Andenken
feierten. Die Allgemeine Augsburger Zeitung, sonst die sorgsamste bei solchen
Vorfällen, das Blatt, für welches Heine 2S Jahre gearbeitet, hatte für den
Tod ihres berühmten Mitarbeiters nur eine kurze Anzeige. So war es allent¬
halben. Da galt es für sein Andenken etwas zu thun. Meißner schrieb die
„Erinnerungen an Heinrich Heine." Diese Schrift hat unbezweifelt das Ver¬
dienst, daß sich ein würdiges Bild von dem Dichter und Menschen Heine dem
Publicum eingeprägt hat.

Meißners erster Roman „Zwischen Fürst und Volk" (Geschichte des Pfarrers
von Grafenried) entsprang zunächst den Eindrücken, welche ein Aufenthalt in
Thüringen wachgerufen hatte. Eine Studie über Zustände eines der kleinen
Höfe bildete die Grundlage des Romans. Die Schilderung politischer Zustände
vor 1848, die Einheitsbestrebungen, die Parteigruppiruugen der ganzen be¬
wegten Zeit, die Verfassungskämpfe seit 1830 traten hinzu, ein großes Zeitbild
zu geben, doch so, daß nichts aus dem Rahmen der biographischen Form fällt
oder willkürlich eingefügt erscheint. Ans der Umgebung von Fanatikern der
Revolution, der mit Zeitideen speculirenden Literaten, der Tallehrcmds der
kleinen Höfe, läßt der Dichter den edlen Idealismus seines Helden, des Pfarrers
von Grafenried, welcher von eigennützigen Nebengedanken ganz unberührt bleibt,
hervortreten. Aber nicht nur die Welt des Parlaments, der Literaten, der
Journalisten und Volksmänner wird geschildert; im Abstich dazu treten die
Kreise des kleinen Hoflebens, der vornehmen Gesellschaft mit ihrem Raffinement,
ihrem unbekannten, oft düster gefärbten Roman und ihren geheimen Leidens¬
geschichten vor. Auch das rührende Seelengemälde der Liebe, die Schilderung
eines tiefergreifender Frauengeschickes voll tragischer Poesie findet in dem reichen
Gewebe dieses Buches Raum. Am bedeutsamste» ist jedoch der pshchologische
Conflict gedacht, an dem der „Pfarrer" schießlich untergeht. Persönliche Dank¬
barkeit knüpft ihn an seinen Fürsten, die öffentliche Stimme, die sich für ihn
erklärt und seine eigne tiefste Ueberzeugung weisen ihm an der Spitze der Be¬
wegung seinen Platz an. Diese Collision vermag er nicht zu überstehen, sie
bricht ihm das Herz.

Dies in Kürze der Inhalt dieses Romans. Als wichtiges Moment muß
hervorgehoben werden, daß Altösterreich bis 18S0 noch keine Prosa in der Aus¬
dehnung wie Lyrik und Drama besaß und daß es galt, und zwar unter
beträchtlicher Beihilfe der verhaßten Journalistik galt, auf diesem österreichischen
Boden eine Prosa zu bilden. Neben Namen wie Kürnberger und Josef Bayer
hat keiner mehr als Meißner dazu geholfen, die von lyrisch-pathetischen Dusel
behaftete altösterreichische Prosa zur deutschen Prosa zurückzuführen und der früher
beliebten Abschließung vom allgemeinen deutschen Culturherde ein Ende zu
bereiten.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/172>, abgerufen am 01.09.2024.