Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Entwicklung der Feudalita't und das deutsche Kriegswesen im frühen Mittelalter.

adel im Gegensatze zu dem Geburtsadel des Patriciates bezeichnet hatte. Wirklich
findet man den fränkischen Adel vielfach mit denselben Benennungen (uptirrmtss,
xrlmorks) belegt, die einst für die römische Mobilität gebräuchlich gewesen waren.
Das Wort aclg.1 bedeutet Geschlecht; von der Abstammung der neuen Aristokratie
konnte jedoch keine Rede sei", denn Edelgebvrne umfaßte sie überhaupt nicht,
ja sogar nicht einmal ausschließlich Freie, da der König in sein Comitat oftmals
Knechte aufnahm, welche er selbst erst frei ließ. Sah sich doch z. B. ein Mann
wie Lendastes, ein Sclave und ehemaliger Küchenjunge, dem zur Strafe mehr¬
maligen Entlaufens ein Ohr abgeschnitten worden war, durch die Gunst des
Königs erst zum Marschall und später gar zum Grafen von Tours befördert.
Als solcher aber waltete er, wie mancher seines Gleichen, als Vorgesetzter aller
freigebornen Männer seines Amtsbezirkes. Dadurch nun ward eine uralte Rechts¬
auffassung geschädigt, welche ebenso wichtig und wirksam gewesen war wie die
verfassungsmäßige Entscheidung der Volksversammlung über Krieg und Frieden;
denn die Aufnahme unfrei geborner Männer in den Kreis der neuen Aristokratie
erschütterte, ja durchbrach die Scheidewand, welche bisher zwischen Freien und
Unfreien bestanden hatte, und schmälerte die politische Ehre und somit auch die
Wasfcuchre der ächten Freien.

Bald folgten weitere Eingriffe der Königsmacht im Sinne der römischen
Staatsgewalt- Beschränkung des Rechtes, jederzeit und überall in Waffen zu
erscheinen, Beschränkung der Faida, d. h. des Privilegiums, sich selbst mit be¬
waffneter Hand Rache und Recht zu verschaffen, Beschränkung des Bcfestiguugs-
rechtes des einzelnen Freien. Nach alledem war die Waffcnpflicht nicht mehr
gleichbedeutend mit dem alten Wasserrechte; dies letztere war vielmehr wesentlich
beschränkt, jene aber Ausfluß einer zwingenden Machtvollkommenheit der Staats¬
gewalt.

Diese Beeinträchtigungen verringerten dem freien Franken die alte Freude
am Wasfeuhandwerke. Bald empfand der Bauer die dem Könige zu leistende
strenge Kriegspflicht als eine Härte, umsomehr als ihm doch auch noch nicht
einmal eine Ahnung des antiken Staatsbegriffs aufgegangen war. Die Könige
erkannten diese Stimmung sehr wohl, und noch war ihre neue Jmperntvrcn-
stellnng doch nicht sicher genng, als daß eine derartige Haltung der Massen
ihnen hätte gleichgiltig sein können. Es schien gar nicht unmöglich, daß das
Volk unter tüchtigen Führern sein KriegSentscheidiuigsrecht zurückforderte. Je
weniger jedoch die Könige geneigt waren, der Masse der Freien noch Antheil
an ihren Entschließungen zu gönnen, je weniger überdies die wüsten Kämpfe
zwischen den Gliedern der königlichen Familie als Volkskriege betrachtet werden
konnten, desto seltener riefen die Herrscher den Heerbann auf, desto lieber stützten
sie sich auf die an sie persönlich gebundnen Elemente des Dienstadels, der in
seiner Gesammtheit gewiß 10 000 Köpfe zählte. Dies aber steigerte wieder Be¬
deutung und Macht des Adels, und zwar überraschend schnell und in unerwartetem


Die Entwicklung der Feudalita't und das deutsche Kriegswesen im frühen Mittelalter.

adel im Gegensatze zu dem Geburtsadel des Patriciates bezeichnet hatte. Wirklich
findet man den fränkischen Adel vielfach mit denselben Benennungen (uptirrmtss,
xrlmorks) belegt, die einst für die römische Mobilität gebräuchlich gewesen waren.
Das Wort aclg.1 bedeutet Geschlecht; von der Abstammung der neuen Aristokratie
konnte jedoch keine Rede sei», denn Edelgebvrne umfaßte sie überhaupt nicht,
ja sogar nicht einmal ausschließlich Freie, da der König in sein Comitat oftmals
Knechte aufnahm, welche er selbst erst frei ließ. Sah sich doch z. B. ein Mann
wie Lendastes, ein Sclave und ehemaliger Küchenjunge, dem zur Strafe mehr¬
maligen Entlaufens ein Ohr abgeschnitten worden war, durch die Gunst des
Königs erst zum Marschall und später gar zum Grafen von Tours befördert.
Als solcher aber waltete er, wie mancher seines Gleichen, als Vorgesetzter aller
freigebornen Männer seines Amtsbezirkes. Dadurch nun ward eine uralte Rechts¬
auffassung geschädigt, welche ebenso wichtig und wirksam gewesen war wie die
verfassungsmäßige Entscheidung der Volksversammlung über Krieg und Frieden;
denn die Aufnahme unfrei geborner Männer in den Kreis der neuen Aristokratie
erschütterte, ja durchbrach die Scheidewand, welche bisher zwischen Freien und
Unfreien bestanden hatte, und schmälerte die politische Ehre und somit auch die
Wasfcuchre der ächten Freien.

Bald folgten weitere Eingriffe der Königsmacht im Sinne der römischen
Staatsgewalt- Beschränkung des Rechtes, jederzeit und überall in Waffen zu
erscheinen, Beschränkung der Faida, d. h. des Privilegiums, sich selbst mit be¬
waffneter Hand Rache und Recht zu verschaffen, Beschränkung des Bcfestiguugs-
rechtes des einzelnen Freien. Nach alledem war die Waffcnpflicht nicht mehr
gleichbedeutend mit dem alten Wasserrechte; dies letztere war vielmehr wesentlich
beschränkt, jene aber Ausfluß einer zwingenden Machtvollkommenheit der Staats¬
gewalt.

Diese Beeinträchtigungen verringerten dem freien Franken die alte Freude
am Wasfeuhandwerke. Bald empfand der Bauer die dem Könige zu leistende
strenge Kriegspflicht als eine Härte, umsomehr als ihm doch auch noch nicht
einmal eine Ahnung des antiken Staatsbegriffs aufgegangen war. Die Könige
erkannten diese Stimmung sehr wohl, und noch war ihre neue Jmperntvrcn-
stellnng doch nicht sicher genng, als daß eine derartige Haltung der Massen
ihnen hätte gleichgiltig sein können. Es schien gar nicht unmöglich, daß das
Volk unter tüchtigen Führern sein KriegSentscheidiuigsrecht zurückforderte. Je
weniger jedoch die Könige geneigt waren, der Masse der Freien noch Antheil
an ihren Entschließungen zu gönnen, je weniger überdies die wüsten Kämpfe
zwischen den Gliedern der königlichen Familie als Volkskriege betrachtet werden
konnten, desto seltener riefen die Herrscher den Heerbann auf, desto lieber stützten
sie sich auf die an sie persönlich gebundnen Elemente des Dienstadels, der in
seiner Gesammtheit gewiß 10 000 Köpfe zählte. Dies aber steigerte wieder Be¬
deutung und Macht des Adels, und zwar überraschend schnell und in unerwartetem


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0110" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/150260"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Entwicklung der Feudalita't und das deutsche Kriegswesen im frühen Mittelalter.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_303" prev="#ID_302"> adel im Gegensatze zu dem Geburtsadel des Patriciates bezeichnet hatte. Wirklich<lb/>
findet man den fränkischen Adel vielfach mit denselben Benennungen (uptirrmtss,<lb/>
xrlmorks) belegt, die einst für die römische Mobilität gebräuchlich gewesen waren.<lb/>
Das Wort aclg.1 bedeutet Geschlecht; von der Abstammung der neuen Aristokratie<lb/>
konnte jedoch keine Rede sei», denn Edelgebvrne umfaßte sie überhaupt nicht,<lb/>
ja sogar nicht einmal ausschließlich Freie, da der König in sein Comitat oftmals<lb/>
Knechte aufnahm, welche er selbst erst frei ließ. Sah sich doch z. B. ein Mann<lb/>
wie Lendastes, ein Sclave und ehemaliger Küchenjunge, dem zur Strafe mehr¬<lb/>
maligen Entlaufens ein Ohr abgeschnitten worden war, durch die Gunst des<lb/>
Königs erst zum Marschall und später gar zum Grafen von Tours befördert.<lb/>
Als solcher aber waltete er, wie mancher seines Gleichen, als Vorgesetzter aller<lb/>
freigebornen Männer seines Amtsbezirkes. Dadurch nun ward eine uralte Rechts¬<lb/>
auffassung geschädigt, welche ebenso wichtig und wirksam gewesen war wie die<lb/>
verfassungsmäßige Entscheidung der Volksversammlung über Krieg und Frieden;<lb/>
denn die Aufnahme unfrei geborner Männer in den Kreis der neuen Aristokratie<lb/>
erschütterte, ja durchbrach die Scheidewand, welche bisher zwischen Freien und<lb/>
Unfreien bestanden hatte, und schmälerte die politische Ehre und somit auch die<lb/>
Wasfcuchre der ächten Freien.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_304"> Bald folgten weitere Eingriffe der Königsmacht im Sinne der römischen<lb/>
Staatsgewalt- Beschränkung des Rechtes, jederzeit und überall in Waffen zu<lb/>
erscheinen, Beschränkung der Faida, d. h. des Privilegiums, sich selbst mit be¬<lb/>
waffneter Hand Rache und Recht zu verschaffen, Beschränkung des Bcfestiguugs-<lb/>
rechtes des einzelnen Freien. Nach alledem war die Waffcnpflicht nicht mehr<lb/>
gleichbedeutend mit dem alten Wasserrechte; dies letztere war vielmehr wesentlich<lb/>
beschränkt, jene aber Ausfluß einer zwingenden Machtvollkommenheit der Staats¬<lb/>
gewalt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_305" next="#ID_306"> Diese Beeinträchtigungen verringerten dem freien Franken die alte Freude<lb/>
am Wasfeuhandwerke. Bald empfand der Bauer die dem Könige zu leistende<lb/>
strenge Kriegspflicht als eine Härte, umsomehr als ihm doch auch noch nicht<lb/>
einmal eine Ahnung des antiken Staatsbegriffs aufgegangen war. Die Könige<lb/>
erkannten diese Stimmung sehr wohl, und noch war ihre neue Jmperntvrcn-<lb/>
stellnng doch nicht sicher genng, als daß eine derartige Haltung der Massen<lb/>
ihnen hätte gleichgiltig sein können. Es schien gar nicht unmöglich, daß das<lb/>
Volk unter tüchtigen Führern sein KriegSentscheidiuigsrecht zurückforderte. Je<lb/>
weniger jedoch die Könige geneigt waren, der Masse der Freien noch Antheil<lb/>
an ihren Entschließungen zu gönnen, je weniger überdies die wüsten Kämpfe<lb/>
zwischen den Gliedern der königlichen Familie als Volkskriege betrachtet werden<lb/>
konnten, desto seltener riefen die Herrscher den Heerbann auf, desto lieber stützten<lb/>
sie sich auf die an sie persönlich gebundnen Elemente des Dienstadels, der in<lb/>
seiner Gesammtheit gewiß 10 000 Köpfe zählte. Dies aber steigerte wieder Be¬<lb/>
deutung und Macht des Adels, und zwar überraschend schnell und in unerwartetem</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0110] Die Entwicklung der Feudalita't und das deutsche Kriegswesen im frühen Mittelalter. adel im Gegensatze zu dem Geburtsadel des Patriciates bezeichnet hatte. Wirklich findet man den fränkischen Adel vielfach mit denselben Benennungen (uptirrmtss, xrlmorks) belegt, die einst für die römische Mobilität gebräuchlich gewesen waren. Das Wort aclg.1 bedeutet Geschlecht; von der Abstammung der neuen Aristokratie konnte jedoch keine Rede sei», denn Edelgebvrne umfaßte sie überhaupt nicht, ja sogar nicht einmal ausschließlich Freie, da der König in sein Comitat oftmals Knechte aufnahm, welche er selbst erst frei ließ. Sah sich doch z. B. ein Mann wie Lendastes, ein Sclave und ehemaliger Küchenjunge, dem zur Strafe mehr¬ maligen Entlaufens ein Ohr abgeschnitten worden war, durch die Gunst des Königs erst zum Marschall und später gar zum Grafen von Tours befördert. Als solcher aber waltete er, wie mancher seines Gleichen, als Vorgesetzter aller freigebornen Männer seines Amtsbezirkes. Dadurch nun ward eine uralte Rechts¬ auffassung geschädigt, welche ebenso wichtig und wirksam gewesen war wie die verfassungsmäßige Entscheidung der Volksversammlung über Krieg und Frieden; denn die Aufnahme unfrei geborner Männer in den Kreis der neuen Aristokratie erschütterte, ja durchbrach die Scheidewand, welche bisher zwischen Freien und Unfreien bestanden hatte, und schmälerte die politische Ehre und somit auch die Wasfcuchre der ächten Freien. Bald folgten weitere Eingriffe der Königsmacht im Sinne der römischen Staatsgewalt- Beschränkung des Rechtes, jederzeit und überall in Waffen zu erscheinen, Beschränkung der Faida, d. h. des Privilegiums, sich selbst mit be¬ waffneter Hand Rache und Recht zu verschaffen, Beschränkung des Bcfestiguugs- rechtes des einzelnen Freien. Nach alledem war die Waffcnpflicht nicht mehr gleichbedeutend mit dem alten Wasserrechte; dies letztere war vielmehr wesentlich beschränkt, jene aber Ausfluß einer zwingenden Machtvollkommenheit der Staats¬ gewalt. Diese Beeinträchtigungen verringerten dem freien Franken die alte Freude am Wasfeuhandwerke. Bald empfand der Bauer die dem Könige zu leistende strenge Kriegspflicht als eine Härte, umsomehr als ihm doch auch noch nicht einmal eine Ahnung des antiken Staatsbegriffs aufgegangen war. Die Könige erkannten diese Stimmung sehr wohl, und noch war ihre neue Jmperntvrcn- stellnng doch nicht sicher genng, als daß eine derartige Haltung der Massen ihnen hätte gleichgiltig sein können. Es schien gar nicht unmöglich, daß das Volk unter tüchtigen Führern sein KriegSentscheidiuigsrecht zurückforderte. Je weniger jedoch die Könige geneigt waren, der Masse der Freien noch Antheil an ihren Entschließungen zu gönnen, je weniger überdies die wüsten Kämpfe zwischen den Gliedern der königlichen Familie als Volkskriege betrachtet werden konnten, desto seltener riefen die Herrscher den Heerbann auf, desto lieber stützten sie sich auf die an sie persönlich gebundnen Elemente des Dienstadels, der in seiner Gesammtheit gewiß 10 000 Köpfe zählte. Dies aber steigerte wieder Be¬ deutung und Macht des Adels, und zwar überraschend schnell und in unerwartetem

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/110
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/110>, abgerufen am 01.09.2024.