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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Alfred Meißner.

wenn man so will, ein Panegyrikus auf das czechische Volk, aber auf das czcchische
Volk des fünfzehnte" Jahrhunderts.

Vor allem natürlich bringt es die Erzählung, wie es zwischen 1419 und
1424 in Böhmen hergegangen. Die Hinrichtung hat die Gemüther empört.
Während der ausgebrochenen Unruhen stirbt König Wenzel plötzlich und läßt
das Land in Anarchie zurück. Ziska, gerade nur diese Zeit aus Polen zurück¬
gekehrt, tritt an die Spitze der Bewegung, in diese noch durch ein persönliches
Moment, die Verführung seiner Schwester durch einen Mönch, hineingerissen.
Der Taumel im Lande wächst, der Kelch ist das Symbol einer Glaubcnseinignng
geworden, chiliastische Seelen erwarten eine Wiederkehr Christi und wollen die
Städte im Lande bis auf fünf, die übrig bleiben sollen, zerstören. Vergeblich
will nach der gegen das aufgebotene Kreuzheer gewonnenen Zislaberger Schlacht
eine republicanische Regierung wieder Ordnung schaffen. Ziska hat sich auf
"Tabor" festgesetzt, wo eine auf communistische Ordnung basirte Lebensform
eingeführt wird. Sigismund will Ziska gewinnen, dieser wiedersieht und wendet
sich in immer mehr wachsender Erbitterung selbst gegen Prag, wo eine gemäßigtere
Partei regiert. Dabei kehrt er sich aber auch gegen die Adamiter, welche den
Communismus, der auf "Tabor" organisirt ist, in ärgster Carriccitnr überbieten.
Im Begriffe, auf Prag loszugehen, läßt er sich dnrch Rvkitzana beugen und
stirbt bald darauf vergiftet. Die ganze Bewegung stürzt in sich zusammen wie
ein Haus, das, von Flammen zerstört, in sich selbst zusammensinkt.

Dies in Kürze die Handlung. Man sieht vor allem andern, daß die Auf¬
gabe, dies alles darzustellen, über die Kräfte eines jungen Mannes gehen mußte.
Im ersten Buche gruppirt sich noch alles dramatisch, fest geschlossen, das Ent¬
stehen und Wachsen der Revvlntionsflammen kann nicht besser dargestellt werden.
Später aber bringt das ungeheuer breite Gebiet, auf dem die Thatsachen spielen,
eine Zersplitterung ins Gedicht. Es kommen nicht weniger als vier politische
Parteien ins Spiel: die Königlichen, die Gemäßigten, später Utraquisten, die
Taboriten, die Auswüchse des religiösen Fanatismus. Hätte der Autor dies
alles gehörig ausgemalt bringen wollen, er hätte dem Ganzen die sechsfache Aus¬
dehnung geben oder vielmehr einen Roman in der Weise Walter Scotts schreiben
müssen. Der Vorwurf ist zu groß; auch die französische Revolution wird nie
in den Rahmen eines Gedichtes gebracht werden können. Dazu kam der Um¬
stand, daß der Verfasser sehr selten eine Person -- den Helden des Gedichtes
ausgenommen -- zu wiederholten Malen erscheinen läßt, sondern sie nur in
einem einzigen Gesänge vorführt; dies giebt den Nebenfiguren etwas Schatten¬
haftes. Indeß -- es ist keiner uachgekviniueu, der es versucht, alles dies besser
zu gestalten. Eingang und Schlußwort des "Ziska" gehören zudem Ergreifendsten,
was ich in der deutscheu Poesie kenne. Wer bei diesen Verseil ruhig bleiben
kann, der hat für Poesie keine Empfänglichkeit. Wie zahm nimmt sich gegen
diesen Ziska selbst die Dichtung Lenaus aus.


Alfred Meißner.

wenn man so will, ein Panegyrikus auf das czechische Volk, aber auf das czcchische
Volk des fünfzehnte» Jahrhunderts.

Vor allem natürlich bringt es die Erzählung, wie es zwischen 1419 und
1424 in Böhmen hergegangen. Die Hinrichtung hat die Gemüther empört.
Während der ausgebrochenen Unruhen stirbt König Wenzel plötzlich und läßt
das Land in Anarchie zurück. Ziska, gerade nur diese Zeit aus Polen zurück¬
gekehrt, tritt an die Spitze der Bewegung, in diese noch durch ein persönliches
Moment, die Verführung seiner Schwester durch einen Mönch, hineingerissen.
Der Taumel im Lande wächst, der Kelch ist das Symbol einer Glaubcnseinignng
geworden, chiliastische Seelen erwarten eine Wiederkehr Christi und wollen die
Städte im Lande bis auf fünf, die übrig bleiben sollen, zerstören. Vergeblich
will nach der gegen das aufgebotene Kreuzheer gewonnenen Zislaberger Schlacht
eine republicanische Regierung wieder Ordnung schaffen. Ziska hat sich auf
„Tabor" festgesetzt, wo eine auf communistische Ordnung basirte Lebensform
eingeführt wird. Sigismund will Ziska gewinnen, dieser wiedersieht und wendet
sich in immer mehr wachsender Erbitterung selbst gegen Prag, wo eine gemäßigtere
Partei regiert. Dabei kehrt er sich aber auch gegen die Adamiter, welche den
Communismus, der auf „Tabor" organisirt ist, in ärgster Carriccitnr überbieten.
Im Begriffe, auf Prag loszugehen, läßt er sich dnrch Rvkitzana beugen und
stirbt bald darauf vergiftet. Die ganze Bewegung stürzt in sich zusammen wie
ein Haus, das, von Flammen zerstört, in sich selbst zusammensinkt.

Dies in Kürze die Handlung. Man sieht vor allem andern, daß die Auf¬
gabe, dies alles darzustellen, über die Kräfte eines jungen Mannes gehen mußte.
Im ersten Buche gruppirt sich noch alles dramatisch, fest geschlossen, das Ent¬
stehen und Wachsen der Revvlntionsflammen kann nicht besser dargestellt werden.
Später aber bringt das ungeheuer breite Gebiet, auf dem die Thatsachen spielen,
eine Zersplitterung ins Gedicht. Es kommen nicht weniger als vier politische
Parteien ins Spiel: die Königlichen, die Gemäßigten, später Utraquisten, die
Taboriten, die Auswüchse des religiösen Fanatismus. Hätte der Autor dies
alles gehörig ausgemalt bringen wollen, er hätte dem Ganzen die sechsfache Aus¬
dehnung geben oder vielmehr einen Roman in der Weise Walter Scotts schreiben
müssen. Der Vorwurf ist zu groß; auch die französische Revolution wird nie
in den Rahmen eines Gedichtes gebracht werden können. Dazu kam der Um¬
stand, daß der Verfasser sehr selten eine Person — den Helden des Gedichtes
ausgenommen — zu wiederholten Malen erscheinen läßt, sondern sie nur in
einem einzigen Gesänge vorführt; dies giebt den Nebenfiguren etwas Schatten¬
haftes. Indeß — es ist keiner uachgekviniueu, der es versucht, alles dies besser
zu gestalten. Eingang und Schlußwort des „Ziska" gehören zudem Ergreifendsten,
was ich in der deutscheu Poesie kenne. Wer bei diesen Verseil ruhig bleiben
kann, der hat für Poesie keine Empfänglichkeit. Wie zahm nimmt sich gegen
diesen Ziska selbst die Dichtung Lenaus aus.


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[0166] Alfred Meißner. wenn man so will, ein Panegyrikus auf das czechische Volk, aber auf das czcchische Volk des fünfzehnte» Jahrhunderts. Vor allem natürlich bringt es die Erzählung, wie es zwischen 1419 und 1424 in Böhmen hergegangen. Die Hinrichtung hat die Gemüther empört. Während der ausgebrochenen Unruhen stirbt König Wenzel plötzlich und läßt das Land in Anarchie zurück. Ziska, gerade nur diese Zeit aus Polen zurück¬ gekehrt, tritt an die Spitze der Bewegung, in diese noch durch ein persönliches Moment, die Verführung seiner Schwester durch einen Mönch, hineingerissen. Der Taumel im Lande wächst, der Kelch ist das Symbol einer Glaubcnseinignng geworden, chiliastische Seelen erwarten eine Wiederkehr Christi und wollen die Städte im Lande bis auf fünf, die übrig bleiben sollen, zerstören. Vergeblich will nach der gegen das aufgebotene Kreuzheer gewonnenen Zislaberger Schlacht eine republicanische Regierung wieder Ordnung schaffen. Ziska hat sich auf „Tabor" festgesetzt, wo eine auf communistische Ordnung basirte Lebensform eingeführt wird. Sigismund will Ziska gewinnen, dieser wiedersieht und wendet sich in immer mehr wachsender Erbitterung selbst gegen Prag, wo eine gemäßigtere Partei regiert. Dabei kehrt er sich aber auch gegen die Adamiter, welche den Communismus, der auf „Tabor" organisirt ist, in ärgster Carriccitnr überbieten. Im Begriffe, auf Prag loszugehen, läßt er sich dnrch Rvkitzana beugen und stirbt bald darauf vergiftet. Die ganze Bewegung stürzt in sich zusammen wie ein Haus, das, von Flammen zerstört, in sich selbst zusammensinkt. Dies in Kürze die Handlung. Man sieht vor allem andern, daß die Auf¬ gabe, dies alles darzustellen, über die Kräfte eines jungen Mannes gehen mußte. Im ersten Buche gruppirt sich noch alles dramatisch, fest geschlossen, das Ent¬ stehen und Wachsen der Revvlntionsflammen kann nicht besser dargestellt werden. Später aber bringt das ungeheuer breite Gebiet, auf dem die Thatsachen spielen, eine Zersplitterung ins Gedicht. Es kommen nicht weniger als vier politische Parteien ins Spiel: die Königlichen, die Gemäßigten, später Utraquisten, die Taboriten, die Auswüchse des religiösen Fanatismus. Hätte der Autor dies alles gehörig ausgemalt bringen wollen, er hätte dem Ganzen die sechsfache Aus¬ dehnung geben oder vielmehr einen Roman in der Weise Walter Scotts schreiben müssen. Der Vorwurf ist zu groß; auch die französische Revolution wird nie in den Rahmen eines Gedichtes gebracht werden können. Dazu kam der Um¬ stand, daß der Verfasser sehr selten eine Person — den Helden des Gedichtes ausgenommen — zu wiederholten Malen erscheinen läßt, sondern sie nur in einem einzigen Gesänge vorführt; dies giebt den Nebenfiguren etwas Schatten¬ haftes. Indeß — es ist keiner uachgekviniueu, der es versucht, alles dies besser zu gestalten. Eingang und Schlußwort des „Ziska" gehören zudem Ergreifendsten, was ich in der deutscheu Poesie kenne. Wer bei diesen Verseil ruhig bleiben kann, der hat für Poesie keine Empfänglichkeit. Wie zahm nimmt sich gegen diesen Ziska selbst die Dichtung Lenaus aus.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/166>, abgerufen am 01.09.2024.