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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal.

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Gambetta und kein Lüde.

und daß Grizvy darin den Wunsch Frankreichs erblicken würde, Gambetta an
der Spitze des Staates zu sehen. Ein solcher sensationeller Effect war durch
die Einzelwnhl nicht zu erzielen; denn ein paar Dutzend Einzelwnhlen fielen nicht
so sehr ins Gewicht als ebenso viele Departementswahlen, während die Anstrengung
nngefcihr dieselbe war, ob man einen Bezirk von hundert-- oder einen von stinf-
hnnderttansend Seelen zu beeinflussen hatte. Für die herrschende Partei war
also das Listenscrntittimn eine bedeutende Förderung ihrer Absichten.

Daraufhin wurde angenommen, daß Gambetta sehr bald die Auflösung
der Kammer einleiten werde, da es ihm eilen müsse, die nach dem Listenserntinium
gewählten, in der Mehrzahl voraussichtlich seine Vasallen und Trabanten, im
Palais Bourbon um sich versammelt zu sehen und sie das Budget für 1882
berathen und poliren zu lassen. Das würde auch wohl so gekommen sein, wenn
der Senat wie die Majorität der Deputirtenkammer den Bardvuxschen Wahl-
gesctzeutwnrf gutgeheißen hätte. Inzwischen aber sollte die Reise Gambettas
nach seiner Vaterstadt Cahors weiter darthun, welches Ansehens und welcher
Gunst derselbe sich beim französischen Volke erfreute. Die dabei zu erwartenden
Ovationen sollten gewissermaßen das Vorspiel der gehofften Dutzendwahlen des
großen Mannes bei dem Listenserntinium sein, und die Sache ließ sich in der
That ganz vortrefflich an. Gambetta wurde auf dem Wege nach Cahors und
in der Stadt selbst wirklich wie der Messias der Nation gefeiert, nur hatte das
Schauspiel einen Fehler: die Regel auict lümts wurde dabei nicht beachtet.

Am 24. Mai Abends verließ der große Bürger mit seinem Gefolge Paris
auf der Bahn nach Orleans. Die Verwaltung der letztern ehrte ihn, als ob er
schon das Staatsoberhaupt wäre. Sie sandte nicht bloß ihren höchsten Beamten
zu seiner Begrüßung ab, sondern stellte ihm mich einen besondern Zug zur Ver¬
fügung und verzögerte, damit ihm kein Unglück zustoße, den Abgang des für
gewöhnliche Sterbliche bestimmten, so zu sagen plebejischen Zugs um 20 Minuten,
was eine Anzahl von prosaischen Seelen verdroß. Bis Belvis, wo der Zug
am Morgen eintraf, ging es auf den Stationen, die man berührte, still zu, da
die Bewohner der betreffenden Orte schliefen. Von da an aber folgte Ovation
auf Ovation, und je mehr man sich Cahors näherte, desto mehr Jubel, Enthusiasmus
und Beräucherung. Auf allen Bahnhöfen brausende Hochrufe, Gesang und Spiel
der Marseillaise und Begrüßungsreden, deren Ergebenheitsphrasen denen, mit
welchen man einst den Empereur und später den Präsidenten Mac Mahon empfangen,
an Schwung nicht nachstanden. Beim Eintritt in das Lot-Departement, dessen
.Hauptstadt Cahors ist, läutete man in den Dörfern die Glocken, und die Bauern
strömten in Masse herbei. Als der Zug in den Bahnhof von Cahors einlief,
donnerten Kanonenschüsse, ein Gesangverein stimmte die eigens für diese Gelegen¬
heit gedichtete Cantate: 8-z.tut, grsnä vio^vn an, Feuerwehr und Infanterie
bildeten Spalier, die Volksmasse schrie unaufhörlich Vivat, und die Behörden
begrüßten den aus dem Wagen gestiegnen Volksliebling mit einer Ansprache,


Gambetta und kein Lüde.

und daß Grizvy darin den Wunsch Frankreichs erblicken würde, Gambetta an
der Spitze des Staates zu sehen. Ein solcher sensationeller Effect war durch
die Einzelwnhl nicht zu erzielen; denn ein paar Dutzend Einzelwnhlen fielen nicht
so sehr ins Gewicht als ebenso viele Departementswahlen, während die Anstrengung
nngefcihr dieselbe war, ob man einen Bezirk von hundert-- oder einen von stinf-
hnnderttansend Seelen zu beeinflussen hatte. Für die herrschende Partei war
also das Listenscrntittimn eine bedeutende Förderung ihrer Absichten.

Daraufhin wurde angenommen, daß Gambetta sehr bald die Auflösung
der Kammer einleiten werde, da es ihm eilen müsse, die nach dem Listenserntinium
gewählten, in der Mehrzahl voraussichtlich seine Vasallen und Trabanten, im
Palais Bourbon um sich versammelt zu sehen und sie das Budget für 1882
berathen und poliren zu lassen. Das würde auch wohl so gekommen sein, wenn
der Senat wie die Majorität der Deputirtenkammer den Bardvuxschen Wahl-
gesctzeutwnrf gutgeheißen hätte. Inzwischen aber sollte die Reise Gambettas
nach seiner Vaterstadt Cahors weiter darthun, welches Ansehens und welcher
Gunst derselbe sich beim französischen Volke erfreute. Die dabei zu erwartenden
Ovationen sollten gewissermaßen das Vorspiel der gehofften Dutzendwahlen des
großen Mannes bei dem Listenserntinium sein, und die Sache ließ sich in der
That ganz vortrefflich an. Gambetta wurde auf dem Wege nach Cahors und
in der Stadt selbst wirklich wie der Messias der Nation gefeiert, nur hatte das
Schauspiel einen Fehler: die Regel auict lümts wurde dabei nicht beachtet.

Am 24. Mai Abends verließ der große Bürger mit seinem Gefolge Paris
auf der Bahn nach Orleans. Die Verwaltung der letztern ehrte ihn, als ob er
schon das Staatsoberhaupt wäre. Sie sandte nicht bloß ihren höchsten Beamten
zu seiner Begrüßung ab, sondern stellte ihm mich einen besondern Zug zur Ver¬
fügung und verzögerte, damit ihm kein Unglück zustoße, den Abgang des für
gewöhnliche Sterbliche bestimmten, so zu sagen plebejischen Zugs um 20 Minuten,
was eine Anzahl von prosaischen Seelen verdroß. Bis Belvis, wo der Zug
am Morgen eintraf, ging es auf den Stationen, die man berührte, still zu, da
die Bewohner der betreffenden Orte schliefen. Von da an aber folgte Ovation
auf Ovation, und je mehr man sich Cahors näherte, desto mehr Jubel, Enthusiasmus
und Beräucherung. Auf allen Bahnhöfen brausende Hochrufe, Gesang und Spiel
der Marseillaise und Begrüßungsreden, deren Ergebenheitsphrasen denen, mit
welchen man einst den Empereur und später den Präsidenten Mac Mahon empfangen,
an Schwung nicht nachstanden. Beim Eintritt in das Lot-Departement, dessen
.Hauptstadt Cahors ist, läutete man in den Dörfern die Glocken, und die Bauern
strömten in Masse herbei. Als der Zug in den Bahnhof von Cahors einlief,
donnerten Kanonenschüsse, ein Gesangverein stimmte die eigens für diese Gelegen¬
heit gedichtete Cantate: 8-z.tut, grsnä vio^vn an, Feuerwehr und Infanterie
bildeten Spalier, die Volksmasse schrie unaufhörlich Vivat, und die Behörden
begrüßten den aus dem Wagen gestiegnen Volksliebling mit einer Ansprache,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157968/11>, abgerufen am 24.11.2024.